Fischen zur Versöhnung

Südwind-Magazin, März 2008

 

Ende Jänner starb Indonesiens Langzeit-Diktator General Suharto. Im kommenden Mai jährt sich sein Rücktritt zum zehnten Mal. Das Land ist eine Demokratie geworden, doch die Kluft zwischen liberal-moderaten und radikalen orthodoxen muslimischen Strömungen vertieft sich.

 

Jürgen Plank, Andrea Hiller

 

SuedwindDer eiserne General Suharto hat den bevölkerungsreichsten muslimischen Staat der Welt 32 Jahre lang regiert. Seit bald einem Jahrzehnt ist das Land nun demokratisch und hat ein Bündel an Problemen zu lösen: neben der wirtschaftlichen Rezession Naturkatastrophen, separatistische Bestrebungen, religiöse Spannungen und die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen. „Indonesien kämpft noch immer gegen die Armut“, sagt Luthfi Assyaukanie vom Netzwerk Liberaler Islam (JIL). „Manche islamischen Gruppen sprechen vom Islam als einziger Lösung für das Land.“ Das JIL ist ein Zusammenschluss von muslimischen Intellektuellen, die mittels Öffentlichkeitsarbeit den Fundamentalisten die Stirn bieten wollen. Als JIL-Gründer Ulil Abshar Abdallah in einem Zeitungsartikel schrieb, dass der Koran nicht wortwörtlich zu lesen sei, wurde von Fanatikern eine später zurück genommene Todes-Fatwa gegen ihn verhängt – wegen Blasphemie. Dennoch, sagt der deutsche Religionswissenschaftler Dieter Becker, sei im internationalen Vergleich der indonesische Islam als relativ liberal einzuschätzen.

Das indonesische Parlament hat 2002 eine landesweite Einführung der Scharia, der islamischen Rechtsprechung, mit großer Mehrheit abgelehnt. Im Gegensatz zur zentralistischen Regierungspraxis der Suharto-Ära räumt Jakarta seit 1999 den Provinzen und autonomen Regionen weit reichende Selbstbestimmung ein. So ist es möglich, dass in den letzten Jahren auf Distriktebene die Islamisierung zunimmt: „In jüngster Zeit sind in über 20 Provinzen Elemente der Scharia eingeführt worden“, berichtet Becker, der längere Zeit an einer theologischen Hochschule in Indonesien lehrte.

Seit 2005 gilt in der autonomen Region Aceh (siehe nebenstehender Artikel) im nördlichen Sumatra ein Friedensabkommen. Aceh hat eine eigene Fahne und Hymne, darf selbst Steuern einheben und hat sich – im Gegensatz zu Osttimor – für den Verbleib bei Indonesien ausgesprochen. Wie hat sich in Aceh durch die Scharia das Leben der Menschen verändert? 

Die Ära Suharto (1966-1998)

Mittels „gelenkter Demokratie“ hat Suharto Indonesien auf einen säkularen, pro-westlichen Kurs in Richtung Wirtschaftsaufschwung gebracht. Im Zuge der – von den USA und Großbritannien unterstützten – Machtübernahme durch das Militär unter Führung von General Suharto 1965/66 kamen bis zu eine Million Menschen gewaltsam ums Leben – wirkliche und angebliche AnhängerInnen der Kommunistischen Partei, der damals drittgrößten KP der Welt.

Ab den 1980er Jahren sah Suharto seine Macht durch das Militär nicht ausreichend gesichert und suchte eine Stütze im Islam: Muslimische Banken und Tageszeitungen wurden gegründet, das Verschleierungsverbot an Schulen fiel. 1975 setzte Suharto den islamischen Gelehrtenrat Majelis Ulama Indonesia (MUI) ein, um seine Politik in der Gesellschaft zu verankern.
Die Bevölkerung des Inselstaates ist zu 88 Prozent muslimisch.
J.P.

