Indonesiens Armee greift in Aceh an

Frankfurter Rundschau, 20. Mai 2003

Jakartas Militärchef will Separatisten „jagen und ausschalten“ / Menschenrechtler ziehen Vergleiche zu Osttimor

Unmittelbar nach Verhängung des Kriegsrechts über die Provinz Aceh hat die indonesische Armee ihre angedrohte Militäraktion in der Provinz Aceh begonnen. Aus Kampfflugzeugen wurden Raketen auf mutmaßliche Stützpunkte der Separatisten abgefeuert, hunderte Fallschirmspringer landeten in der Provinz. Menschenrechtler richteten schwere Vorwürfe an das indonesische Militär und zogen Vergleiche zu den Gräueln in Osttimor 1999.


frankfurter_rundschauJAKARTA / FRANKFURT A.M., 19. Mai (dpa/ap/rü). „Die Offensive hat begonnen“, erklärte Generalmajor Erwin Sujono am Montag. Seinen Angaben zufolge fuhren 15 Kriegsschiffe an die Nordküste Sumatras, wo die Hochburgen der Rebellen vermutet werden. Rund 600 Marineinfanteristen gingen im Norden der abtrünnigen Provinz an der Nordspitze der indonesischen Insel Sumatra an Land, außerdem wurden etwa 450 Fallschirmjäger in die Region verlegt.

Es war das erste Mal seit Jahren, dass die Streitkräfte in Aceh Luft-Boden-Raketen gegen Stellungen der separatistischen „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) einsetzten. „Ich habe den Soldaten den Befehl gegeben, die GAM zu jagen und auszuschalten“, sagte der Oberbefehlshaber der indonesischen Armee, General Endriartono Sutarto. Die bereits rund 27.000 in Aceh stationierten Truppen sollen schon in Kürze um 6.300 Soldaten verstärkt werden. Die GAM soll zwischen 3.000 bis 5.000 Kämpfer unter Waffen haben.

Augenzeugen in der Bezirkshauptstadt Lhokseumawe in Nordsumatra beschrieben die Lage als äußerst gespannt. „Gepanzerte Fahrzeuge stehen überall“, berichtete ein Einwohner. „In den Straßen ist es extrem ruhig, die meisten Geschäfte sind geschlossen.“ Die Regierung rechnete mit einem Anstieg der Flüchtlingszahlen von derzeit 5.000 auf 100.000. Die GAM kündigte die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes für die Unabhängigkeit an.

Zuvor waren in Tokio zweitägige Gespräche zwischen Regierung und GAM über die Umsetzung des im Dezember erzielten Friedensabkommens gescheitert. Das Friedensabkommen hätte einen Konflikt beenden sollen, der schon mehr als 12.000 Menschen das Leben kostete. Der Vereinbarung zufolge war für die an Öl- und Gasvorkommen reiche Provinz eine Autonomie vorgesehen, keine Unabhängigkeit. Die Regierung warf den Rebellen jedoch später vor, den Waffenstillstand missbraucht zu haben, um neue Waffen anzuschaffen und weitere Kämpfer zu rekrutieren.

Die Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia“ fürchtet, dass die Eskalation vor allem unter der Zivilbevölkerung viele Opfer fordern wird. Die Gewalt habe schon in den vergangenen Wochen zugenommen, so „Watch Indonesia“ unter Berufung auf die einheimische Verschwundenen-Hilfsorganisation „Kontras Aceh“.

Für das Scheitern des Friedensabkommens machen die Initiativen sowohl die gewalttätige GAM als auch das indonesische Militär verantwortlich, das kein Interesse an Frieden habe. Armeeangehörige seien ähnlich wie in Osttimor 1999 auch in Aceh für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich; sie kassierten Schutzgeld von internationalen Firmen und seien außerdem in den illegalen Drogen- und Holzhandel verstrickt.

Nach Angaben von „Kontras Aceh“ sind ehemalige Milizangehörige aus Osttimor inzwischen nach Aceh eingesickert, weitere Milizen würden von der Armee in Flüchtlingslagern in Aceh und Nordsumatra sowie unter Migranten aus Java rekrutiert. Das Militär habe aus Osttimor gelernt, „die Drecksarbeit den Milizen zu überlassen“, so ein Sprecher der Organisation. Vor vier Jahren waren im inzwischen unabhängigen Osttimor 1.000 Zivilisten ermordet und 500.000 Menschen vertrieben worden. Zuvor hatten die Osttimorer in einem Referendum für einen eigenen Staat gestimmt. <>


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