Information und Analyse

Tausende Tote und keine Hilfe – Tsunami in Indonesien

27. Dezember 2004

von Alex Flor

Ausmaß der Katastrophe

Stranded

Gestrandete Schiffe in Banda Aceh

Foto: Jörg Meier

Es war das stärkste Beben seit 40 Jahren. Das Epizentrum wurde nur 150 Kilometer vor der Südwestküste der indonesischen Provinz Aceh verortet. Während das Seebeben selbst nur mäßigen Schaden auf Sumatra anrichtete, löste es eine riesige Flutwelle aus, die Zehntausenden Menschen in den Küstenregionen von neun Staaten Asiens und Afrikas zum Verhängnis wurde.

Die Zahl der Todesopfer steigt unaufhörlich. Wurde die Gesamtzahl gestern, am Tag der Katastrophe, noch auf ca. 11.000 geschätzt, so rechnet man heute bereits mit mindestens 23.000 Toten. Insbesondere in der indonesischen Provinz Aceh, von wo derzeit etwa 4.500 Todesopfer vermeldet werden, dürfte die Zahl noch dramatisch ansteigen.

Videoaufnahmen der Zerstörungen in Thailand und Sri Lanka prägen sich ins Bewusstsein der Fernsehzuschauer. Ferntouristen werden zum Auge der Weltöffentlichkeit. Das Auswärtige Amt richtete eine Hotline ein, über die sich besorgte Anrufer nach dem Verbleib ihrer Angehörigen erkundigen können. Bislang ist von einem verletzten Deutschen in Thailand die Rede.

In Aceh auf Sumatra gibt es keine Touristen. Und niemand, der hier filmt. Somit interessieren sich nur wenige für die Lage dieser wahrscheinlich am schwersten von der Katastrophe betroffenen Region. Seit fast zwei Jahren steht die Provinz unter Ausnahmezustand. Ausländern ist der Zugang seither fast völlig verwehrt. Vor allem Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind nicht gerne gesehen. Eine Militäroperation gegen die Freiheitskämpfer der GAM (Bewegung Freies Aceh) dauert an. 30.000 Soldaten der indonesischen Streitkräfte stehen in der Provinz. Nur leider ist ihre Ausrüstung für Nothilfemaßnahmen ungeeignet.

Zwar riefen angesichts der Katastrophe sowohl die Exilführung der GAM in Stockholm wie auch der Kommandeur der indonesischen Streitkräfte, General Endriartono Sutarto, zum vorübergehenden Waffenstillstand auf. Doch die Kampfhandlungen gehen offenbar unverändert weiter. Der erste bewaffnete Zusammenstoß nach der Flut wurde aus Bireuen gemeldet. Vier Kämpfer der GAM wurden dabei erschossen, unter ihnen der örtliche Vize-Kommandeur der Widerstandsbewegung. In Bireuen hatte die Flut ca. 3.000 Häuser zerstört, die Zahl der Toten liegt in dieser Stadt nach derzeitigen Zählungen bei 123.

Von den heute Nachmittag gemeldeten ca. 4.500 Todesopfern in ganz Aceh entfielen 3.000 alleine auf die Provinzhauptstadt Banda Aceh. Mindestens 50.000 Menschen sind ohne Obdach. Der Flughafen ist zerstört, viele Straßen und Zufahrtswege ins Landesinnere sind durch Erdrutsche und zerstörte Brücken unpassierbar. Das Telefonnetz ist praktisch völlig zusammen gebrochen. Somit kann sich derzeit noch kaum jemand ein Bild von den wahren Ausmaßen der Katastrophe machen. Zeitungsberichte aus der Region bleiben aus. Das Lokalblatt Serambi kann vorläufig nicht erscheinen. In den Redaktionsräumen trocknet der Schlamm, die Druckerei im Erdgeschoss ist völlig zerstört. Verschiedene Mitarbeiter werden noch vermisst. Auch die Internetausgabe der Zeitung www.serambinews.com bietet keine aktuellen Meldungen mehr..

