Information und Analyse

„Wettbewerb der Hilfszusagen“

05. Januar 2005

von Alex Flor

Banda_Aceh_Tsunami

Vom Tsunami zerstörte Siedlung

Foto: Alex Flor

Die Folgen der Katastrophe sind noch immer unüberschaubar. Die Zahl der Todesopfer bricht täglich neue traurige Rekorde. 94.000 werden nun alleine aus Aceh gemeldet und es bestehen kaum noch Zweifel, dass die Zahl in den nächsten Tagen die Marke von 100.000 überschreiten wird. 400.000 Menschen leben dort in Flüchtlingslagern. Wahrscheinlich 1 Mio. haben durch das Beben und die Flutwelle ihr Obdach verloren.

Aber auch internationale Hilfszusagen und Spenden erreichen neue Rekorde. Die Organisationen der Vereinten Nationen vermelden 1,5 Mrd. $ zugesagter Hilfen. Für eine weitere deutliche Aufstockung will nun die Bundesregierung sorgen, die bisher 20 Mio. Euro zugesagt hatte. Berichten zufolge will Berlin die Fluthilfe auf stolze 500 Mio. Euro anheben. Die EU warnte bereits vor einem „Wettbewerb der Hilfszusagen“ und forderte, zunächst den tatsächlichen Bedarf zu erkunden.

Hinzu kommen private Spenden an Hilfswerke in Millionenhöhe. Ärzte ohne Grenzen musste bereits dazu aufrufen, keine für Südasien zweckgebundenen Spenden mehr zu leisten, da die Organisation sich kaum mehr in der Lage sieht, die eingenommenen Gelder dort sinnvoll zu verwenden. Mindestens 50 internationale Hilfswerke leisten nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) medizinische Hilfe in Aceh. Zahlreiche weitere indonesische und internationale Organisationen verteilen Hilfsgüter, beteiligen sich an Bergungsarbeiten oder der Versorgung mit Trinkwasser und ähnlichem mehr.

Zweifelsohne besteht enormer Bedarf. Doch selbst bei guter finanzieller Ausstattung ist es nicht immer einfach, dort zu helfen, wo es am dringendsten benötigt wird. Hilfsgüter stapeln sich in Depots am Flughafen, weil nicht ausreichend Fahrzeuge und Personal zur Weiterverteilung zur Verfügung stehen. Andernorts sind Dutzende Freiwillige zum Nichtstun verdammt, weil sie nichts zum Verteilen haben. Transport- und Kommunikationsprobleme aufgrund der zerstörten Infrastruktur behindern die Hilfsaktionen massiv. Darüber hinaus scheint ein wesentliches Problem in der mangelnden Koordination der vielen Einzelaktivitäten zu liegen.

Am Donnerstag, den 6. Januar 2005, wird in Indonesiens Hauptstadt Jakarta eine Konferenz stattfinden, die zum Ziel hat, die Hilfsmaßnahmen der verschiedenen Geber mit den Bedürfnissen der von der Katastrophe betroffenen Staaten zu koordinieren. Zu der Konferenz werden hochrangige Vertreter aus 23 Staaten erwartet, darunter US-Außenminister Colin Powell, die Premierminister von Australien, Japan, China und Neuseeland, um nur einige zu nennen. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sein Kommen angekündigt.

Ginge es hier nur um die effizientere Organisation humanitärer Hilfe wäre wohl ein Treffen der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Fachminister ausreichend. Die Prominenz der erwarteten Teilnehmer lässt erkennen, dass dieser Konferenz erheblich größere Bedeutung zugerechnet wird.

Schon im Vorfeld der Konferenz gab die Präsenz eines US-amerikanischen Flugzeugträgerverbandes vor der Küste Acehs und die Beteiligung des australischen Militärs an den Hilfsmaßnahmen in dem bis vor 10 Tagen hermetisch abgeriegelten Kriegsgebiet Anlass zu Spekulationen. Es sei dahingestellt, ob die Versorgung der Not leidenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser vom Flugzeugträger USS Abraham Lincoln eher als weltpolitische Symbolik, als Zeichen der Annäherung der US-Streitkräfte an Indonesien oder gar als Warnsignal zu deuten ist. Zwei Dinge sind klar: Hilfsmaßnahmen dieser Größenordnung sind nicht frei von politischen Interessen. Und unabhängig davon, ob sie dem gewünschten Ziel dienlich oder möglicherweise sogar schädlich sind, werden sie politische Auswirkungen haben.

