Panzer nach Indonesien?

AG Friedensratschlag, 02. Oktober 2012

Die deutsch-indonesische Militärkooperation hat eine lange Tradition – Höhepunkt der Waffenexporte unter Rot-Grün

von Peter Strutynski

Friedensratschlag-LogoDass Indonesiens Wunsch nach Lieferung von 100 Leopard-2-Kampfpanzern aus Deutschland in Berlin – vermutlich wohlwollend – zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert wurde, darüber haben wir bereits verschiedentlich berichtet (zuletzt: Noch mehr deutsche Panzer für Indonesien). Nun hat ZEIT-online mit einem Hintergrundartikel nachgezogen und insbesondere über den möglichen Verkauf von Marder-Schützenpanzern (Typ Marder 1A3) berichtet. Darin wird unter Bezug auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage der GRÜNEN im Bundestag vermutet, dass der Deal zwischen Berlin und Jakarta bereits weiter vorangeschritten ist, als die Bundesregierung zugeben will. In Indonesien jedenfalls herrsche mehr Transparenz als hier zu Lande. So habe etwa die Jakarta Post berichtet, dass indonesische Regierungsmitglieder mit Vertretern der deutschen Botschaft in Jakarta über die Lieferung der Marder gesprochen hätten. „Das Blatt vermeldete ebenfalls, dass eine Delegation des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall in Indonesien erwartet werde, um letzte Details abzustimmen und den Vertrag zu unterzeichnen.“

Nimmt man die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN für bare Münze, so ist alles noch ganz harmlos. Nicht einmal Voranfragen, schon gar keine Ermutigungen gegenüber Jakarta habe es gegeben. Stattdessen der Hinweis auf die „Erklärung von Jakarta“, die im Juli beim Staatsbesuch Merkels in Indonesien verabschiedet worden war. Dieser Hinweis kann aber keineswegs beruhigen, denn was in dieser Erklärung an Gemeinsamkeiten verkündet wird, ist mehr als ein diplomatischer Schmusekurs; es ist die Dokumentation einer grundsätzlichen Übereinstimmung in allen wesentlichen sicherheits- und rüstungspolitischen Fragen zwischen Berlin und Jakarta. So heißt es in Ziffer 6 der Erklärung:

„Fortsetzung der bestehenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung und Sicherheit durch die Umsetzung des „Memorandum of Understanding on Bilateral Defense Cooperation“ zwischen dem Verteidigungsministerium der Republik Indonesien und dem Bundesministerium für Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, unterzeichnet von beiden Staaten am 27. Februar 2012, insbesondere Zusammenarbeit in der militärischen Ausbildung, Forschung und Entwicklung, humanitärer Hilfe, Katastrophenhilfe, militärischer Logistik, medizinischen Diensten und friedenserhaltenden Missionen.“ (Übersetzung: P.S.)

Indonesien, so hat es den Anschein, wird fast schon so behandelt wie ein x-beliebiges NATO-Partner-Land, dem man nach den hergebrachten Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung deutsche Waffen nach Belieben verkaufen kann. Die Gemeinsame Erklärung wird von keiner Einschränkung etwa auf dem Gebiet der Menschenrechte getrübt. Im Gegenteil: Ein Herz und eine Seele seien auch die deutschen und indonesischen Polizeikräfte auf all ihren Zuständigkeitsfeldern: im Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel, illegalen Handel von Tropenholz, Waffenhandel (!), Menschenhandel, Cyber-Kriminalität, Geldwäsche und Korruption sowie internationaler Wirtschaftskriminalität (siehe Ziffer 7 der Erklärung).

Dass die Bundesregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch auf die langjährige gute Zusammenarbeit mit Jakarta verweist, zeugt von mangelndem historischen Gewissen (oder noch schlimmer: von historischem Wissen!). Seit 1958 bestünden freundschaftliche Beziehungen zwischen der BRD (alt) und den indonesischen Regimen jeglicher Couleur. Dass in solchen Zeiten auch ein Diktator wie Suharto am Werk war, in dessen Namen Hunderttausende von Oppositionellen verfolgt und ermordet wurden, wird gern übersehen. Wurde es doch auch schon seiner Zeit verschwiegen, als Indonesien im Kampf gegen den Kommunismus seinen eigenen internen Kalten Krieg heiß zu führen pflegte. Allein im Jahr der großen Massaker sollen zwischen 400.000 und einer Million Kommunisten und linksgerichteter Studenten ermordet worden sein. Zugleich wurden Einwohner chinesischer Herkunft gnadenlos verfolgt und ermordet – ein frühes Beispiel ethnischer Säuberung, gleichgültig hingenommen vom „freien Westen“.

