Zur Entwicklung in Papua: Interview des Magazins „Jurnal“ mit George Junus Aditjondro

Jurnal Pasar Modal, 09. Juni 2000 ungekürzte Fassung

Übersetzung aus der indonesischen Originalfassung in die deutsche Sprache von Dr. jur. Soendoro Soepringgo SH

Guten Tag,
wir sind vom Magazin „Jurnal“ und würden Sie gerne um Ihren Kommentar zur Problematik Papuas bitten. Wenn es Ihnen recht ist, werden wir Ihren Kommentar in Rubrik Jurnal Update unserer Website (www.jurnalindonesia.com) veröffentlichen. Unsere Fragen sind folgende:

(1) Können wir das Ergebnis des Kongresses des Papua-Volkes als rechtsmässig anerkennen?

Ja, denn jedes Individuum und alle Gesellschaftsgruppen sowohl in West Papua als auch die westpapuanischen Flüchtlinge im Ausland wie in Papua Neuguinea, Australien und Europa, waren eingeladen ihre Stimmen auf dem Kongress des Papua-Volkes abzugeben. Dazu zählten auch diejenigen, die noch die Meinung vertreten: Papua ist ein Teil des Einheitsstaates Republik Indonesien. Ihre Stimmen sind möglicherweise nicht zu hören, da sie wirklich eine gegen die momentane Strömung sprechende Minorität sind.

(2) Was halten Sie von der Reaktion der indonesischen Regierung, die das Ergebnis des Kongresses nicht anerkannt hat, mit der Begründung, der Kongress habe ohne Teilnahme der Pro-Integrationsgruppe bzw. unter Teilnahmeverbot für sie stattgefunden?

Dass die Regierung das Ergebnis des Kongresses nicht anerkennt, ist eine gewöhnliche Reaktion jedes Machtinhabers, der seine territoriale Einheit für bedroht hält. Unglücklicherweise festigt diese Reaktion in den Augen des Papua-Volkes gerade das Image Indonesiens als Kolonialherrscher. Damals wollten die Niederlande die Unabhängigkeitsabsicht des indonesischen Volkes auch nicht anerkennen und erst als das indonesische Volk militärisch und durch internationale Diplomatie gekämpft hat und als (dann) die USA die Niederlande unter Druck setzte, waren die Niederlande bereit, die Souveränität der Republik Indonesien anzuerkennen.

Das Argument über das Teilnahmeverbot für die pro-indonesischen Kongressteilnehmer ist, wie ich oben bereits erwähnt habe, unbegründet. Es handelt sich hier um ein Problem der Massenpsychologie (Massenbeeinflussung) und nicht um ein Verbot. Gab es im Mai 1998 unter den Studenten, die Senayan (Parlamentsgebäude besetzt hatten, plötzlich lautstarke Anhänger Suhartos, darunter welche, die den Mut hatten zu schreien: es lebe Suharto? Selbstverständlich nicht, nicht wahr?

Neben der Massenpsychologie geht es hier auch um Demokratie. Ebenso wie die Studentendemonstration Mitte Mai 1998 mit der Besetzung des Parlamentsgebäudes, das in den 32 Jahren zum „rubber stamp“ des Diktators Suharto diente, war der Kongress des Papua-Volkes im letzten Mai eine Art Wendepunkt für den Unabhängigkeitswillen des Papua-Volkes, das seit 40 Jahren unterdrückt wurde. Erst diesmal können die Papuas massenhaft die Flagge „Sang Bintang Kejora“ hissen, die Hymne „Hai Tanah Airku Papua“ singen und den Slogan „Merdeka“ (Freiheit) ausrufen, was für jeden während der letzten 40 Jahren zumindest mit Gefängnis und oftmals sogar mit seiner Erschießung endete. Als West Papua in den Jahren 1962 und 1963 noch unter Aufsicht der UNO stand und noch vor der Volksabstimmung im August 1969, gab es bereits Papuas, die verhaftet und ermordet wurden, weil sie den Wunsch nach Unabhängigkeit zum Ausdruck brachten. Verhaftet und ermordet wurden sie nicht von den Friedenstruppen der UNO, sondern von ABRI unter dem Befehl von Sarwo Edhie Wibowo, der auch für die Verhaftungen und Morde an politisch links orientierte Bevölkerung auf Java verantwortlich ist.