Die Wahrnehmung politischer Interessen ist nicht per se verwerflich. Auch Imagepflege oder Pflege und Ausbau guter Beziehungen können ein politisches Interesse darstellen. Zumindest die USA machen kein Geheimnis daraus, welchen Nutzen sie sich von ihrer Mission versprechen. Humanitäre Hilfe wirke der Unzufriedenheit entgegen, die eine Wurzel von Terrorismus sein könne, sagte Powell am Dienstag. „Ich hoffe, dass als ein Ergebnis unserer Bemühungen unser Wertesystem gestärkt wird.“

Es steht zu erwarten, dass die Geberkonferenz in Jakarta auch zum Austragungsort einer neuen Runde im Kräfteringen zwischen den USA und den Vereinten Nationen werden wird. Wenige Tage nach der Tsunami-Katastrophe hatte ein UN-Sprecher geäußert, einige Staaten beteiligten sich in weit geringerem Maße an den Hilfsaktionen als sie zu leisten im Stande wären. Obgleich nicht namentlich genannt, fühlten sich die USA auf die Füße getreten. Die Hilfszusagen wurden deutlich erhöht, jedoch verbunden mit der klaren Absage an den Führungsanspruch der UN. Nach dem Modell der „Koalition der Willigen“ bastelten die USA daraufhin an einem Einsatzbündnis mit den Partnern Japan, Indien und Australien.

Ein Blick auf die Liste der übrigen Geberländer und die von ihnen bereitgestellten Hilfen zeigt, wie eng Solidarität und politische Interessen auch bei ihnen miteinander verknüpft sind. So verwundert es beispielsweise nicht, dass Japan als größter Investor und wichtigster Handelspartner Indonesiens mit 500 Mio. $ bislang eine Spitzenstellung einnimmt. Dem gegenüber steht das auf gute Beziehungen zum großen Nachbarn angewiesene bitterarme Osttimor, das symbolische 50.000 $ zur Verfügung gestellt hat. Geld ist aus Dili nicht zu erwarten; was hier zählt ist die nette Geste. Ähnliches gilt für die Staaten der Afrikanischen Union, die sich zusammen mit 100.000 $ beteiligen. Der neue asiatische Riese China musste sich zunächst Kritik gefallen lassen, weil die ersten Hilfszusagen unter den Erwartungen lagen. China sah sich genötigt seine Zusagen auf 62 Mio. $ zu erhöhen.

In den westlichen Medien meist unerwähnt blieben bisher die Hilfszusagen aus arabischen Staaten. Saudi-Arabien gibt insgesamt 10 Mio. $ für die von der Katastrophe betroffenen Staaten, davon 2 Mio. für Indonesien. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ebenfalls mit 2 Mio. $ dabei.

Bemerkenswert ist auch die von Indien geleistete Hilfe. Selbst schwer von der Flutkatastrophe getroffen, demonstriert der Subkontinent Stärke. Als ob die Verwüstungen in Südindien nur ein kleiner Kratzer seien, sieht sich Indien lieber auf der Seite der Hilfe leistenden Staaten als auf der Seite der bedürftigen Empfängerländer. Indien gewährte 1 Mio. $ finanzielle Hilfe für Indonesien und entsandte einige Schiffe der Marine nach Sumatra, während es gleichzeitig internationale Einsätze auf den schwer getroffenen zu Indien gehörenden Inselgruppen Andamanen und Nikobaren behindert. Die politische Arithmetik Südasiens gebietet es, dass auf einen Vorstoß Indiens Pakistan umgehend ähnliche Schritte ergreift. Auch Islamabad schickt Geld und Schiffe.

Wenn Soldaten der Bundeswehr ihren Hilfseinsatz auf Sumatra antreten, werden sie somit auf Kameraden u.a. aus den USA, aus Australien, Taiwan, Südkorea, Neuseeland, Malaysia, Singapur, Indien und Pakistan treffen.

Wie werden die indonesischen Streitkräfte (TNI) auf soviel ausländische Militärpräsenz reagieren? Bis vor wenigen Tagen stand die Provinz unter alleiniger Kontrolle der TNI. Ausländern wurde der Zugang verwehrt, und nichts war schlimmer als die Vorstellung, fremde Militärs könnten eines Tages in Aceh den Ton angeben. Der Einmarsch fremder Truppen in Osttimor 1999 war für TNI ein traumatisches Erlebnis. Die Reaktion der TNI auf dieses Ereignis ist bekannt. Werden diesmal dieselben Sicherungen durchbrennen oder wird sich die TNI angesichts der humanitären Katastrophe in Aceh ins Unvermeidliche fügen? <>


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