 

„Meist geht es um die im Islam vorgeschriebenen Abgaben für Arme, das Verbot von Alkoholverkauf und Prostitution und das Verbot für Frauen, nachts allein aus dem Haus zu gehen“, sagt David Tulaar vom Evangelischen Missionswerk Südwestdeutschland. Zum ersten Mal kommt es in Aceh 2005 zur Vollziehung eines Scharia-Gesetzes: 15 Glücksspieler werden öffentlich ausgepeitscht. Die Bestrafung ist live im regionalen Fernsehen zu sehen. Bis Ende 2006 wird von 72 Bestrafungen wegen Glücksspiels, Ehebruch und Alkoholkonsums berichtet.

Irwandi Yusuf, der gemäßigte Gouverneur von Aceh, steht der Implementierung des Scharia-Rechtes skeptisch gegenüber: Um überhaupt kandidieren zu dürfen, musste Irwandi aus dem Koran rezitieren – das wird heute auch von Heiratswilligen verlangt. Der ehemalige Rebell spricht sich gegen die Hand-Amputation bei Dieben aus. Er sieht hingegen in einem Erbe aus der Suharto-Zeit, gegen das es keine Scharia-Verordnung gibt, ein größeres Problem: in der Korruption.
Fallweise kommt es zu Auswüchsen, die von den BürgerInnen als Schikanen wahrgenommen werden: In Aceh werden zwei Männer verhaftet, weil sie sich von Frauen die Haare schneiden lassen; auf Java wird eine auf den Bus wartende Frau der Prostitution bezichtigt – sie ist nach 10 Uhr abends alleine am Heimweg von der Fabrik. Luthfi Assyaukanie sieht auch den Abschiedskuss am Flughafen in Gefahr.

Das Misstrauen zwischen ChristInnen und MuslimInnen ist gewachsen und wird teilweise bewusst geschürt. Wie wichtig der Dialog zwischen den Religionen ist, zeigt ein sich vollziehender Wandel in der Gesellschaft: Die Zeiten, in denen Menschen verschiedenen Glaubens miteinander Kirchen und Moscheen errichtet und besucht haben, sind vorbei. Inzwischen haben in Indonesien hunderte religiöse Gebäude gebrannt. Der heute von Konservativen geführte Rat der islamischen Religionsgelehrten (MUI) richtete Ende 2005 eine Fatwa gegen religiösen Liberalismus und Pluralismus, also auch gegen interreligiöse Ramadan– und Weihnachtsfeiern.
Jetzt haben Muslime Angst vor einer christlichen Indoktrinierung an den Schulen, die Christen wiederum befürchten die Errichtung eines muslimischen Staates. Assyaukanie denkt, dass diese Furcht unbegründet ist: „Indonesien hat begriffen, dass die Einführung der Scharia auf Staatsebene nicht funktioniert, das ist in Sudan, in Afghanistan und in Pakistan gescheitert.“ Zudem hätten bei den letzten Parlaments- und Präsidentenwahlen in den Jahren 1999 und 2004 die muslimischen Parteien weniger als 17 Prozent der Stimmen bekommen. „Jetzt, in der Demokratie, setzen die Menschen ihre Hoffnung mehr in ein demokratisches als in ein religiöses System“, so Assyaukanie. Doch Fundamentalisten wie der radikale Jemaah Islamiyah-Prediger Abu Bakar Bashir wollen weiterhin einen islamischen Gottesstaat in Asien errichten.

