Das Schrumpfen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume in Indonesien ist unvermeidlich

(orig. Shrinking civic space is inevitable in Indonesia)

19.05.2025

Von Dr Abdil Mughis Mudhoffir

Im Original auf Englisch erschienen bei Melbourne Asia Review, Edition 22, 2025, am 26.4.2025, DOI: 10.37839/MAR2652-550X22.1 

Im Februar 2025 erhielten mindestens fünf indonesische Studierende in Deutschland private Nachrichten und Anrufe von einem Beamten der indonesischen Botschaft bezüglich einer geplanten Protestaktion gegen Haushaltskürzungen und andere Regierungsmaßnahmen, die das soziale Unterstützungssystem schwächen würden. Die Protestaktion stand unter dem Motto „Indonesia Gelap“ (Dunkles Indonesien), das auf die gleichnamigen landesweiten Demonstrationen in Indonesien anspielt. Der Beamte hielt die Studierenden an, von der Teilnahme an der Demonstration abzusehen, da er sich über mögliche internationale Aufmerksamkeit Sorgen machte. Die Organisator*innen verurteilten dies als Einschüchterung und als Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Im März 2025 berichteten Studierende, die sich an Protesten gegen das neue Gesetz über die indonesischen Streitkräfte (TNI-Gesetz) in Malang und Yogyakarta beteiligten, über direkte Einschüchterung und Gewalt durch Polizei und Sicherheitskräfte. Die studentischen Proteste in Indonesien haben seit 2019 zugenommen – als Reaktion auf zahlreiche antidemokratische Maßnahmen unter dem damaligen Präsidenten Joko Widodo (Jokowi), darunter willkürliche Polizeigewalt und die Verabschiedung zahlreicher umstrittener Gesetze ohne angemessene öffentliche Beteiligung.

Viele befürchten, dass der neue Präsident Prabowo Subianto, der im Oktober 2024 vereidigt wurde, härter gegen Dissens vorgehen wird als sein Vorgänger – angesichts seiner Vergangenheit als Militär mit problematischer Menschenrechtsbilanz. Das jüngst verabschiedete TNI-Gesetz, das die Ausweitung der militärischen Rolle im zivilen Bereich rechtlich stärkt, könnte den zivilgesellschaftlichen Raum weiter einschränken und es der Zivilgesellschaft erschweren, sich der Regierung entgegenzustellen.

Diese Beobachtung trifft zwar zu, sollte aber nicht allein dem Führungsstil aufstrebender Autokraten zugeschrieben werden – entgegen der Annahme mancher Beobachter. Ein Fokus auf die persönlichen Eigenschaften von Jokowi oder Prabowo verkennt ein tieferes Problem: die geschwächte Zivilgesellschaft in Indonesien und ihre Fähigkeit, die Demokratie aufrechtzuerhalten.

Ich argumentiere, dass ein großes Problem darin besteht, dass linke zivilgesellschaftliche Kräfte, die sich für soziale Gerechtigkeit und Umverteilung einsetzen, in Indonesien organisatorisch zu schwach sind, um sich zu vereinen und breite Unterstützung in ihrer Basis zu mobilisieren.

Organisierte Linke und Demokratie

Politische Ökonomin*innen wie Dietrich Rueschemeyer, Evelyn Huber Stephens und John D. Stephens argumentierten, dass die organisierte Arbeiterklasse historisch eine zentrale Rolle bei der Demokratisierung und dem Ausbau von Rechtsschutzes gespielt hat. In kapitalistischen Gesellschaften war sie in der Regel der materiell am stärksten motivierte Akteur, um größere politische Teilhabe und Ressourcenverteilung durchzusetzen.

In Westeuropa war die Arbeiterklasse in der Zeit rascher Industrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich, als der Staat sich neu konstituierte. Dieser Kontext ermöglichte es der Arbeiterklasse, stärkere Gewerkschaften und linke Bewegungen zu organisieren, die sowohl dem Staat als auch dem Kapital entgegentreten konnten.

Im Globalen Süden hingegen entwickelte sich der Kapitalismus überwiegend in Abhängigkeit vom Staat, was zu einem illiberaleren politischen Umfeld führte. Die Nachwirkungen des Kalten Krieges stärkten zudem die Tendenzen der Staaten, Arbeiter*innen auszuschließen. Diese Bedingungen erschweren es der Arbeiterklasse, sich zu organisieren. Anders ausgedrückt: Das Ausmaß an sozialen Leistungen und politischem Liberalismus, das Bürger*innen genießen, wird in erster Linie durch die Stärke der Gewerkschaften im Widerstand gegen Staat und Kapital bestimmt. Das bedeutet, dass Sozialpolitik und der Schutz von Rechten im Westen nicht das Resultat des guten Willens der Machthabenden oder Ausdruck der Reife moderner staatlicher Institutionen sind, sondern vielmehr das Ergebnis historischer Klassenkämpfe organisierter Arbeiterbewegungen.

