Humanitäre Hilfe hier, Friedensverhandlungen dort

analyse + kritik, 18.03.2005

Von Alex Flor

ak Mit diesem Slogan wirbt das Deutsche Rote Kreuz derzeit bundesweit für weitere Spenden zum Wiederaufbau der vom Tsunami zerstörten Regionen. Nach der Spendenflut Anfang des Jahres bedarf es allerdings einiger Anstrengungen der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum noch immer Spenden benötigt werden. Einige der Hilfsorganisationen riefen sogar zu einem Spendenstopp auf, da sie sich nicht mehr in der Lage sahen, das viele Geld in sinnvolle Projekte zu kanalisieren.

Der scheinbare Widerspruch ist dadurch zu erklären, dass ein großer Teil der Spenden an Organisationen gegeben wurde, die auf Nothilfe spezialisiert sind. Sie versorgten die Flutopfer mit dem Lebenswichtigsten, stellten Zelte zur Verfügung, leisteten ärztliche Hilfe für Verletzte und andere Soforthilfemaßnahmen. Diese Phase ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Man befindet sich nun im Übergang zum langfristigen Wiederaufbau. Allein in Aceh, wo nach letzten Zählungen ca. 250.000 Menschen durch die Flutwelle getötet wurden, sind zurzeit 450.000 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Zehntausende weitere Opfer, die alles verloren haben, sind bei Verwandten oder Bekannten untergekommen und werden von der offiziellen Statistik nicht erfasst. Häuser, Schulen, Straßen und Brücken müssen neu gebaut werden. Das Fischereiwesen liegt völlig danieder, denn neben den Häusern der Fischer sind auch Boote, Häfen, Lagereinrichtungen und Transportmittel zerstört. Auch der Reisanbau ist beeinträchtigt, denn viele tiefer gelegene Felder sind von Salzwasser und Schlamm überschwemmt. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern.

Völlig zu Recht bekräftigen daher Politiker und Hilfsorganisationen den Willen und die Notwendigkeit eines langfristigen Engagements. Bundeskanzler Schröder regte das Programm der Partnerschaftsinitiativen an, welches inzwischen von Christine Rau, der Frau des ehemaligen Bundespräsidenten, geleitet wird. Auch Außenminister Joschka Fischer betonte in Indonesien mit Nachdruck die Bereitschaft Deutschlands, sich beim Wiederaufbau in den Katastrophengebieten „langfristig zu engagieren“. Deutsche Soldaten blieben so lange „es Sinn macht“ und „die Regierung (in Jakarta) es wünscht“, so Fischer weiter.

Die Soldaten. Sie waren der indonesischen Staatsmacht – insbesondere ihren Streitkräften – von Anbeginn ein Dorn im Auge. Bis Ende Dezember 2004 war Aceh, das seit 1976 unter dem bewaffneten Konflikt zwischen der Unabhängigkeitsbewegung GAM (Bewegung Freies Aceh) und den indonesischen Streitkräften leidet, fest im Griff des Militärs. Von Mai 2003 bis Mai 2004 herrschte Kriegsrecht, seitdem steht Aceh unter zivilem Notstand. Ausländern war der Zugang in die Provinz seither verwehrt. Doch der Tsunami stellte alles auf den Kopf. Wenige Tage nach der Katastrophe lag ein amerikanischer Flugzeugträgerverband vor der Küste Acehs und versorgte in pausenlosen Einsätzen die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser. Hinzu kamen Soldaten aus Australien, Japan, Singapur, Malaysia, Deutschland und einer Reihe weiterer Staaten. Hilflos mussten Indonesiens Militärs zusehen, wie fremde Truppen Sympathiepunkte sammelten, während sie selbst nicht über genügend einsatzfähiges Fluggerät verfügten – nicht zuletzt aufgrund eines amerikanischen Waffenembargos. Während Indonesiens Hardliner ihre Souveränität dahinschwinden sahen, machte die GAM keinen Versuch, ihre Freude zu verbergen. „Thank you world!“, war eine ihrer Presseerklärungen betitelt. Seit Jahren verfolgt die GAM das Ziel der Internationalisierung des Konfliktes nach dem Muster Osttimors und erhoffte sich – bislang vergeblich – den Einsatz fremder Truppen und die Durchführung eines Referendums.

