Straße des Grauens in Ost-Timor

Berliner Morgenpost, 07. September 1999

Gewalt der Milizen nimmt schockierende Ausmaße an. Dili gleicht Geisterstadt

Von Bhimanto Suwatoyo

BM Jakarta – Ein Bild des Grauens: Der Kopf eines Enthaupteten steckt auf einer Stange am Straßenrand. Daneben noch einer und noch einer und noch einer. Insgesamt sollen es Hunderte sein entlang der Straße von Atambua nach Dili, berichtet eine Frau, die ihr schwerkrankes Kind auf der Suche nach einem Arzt aus der Hauptstadt brachte. Ein schockierendes Zeugnis der maßlosen Grausamkeit, mit der die Milizen im Osten der Pazifikinsel Timor die Unabhängigkeit verhindern wollen.

„Es ist schwer zu glauben, dass solche Dinge auch heute noch passieren können“, sagt João Carrascalão, Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung in Australien. Den Bericht der Frau hält er für glaubwürdig. Carrascalão kennt sie persönlich.

Vielleicht waren die Toten unter jenen, die vor einer Woche bei der Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit des von Indonesien als Provinz annektierten Inselteils stimmten. Vielleicht auch nicht. Die Gewalt der Milizen ist blindwütig, ihre Attacken treffen selbst Kleinkinder und Säuglinge.

In ihrer Todesangst suchen die Menschen bei der Kirche, beim Roten Kreuz und bei der UN-Mission auf der Insel (Unamet) Zuflucht. Doch selbst dort sind sie nicht sicher. Denn gestern steckten die Bewaffneten die Residenz des Bischofs von Dili, Friedensnobelpreisträger Carlos Belo, in Brand. 5000 Menschen hatte sich dort in Sicherheit gewähnt.

Die Milizionäre richteten ihre Gewehre auf sie und pferchten sie auf Lastwagen, berichtete eine ausländische Journalistin. Sie ist eine der wenigen Korrespondenten, die Osttimor noch nicht aus Furcht um ihr Leben verlassen haben.

Nach Ansicht von UN-Beobachter James Dunn gewinnen die Milizen dadurch noch an Stärke. Je weniger Zeugen es gibt, desto unbehelligter können sie auf der Insel wüten. Die Polizei räumt unterdessen ein, dass die Lage außer Kontrolle geraten ist.

„Sie warten nur darauf, getötet zu werden“, beschreibt die katholische Nonne Kate O’Konner die verzweifelte Lage der Menschen in Ost-Timor. „Sie haben schreckliche Angst.“ Eine andere Schwester, die, selbst in Todesangst, ihren Namen nicht nennen will, macht auch Polizei und Militär für die Gräueltaten verantwortlich. Sie habe selbst gesehen, wie die Soldaten gemeinsame Sache mit den Milizionären machten.

300 Flüchtlinge halten sich zur Zeit hinter den Mauern ihres Klosters versteckt. Es sind hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Männer seien in die Berge geflohen, sagt Bruder Francis Hall – einer der internationalen Beobachter, die mittlerweile evakuiert wurden.

Die Hauptstadt Dili gleicht einer Geisterstadt. Wer nur irgendwie konnte, hat die Flucht vor den mordenden und brandschatzenden Milizen ergriffen. Insgesamt seien 25 000 Menschen auf der Flucht, schätzt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. “ In dem Hotel, in dem ich übernachtete, war überhaupt kein Personal mehr“, erzählt UN-Beobachter Dunn. Während das Hotelpersonal im UN-Hauptquartier ausharrt und bangt, ist Dunn bereits im sicheren Australien gelandet. Nur 82 Mitarbeiter der Uno waren gestern noch in Dili. Der UN-Sicherheitsrat erwägt nun, eine Friedenstruppe auf die Insel zu schicken. Doch vorerst sind die Menschen in Ost-Timor den Milizen schutzlos ausgeliefert. Auch die Deutsche Kommission Justitia et Pax, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getragen wird, plädierte für die Entsendung von bewaffneten Friedenstruppen.

Wegen der eskalierenden Gewalt in Osttimor haben sich die acht Bundesbürger, die sich bis zuletzt als Beobachter in der Hauptstadt Dili aufhielten, in Sicherheit gebracht. Wie die Sprecherin der Organisation Watch Indonesia, Monika Schlicher, sagte, trafen sie gestern in Darwin in Australien ein. „Die indonesische Regierung fährt Schlitten mit den UN“, sagte Frau Schlicher. Um wieder Ruhe und Ordnung herzustellen, sei der Einsatz von UN-Friedenstruppen unumgänglich. AFP <>


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