Einige Studien zeigen, dass die Mittelschicht zwischen liberalen und konservativen Positionen hin- und herpendelt – je nachdem, was dem Erhalt ihrer sozioökonomischen Privilegien am besten dient. In Thailand beispielsweise unterstützte sie während des Übergangs von einem autoritären Regime bis in die späten 1990er Jahre die Demokratie, wurde jedoch in den 2000er Jahren zunehmend antidemokratisch. Jüngst unterstützten reformorientierte Teile der thailändischen Mittelschicht die Move Forward Party, die inzwischen verboten wurde, weil sie die militärische Vorherrschaft infrage stellte.

Die gängige wissenschaftliche Literatur vernachlässigt oft die entscheidende Rolle von Gewerkschaften bei der Etablierung liberaler Demokratien und Wohlfahrtsystemen. Stattdessen wird häufig die Rolle der gebildeten Mittelschicht als wahre Verteidigerin der Demokratie betont – mit Verweis auf deren angeblich aufrichtige liberale Bestrebungen. Diese Sichtweise ist historisch wenig fundiert und unterschätzt die Beiträge von Arbeiterbewegungen zur Demokratisierung. Es wird behauptet, dass Demokratisierungsprozesse in der Dritten Welt und in postkommunistischen Ländern in einem Umfeld stattfanden, in dem lebendige liberale Mittelschichten vorhanden waren, während gleichzeitig organisierte linke Bewegungen weitgehend fehlten.

Bei genauerem Hinsehen ist die Demokratisierung in diesen Ländern, einschließlich Indonesien, jedoch eher das Ergebnis von Verschiebungen im Machtverhältnis zwischen Staat und Kapital als von Druck durch die Mittelschicht. In vielen Fällen war dieses veränderte Machtverhältnis eine Folge des wirtschaftlichen Neoliberalismus seit den 1980er-Jahren, der die Beseitigung marktverzerrender Faktoren erforderte – darunter auch zentralisierte autoritäre Regierungsformen –, was wiederum eigene Krisen hervorrief.

Die organisatorische Schwäche der Linken in Indonesien

Ohne eine organisierte Linke ist die Demokratie anfälliger für autoritäre Umwälzungen und die Dominanz räuberischer Interessen. Diese Tendenz ist in den letzten Jahren weltweit mit dem Aufstieg rechter Politik zu beobachten.

Die organisierte Linke in Indonesien ist seit den kommunistischen Massakern von 1965 schwach, welche den Weg für die Konsolidierung des autoritären Suharto-Regimes für die folgenden drei Jahrzehnte ebneten. Der Demokratisierungsprozess, der 1998 begann, wurde erst möglich, als Suharto seine Macht nicht mehr aufrechterhalten konnte – unter anderem wegen innerer Spannungen unter seinen militärischen Unterstützern seit den 1980er-Jahren. Auch internationaler Druck zur Schaffung eines liberalen Marktes und eines offeneren politischen Umfelds, als Voraussetzung für Unterstützung im Zuge der Asienkrise von 1997, trug zu diesem Wandel bei.

Was hat dazu geführt, dass es in Indonesien seit 1965 keine organisierte Linke mehr gibt? Unter Suhartos Neuer Ordnung vereinnahmte der autoritäre Staat die Arbeiterbewegung ebenso wie andere soziale Organisationen, nachdem die kommunistische Partei zerschlagen worden war. Gewerkschaften, so wie sie existierten, waren stark auf staatlichen Schutz angewiesen. Dieses Erbe wirkt bis heute nach und führt dazu, dass Arbeiter*innen die Organisationsfähigkeit fehlt. Die zunehmende Informalisierung der Arbeit schwächt die Fähigkeit von Arbeiter*innen sich zu organisieren zusätzlich.

Trotz größerer Freiheit zum Aufbau von Gewerkschaften in der Demokratie im Vergleich zur vorherigen autoritären Ära bleiben Arbeiterbewegungen daher eine schwache gesellschaftliche Kraft. Seit 1998 hat sich die Zahl der Gewerkschaften exponentiell erhöht – von einer auf über 10.000 im Jahr 2020. Doch die größten Gewerkschaften sind weiterhin diejenigen, die mit der Neuen Ordnung verbunden sind. Der Schlüssel zu ihrem Überleben und ihrer Dominanz liegt darin, dass sie weiterhin auf Klientelbeziehungen mit den herrschenden Eliten angewiesen sind und Harmonie mit den Arbeitgebern pflegen. Die meisten dieser konservativen Gewerkschaften dominieren weiterhin die Industriezweige, die sie von der Neuen Ordnung übernommen haben.

