Verbote für Opfer, Denkmäler für Mörder

Neues Deutschland, 21. April 2004

Massaker von 1965/66 bisher kaum aufgearbeitet

Von Jochen Reinert

Neues-DeutschlandDas Ergebnis der indonesischen Parlamentswahlen erschwert die Aufarbeitung der Massaker in den Jahren 1965/66. Doch der Menschenrechtsaktivist Albertus Suryo Wicaksono aus Jakarta lässt sich davon nicht beeindrucken.

Der 37-jährige Albertus Suryo Wicaksono – er hat viele Jahre Philosophie auf Java studiert – reist gegenwärtig im Namen der indonesischen Menschenrechtsorganisation Solidaritas Nusa Bangsa durch Europa, um auf ein Verbrechen vom Ausmaß des Völkermords in Ruanda aufmerksam zu machen: die Massaker an indonesischen Kommunisten und anderen Linken nach den Ereignissen vom 30. September 1965. Damals nahm das Militär unter Führung des späteren Diktators Suharto die Ermordung von sieben Generälen zum Anlass, die Regierung Sukarno zu entmachten und die seinerzeit 3,5 Millionen Mitglieder starke Kommunistische Partei zu zerschlagen.

Nach wie vor sind verschiedene Theorien über die Täter und Hintermänner jener Morde in der Debatte, berichtet Albertus Suryo. Hatte die CIA ihre Hände im Spiel? Waren es die Männer von Suharto? War es – gesteuert von der KP – der linke Flügel der Militärs? Sind die Urheber in der Volksrepublik China zu suchen? Bisher sei keine gültige Antwort gefunden worden. Auch über die Zahl der Mordopfer gibt es die verschiedensten Angaben. Suryo spricht von „über 500.000“, ein General, der damals maßgeblich beteiligt war, gehe sogar von drei Millionen aus.

Die Massaker begannen, als Suharto im Oktober 1965 Sondereinheiten aufstellte, die den Auftrag hatten, Kommunisten und andere verdächtige Linke zu beseitigen. Von Mitteljava aus verbreitete sich das Morden über das ganze Land. Suryo hat dafür viele Zeugnisse gefunden. So untersuchte er – nicht selten behindert von den Ortsgewaltigen – auf Java Massengräber jener Zeit. Die indonesische Gesellschaft, so Suryos Kritik, habe diese Ereignisse bisher nur sehr unzureichend aufgearbeitet. In den Schulbüchern würden die Mörder von damals weiter als nationale Helden gefeiert. An vielen Orten Javas seien ihnen sogar Denkmäler gesetzt worden.

Suryo geht es heute vor allem um die Abschaffung der anhaltenden wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Diskriminierung der in den 60er Jahren Verfolgten. Nicht weniger als 60 Verordnungen, zum Teil erst Anfang der 90er Jahre erlassen, schränken ihre Rechte weiter stark ein. So dürfen sie weder Beamte noch Lehrer werden, geschweige denn in den Militär- oder Polizeidienst eintreten. Auch nach dem Sturz Suhartos habe sich daran nur sehr wenig geändert. Das passive Wahlrecht war ihnen erst vor wenigen Wochen durch eine Entscheidung des neuen Verfassungsgerichtes zugestanden worden – allerdings hatte dies für die jüngsten Parlamentswahlen noch keine Gültigkeit.

Als einen Lichtblick betrachtet Suryo die Ankündigung der Nationalen Menschenrechtskommission Indonesiens, eine Untersuchung jener in der Weltöffentlichkeit nahezu völlig vergessenen Ereignisse zu beginnen – auf der Gefängnisinsel Buru, auf der über Jahrzehnte zehntausende Linke, darunter der bekannte Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer, festgehalten wurden. Buru sei ein guter Ausgangspunkt, doch dürften die Ereignisse auf Java und anderswo nicht unter den Tisch fallen. Eine vollständige Aufklärung der Ereignisse von 1965/66 und die Abschaffung der vielen Diskriminierungen – das war die Forderung, die Suryo vorige Woche auch in Genf am Rande der Tagung der UNO-Menschenrechtskommission zu verbreiten suchte.

In Indonesien selbst allerdings stehen dafür die Zeichen nach den Parlamentswahlen weniger günstig, waren sich die Indonesienfreunde einig, die jüngst im Berliner Haus der Demokratie mit Suryo zusammentrafen. Der wahrscheinliche Wahlsieg der einst von Suharto geführten Golkar-Partei – das offizielle Endergebnis wurde noch nicht bekannt gegeben – lässt für das Projekt „Aufarbeitung 1965/66“ nichts Gutes ahnen. <>


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