Gegen die schleichende Islamisierung kommt es längst zu Protesten: Die muslimische Massenorganisation Nahdlatul Ulama (NU) hat 30 Millionen Mitglieder und spricht sich ganz klar gegen die Errichtung eines islamischen Staates aus. Balinesische Politiker haben angekündigt, für die Unabhängigkeit der Urlaubsinsel einzutreten, falls die Scharia im ganzen Land eingeführt werden sollte. Wie vielgestaltig die indonesische Gesellschaft ist, zeigt eine ebenfalls aus Bali verlautbarte Forderung nach einer Hindu-Rechtsprechung, die als Reaktion auf die Diskussion über die islamische Rechtsprechung zu sehen ist. Aus Papua ist der Wunsch nach einer „Scharia Kristen“, einer christlichen Rechtsprechung, zu vernehmen, darin drückt sich der Protest gegen eine nationalstaatliche Vereinnahmung der Region aus.
Für Aceh sieht Samia Dinkelaker von der deutschen Nichtregierungsorganisation (NGO) Watch Indonesia! ein Klima des Misstrauens, in dem freie Meinungsäußerung nicht immer möglich ist. Sie spricht von der Scharia als struktureller Gewalt, wegen der zum Beispiel die Frauenorganisation Flower Aceh ihre Arbeitsstrategie geändert habe: statt Öffentlichkeitsarbeit setzt sie nunmehr verstärkt auf Lobbying. Genau auf diese Weise versucht auch Watch Indonesia! von Europa aus die Lage in Indonesien positiv zu beeinflussen. Die NGO mit Sitz in Berlin macht für die Anliegen von indonesischen NGOs Lobby-Arbeit bei europäischen PolitikerInnen und gibt die Zeitschrift Suara heraus: „Wir sind in ständigem Kontakt mit Umwelt- und Frauengruppen wie Flower Aceh„, sagt Dinkelaker. Für eine friedliche Zukunft sieht sie die Notwendigkeit, „dass die teilweise brutale Vergangenheit Indonesiens richtig aufgearbeitet wird“.

Während des vom Militär gestützten Suharto-Regimes sind staatlicherseits schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen. Diese haben jedoch bisher selten zu Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft geführt. Nichtregierungsorganisationen haben mehrfach das – inzwischen wieder aufgehobene – Gesetz Nr. 27/2004 zur Errichtung einer Kommission für Wahrheit und Versöhnung kritisiert: Die Anwendung des zahnlosen Gesetzes hätte für die Verantwortlichen von schweren Menschenrechtsverletzungen de facto zu Straffreiheit geführt. Manfred Nowak, aus Österreich stammender UN-Sonderberichterstatter für Folter, besuchte im vergangenen November Indonesien und stellte wohl eine Verbesserung der Menschenrechtslage fest, ebenso aber die immer noch verbreitete Anwendung von Folter. Er wünscht sich von Indonesien die Unterzeichnung des Aktionsprotokolls zur Konvention gegen Folter. Die NGO Peace Brigades International (PBI) hält vor Ort Workshops zum Thema Friedenserziehung ab, in denen Methoden zur gewaltfreien Konfliktlösung unterrichtet werden.
„Das Misstrauen zwischen Christen und Muslimen muss in gegenseitiges Verstehen verwandelt werden“, sagt Assyaukanie.
David Tulaar, der Indonesienreferent des Evangelischen Missionswerkes in Deutschland, berichtet von dem deutschen Projekt „Fischen versöhnt“ auf Halmahera, das den interreligiösen Dialog fördert: Dort sitzen jetzt muslimische und christliche Fischer zusammen in einem Boot und arbeiten miteinander. „Indonesien befindet sich auf einem guten Weg“, ist Luthfi Assyaukanie zuversichtlich. Er gesteht dem Land der 13.000 Inseln noch 10 bis 15 Jahre zur Stabilisierung der Demokratie zu. Eine Zeit, die auch für die Aufarbeitung der Suharto-Ära genutzt werden sollte.

Jürgen Plank ist Kultur- und Sozialanthropologe, Autor und Musiker; Andrea Hiller ist Kultur- und Sozialanthropologin mit Schwerpunkt Indonesien sowie Kulturvermittlerin. Beide nahmen an einer Indonesien-Tagung des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland (EMS) im vergangenen November in Stuttgart teil.


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