Also, wenn die Papuaner nun unter der Regierung Gus Dur und Megawati endlich ihren tiefsten Herzenswillen erklären dürfen, so ist des doch ein Fortschritt? Dies ist doch ein gigantischer Schritt zur Realisierung der Demokratie? Wenn das papuanische Volk wirklich Teil des indonesischen Einheitsstaates bleiben möchte, dann würde es dies sicherlich erklären. Zumal es noch Tausende indonesischer Soldaten und Polizisten in West Papua gibt, die sie (den pro-indonesischen Teil der Bevölkerung) schützen. In der Tat gibt es sie nicht, oder? Wie kann Gus Dur denn sagen, dass die Unabhängigkeitsbefürworter nur eine unbedeutende kleine Minderheit sind?

(3) Sehen Sie, dass die Regierung einen Doppelstandard anwendet, indem sie doch einerseits ihre Duldung für den geplanten Kongress gezeigt hat, unter anderem durch die anfangs geplante Eröffnung des Kongresses durch Gus Dur, die trotz der 1 Milliarde Rp. Unterstützung von Gus Dur später gescheitert ist. Am Ende des Kongresses, als dann schliesslich u.a. der Beschluss für die Unabhängigkeit gefallen ist, hat die Regierung schnell wie „ein Mann, dessen Bart brennt“, den Kongressbeschluss abgelehnt und beabsichtigt, das Kongresskomittee zu verhaften, wie der Befehlshaber von KOSTRAD (Eliteeinheit), Agus Wirahadikusumah, erklärte. Wie ist Ihr Kommentar dazu?

Mich wundert es nicht, denn auch als Gus Dur noch nicht Präsident war, verhielt er sich oft mit zwei Gesichtern, wahrscheinlich wegen des Dranges, alle glücklich zu machen. Den Unabhängigkeitskämpfern und der weltweiten Solidaritätsbewegung für Timor Lorosae sprach er oftmals seine Sympathie und Unterstützung aus, so dass er mehrmals zu Seminaren, Konferenzen oder Feierlichkeiten in Dili eingeladen wurde. Bei der Verleihung des Nobelpreises für José Ramos-Horta und Bischof Belo war Gus Dur auch eingeladen und Bischof Belo hat in seiner Rede in Oslo eine Danksagung an Gus Dur ausgesprochen, trotz der Abwesenheit Gus Durs.

In der Tat hat Gus Dur mehrmals seine Bereitschaft zum Kommen zugesagt, aber ebenso hat er dies mehrmals plötzlich im letzten Moment abgesagt. Als er zur Gedenkfeier an das Massaker von Santa Cruz eingeladen wurde, erfuhren die indonesischen Sicherheitskräfte von seinem Plan von Surabaya nach Dili zu fliegen, so dass er an dem Flug nach Dili gehindert wurde.

Mit seinem Doppelstandard bekommt Gus Dur Lob und Ehre von der weltweiten Menschenrechtsbewegung und trotzdem kann er seine gute Beziehung zum Militär pflegen. Seine Fähigkeit, sich durch die Riffe der Menschenrechtsanhänger und –gegner zu manövrieren, ist erstaunlich.

Was dieses Mal betrifft, so erklärte Gus Dur beim Empfang des Vorbereitungsausschusses zum papuanischen Volkskongress im Staatspalast seine Unterstützung und die Bereitschaft, die Eröffnungsrede zu halten. Er hat dazu noch eine Finanzspritze in Höhe von Rp. 1 Milliarde zugesagt, aus welchem Haushaltsposten auch immer.

Nun ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Wenn der Kostrad-Befehlshaber General Agus Wirahadikusumah den Befehl zur Verhaftung der Kongressausschussmitglieder erlässt, vor allem wenn diese Leute gefoltert werden und danach verschwinden, dann werden diese Ereignisse der Heldentruppe für die Unabhängigkeit Papuas weiteren Zulauf verschaffen und die ganze Welt in Aufregung versetzen.

(4) Glauben Sie, dass der Kongress die internationale Unterstützung bekommt?

