Politisches Schattentheater

Jungle World, 09. Februar 2000

Inmitten von Putschgerüchten inszenieren der indonesische Präsident Wahid und sein Gegenspieler General Wiranto ein Schauspiel der besonderen Art.

Von Ingo Wandelt

Jungle WorldDie Kräfte des Bösen sieht er am Werk. Sie organisieren die blutigen Ausschreitungen, die Indonesien über die letzten zwei Monate nicht zur Ruhe kommen lassen, und knüpfen ein Netz, in dem er, Abdurrahman Wahid, Präsident Indonesiens, sich verfangen soll. Das Böse wird personalisiert: Es heißt General Wiranto.

Immer wieder beschwört Wahid auf seiner zweiwöchigen Rundreise durch 13 Staaten die Unmöglichkeit eines Putsches von Teilen der Streitkräfte in Indonesien. Sicher scheint er sich dabei nicht zu sein, denn aus Den Haag schickte er die Warnung vor einem Staatsstreich nach Hause.

Der Anlass für diese widersprüchlichen Äußerungen: Wahid hatte vor seiner Abreise General Wiranto aufgefordert, als Minister zurückzutreten – wegen der Beschuldigungen im zeitgleich veröffentlichten Bericht der nationalen Untersuchungskommission zu den Menschenrechtsverletzungen. Wiranto sei, so hieß es darin, verantwortlich für die Verwüstung Ost-Timors nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 30. August 1999. Der General aber ignorierte Wahids Aufforderung. Tags darauf nahm er an einer Kabinettssitzung in Jakarta teil, als sei nichts geschehen.

Kommt ein Putsch, oder kommt er nicht? Das Thema beschäftigt Indonesien seit mehr als einem Monat. Präsident Wahid nutzt es auf seine Weise für seinen Machtkampf mit den renitenten Militärs. Dabei bemüht er nicht nur Bilder des javanischen Schattenspiels Wayang, sondern handelt selbst wie ein puppenhafter Akteur in einem Spiel gegen schattenhafte Kräfte, die das Land zu ihrer Bühne verkommen lassen. Wahid spielt mit Tatsachen und Gerüchten, die keiner wirklich durchschaut. Natürlich kenne er die Namen der Putschwilligen! Zum Beleg offeriert er ihre Initialen, hüllt sich dann in scheinbar wissendes Schweigen.

Die Bühne und die Protagonisten

Abdurrahman Wahid, mit seinem Rufnamen Gus Dur, ist seit dem 20. Oktober 1999 Präsident Indonesiens. Er stützt sich parlamentarisch auf eine ausgedehnte, aber zunehmend brüchig werdende Koalition eines breiten Parteienspektrums, das von der säkular-nationalistischen PDI-P der Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri über Gus Durs islamische Massenorganisation Nadhlatul Ulama bis zu den modernistischen Islam-Parteien der so genannten Mittelachse reicht.

Diesen verdankt Wahid seine Wahl zum Präsidenten gegen Megawati, sie wenden sich aber verstärkt gegen ihn, weil er in ihren Augen die Ziele des indonesischen Islam unzureichend vertritt. Sie verweisen auf seine fehlenden Erfolge in der Bekämpfung der zahlreichen Gewaltkonflikte.

Der Viersterne-General Wiranto, Ex-Armeechef und -Verteidigungsminister, hält im Kabinett Wahid den Posten des Koordinierungsministers für Politik und Sicherheit. In dieser Funktion hat er keine Kommandobefugnisse über Truppen. Aber viele hochrangige Offiziere, vor allem aus den Sondereinheiten Kostrad und Kopassus, stehen loyal zu ihm. Als typischer militärischer Bapak (väterlicher Führer) hat er in seiner Dienstzeit einen Kreis ihm treu ergebener Heerführer herangezogen. Damit hat er eine wichtige, vielleicht die wichtigste militärische Position in Indonesien. Das unsichtbare Netz seiner Beziehungen ist die Basis von Wirantos Macht, weniger seine Position.

Wiranto konsolidierte als Befehlshaber die nach dem Rücktritt ihres Oberbefehlshabers Suharto orientierungslose Nationale Armee Indonesiens (TNI). Er erklärte, die TNI werde die junge Demokratie unterstützen, verbat sich zugleich aber die Einmischung der Regierung in die militärische Führung.