Die radikalen, linksgerichteten Gewerkschaften können hingegen nur Arbeiter*innen in Tochterunternehmen organisieren, die über eine kleinere Belegschaft und prekäre Beschäftigungsverhältnisse verfügen. Eine solche Belegschaft ist schwieriger zu organisieren. Andere linksgerichtete Organisationen in Form politischer Parteien oder Bündnisse – einige davon mit Bezug zur kurzlebigen linken Demokratischen Volkspartei (Partai Rakyat Demokratik, PRD) – kämpfen darum, verschiedene linke Strömungen zu vereinen. Sie leiden weiterhin unter internen Konflikten und Spaltungen. Diese Zersplitterung erklärt auch die schlechte Performance der neuen Arbeiterpartei bei den Wahlen 2024. Da die konservativen Fraktionen der Gewerkschaften dominieren, neigt die Partei auch dazu, sich als Überlebensstrategie mit den räuberischen Eliten zu arrangieren.

Einige prominente ehemalige PRD-Mitglieder, darunter auch Opfer von Entführungen, die unter Prabowos Verantwortung stattfanden, wurden auf Ministerposten berufen. Diese Berufungen dienen jedoch in erster Linie Prabowos Interessen, indem sie ihm helfen, sich von seinem Ruf als Menschenrechtsverletzer zu distanzieren und gleichzeitig sogenannte linke Teile der Zivilgesellschaft zu domestizieren.

Der bruchstückhafte legalistische Ansatz der NGOs in Indonesien

In Ermangelung einer organisierten Linken sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich auf Menschenrechte und Rechtsreformen konzentrieren, zur dominanten Form politischer Opposition geworden.

Ihre legalistischen Ansätze zur sozialen Interessenvertretung haben sich jedoch als ineffektiv erwiesen. Dies zeigt sich an den Misserfolgen der Zivilgesellschaft, verschiedene illiberale Maßnahmen in den letzten Jahren zu verhindern. Zahlreiche problematische Gesetze wurden ohne nennenswerten Widerstand verabschiedet.

Im Jahr 2019 gelang es den sozialen Bewegungen nicht, die Überarbeitung des KPK-Gesetzes zu verhindern, das die indonesische Antikorruptionsbehörde lahmlegte. Im Jahr 2020 wurde auch das Bergbaugesetz überarbeitet, das die Verlängerung von Bergbaugenehmigungen ermöglicht, ohne dass die Umweltsanierung verlassener Standorte vorgeschrieben wird. In der Zwischenzeit wurden mit der Verabschiedung des Omnibus-Gesetzes über die Schaffung von Arbeitsplätzen im Jahr 2020 auch die Arbeitnehmerrechte erheblich eingeschränkt und die Verpflichtungen der Unternehmen, insbesondere in Bezug auf Umweltprüfungen, gelockert. Im Jahr 2020 wurde eine wichtige Gesetzesänderung am Verfassungsgericht vorgenommen, durch die die Amtszeit der Richter verlängert wurde. Diese Änderung kann dazu führen, dass die ernannten Richter den Interessen der Regierung entgegenkommen, insbesondere wenn es darum geht, Versuche zu antizipieren, problematische Gesetze anzufechten. Das Verfassungsgericht hat in den letzten Jahren die meisten Anfechtungen umstrittener Gesetze zurückgewiesen.

Die liberale Zivilgesellschaft hat auch einen legalistischen Ansatz gewählt, um auf das Gesetz über elektronische Informationen und Transaktionen (als ITE-Gesetz bekannt) zu reagieren, das von der Regierung zur Unterdrückung von Kritiker*innen und zur Verhaftung von Aktivist*innen genutzt wurde. Aktivist*innen sahen das Kernproblem in der zweideutigen Formulierung des Gesetzes, die eine lockere Auslegung entsprechend den Interessen der herrschenden Eliten zulässt, und forderten eine Neuformulierung des Gesetzes. Im Jahr 2021 reagierte Jokowi auf diese Forderung, indem er eine Überarbeitung des Gesetzes vorschlug, doch ein neues Gesetz aus dem Jahr 2024 erweitert die Bandbreite der Straftatbestände und erteilt der Polizei und den Regierungsbeamten zusätzliche Befugnisse zur Schließung von Konten in sozialen Medien.

