Stimmen im Vorfeld der Klimakonferenz in Bali:
Recht auf Leben, Land und Nahrung

europaticker, 03. Dezember 2007

von Marianne Klute
Watch Indonesia e.V.

Bali ein paar Tage vor der UNFCCC-Klimakonferenz COP 13. Noch sind die offiziellen Vertreter der Regierungen nicht vor Ort. Doch Bauern und Indigene, Mitglieder von sozialen und Umwelt-Bewegungen aus vielen Ländern dieser Erde sind schon da. Die Strände sind nicht mehr leergefegt, und die Bombenattentate scheinen für einen Moment aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt. Gestern waren die Straßen noch leidlich passierbar, heute quälen sich Autos auf dem Weg ins Konferenzzentrum auf der Halbinsel Nusa Dua durch dichten Verkehr. An strategischen Punkten posieren fünftausend Soldaten, schwer bewaffnet mit Maschinengewehren. Bali ist heißer den je.

Vor der Klimakonferenz gehört Nusa Dua nicht nur den Waldschützer und Propagandisten des Handels mit Emissionszertifikaten. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen sind präsent, vor allem aus den Ländern des globalen Südens. Sie sind gekommen mit dem festen Willen, ihre Stimme in die Verhandlungen um den Klimawandel und dessen, nach ihrer Ansicht rein kommerzieller und technischer, Bewältigung einzubringen.

„Wir erwarten nicht viel von der COP 13“, sagt Anita aus Kolumbien. „Hier werden nur Geschäfte verhandelt. Wir sollten uns bewusst sein, dass die Regierungen sich nicht für uns einsetzen werden. Aber wir sollten uns davon nicht ins Bockshorn jagen lassen.“

Dass die Erde heißer wird, ist für Rusdi aus Sumatra nicht zu bezweifeln. Ausbleibende Ernten, vertrocknende Felder, unbekannte Wetterphänomene sind die Realität seines Lebens als Bauer. „Früher konnten wir abschätzen, wann es regnet. Früher wussten wir, wo die guten Wasserquellen sind. Heute ist alles anders. Der Wald ist weg, und das Wasser auch.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichten auch die Teilnehmer aus Südamerika, Afrika und dem Pazifik. Die Armen spüren die Folgen der Erderwärmung längst am eigenen Leib.

Doch nicht nur der Klimawandel, auch die globale Klima und Energiepolitik wirft ihre Schatten auf die verschiedenen Weltregionen. Eine der „grünen Lösungen“ zur Bewältigung der Energiekrise und zur Reduzierung der Emissionen heißt in viele Ländern: Bioenergie, Biomasse und Agrotreibstoffe. Megaplantagen und Monokulturen sind weltweit in Planung, weit über die Landesgrenzen hinaus. Schon kaufen sich internationale Unternehmen Wald in Indonesien, und indonesische Unternehmen setzen sich in der Region Amazonas fest, um auch dort ihr Palmöl zu produzieren. Angeblich zur Armutsbekämpfung geeignet, schaffen sie neue Armut.

Eine andere „Lösung“, die auf Emissionshandel setzt, soll in Bali verhandelt werden. Bisherige Mechanismen des Kyoto-Protokolls zur Reduzierung von Emissionen haben versagt. Weder wurden die Treibhausgas-Emissionen reduziert noch die Zerstörung der Ökosysteme aufgehalten. Stattdessen, so analysieren Kritiker, hat der Kohlenstoffhandel das Verschwinden der Regenwälder weiter beschleunigt. In Bali werden die offiziellen Konferenzteilnehmer nun neue Mechanismen verhandeln.

REDD heißt das von der Weltbank propagierte Programm, Reduced Emissions from Deforestation and Degradition. REDD ist kein Zauberwort zum Schutz der Waldökosysteme, sondern nichts anderes als ein Finanzinstrument, mit dem für Emissionen bezahlt wird, indem ausgewählte Wälder erhalten werden sollen.

Zwar stehen diese neue Mechanismen erst vom 11. bis 14. Dezember auf der Tagesordnung, doch offensichtlich geht man davon aus, dass sie etabliert werden, denn überall auf der Welt bietet sich das gleiche Bild: der Wettlauf um Wald und Land hat begonnen. Regierungen und Privatunternehmen sichern sich Land, die wahrscheinlichen Profite aus dem REDD-Programm vor Augen.

„Klar, unsere Regierungen kommen nach Bali, um an Geld zu kommen“, sagt Abene aus Uganda. Die Folgen sind verheerend, nicht nur in Afrika. Bauern und Indigene verlieren ihr Land, und der traditionelle Landbesitz löst sich auf. Land wird zur Kommodität des Marktes, wobei Verträge ausschließlich zwischen Regierungen und Industrien abgeschlossen werden. Abene: „Die Mächtigen verkaufen die Rechte der Indigenen.“

Die afrikanischen Nichtregierungsorganisationen sind überzeugt, dass nicht eine ihrer Regierungen ihre Haltung zu Umwelt und Konsum wirklich verändert hat. Sie alle würden die Diskussion um die Klimaveränderung nur als wunderbare Gelegenheit betrachten, Geld zu machen. „To make money from the forests. Wenn wir den Wald schützen, soll dafür bezahlt werden.“

Die Regierung von Paraguay, so Simone, ist sehr damit beschäftigt, Verträge nach dem REDD-Modell zu unterzeichnen, ohne dass grundsätzliche Probleme wie die Frage der Landrechte und der Rechte der Indigenen angegangen werden. Sie droht den Industriestaaten, das gültige Holzeinschlagsmoratorium wieder rückgängig zu machen, wenn dafür kein finanzieller Ausgleich fließt.