Der Präsident machte vorsichtig von seinem Recht zur Ernennung militärischer Kommandeure Gebrauch und geriet damit zwangsläufig in Konflikt mit Wiranto. Das Kabinett Wahid-Megawati konnte zwar einige Breschen in die Phalanx der Armeeführung schlagen, musste jedoch Wiranto auf einem hohen Kabinettsposten akzeptieren.

Die Schatten und die Schauplätze: Ost-Timor

Zwischen Jakarta, dem Zentrum der Macht Indonesiens, und Ost-Timor sowie Ambon liegen 2.000 Kilometer. Im politischen Schattenspiel Indonesiens aber sind sie eng verknüpft. Ost-Timor war die erste große Niederlage der indonesischen Armee. Wiranto verstand es, die »nationale Schmach« der Loslösung Ost-Timors auf Wahids Vorgänger, Ex-Präsidenten B. J. Habibie, zu lenken und sich und die Streitkräfte als unbelastet darzustellen.

Die Milizen und das indonesische Militär haben im vergangenen Jahr Ost-Timor systematisch verwüstet. Wiranto, der damalige Oberbefehlshaber, wollte aber niemals den Befehl dazu gegeben haben. Sowohl die indonesische wie auch die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen sehen das anders. In den Ende Januar veröffentlichten Berichten beider Institutionen wird Wiranto als der höchstrangig Verantwortliche für die Zerstörung Ost-Timors bezeichnet.

Das muss ihn jedoch in den Augen der TNI nicht unbedingt schwächen. Der Ehrenkodex der sich streng national verstehenden und intern noch nicht demokratisierten Streitkräfte sorgt dafür, dass eine solche Beschuldigung ihres Kommandeurs in der TNI nur als ungerechtfertigte und bösartige Verleumdung verstanden werden kann.

Der Tatort Ambon

Indonesien brennt an allen Ecken. Im Osten des Archipels jedoch konzentrieren sich Aufruhr und Zerstörung. Bekanntlich wussten TNI-Kreise bereits im Dezember 1998 von Habibies Plänen für ein Ost-Timor-Referendum und begannen sofort mit der verdeckten Aufstellung von Milizen auf Ost-Timor. Die Unruhen auf der kleinen Insel Ambon, die später die Molukken insgesamt erschüttern sollten, begannen kurz vor der Ankündigung vom 28. Januar 1999, dass das Unabhängigkeitsreferendum Ost-Timors abgehalten würde. Zufall?

Die Inselgruppe der Molukken liegen einige Hundert Kilometer nördlich von Ost-Timor. Die neue Welle der Gewalt wurde von so genannten Provokateuren, die oft von außerhalb einreisten, angeheizt. Sie setzte ein, als Wiranto für die Gräuel auf Ost-Timor verantwortlich gemacht wurde. Ein weiterer Zufall?

Das Muster der Unruhen

Scheinbar spontan ausbrechende, bei näherem Hinsehen jedoch lang vorbereitete und geplante Ausbrüche des gesellschaftlichen Zornes in Gestalt des massenhaften Amoklaufs sind in Indonesien zur dominierenden Form der innenpolitischen Kriegführung geworden. Ihre Ursprünge liegen 15 Jahre zurück. Da schufen Sondereinheiten des Heeres zivil rekrutierte Handlangertruppen gegen den ost-timoresischen Widerstand. Heute beherrschen viele Fraktionen der Macht dieses blutige Spiel. Der vielfältige Schrecken wird immer von langer Hand vorbereitet.

Am Beispiel Lombok, seit dem 17. Januar ein neuer blutiger Nebenschauplatz, lassen sich die drei Ebenen der organisierten Gewalt erkennen. Dort gibt es seit 15 Jahren zwei Organisationen, Bujak und Amphibi, die als Bürgerwehren zur Kriminalitätsverhütung begannen, mit der Polizei Sicherheitsaufgaben übernahmen, dann selbst Schutzgelder eintrieben und sich zur örtlichen Mafia herausbildeten. Sie kontrollieren Ost- und Mittel-Lombok mit seiner muslimischen Bevölkerung, nicht aber den reichen Westen, wo Balinesen und christliche Chinesen Wirtschaft und Tourismus beherrschen.

Am 17. Januar fand ein öffentliches Gebet der Muslime in der Hauptstadt Mataram, West-Lombok, für die muslimischen Opfer der Unruhen auf Ambon statt. Sie gelten hier, wie anderswo im muslimischen Indonesien, als Opfer christlicher Aggression. Dass sich auf Ternate, Tidore und Halmahera Muslime auch gegenseitig die Köpfe ein- und abschlugen, zählt hier wenig. Mitgefühl ist angesagt.