In dieser Zeit erweiterte das Regime sein Staatsgebiet durch völkerrechtswidrige Annexionen: Osttimor und West-Papua sind hier zu nennen. Suharto trat erst 1998 von seinem Präsidentenamt zurück. Ob sich seither viel geändert hat, ist sehr fraglich. Lediglich Osttimor konnte sich aus der indonesischen Herrschaft befreien. Ansonsten sind in Jakarta dieselben Militärs und Politiker, die damals führend waren in Sachen Menschenrechtsverletzungen, an wichtigen Schalthebeln der Macht. Alex Flor von „Watch Indonesia!“ berichtet:

„Osttimor ist mittlerweile seit 10 Jahren ein unabhängiger Staat. Aber bis heute wurde keiner der verantwortlichen indonesischen Militärs wegen der damals begangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Mutmaßliche Täter wie General Wiranto und der – wegen des Auffahrens von Panzern (!) auf den Regierungspalast im Mai 1998 – unehrenhaft aus der Armee entlassene ehemalige General Prabowo sind heute Vorsitzende populärer politischer Parteien. Wiranto kandidierte vor drei Jahren für das Amt des Vizepräsidenten und Prabowo gilt gar als aussichtsreicher Kandidat für die anstehenden Präsidentschaftswahlen.“ (Siehe: Noch mehr deutsche Panzer für Indonesien.)

Nun behauptet die Bundesregierung in der oben erwähnten Antwort auf die Anfrage der GRÜNEN, dass sich das Regime in Jakarta in den vergangenen zehn Jahren zu einem „demokratischen Staat“ gewandelt und sich keiner Menschenrechtsverletzungen mehr schuldig gemacht habe. Weiter heißt es: „Inzwischen ist Indonesien eine gefestigte Demokratie, in der die Regierung sich nicht nur offen zur Wahrung der Menschenrechte bekennt, sondern deren Einhaltung sich auch in den Streitkräften durchsetzt. Insbesondere bei den indonesischen Spezialkräften nimmt das Thema ‚Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen im Einsatz‘ in der Ausbildung inzwischen breiten Raum ein.“ „Watch Indonesia!“ sieht das anders und kann mit Beispielen aufwarten, die das Gegenteil belegen. So erlag der prominente Menschenrechtsanwalt Munir – er hatte im Jahr 2000 den alternativen Nobelpreis erhalten – im Jahr 2004 auf einem Flug nach Amsterdam einer Arsenvergiftung. Die indonesischen Gerichte sahen sich außerstande, mutmaßlich verantwortliche Täter aus den oberen Rängen des Geheimdienstes zu überführen. Mögliche Täter aus den höchsten Regierungskreisen blieben ebenso straffrei wie im Fall der Verfolgung von Verbrechen, die das Regime früher in seinem Krieg gegen die Opposition in der Provinz Aceh. Eine Wahrheitskommission, die solche Verbrechen aufarbeiten sollte, wurde 2012 ergebnislos wieder aufgelöst. Kein Interesse an der Wahrheit! Und die Situation in den östlichen Provinzen Papua und West-Papua ist Besorgnis erregend. „Watch Indonesia!“: „Extralegale Hinrichtungen stehen auf der Tagesordnung. Weltweit verbreitete Videos zeigen erschütternde Szenen von Folterpraktiken durch Angehörige des Militärs.“

Doch die Bundesregierung scheint sich für die Menschenrechtslage in potentiellen Empfängerländern für deutsches Mordwerkzeug nicht wirklich zu interessieren. Im Vordergrund bei Entscheidungen über Rüstungsgenehmigungen stehen strategische Fragen. Indonesien stellt für Deutschland in Südostasien genauso einen Stabilitätsfaktor dar wie Saudi-Arabien im Nahen und Mittleren Osten. Hier die Bundesregierung auf die Einhaltung ihrer eigenen Rüstungsexportrichtlinien zu verpflichten, diese gar „einklagen“ zu wollen, wie man in Friedens(bewegungs)kreisen mitunter vernehmen kann, stößt allerdings ins Leere. Denn die besagten Richtlinien vom Januar 2000 (damals von Rot-Grün als zivilisatorischer Fortschritt gefeiert) klingen zwar gut, lassen aber alle Ausnahmen zu, die man sich nur denken kann. Die wohl klingenden Absichtserklärungen lauten:

2. Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.
3. Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.“(Abschnitt I Ziff. 2 und 3.)