Ja, nur: es muss zwischen der Unterstützung durch Staaten und der Unterstützung durch das Volk, die über NGOs ihren Weg findet, unterschieden werden. In der südpazifischen Region wird der Beschluss des papuanischen Volkskongresses volle Unterstützung überwiegend von den Regierungs- und Parlamentskreisen erlangen, besonders in Vanuatu, dessen neuer frisch gewählter Ministerpräsident, Barak Sope, ein guter Freund von den im Exil befindlichen papuanischen Sängern der Black Brothers Band ist, die jetzt in Canberra, Australien, leben. Die gleiche Unterstützung wird in Fiji zu bekommen sein, wo das Solidaritätsgefühl melanesischer Volksstämme und anderer einheimischer Völker sehr stark ist.

Man darf nicht vergessen, dass die Hauptstadt Fijis, Suva, der Sitz der Bewegung für einen atomfreie und unabhängigen Pazifik (Nuclear Free and Independent Pacific Movement) ist. Dort lebte lange der Aktivist für ein unabhängiges Papua, Victor Kasiepo, ein Neffe des Journalisten der Tageszeitung Kompas, Manuel Kasiepo, und hat von dort aus für die Akzeptanz der Bewegung des westpapuanisches Volkes geworben. Sobald die innenpolitischen Probleme wegen des Putsches durch George Speicht überwunden sind, schätze ich, dass die Bewegung ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Menschenrechte der Papua, Aborigines und Maori richten wird.

Starke Unterstützung ist auch von den afrikanischen Staaten zu bekommen, wo sich Senegal aufgrund der Solidarität mit anderen Schwarzen dazu veranlasst sah, der OPM (Organisation Freies Papua) Diplomatenstatus zu gewähren.

In den Industrienationen, sowohl die des Westens als auch Japan, werden Handels- und Investitionsinteressen in Indonesien dazu führen, dass die Regierungen offiziell ihre Unterstützung für die territoriale Einheit Indonesiens erklären. Und tatsächlich ist es dieses Interesse, das sich Gus Dur im Rahmen seiner Staatsbesuche nach Japan, den USA und schließlich Australien zu Nutze macht. Aber ironischerweise verfolgen die Industrienationen auch eine liberal-demokratische Politik, in der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sehr geschätzt und der Militarismus als unwürdig angesehen wird. Das ist die Lücke, die von den westpapuanischen Diplomaten im Ausland bereits genutzt wurde und wird. In diesem Monat wird beispielsweise die Organisation Watch Indonesia! einen runden Tisch zu West Papua in Berlin, Deutschland, veranstalten, zu dem Papua-Vertreter aus dem In- und Ausland eingeladen werden.

Währenddessen wird die diplomatische Kampagne für West Papua in den skandinavischen Staaten, die damals die Bewegung für die Freiheit von Timor Lorosae mit der Verleihung des Friedensnobelpreis unterstützten und wo auch die Befreiungsfront für Aceh/Sumatra und die OPM Vertretungen haben, gut aufgenommen werden. Vor allem wenn der erträumte Staat West Papua ein wirtschaftspolitisches System übernimmt, das mehr einen sozialdemokratischen Charakter und nicht den durch die USA und den IWF vertretenen neoliberalen Charakter haben wird.

Das Potential der IT-Revolution (information technology), die auch dieses Interview ermöglicht hat, darf ebenfalls nicht unterschätzt werden, wenn es um die Verbreitung der Wünsche des Papuavolkes geht. Die heutige Weltlage ist anders als die vor 40 Jahren.

(5) Wie ist Ihre Meinung zu der UNO Resolution Nr. 1752 des Jahres 1962 und Nr. 2504 des Jahres 1969, sowie zur Ablehnung seitens des Papua Volkes gegen die genannten Resolutionen aufgrund der Annahme, dass das papuanische Volk nie einbezogen wurde?

Die Resolutionen wurden vor allem durch das Interesse westlicher Nationen bewegt, die sich zum damaligen Zeitpunkt im Kalten Krieg gegen den Ostblock befanden, so dass sie die Unterstützung Indonesiens suchten, um somit die Bodenschätze West Papuas auszubeuten und gleichzeitig zu verhindern, dass Indonesien der Sowjetunion in die Arme fällt.

