Indonesien: Sorge um die zivilen Opfer in Aceh

Neues Deutschland, 07. Oktober 2003

Interview: Habib Chirzin: Mission im Kriegsgebiet erweitert

Neues-DeutschlandDer indonesische Menschenrechtsaktivist Muhammad Habib Chirzin, Vorsitzender des Islamischen Millenniums-Forums für Frieden und Dialog, setzt sich im Rahmen der Nationalen Menschenrechtskommission Komnas HAM für eine friedliche Lösung des Aceh-Konfliktes ein. Auf Einladung von Watch Indonesia! führte er dieser Tage Gespräche in Deutschland.

Frage: Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen hat Präsidentin Megawati im Mai das Kriegsrecht ausgerufen und das Militär begann eine Offensive in Aceh. Wie arbeitet die Nationale Menschenrechtskommission Komnas HAM unter diesen Bedingungen in Aceh?

Habib Chirzin: Komnas HAM hat die Beobachtung des Konflikts intensiviert. Wir hatten bereits vor der Militärintervention Spezialteams entsandt, um den Friedensprozess zu begleiten. Nun haben wir unsere Mission ausgeweitet und Beobachtungsposten installiert. Wir haben dafür auch Nichtregierungsorganisationen, Studenten und Menschenrechtsaktivisten gewonnen.

Frage: Welche Position beziehen Sie zum derzeitigen Ausnahmezustand in Aceh?

Habib Chirzin: Wir haben von der Präsidentin gefordert, dass der Ausnahmezustand nur für die kürzestmögliche Zeit bestehen bleiben sollte. Wir befürworten nach wie vor den Dialog und Friedensgespräche, an denen alle Bereiche der Zivilgesellschaft beteiligt sein sollten, nicht nur die Regierung und die militärischen Akteure.

Frage: Wie ist die Situation in Aceh?

Habib Chirzin: Es gibt viele Opfer unter den Zivilisten, und auch viele Binnenflüchtlinge, die vor der Gewalt geflohen sind. Ihre Situation ist sehr schlecht in Bezug auf medizinische Versorgung, Ernährung und sanitäre Umstände. Besonders eingeschränkt ist die Schulbildung. Mehr als hundert Schulen sind im Verlauf des Konfliktes niedergebrannt worden, es fehlt an Lehrern und Schulmaterialien. Es gibt viele engagierte Muslime, die unterrichten, aber sie können nur das Allernötigste leisten.

Frage: Viele Acehnesen sind nach Malaysia geflüchtet. Malaysia duldet aber keine Flüchtlinge auf seinem Territorium und droht die Menschen zurückzuschicken. Was unternehmen Sie angesichts dessen?

Habib Chirzin: Komnas HAM hat beschlossen, einige Mitarbeiter zu entsenden, um die Situation dieser Flüchtlinge etwa im malaysischen Penang zu untersuchen. Aber das wurde von der Regierung Malaysias untersagt. Also können wir die Situation nur auf indirektem Wege untersuchen.

Frage: Aceh ist reich an Bodenschätzen. Welchen Einfluss hat dieser Reichtum auf den Konflikt?

Habib Chirzin: Das große Problem ist die ungerechte Behandlung der Menschen in Aceh. Die Region ist tatsächlich reich an Bodenschätzen. Und Aceh hat von Anfang an zum Wohlstand Indonesiens viel beigesteuert. Im Unabhängigkeitskrieg hat Aceh Indonesien die ersten Flugzeuge zur Verfügung gestellt und heute tragen Erdöl und Erdgas viel zum Nationaleinkommen bei. Aber im Gegenzug hat Aceh in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht kaum etwas zurückbekommen.

Frage: Die Armeeführung hat nach dem Scheitern der Gespräche gedroht, die Bewegung Freies Aceh (GAM) auszurotten. Teilen Sie den Glauben der Armee an eine militärische Lösung?

Habib Chirzin: Es geht über das Mandat der Nationalen Kommission für Menschenrechte hinaus, diese Frage zu erörtern. Wir müssen unnötige Opfer vermeiden und Leben schützen. Geschichtlich gesehen hat Aceh eine heroische Rolle im Krieg gegen die Niederländer gespielt. Ihrem Selbstverständnis nach sind die Menschen dort niemals kolonisiert worden. Sie sind voller Würde. Und aus diesem Selbstbewusstsein erwachsen im acehnesischen Volk Vorschläge und auch Druck, den Krieg zu beenden und schnell wieder mit Friedensgesprächen zu beginnen.

Frage: Hat die Armee Ihrer Meinung nach ein Eigeninteresse an dem Krieg in Aceh?

Habib Chirzin: Ich glaube, alle Beteiligten haben Eigeninteressen, die Armee, die Regierung, aber auch die GAM.
Fragen: Markus Plate


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