Doch die angeblich so „restriktive“ Handhabung des Rüstungsexports durch die Bundesregierung wird zur Makulatur, wenn „im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen“ (III, Ziff.2). Es ist eben so, wenn Juristen ein Prinzip formulieren, das „grundsätzlich“ gelten soll: Sofort sind auch Ausnahmen möglich und zulässig.

Und trotz der hilfreichen Kleinen Anfrage der GRÜNEN in Sachen Indonesien bleibt zu konstatieren, dass solche Ausnahmen auch unter Rot-Grün (und danach natürlich auch in der dreijährigen Großen Koalition) auf der Tagesordnung waren. Wenn, wie es in der Antwort der Bundesregierung heißt, im Jahr 2006 „Maschinenpistolen“ und „Zielsuchköpfe für Torpedos“, im Jahr 2007 „Vollautomatische Gewehre“, „Granatpistolen“ und „Torpedos“ nach Indonesien geliefert wurden, dann bedeutet das, dass die Genehmigungen hierfür noch unter Rot-Grün erfolgten. (Zwischen Genehmigung und Lieferung liegen manchmal sogar mehr als nur ein bis zwei Jahre.) Im Bundessicherheitsrat, der solche Genehmigungen erteilt, saßen damals ein grüner Außenminister und eine buchstäblich „rote“ Entwicklungsministerin. Letztere behielt ihr Ministeramt auch unter Kanzlerin Merkel und musste weiter gute Miene zum bösen Exportspiel machen: In den Jahren 2008 bis 2010 wurde munter weiter geliefert. Den Höhepunkt der Rüstungsexporte nach Indonesien bildeten aber die Regierungsjahre der rot-grünen Koalition. Dem Länderbericht „Indonesien“ des Bonner Konversionsinstituts (BICC) zufolge lieferte sie von 1999 bis 2006 Waffen und Kriegsgerät im Wert von insgesamt 101 Mio. EUR nach Jakarta. Darunter befanden sich überwiegend Ausrüstungen für die indonesische Marine (Torpedos, Teile für U-Boote und Kriegsschiffe), aber auch Hubschrauber und Handfeuerwaffen. Das BICC lässt keinen Zweifel daran, dass die Hauptfunktion des indonesischen Militärs im Inneren liegt. „Die primäre Rolle des Militärs liegt weniger in der Bekämpfung von Angreifern von außen sondern vielmehr in der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Einheit des Landes.“ Aufstandsbekämpfung und Repression gegenüber (auch religiösen) Minderheiten mit entsprechenden Menschenrechtsverletzungen stehen hierbei im Mittelpunkt.

Schlussfolgerung 1: Die GRÜNEN sollten aufpassen, wenn sie sich in Sachen Rüstungsexporten moralisch aufplustern. Sie waren es, die – zusammen mit ihren SPD-Minister/innen – fast alle Lieferanfragen im Bundessicherheitsrat durchwinkten. Neben Indonesien gehörten namentlich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistan, die Türkei, aber auch Ägypten, Tunesien, Algerien und andere „Stabilitätsanker“ zu den Empfängern deutscher Waffen.

Schlussfolgerung 2: Es steht zu befürchten, dass die Lieferung von Leopard2-Panzern und von Schützenpanzern Marder nach Indonesien nicht mehr lange auf sich warten lässt. Hier ist die Friedensbewegung gefordert. Krauss-Maffei Wegmann fertigt u.a. in Kassel und München den Leopard, Rheinmetall baut die Schützenpanzer „Marder“ u.a. in Kassel und Kiel. Da der Marder inzwischen als Auslaufmodell gilt und in der Bundeswehr durch den „Puma“ ersetzt werden soll (Fertigung ebenfalls durch Rheinmetall), laufen die von Jakarta gewünschten Marder nicht vom Band, sondern es wird sich – genauso wie bei den 100 Leopard-2-Panzern – um Fahrzeuge aus dem Bestand der Bundeswehr handeln. Von wo sie dann her kommen und wo sie aufs Schiff verladen werden, bleibt herauszufinden.


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