Massaker in Osttimor bleiben ungesühnt

Neues Deutschland, 10. November 2004

Menschenrechtler beklagen mangelnden politischen Willen der Regierung in Dili und der UNO

von Stefan Mentschel

Neues-DeutschlandDer Weg Osttimors in die Unabhängigkeit wurde vor fünf Jahren von Pogromen mit hunderten Toten überschattet. Die Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverbrechen steht bis heute aus, beklagen Menschenrechtler am Montagabend in Berlin.

„Um die Ahndung der in Osttimor begangenen Verbrechen ist es sehr schlecht bestellt.“ Fünf Jahre nach den Massakern, die das Unabhängigkeitsreferendum in der früheren indonesischen Provinz begleiteten, klagen Menschenrechtler wie Monika Schlicher von der Nichtregierungsorganisation „Watch Indonesia“ über die ungenügende Aufarbeitung. Nachdem die große Mehrheit der Osttimorer am 30. August 1999 für die Unabhängigkeit von Indonesien gestimmt hatte, begannen pro-indonesische Milizen einen grausamen Feldzug gegen die Zivilbevölkerung. Fast eine Viertelmillion Menschen wurden vertrieben, mindestens 1.000 verloren ihr Leben. Erst mit dem Eintreffen der von Australien geführten internationalen Schutztruppe am 20. September stabilisierte sich die Lage.

Nur wenige Tage später entsandte die UNO eine fünfköpfige Kommission nach Osttimor, um die begangenen Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Im Januar 2000 lag deren Bericht vor. „Unsere Arbeit hat zu guten Ergebnissen geführt“, resümiert Kommissionsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Montagabend im Rahmen einer Diskussionsrunde in der Katholischen Akademie Berlin. Neben schweren Menschenrechtsverletzungen sei vor allem die systematische Unterstützung der pro-indonesischen Milizen durch das indonesische Militär nachgewiesen worden.

Auf Grund der Ergebnisse habe die Kommission die Empfehlung ausgesprochen, in einem ersten Schritt ein UNO-Gremium einzurichten, das die Menschenrechtsverletzungen eingehend untersucht. In einem zweiten Schritt sollten die Schuldigen vor einem internationalen Tribunal zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kommission sei sich einig gewesen, so die frühere FDP-Bundesjustizministerin, dass die Täter nicht straffrei davonkommen dürfen.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan ließ den Empfehlungen aber nie Taten folgen. Eine systematische Aufarbeitung der Ereignisse vom September 1999 ist nicht erfolgt, ein UNO-Tribunal wurde nie eingerichtet. Vielmehr habe die internationale Gemeinschaft Indonesien die Möglichkeit eingeräumt, die Verantwortlichen selbst zu verurteilen. Doch von 18 Personen, die in Jakarta vor dem eigens eingerichteten Menschenrechtsgerichtshof standen, wurden bislang 17 freigesprochen. Erst am Freitag revidierte das Oberste Gericht den Schuldspruch gegen Abilio Soares, den früheren Gouverneur Osttimors.

In Osttimor selbst wurden nach Angaben Monika Schlichers von 369 Angeklagten nur 50 verurteilt. Einzig die Anfang 2002 eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission könne einige Erfolge bei der Aussöhnung von Opfern und Tätern vorweisen. Doch dürfe dies nicht als Alibi für die insgesamt mangelhafte juristische Aufarbeitung herhalten. Das größte Problem, das der Vergangenheitsbewältigung Osttimors im Wege steht, ist das Desinteresse der politischen Verantwortlichen. Vor allem Präsident Xanana Gusmão will im Verhältnis zum großen Nachbarn Indonesien „Versöhnung“ vor „Gerechtigkeit“ stellen, wie er unlängst bei einem Berlin-Besuch betonte. Es darf aber vermutet werden, dass dahinter handfeste ökonomische Gründe stehen, denn Indonesien ist einer der wichtigsten Handelspartner des armen Osttimor.

„Wenn es keine Unterstützung durch die osttimorische Regierung gibt, sehe ich keine Chance, dass von Seiten der UNO jemals ein internationales Tribunal eingerichtet wird“, betont Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. „Für die Opfer ist Gusmaos Verhalten ein Schlag ins Gesicht“, befand Monika Schlicher. „Wir sind gegen diese Politik des Vergessens. Wir treten für eine Kultur des Erinnerns ein.“ <>


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