Das Gebet endete friedlich, plötzlich fuhren organisierte Trupps auf Lkws vor, gaben sich aggressiv und stachelten die Menge zum Vorgehen gegen die Christen und ihre Symbole auf. Kirchen und die Geschäfte der chinesischen Händler wurden abgefackelt. In drei Tagen wurde Lomboks Westküste verwüstet.

Beobachter bemerkten aus Ost-Timor bekannte Gesichter im Hintergrund, pensionierte Offiziere der Kopassus-Sondereinheit des Heeres, Meister der gezielten Chaotisierung. Einheiten der Sondertruppen sollen gezielt den Funkverkehr der Polizei gestört haben.

Tage später werden Namen eingereister und am Tatort gesehener professioneller Unruhestifter in der Presse genannt. Man kennt sie als Anhänger des im Mai 1998 gestürzten Präsidenten Suharto. Sie haben gute Beziehungen zum Militär und werden finanziert von den ehemaligen Cronies des »Vaters des Aufbaus«, wie sich Suharto einst titulieren ließ. Präsident Wahid ließ seine Zustimmung zu dieser Interpretation der Ereignisse erkennen.

Die Bühne Jakarta

Vor Weihnachten brannte das christliche Drogen-Rehabilitationszentrum Doulos in Jakarta. Fundamentalistische Splittergruppen – gerüchteweise unterstützt von Angehörigen des Strategischen Heereskommandos Kostrad – legten es in Schutt und Asche.

Dann, am 7. Januar, zum Ende der muslimischen Fastenzeit, fand eine Großdemonstration vor dem Nationalmonument in Jakarta statt. Dort ertönte die öffentliche Aufforderungen zum Jihad, zum heiligen Krieg zur Beendigung der anti-muslimischen Ausschreitungen. Die Weltpresse veröffentlichte Fotos weiß gekleideter Muslim-Fanatiker mit Jihad-Stirnbändern und notierte das Auftreten von Amien Rais, Chef der modernistisch-islamischen PAN-Partei und Vorsitzender des Volkskongresses. Der forderte das Eingreifen der Regierung zur Beendigung der Unruhen und zugleich die rasche Absetzung der Regierung. Im Oktober hatte er noch mitgeholfen, sie zu installieren.

Die streitlustigen Weißgekleideten sind Anhänger der Front der Verteidiger des Islam (FPI), einer neuen Splitterorganisation, die von den Habib, indonesischen Arabern geführt wird. Die sehen sich als direkte Nachkommen des Propheten Muhammad und proklamieren religiöse Autorität. Sie rekrutieren Jihad-Kämpfer auf Java und geben vor, bereits Tausende Kampfeswilliger in ihren Reihen zu haben. Einige werden auf Schiffen nach Ambon aufgegriffen. Man weiß, dass nur die Unterstützung mächtiger Kreise diese einst kleine Gruppe stark macht. Die FPI-Anhänger sind vor allem lautstark. Zu Beginn des Ramadan besetzten sie die Stadtverwaltung Jakartas und forderten das Verbot von Glücksspiel und Prostitution. Sie bedrängten die Menschenrechtskommission, die Untersuchungen gegen Offiziere der TNI einzustellen.

Die Bande zwischen FPI und TNI sind augenfällig.

Die Verbindung von Ambon und Islam ist zum Politikum geworden. Politiker der islamischen Mittelachse wie Amien Rais schossen sich auf Vizepräsidentin Megawati ein: Sie paktiere mit den Christen, die die Wirtschaft Indonesiens beherrschten. Eine Absetzung Wahids mit parlamentarischen Mitteln sei anzustreben, weil er die Interessen des Islam missachte.

In der Tat zeigte Wahid sich zögerlich und desinteressiert, die landesweiten blutigen Auseinandersetzungen ernst zu nehmen. Sie scheinen ihm Nebenschauplätze zu sein. Immer wieder spielt er sie herunter und verkündet ihr baldiges Ende. Kurzbesuche Wahids auf Ambon und in Aceh halfen nichts. Die Kette der Gewalt reißt nicht ab. Rigoroser reagierte Wahid auf ab Dezember umlaufende Gerüchte über einen Putsch ungenannter Generäle, hinter denen sich General Wiranto verberge. Die Gerüchte wurden Mitte Januar erhärtet: Da warnten die USA die TNI ausdrücklich vor einem Putsch nach dem Vorbild Pakistans.