Indonesien fügte sich ins Unvermeidliche, drängte aber gleichzeitig auf baldigen Abzug der Truppen: „Drei Monate sind genug, aber je eher sie gehen, desto besser“, sagte Vizepräsident Kalla. Das Ausland reagierte verstört, vor allem da nicht klar war, ob sich Indonesien im gleichen Atemzuge auch der vielen zivilen Hilfsorganisationen entledigen wollte. Deren Bewegungsfreiheit wurde nämlich gleichzeitig mit dem Ultimatum massiv eingeschränkt. Alle Helfer müssen sich nun beim Militär registrieren lassen und dürfen sich nur noch in Begleitung des Militärs außerhalb der beiden besonders schwer getroffenen Städte Banda Aceh und Meulaboh bewegen. Begründet wurde dies mit angeblich drohenden Anschlägen auf das Hilfspersonal. Immerhin konnten die indonesischen Militärs so ihr Selbstwertgefühl wieder etwas verbessern.

Bauzaunmentalität und Bauernfrühstück

Kurz vor Ablauf des Ultimatums am 26. März sind die meisten Einsätze ausländischer Militärs beendet. Der Flugzeugträgerverband Abraham Lincoln hat Aceh längst den Rücken gekehrt, die Japaner verließen diese Woche das Land, und auch die Einsätze der australischen und deutschen Soldaten gehen ihrem Ende entgegen. Keiner der betroffenen Staaten hat sich gegenüber Jakarta offensiv für einen längeren Verbleib der Truppen eingesetzt. Dafür bestand von der Sache her auch wenig Anlass. Tatsächlich hat sich die Lage inzwischen so weit entschärft, dass zivile Organisationen die Aufgaben übernehmen können. Die Menschen müssen inzwischen nicht mehr aus der Luft mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Dennoch sorgen die Muskelspiele der indonesischen Regierung für Verunsicherung bei den zivilen Hilfsorganisationen. MitarbeiterInnen fragen sich, wie eine langfristige Hilfe möglich sein soll, wenn sie ihre Visa nur um jeweils 14 Tage verlängern können? Gerade erst wurde dem australischen Wissenschaftler Edward Aspinall, einem der weltweit führenden Aceh-Experten, trotz gültigen Visums die Einreise nach Indonesien verwehrt. Aspinall war erst kürzlich als Übersetzer in Aceh gewesen. Möglicherweise ist die Verweigerung der Wiedereinreise eine Reaktion der indonesischen Behörden darauf, dass ein anderer australischer Aceh-Experte, Damien Kingsbury, in der Zwischenzeit als Berater der GAM bei den Friedensverhandlungen tätig geworden ist.

Wie ein Damoklesschwert hängt die beständige Drohung über allen Projekten, der militärische Ausnahmezustand könnte wieder hergestellt werden und alle AusländerInnen müssten das Land verlassen. Ende letzter Woche forderte Polizeichef T. Ashikin das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und die International Organization of Migration (IOM) auf, bis zum 26. März das Land zu verlassen. Über die Gründe kann derzeit nur spekuliert werden. Ashikins haarspalterische Erklärung lautete, die Aufgaben beider Werke lägen ja in der Flüchtlingshilfe. In Aceh jedoch gebe es keine Flüchtlinge aus einem Nachbarstaat, sondern vielmehr IDPs (internally displaced people; zu Deutsch: Binnenflüchtlinge), für die UNHCR und IOM nicht zuständig seien.

Die Obdachlosen waren freilich bis dato dankbar für die von UNHCR und IOM geleistete Hilfe, und die Organisationen selbst schienen kein Problem mit deren Status zu haben. Sollte der feine juristische Unterschied zwischen Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen die bereits angesprochenen Empfindlichkeiten Indonesiens in punkto Internationalisierung des Konfliktes getroffen haben? Oder nahm das Militär, das zurzeit die Flüchtlinge in mehreren – auch von deutschen Hilfswerken kritisierten – Großlagern unterbringen möchte, die beiden Organisationen als störende Konkurrenz wahr? Gibt es einen Zusammenhang mit dem für den 25. März von der Regierung angekündigten Masterplan zum Wiederaufbau Acehs? Waren es vielleicht die Warnungen der IOM, Hilfsgelder könnten durch staatliche Stellen korrumpiert werden? Oder war es letztlich nur ein willkürliches Exempel zur Warnung an alle noch in Aceh verbleibenden Organisationen?