Während der ersten Amtszeit von Jokowi wurden mindestens 203 Verleumdungsklagen nach dem ITE-Gesetz eingereicht. In seiner zweiten Amtszeit hat sich diese Zahl mit 521 Fällen mehr als verdoppelt. Dieser Trend verdeutlicht, wie nützlich dieses Gesetz ist, um räuberische Interessen zu fördern und letztlich den zivilen Raum zu untergraben. Mit der neuesten Fassung des ITE-Gesetzes verfügt Prabowo über ein noch wirksameres Instrument zur Unterdrückung abweichender Meinungen, wodurch sich die Zahl der kriminalisierten Personen wahrscheinlich noch erhöhen wird. Die Selbstzensur in der Wissensproduktion wird auch in den Massenmedien und Universitäten zunehmen. Der Trend zur zunehmenden Unterdrückung ist jedoch nicht allein auf Prabowos autoritären Führungsstil zurückzuführen; er ist vielmehr eine logische Folge der Schwäche der Zivilgesellschaft in Indonesien, die in erster Linie einen stückweisen legalistischen Ansatz vertritt.

Unwirksame politische Opposition

Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen betonen weiterhin die zentrale Rolle der reformorientierten Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung. Sie glauben, dass Prabowos autoritärer Ruf als Katalysator für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Bewegungen dienen könnte, die die Bürger*innen mobilisieren, mehr Rechenschaftspflicht und Reformen zu fordern.

Einige Beobachter*innen überschätzen auch die Kultur der politischen Opposition, die ihrer Meinung nach während der vorherigen Regierung als Reaktion auf die antidemokratischen Maßnahmen der Regierung gewachsen ist. In der Tat fanden seit 2019 in verschiedenen Regionen große Proteste statt, bei denen die Regierung aufgefordert wurde, mehr Rechenschaft abzulegen und sich an die Rechtsstaatlichkeit zu halten. Keine der wesentlichen Forderungen wurde jedoch erfüllt, was zeigt, dass die reformorientierte Zivilgesellschaft nur begrenzten Einfluss auf die Verhandlungen mit den herrschenden Eliten hat. Das galt auch für die Massenproteste „Indonesia Darurat“ im Jahr 2024 sowie für die Demonstrationen „Indonesia Gelap“ und gegen das TNI-Gesetz im Jahr 2025. Die Demonstrant*innen aus der Mittelschicht konnten nur konventionelle Methoden sozialer Bewegungen mit unklarer Organisationsstruktur und Führung sowie sporadischen Forderungen anwenden, was ihre Fähigkeit einschränkte, die herrschenden Eliten herauszufordern.

Fazit

Zahlreiche problematische Gesetze der vorherigen Regierung werden von Prabowos Regierung wahrscheinlich dazu benutzt werden, um räuberische Interessen weiter zu fördern und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Nach der hastigen Verabschiedung des neuen TNI-Gesetzes dürften auch andere umstrittene Gesetze verabschiedet werden, die die staatlichen Zwangsbefugnisse ausweiten und den gesellschaftlichen Dissens stärker einschränken würden. Angesichts dieser Entwicklungen liegt der Schluss nahe, dass der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum weiter schrumpfen wird.

Es ist jedoch irreführend, den schrumpfenden zivilgesellschaftlichen Raum ausschließlich auf den Führungsstil aufstrebender Autokraten zurückzuführen. Das eigentliche Problem liegt im Fehlen einer starken Zivilgesellschaft, die in der Lage ist, die Demokratie gegen autoritäre Bedrohungen zu verteidigen. Reformorientierte Elemente innerhalb der Zivilgesellschaft haben keine nennenswerten Veränderungen herbeigeführt, da sie dazu neigen, einen legalistischen Ansatz zu verfolgen, der nicht geeignet ist, antidemokratische Interessen zu bekämpfen. Sie zeigten auch wenig Interesse an der Organisation der sozialen Basis und zogen es stattdessen vor, sporadische Strategien zur Förderung des sozialen Wandels beizubehalten.

Die linken Gewerkschaften stecken in einer Situation fest, in der die Zersplitterung ihr Dauerzustand zu sein scheint. Sie haben es nicht geschafft, sich von der dunklen Geschichte des Jahres 1965 zu erholen und ihre organisatorische Fähigkeit wiederherzustellen, die Arbeiterklasse zu einer politischen Kraft zu mobilisieren, die die Demokratie verteidigen und den Schutz der Menschenrechte für alle Bürger*innen ausweiten kann.

Infolgedessen scheint die Verabschiedung zahlreicher problematischer Gesetze unaufhaltsam und der zivilgesellschaftliche Raum schrumpft weiter.

 

Autor:

Dr Abdil Mughis Mudhoffir ist Alexander-von-Humboldt-Forschungsstipendiat und Gastwissenschaftler am GIGA Institut für Asien-Studien sowie Honorary Fellow am Asia Institute der University of Melbourne.