Zuvor hatte der Sprecher der Streitkräfte um den Jahreswechsel öffentlich den verfassungsmäßigen Rang Wahids als Oberbefehlshaber der TNI angezweifelt. Der Präsident setzte ihn kurzfristig ab. Auch der Chef des mächtigen militärischen Nachrichtendienstes BAIS musste – wie es heißt, routinemäßig – gehen. Vier Generäle im Kabinett versetzte der Präsident in den militärischen Ruhestand.

Seither ist dieser Akt des politischen Schattentheaters in seiner letzten Phase. Wahid ging auf eine zweiwöchige Auslandstournee. Am 13. Februar endet seine Reise. Wird er dann Wiranto noch als Minister vorfinden?

Reisediplomatie und Szenenwechsel

Der Präsident scheint starke Nerven zu haben. Tage vor seiner Auslandstournee kokettierte er mit den Putschgerüchten und erklärte, dass er fest davon überzeugt sei, neunzig Prozent der Generäle seiner Armee, der er als Präsident vorsteht, stünden zu ihm. Das löste Nervenflattern bei den Kommentatoren aus, die nachrechneten, dass es dann zwangsläufig einen Rest von zehn Prozent anders gesinnter Militärführer geben müsse. Mit seiner Reise fordert Wahid auf javanisch-subtile Weise geradezu auf zum Putschen. »Seht«, scheint er zu sagen, »ich bin weg! Putscht, wenn ihr könnt! Ihr habt zwei Wochen Zeit. Dalli, dalli!«

Wird es, wie im Wayang, zum finalen Gefecht zwischen den Kräften des Guten und des Bösen kommen? Die Schwäche beider Protagonisten spricht dagegen. Der Präsident steht einer zunehmend brüchig werdenden Koalition vor. Seine im Dezember angekündigte Kabinettsumbildung ließ er fallen, ohne sich explizit dazu zu äußern. Seine größte Stütze ist das Ausland. Das kann ihm zwar auf finanzieller und ideeller Ebene helfen. Aber es kann ihm nicht das Präsidentenamt sichern.

Andererseits würde ein Putschversuch von Wiranto oder seinen Kumpanen das hoch verschuldete Land nicht nur international isolieren und finanziell ruinieren, sondern auch weite Teilen der Bevölkerung, insbesondere in den von Unruhen erschütterten Regionen, in den offenen Widerstand treiben.

Die Streitkräfte sind schon lange nicht mehr die einstige gefürchtete Disziplinierungsmacht des Autokraten Suhartos, sondern intern völlig zerrissen. Eine Machtergreifung des Militärs wäre eine Verzweiflungstat ohne große Zukunft. Ein Putsch würde wohl nach Tagen implodieren. Mit ihm drohen lässt sich aber allemal.

Es gibt eine weitere Möglichkeit, Wahid zu stürzen: eine parlamentarische Koalition des Militärs mit den modernistisch-islamischen Parteien, insbesondere der PAN von Amien Rais. Das hat aber vorerst kaum Chancen. Noch stehen die Parlamentarier des traditionalistischen Islam und die der größten säkularen Fraktion, der PDI-P Megawati Sukarnoputris, zusammen. Das mag sich ändern. Bis jetzt prägt die Rivalität zwischen Gus Dur und Wiranto einen ernsten und blutigen, aber bei weitem noch nicht den finalen Akt in diesem Schattentheater.

Eine neue Szene steht bevor. Sie wird wohl einen ebenso heiklen wie faulen Kompromiss zeigen, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren könnten. Wiranto mag zurücktreten, würde sich aber diesen Akt seiner Großmut mit strafrechtlicher Immunität honorieren lassen und hinter den Kulissen weiter agieren. Seine Rolle auf der Bühne würden neue Protagonisten des Heeres übernehmen.

Der Präsident hat einen solchen Kompromiss bereits vorbereitet. Außenminister Alwi Shihab bearbeitet seit Wochen des Ausland, damit es auf eine internationale Anklage der Generäle, die wegen der Verwüstung Ost-Timors belastetet sind, verzichtet. Mit nicht geringen Erfolgsaussichten, wie aus mehreren Hauptstädten gemeldet wird.

Wahid hat wiederholt eine Begnadigung Wirantos angekündigt, sollte dessen Schuld in einem Gerichtsverfahren festgestellt werden. Der Schritt, auf ein solch unsinniges Verfahren dann doch gleich zu verzichten, ist klein. Zumal, wenn das Ausland ihn abnickt. <>


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