Noch keinerlei Informationen liegen aus den Tieflandgebieten an der Südwestküste Acehs sowie der vorgelagerten Insel Simeulue vor. Das Epizentrum des Bebens lag nur 150 km von hier entfernt. Es muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Jeder Überlebende, der in dieser Gegend gefunden werden sollte, grenzt an ein kleines Wunder. Die etwas weiter südlich gelegene zur Provinz Nordsumatra zählende Insel Nias gehört zu den am heftigsten betroffenen Gebieten außerhalb Acehs.

Hilfsmaßnahmen

Indonesische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fordern sofortigen freien Zugang für nationale und internationale Hilfsorganisationen in das Katastrophengebiet. Sowohl die GAM als auch Regierungstruppen werden aufgefordert, die Kampfhandlungen zumindest vorübergehend einzustellen, um Rettungsarbeiten für die Not leidende Bevölkerung zu ermöglichen.

Die Bevölkerung in Jakarta, Medan und anderen Städten wurde zu Spenden von Lebensmitteln. Kleidung, Medikamenten u.dgl. aufgerufen. Die NGOs richteten verschiedene Sammelstellen (Posko) dafür ein, während sie gleichzeitig versuchen über Kontakte vor Ort Schadensausmaß, Hilfsbedarf und Transportmöglichkeiten in Erfahrung zu bringen.

Regierungen und internationale Hilfsorganisationen reagierten umgehend und ließen bereits gestern umfangreiche Maßnahmen anlaufen. Das Internationale Rote Kreuz denkt laut darüber nach, den zunächst auf 5 Mio. € bezifferten Etat für Hilfsleistungen zu erhöhen. Ein Sprecher der Organisation meinte, angesichts von neun betroffenen Staaten werde es sich um die wohl komplexeste Hilfsmaßnahme in der Geschichte handeln. Auch andere karitative Organisationen wie das Diakonische Werk und UNICEF rufen zu Spenden auf. Die EU stellte 3 Mio € für Soforthilfe zur Verfügung, Deutschland beteiligt sich mit einer Mio €.

Der Großteil der bislang auf den Weg gebrachten Hilfe geht nach Sri Lanka. Auch internationale Hilfsmaßnahmen für Indien nehmen bereits sehr konkrete Form an. Derweil scheint man sich in Indonesien noch damit schwer zu tun, erst einmal das Ausmaß der Katastrophe richtig zu begreifen.

Bislang ist nicht bekannt, welche konkreten Maßnahmen die Regierung ergreifen will. Die Frage des Zugangs für internationale Hilfsorganisationen ist ebenso ungelöst wie die Frage nach ihrer Koordination. Michael Elmquist vom UN-Büro für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in Jakarta erklärte heute, seine Organisation werde „mit der Regierung kooperieren, um ein Team nach Aceh zu entsenden“. Sehr konkret klingt das nicht. Elmquist äußerte sich besorgt über das Schicksal einiger indonesischer Mitarbeiter, die sich zum Zeitpunkt des Bebens in Aceh aufhielten. „Wir haben seit dem Erdstoß nichts mehr von ihnen gehört. Wir hoffen das Beste.“

Selbstverständlich unterstützt Watch Indonesia! Aufrufe und Bemühungen indonesischer wie internationaler Organisationen. Wir sehen uns allerdings aufgrund der geschilderten Umstände derzeit nicht in der Lage, Empfehlungen auszusprechen, wie der Bevölkerung Acehs schnell und gezielt geholfen werden kann.

Wir unterstreichen daher die Forderungen unserer indonesischen Partner und appellieren an die Regierung und die Streitkräfte Indonesiens sowie an die Unabhängigkeitsbewegung GAM, umgehend die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um humanitäre Hilfsmaßnahmen nicht länger aufzuhalten. <>


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