Dies sind nur einige Beispiele aus einer Vielzahl, die beweisen, dass Modelle der Finanzierung von Environmental Services in Kombination mit strukturell tief verankerter Korruption und schlechter Regierungsführung jede mögliche gute Absicht ad absurdum führen werden.

Eine der großen Fragen ist, was die Folgen neuer Finanzmodelle zum Erhalt der Wälder als Kohlenstoffsenken und zur Wiederaufforstung für die Indigenen sein werden. Oder welche Auswirkungen der Trend hat, Ölpalmen und Sojabohnen großindustriell anzubauen und die daraus produzierten Agrotreibstoffe als alternative Energien zu verkaufen. Die Indigenen sind überall auf der Verliererseite, denn es geht um ihr Land. Wem aber gehört das Land?

Ein ungelöstes Problem, besonders in der Region Asien-Pazifik, ist die dringend notwendige Landreform. Souverän über Land, Luft, Wasser und die darin enthaltenen Ressourcen ist bisher der Staat und nicht das Individuum, die Familie oder die Gemeinschaft. Mit einem Federstrich auf dem grünen Tisch werden ganze Dörfer hinweggefegt, um Platz für die Plantagenindustrie oder „Kohlenstoffsenken“ zu machen. Die asiatischen Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass die Landreform dem Modell Australiens und Neuseelands nacheifert, wo die indigenen Aborigenes und Maori ihr Land verloren haben.

Wie ist die Haltung der Indigenen selbst zum Kohlenstoffhandel? Die Indigenen sagen, sie brauchten eine Möglichkeit, daran zu partizipieren. Bisher wird Partizipation nicht praktiziert, und wenn, dann in Form betrügerischer Machenschaften, wobei Investoren die Chiefs der Indigenen über den Tisch ziehen. Daher lehnen die Indigenen Kohlenstoffhandel nach dem neuen REDD-Modell ab.

Erst in diesem Jahr hat die UN die Konvention zu Indigenen verabschiedet. Die meisten Staaten, außer den USA, Kanada, Australien und Neuseeland, haben die Konvention unterzeichnet. Das heißt, auf internationaler Ebene sind ihre Rechte anerkannt. In der Indigenen-Konvention ist in mehrfacher Weise das Prinzip des Free, Prior and Informed Consent verankert. Dies Prinzip lässt sich aber leicht manipulieren.

In Indonesien, so Arief, ist es nicht allein das fehlende Recht der Indigenen auf Land. Sie sind in der Realität mit weiteren Problemen konfrontiert: mit dem Zuzug von Transmigranten und Zuwanderen auf ihr Land, mit daraus resultierenden horizontalen und vertikalen Konflikten, mit alltäglichem Rassismus. Unter den Folgen der Klimaveränderung leiden sie zwar, aber es ist nicht ihr Hauptproblem, sondern nur eines von vielen. Mit den neuen Mechanismen des Kohlenstoffhandels kommt neuer Zündstoff dazu, der das Potential hat, Gemeinschaften und Gesellschaften zu spalten, mit allen damit verbundenen praktischen und ethischen Problemen.

Viele der zivilgesellschaftlichen Gruppen, besonders aus dem globalen Süden, kritisieren daher grundsätzlich, dass die aktuelle Debatte um Emissionen und Entwaldung viel zu eng ist. Es gehe darin gar nicht um ökologische oder soziale Aspekte, sondern die Diskussion beschränke sich auf einen Einzelaspekt, auf die Reduktion bzw. den Ausgleich von Emissionen. Die zu erwartenden Antworten korrespondierten mit der Einseitigkeit der Problemstellung. Es sind nur auf Marktmechnismen beruhende finanzielle und technologische Lösungsansätze, die in Bali zur Debatte stehen. Diese würden die Ursachen des hohen Energieverbrauchs auf der einen Seite und die treibenden Kräfte für die Zerstörung der Wälder auf der anderen Seite nicht in Frage stellen.

So wichtig die Stimmen aus den Staaten des Südens auch sind, es reicht nicht, wenn sie sich nur beschweren, dass die Klimapolitik zu ihren Lasten geht. Ihre Stimmen sollten von den offiziellen Vertretern in Bali auch gehört werden, damit etwas zum Positiven verändert wird. Die soziale Bewegung weiß dies.

Die derzeitige Diskussion um den Klimawandel und die Klimapolitik muss daher in eine andere Richtung geleitet werden: Weg von der Beschränkung auf Finanzinstrumente, hin zu einem holistischen Ansatz, weg von technischen Lösungen auf Kosten anderer, hin zu demokratischer Beteiligung aller Betroffenen, weg von den Marktrechten von Verkäufern und Käufern von Emissionszertifikaten, hin zu verankerten Rechten auf Leben, Land und Nahrung für alle Menschen.

NGOs müssen die mit dem Konzept des Kohlenstoffhandels verbundene Ungerechtigkeit adressieren. Sie müssen das Paradigma, dass der Markt alles bestimmt, herausfordern. Sie müssen Menschenrechte und Demokratie einfordern. „Wir zahlen die Zeche für die hohen Emissionen des Nordens“, sagt Dinar aus Indonesien. „Wo bleibt die Klimagerechtigkeit?“ Auch, wenn die Industriestaaten es schaffen würden, ihre hohen Emissionen tatsächlich zu reduzieren, auch, wenn die steigenden Emissionen aus den Wachstumswirtschaften Chinas und Indiens mit in die Rechnung einfließen würden, auch, wenn es rechnerisch genügend Wald gäbe, auch, wenn irgendwann sämtliche anderen ökologischen und sozialen Probleme gelöst werden würden, so bleibe doch eine historische Schuld der Industriestaaten für zweihundert Jahre aggressiven und zerstörerischen Lebenswandels.

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