Interview mit Naldo Rei

Deutsche Osttimor Gesellschaft: Newsletter, Nr. 1/2010, 16. August 2010

von Monika Schlicher, Watch Indonesia!, Dili, 11. Juni 2010

DOTGNaldo Rei war aktives Mitglied im zivilen Widerstand gegen die indonesische Besatzung und arbeitet heute für eine internationale Organisation in Osttimor. Er ist Autor des Buches „Resistance: A Childhood Fighting for East Timor“, das bereits im DOTG Newsletter 1/2009 als Buchrezension vorgestellt wurde.

Wenn Sie sich Osttimor heute anschauen, was ist seit der Unabhängigkeit bislang erreicht worden und was ist noch verbesserungswürdig?

Nun, von Bedeutung ist, dass wir die Grundlagen für unser Land geschaffen haben: wir haben eine Verfassung, eine Regierung und das Parlament, die Institutionen sind gebildet worden. Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und Infrastruktur sind Bereiche, die verbessert werden müssen. Wir sind erst 8 Jahre unabhängig und alles geht sehr langsam. Bis 2005 waren wir gänzlich abhängig von der internationalen Gebergemeinschaft, heute haben wir durch den Petroleumfonds eigene Mittel.

UN und internationale Organisation vor Ort sprechen von einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage, doch ich habe den Eindruck, dass viele Osttimoresen skeptisch sind und dem Frieden nicht trauen. Zwar sind Probleme gelöst worden, wie zum Beispiel die Auflösung der Flüchtlingslager, doch sind die zugrunde liegenden Ursachen für die Krise 2006 und die gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Bairos (Stadtvierteln) behoben worden?

Naldo_Rei

Naldo Rei

Osttimor ist in einer post-conflict Situation. Nach langer portugiesischer Kolonialzeit und 24 Jahren indonesischer Herrschaft sind viele innertimoresischen Konflikte nicht gelöst. Die Krise 2006 hat dies deutlich zu Tage befördert, und wieder gibt es kein Reflektieren, keine gesellschaftliche Aufarbeitung der Ursachen und somit auch keine Ahndung der Straftaten durch die Justiz. Das ist die wiederkehrende Erfahrung der Bevölkerung von der Kolonialzeit bis heute: es gibt keine Gerechtigkeit, und Gewalt bleibt ein Mittel zur Lösung von Problemen. Von unserer Mentalität her sind wir nicht gewalttätig. Während des Kampfes gegen die indonesische Herrschaft war die nationale Einheit das verbindende Element. Wenn heute Menschen, die Opfer des Krieges geworden sind, Gerechtigkeit fordern und ungeduldig werden, weil die politische Führung diesen Rufen nicht entsprechen möchte, dann kann dies schnell und leicht umschlagen in gewalttätiges Verhalten.

Was kann die Bevölkerung tun, um zu mehr Frieden in Osttimor beizutragen?

Zunächst einmal müssen wir Konflikte und Probleme lösen, und zwar nicht nur oberflächlich, sondern an ihren Wurzeln. Zur Lösung der durch die Krise von 2006 geschaffenen Probleme hat die Regierung Frieden durch Geld erkauft. Die unzufriedenen Soldaten sind ausbezahlt worden, und die Flüchtlingslager konnten aufgelöst werden, indem die Menschen Geld zum Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten haben. Damit sind aber die Ursachen die Probleme nicht behoben. Und wiederum verfestigt sich der Eindruck bei der Bevölkerung, dass die Anwendung von Gewalt ihrer Mentalität entspräche.

Nach wie vor fordern viele Menschen in Osttimor Gerechtigkeit für die während der indonesischen Herrschaft begangenen Menschenrechtsverbrechen. Sie fordern Reparationen und Anerkennung. Was sollte die Regierung tun, um den Forderungen zu entsprechen, und wie könnte sie dazu beitragen, dass die Wunden der Menschen heilen können?

Menschen sind während der Herrschaft durch Indonesien gefoltert worden, waren viele Jahre im Gefängnis. Für sie gab es bislang keinen heilenden Prozess. Es ist Aufgabe und Verpflichtung der Regierung, diesen Opfern zu helfen. Die Menschen haben ihr Leben für den Kampf gegeben, für die Unabhängigkeit unseres Landes. Und jetzt fühlen sie sich nutzlos und außen vor. Es fehlt ihnen an Fähigkeiten, um sich beruflich einzugliedern und Fuß fassen zu können. Viele brauchen psychologische und finanzielle Unterstützung.

Auf der anderen Seite müssen auch wir unsere Mentalität ändern und auf unseren eigenen Füßen stehen. Uns weiterhin fragen, was wir für dieses Land tun können und nicht erwarten, dass nun die Regierung alles für uns tut. Die Erwartungen an die Unabhängigkeit waren überzogen. <>


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