In der Debatte zur Resolution Nr. 2504 im Jahre 1969 wurde der Wunsch nach Unabhängigkeit des westpapuanischen Volkes indirekt über die Gruppe der karibischen und afrikanischen Staaten vorgebracht, die als Brazzaville Block bekannt waren und sich für eine Stimmenthaltung entschieden. Diese Enthaltungen wurden jedoch von den Stimmen westlicher und arabischer Staaten überboten. Letztere suchten die Unterstützung Indonesiens in ihrem Kampf gegen Israel. Zusammengefasst ist es also so, dass der Einwand des papuanischen Volks, ihre eigenen Stimmen und Interessen seien bei der Entscheidung über die beiden Resolutionen nie berücksichtigt worden, sehr gut begründet sind.

(6) Bezüglich der Absicht des papuanischen Volkes internationale Unterstützung zu erbitten, kann die indonesische Regierung rechtliche oder militärische Maßnahmen ergreifen, um diese Absicht zu untergraben?

Ich denke schon, aber eine offene militärische Intervention wäre Selbstmord. Vor allem, weil es noch eine große Zahl von Kongressmitgliedern der USA und Mitglieder des Europäischen Parlamentes gibt, die noch sehr im Zweifel über eine Fortsetzung der Militärhilfe an die indonesische Armee und Polizei sind.

So versucht der eigentliche Machtinhaber in Jakarta, das Szenario eines Bürgerkrieges zu wiederholen, wie er es bereits in Timor Lorosae aufführen ließ und auch noch in Aceh und auf den Molukken aufführen lässt. Auf der einen Seite werden die Papua-Einheiten, die von dem großen Führer Papuas, Theys Eluay, gegründet wurden, von Yorris Raweyai finanziert, von dem wir wissen, dass er eine besondere Beziehung zur Familie Suhartos und zu den Suharto noch loyalen Soldaten hat. Diese Einheiten stehen merkwürdigerweise direkt unter dem Befehl von Boy Eluay, einem Sohn des großen Papuaführers Theys Eluay: ein ungesundes Zeichen der Vetternwirtschaft aus indonesischem Erbe.

Auf der anderen Seite trainiert und rüstet die indonesische Armee die Rotweiß-Einheiten auf, die sich aus Papuas rekrutieren, die noch dem indonesischen Einheitsstaat treu ergeben sind oder einfach des Geldes wegen für Indonesien arbeiten. Die Mitglieder der Rotweiß-Einheiten, die wirklich aus Papuanern bestehen, werden, wie ich gehört habe, noch durch molukkische Flüchtlinge und eine Menge von Soldaten verstärkt, die vom Dienst suspendiert wurden oder desertiert sind, wie sie an allen möglichen Orten zu käuflichen Söldnern werden.

Deshalb bin ich der Meinung, dass die beiden Milizen, sowohl die Papua-Einheiten als auch die Rotweiß-Einheiten, aufgelöst werden müssen, um eine „Ambonisierung“ oder „Timor Lorosae-ierung“ West Papuas zu verhindern. Auch die Guerillatruppe, die nationale Befreiungsarmee, muss aus den Wäldern herausgehen und ihre Waffen ablegen, ebenso wie die Tausenden indonesischer Soldaten die Heimat der Papua verlassen müssen, so dass nur die indonesische Polizei dort übrig bleibt, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

Lassen wir die Unabhängigkeitskämpfer und die indonesische Regierung in einen Wettbewerb treten, um auf elegante Art und Weise die Herzen und Seelen des papuanischen Volkes zu erobern. Mit der Wahlurne statt mit der Munitionskiste. Wenn Indonesien davon überzeugt ist, dass noch große Teile der Bevölkerung dem Einheitsstaat Republik Indonesien treu sind, braucht es sic sicher keine Sorgen um eine Wiederholung der Volksabstimmung von 1969 zu machen, die aber diesmal bitte nach international anerkannten Standards durchzuführen ist. Ein Mann, eine Stimme und kein Verhandlungsmarathon von einer Stadt zur anderen mit 1025 Mitgliedern der Kommission zur Selbstbestimmung, deren Vorsitzender, Theys Eluay, gerade dem Einheitsstaat Republik Indonesien den „dritten Scheidungswillen“ erklärt hat.

Wenn die Trennung doch friedlich und elegant stattfindet, bleibt Indonesien immer noch die Chance, zum Handels- und Aufbaupartner von West Papua zu werden.

Das waren unsere Fragen. Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit.

Mit freundlichen Grüßen,
Wawan Kurniawan
Reporter


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