Das Kassandra-Syndrom

Der folgende Artikel wurde für das in Österreich erscheinende Magazin Südwind (November 1999, Nr. 11) verfaßt.

Die Osttimorkatastrophe war so vermeidbar wie das jetzt drohende Debakel

Von Sabine Hammer

SuedwindEigentlich haben es alle gewußt. Sicher, daß es so schlimm kommen würde, damit hat niemand rechnen können. Osttimors Städte und Dörfer liegen in Schutt und Asche, über die Hälfte der Bevölkerung ist verschwunden. Vielleicht 200.000 Menschen sind in den Westteil der Insel geflohen oder dorthin verschleppt, einige tausend vielleicht auf andere indonesische Inseln verbracht worden. Doch schätzungsweise eine Viertel Million Osttimoresen ist wie vom Erdboden verschluckt: Nun, da die internationale Schutztruppe Interfet endlich kommt, findet sie ein entvölkertes Land vor. Eugebio Soares erzählte vor wenigen Tagen, sein Miliztrupp habe Leichenteile an die Krokodile verfüttert. Pro-indonesische Milizen haben in Osttimor ganze Arbeit geleistet. Die Logik der Trupps und ihrer Drahtzieher ist simpel: Weil sich die Mehrheit der Osttimoresen – über 78% -am 30. August für die Unabhängigkeit ihres Landes entschieden hat, muß diese Mehrheit nun verschwinden.

Bereits vor dem Referendum haben Menschenrechtsgruppen wie Watch Indonesia und die Gesellschaft für bedrohte Völker eindringlich vor einem möglichen Genozid gewarnt. Als Wahlbeobachter haben wir der UNO Mission (UNAMET) in Dili zahlreiche Dokumente vorgelegt, die Schlimmes befürchten ließen. Z.B. Mitschnitte von unverschlüsseltem Funkverkehr zwischen der berüchtigten Sondertruppe der indonesischen Streitkräfte Kopassus und den Milizen. Die indonesische Armee erteilt den Paramilitärs darin Befehle, handelt eine Waffenübergabe aus, ruft zum Morden auf. Auch der Plan der Zwangs-„Evakuierung“ der Unabhängigkeitsbefürworter war seit Juni bekannt. Als noch vor Bekanntgabe des Endergebnisses die ersten Bewohner von Dili mit Waffengewalt auf Lastwagen gen Westen verfrachtet wurden, blieb die internationale Gemeinschaft noch immer untätig.

Schon in der Zeit vor dem Referendum kontrollierten die von Jakarta gelenkten Milizen die Straßen, stoppten UNO-Mitarbeiter, unbewaffnete internationale Polizeikräfte und akkreditierte Wahlbeobachter, bedrohten sie gar mit Macheten und Gewehren. Später gingen die paramilitärischen Mordtrupps unter den Augen der indonesischen Polizei gegen ausländische Journalisten und offizielle Wahlbeobachter vor, schossen schließlich einen amerikanischen Polizisten an- ganz zu schweigen von zahllosen massiven Menschenrechtsverletzungen, begangen an Osttimoresen. Doch internationale Sanktionen gab es nicht.

Auch als die ersten Mitarbeiter von UNAMET ermordet wurden, als Milizen das UN-Hauptquartier belagerten, blieb ein Aufschrei der Diplomaten aus. Stillschweigend nahm man hin, daß die ausländischen Zeugen gewaltsam aus dem Land getrieben wurden: Der folgende Völkermord sollte sich nicht vor den Augen der Weltöffentlichkeit vollziehen.

Wäre die Menschenrechtshochkommissarin Mary Robinson nicht persönlich nach Jakarta gereist, hätte sie die Kriegsverbrechen nicht so vehement verdammt und ein Tribunal gefordert – vielleicht wäre die internationale Schutztruppe Interfet bis heute nicht in Osttimor gelandet.

Die Vereinten Nationen tragen schwere Mitschuld an den ungeheuerlichen Geschehnissen in Osttimor. Im Abkommen vom 5. Mai diesen Jahres legte man die Gewährleistung der Sicherheit in die Hände der indonesischen Armee- und Polizeikräfte – wohlwissend, daß der Genozid der indonesischen Eroberer bereits auf seinem vormaligen Höhepunkt 1978 einem Drittel der Osttimoresen das Leben gekostet hatte. Wie konnte man diesen Generälen in Jakarta vertrauen – denselben Generälen, die Regimegegner als Drahtzieher für die blutigen Ausschreitungen im Mai letzten Jahres in Jakarta und für die gewaltsamen Unruhen auf anderen Inseln verantwortlich machen?

Die Militärs wollen sich die alte Machtfülle der Ära Suharto wiedererstreiten und setzen dazu auf Gewalt und Neo-Nationalismus. Sie allein könnten den Zerfall des Inselreiches verhindern, behaupten sie.

Den Fall Osttimor – vor 24 Jahren völkerrechtswidrig besetzt – stilisieren einige Generäle im innerindonesischen Machtpoker zur Dolchstoßlegende hoch: Zivile Politiker seien für den „Verlust“ der Inselhälfte verantwortlich, die UNO sei Teil einer internationalen Verschwörung, die Indonesien wieder zur Kolonie machen wolle. Radikale Islamisten haben nun gar mit einem heiligen Krieg gegen die internationalen Osttimortruppen gedroht. Die Entwicklungen der letzten Wochen stellen eine große Bedrohung für die indonesische Demokratiebewegung dar, das haben indonesische Dissidenten längst erkannt. Sie hoffen auf eindeutige Signale der internationalen Staatengemeinschaft, Signale, die die Führung der indonesischen Streitkräfte versteht. Das würde Raum für politische Reformmanöver schaffen. Dazu sollte auch gehören, daß der Generalsekretär und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – mit aktiver Unterstützung vor allem der EU, Amerikas und Australiens – ernst machen mit dem Tribunal gegen indonesische Kriegsverbrecher.

Klare Worte und Taten könnten nun dafür sorgen, daß “Reformasi” mehr wird als ein Schlagwort, daß der andauernde Völkermord auf Timor ein Ende findet, daß Indonesien die territoriale Integrität Osttimors akzeptiert und abläßt von seinem Plan, die Unabhängigkeit des Landes durch die verdeckte Kriegführung seiner operativen Geheimdienste zu sabotieren. Eindeutige Signale an die Generäle könnten jetzt noch einen drohenden Krieg zwischen der UNO und der indonesischen Armee mit ihren paramilitärischen Truppen abwenden helfen. Ob aber die internationale Politik nun endlich handelt, bleibt abzuwarten. <>


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