„Thank you, world!“

Ein Großteil der Hilfsorganisationen benötigt derlei Warnungen nicht, denn nur die wenigsten hegen den Anspruch, über ihr konkretes Projekt hinaus auch einen Beitrag zur politisch-gesellschaftlichen Lage in Aceh oder gar zur Lösung des bewaffneten Konfliktes zu leisten. Mit großer Effizienz und eisernem Willen bauen sie Verschläge, legen Trinkwasserleitungen oder dergleichen. Dabei kommen sie kaum in Kontakt mit Einheimischen. Mit „Bauzaunmentalität“ beschreibt ein Mitarbeiter vor Ort die Situation. Nicht einmal der in Deutschland übliche kulinarische Kontakt zur fremden Kultur durch den Verzehr von Pizza beim Italiener oder Döner beim Türken findet statt. Gegessen wird Mitgebrachtes von zu Hause: „Bauernfrühstück und so“, wie besagter Mitarbeiter berichtet.

Die Hilfe der Bundesregierung macht hier keine Ausnahme. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) konzentriert sich auf den Wiederaufbau des zentralen Krankenhauses in Banda Aceh, das von der Flut schwer getroffen wurde. Nicht ohne Stolz erklärte ein Mitarbeiter, man sei schnell genug zur Stelle gewesen, um sich eine „Rosine aus dem Projektkuchen“ herauspicken zu können. Der Aufbau und die Wiederinbetriebnahme des Krankenhauses ist ein gleichermaßen nützliches wie medienwirksames Projekt. Und da das Krankenhaus in der Provinzhauptstadt liegt, bleiben logistische Probleme und mögliche politische Verwicklungen auf einem Minimum. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit beispielsweise ist nur ein Problem für diejenigen, die außerhalb Banda Acehs Projekte durchführen wollen. In spätestens fünf Jahren soll die „langfristige Hilfe“ des BMZ abgeschlossen sein, hieß es beim Ländergespräch zur Flutkatastrophe im Ministerium.

Drohung mit dem Ausnahmezustand

Bleibt die viel diskutierte Chance auf einen Neuanfang, die der Naturkatastrophe zugeschrieben wurde, also ein Mythos? Nicht ganz. Denn tatsächlich kommt auch auf politischer Ebene einiges in Bewegung. Unter Vermittlung des ehemaligen Präsidenten von Finnland, Martti Ahtisaari, nahmen Ende Januar die Kontrahenten GAM und die indonesische Regierung neue Verhandlungen auf. Indonesien schickte die im Rahmen solcher Gespräche bislang höchstrangigste Delegation, und beide Seiten gaben sich nach den ersten beiden Verhandlungsrunden vorsichtig optimistisch. Über Details der Gespräche ist freilich wenig bekannt. Wie bei den gescheiterten Gesprächsrunden vor zwei Jahren, die in der Verhängung des Kriegsrechts endeten, drängte Jakarta zunächst auf Anerkennung des Einheitsstaates Indonesien und auf eine Sonderautonomie für Aceh als Verhandlungsgrundlage – eine für die nach völliger Unabhängigkeit strebende GAM in dieser Form nicht akzeptable Lösung. Ohne sich dadurch in der Sache näher gekommen zu sein, fand man schließlich mit dem nicht näher definierten Wort „Selbstregierung“ eine Begrifflichkeit, mit der beide Seiten leben können, und bewahrte somit die Verhandlungen zunächst vor einem neuerlichen Scheitern. Berichten der indonesischen Seite zufolge, wonach die GAM das Ziel der Unabhängigkeit habe fallen lassen, wurden seitens der GAM dementiert. Im April will man sich zu einer dritten Gesprächsrunde in Helsinki versammeln.

Möglicherweise werden zur nächsten Verhandlungsrunde sogar VertreterInnen der Zivilgesellschaft in Aceh mit an den Tisch gebeten. Dies wäre ein begrüßenswertes Novum, denn bislang scherten sich beide Konfliktparteien wenig um die Ansichten und Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung. Dennoch bleibt fraglich, welches Gewicht zivilgesellschaftliche Kräfte am Verhandlungstisch in die Waagschale werfen können. Im bewaffneten Konflikt sind sie ein zu vernachlässigender Faktor, für eine Friedenslösung ist die Beteiligung die Zivilgesellschaft jedoch unverzichtbar.

Doch bislang ist die Zivilgesellschaft Acehs zu schwach, um hier eine tragende Rolle spielen zu können. Sie braucht Stärkung und politische Rückendeckung von außen. Die Fluthilfe- und Partnerschaftsprojekte in Aceh böten hierfür einen hervorragenden Ansatzpunkt. Doch die wenigsten Projekte sind darauf ausgerichtet, diese Chance wahrzunehmen. So wird es voraussichtlich bei der derzeitigen Aufgabenteilung bleiben: hier die humanitäre Hilfe, in Helsinki die Friedensverhandlungen.


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