Geiseln für das Weltgewissen

taz, 12. Januar 1996

Die „Organisation Freies Papua“ hat in Neuguinea ein Wissenschaftlerteam entführt. Sie kämpft seit Jahren gegen den Ausverkauf ihres Landes

von Thomas Ruttig

tazBei uns ist das wie mit Shell in Nigeria. Wir haben das Landrechtsproblem, wir haben das Problem der Umweltzerstörung, die Wälder sterben, die Flüsse werden vergiftet, die Menschen umgesiedelt und viele ermordet. Über Nigeria wird nur mehr geredet. Strukturell ist das bei uns genau dasselbe.“ Der das sagt, ist Ottis Simopiaref, Europa-Vertreter der „Organisasi Papua Merdeka“ (Organisation Freies Papua). Die OPM kämpft seit den sechziger Jahren bewaffnet für ein unabhängiges Westpapua und gegen den Ausverkauf ihres Landes.

Der Kampf blieb von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Doch seit Montag macht die OPM Schlagzeilen: Sie hat in der Provinz Irian Jaya vierzehn Menschen entführt, darunter sieben Wissenschaftler aus Westeuropa. Die Geographen und Biologen untersuchten ein Gebiet, das als Nationalpark ausgewiesen werden soll. Es liegt in unmittelbarer Nähe zu der Bergarbeitersiedlung Timika auf der Westhälfte Neuguineas, der zweitgrößten Insel der Welt, die seit 1963 zur Hälfte Indonesien gehört. Dort baut PT Freeport Indonesia, eine Tochter des US-Konzerns Freeport McMoran, seit 1967 auf 10.000 Hektar Kupfer, Gold und Silber ab.

Vor vier Jahren erwarb Freeport bei der Regierung in Djakarta eine Lizenz zur Erweiterung dieser bereits jetzt zweitgrößten Kupfermine der Welt – um 2,5 Millionen Hektar. Schon vorher hatten die dort lebenden fünf indigenen Völker gegen Freeport protestiert. Die Amungme, das größte von ihnen, forderten in ihrer letzten Stellungnahme die Einstellung aller Aktivitäten der Mine, bis ihre Landrechte anerkannt werden. Djakarta tut das aber nur bei kultiviertem Boden; der Dschungel gilt als „freies Land“ in Staatsbesitz. Die Amungme haben schlicht keinen Nutzen von der Mine. Nur 4 Prozent der 17.000 Freeport-Angestellten sind Simopiaref zufolge Einheimische, und die verrichten nur die niedrigsten Arbeiten. Normalerweise ernähren sie sich von dem, was der Dschungel ihnen bietet: Beeren und Wild. Doch der soll nun abgeholzt werden. Auch eine Klage der indonesischen Umweltorganisation WALHI gegen den Ökofrevel wurde Ende letzten Jahres abgeschmettert, aus formalen Gründen, so Alexander Flor von der deutschen Menschenrechtsgruppe „Watch Indonesia“. Vielsagend setzt er hinzu: „Freeport ist der größte Steuerzahler Indonesiens.“

Für die Company ist der Weg jetzt frei, in einer ersten Erweiterungsphase bis zum Jahr 2000 100.000 Hektar Dschungel zu roden. Bis jetzt mußten schon 1.200 Papuas den Rodungsmaschinen weichen. Kotabaru, eine weitere

Bergarbeiterstadt, entstand. Wie viele Papuas von den Zwangsumsiedlungen insgesamt betroffen sein werden, weiß auch „Watch Indonesia!“ nicht.Seit 1994, berichtet amnesty international, hat sich der Widerstand der Indigenen gegen die Freeport-Mine verstärkt, zum Teil mit Unterstützung der OPM. Immer wieder kam es dabei zu Zusammenstößen mit dem indonesischen Militär, das verstärkt wurde, nachdem im Juli 1994 OPM-Guerillas in der Nähe der Mine auftauchten. Mindestens siebzehn Papuas sind von Soldaten erschossen worden, vier sind verschollen, Hunderte flohen in den Dschungel und bekämpfen die Soldaten zum Teil mit Pfeil und Bogen.

Viel besser bewaffnet ist auch die OPM nicht. Aber ihre 500 Kämpfer, wie Simopiaref sagt – die Indonesier schätzten 200 -, halten sich immerhin schon seit Mitte der sechziger Jahre gegen die weit überlegenen Indonesier. Für Ottis Simopiaref sind bewaffnete Aktionen ohnehin nur „Zeichen des Protests“, weil politische Aktivitäten bis vor kurzem unmöglich waren.Nach dem Juli-Vorfall von Timika wurden erstmals Übergriffe der indonesischen Armee und Polizei auch in Westpapua dokumentiert, vom katholischen Bischof von Jayapura, H.F.M. Munninghoff, von einer australischen Regierungsdelegation und sogar von der staatlichen indonesischen Menschenrechtskommission Komnas HAM. Die OPM hofft auf weitere internationale Resonanz: „Vor dem Dili-Massakar von 1991“, sagt Simopiaref, „wußte im Westen auch niemand etwas von Ost-Timor.“ <>


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