Ein Völkermord, der nur selten Beachtung findet

Frankfurter Rundschau, 24. Oktober 1996

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Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an José Ramos-Horta, den Sprecher der Dachorganisation von Unabhängigkeitsgruppen Osttimors, und den Bischof von Osttimor, Carlos Belo, ist das von Indonesien annektierte Land ins Rampenlicht gerückt. Vor dem Hintergrund der Preisvergabe und des Besuchs von Kanzler Kohl am Freitag in Indonesien, haben Monika Schlicher und Rolf Weiß von der Organisation Watch Indonesia! die Lage in Osttimor und Indonesien beschrieben. Wir dokumentieren ihren Text leicht gekürzt.

„Kommen Sie nach Osttimor und sehen Sie, wie es wirklich ist, wir werden nichts verdecken.“ Mit diesen Worten lud der indonesische Informationsminister Harmoko die Journalisten 1994 nach Osttimor ein. Und sie kamen und sahen wie es wirklich ist: Ein junger Osttimorese dolmetschte einem ARD-Kamerateam. Beim Zusammenstoß zwischen Demonstranten/ innen und Polizeikräften am 12. November 1994 half er ihnen, den Weg in das Hotel zurückzufinden. Bei dem Versuch, indonesischen Sicherheitskräften zu erklären, daß er nicht an der Demonstration teilgenommen hat, sondern nur den Journalisten behilflich gewesen sei, schlugen sie ihn vor den Augen der deutschen Journalisten zusammen. Diese entzogen ihn den Sicherheitskräften und schleppten ihn ins Hotel zurück, um ihn dann mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes ins Krankenhaus zu bringen. Philipp Short, Korrespondent der BBC: „Er war unglaublich zugerichtet. Sein ganzer Rücken war blutüberströmt, und eine Hälfte seines Gesichts war dick angeschwollen. Sie haben fast den letzten Funken Leben aus ihm rausgeprügelt – er verdankt sein Leben der deutschen Filmcrew.“ Alltag in Osttimor. Seit fast nunmehr 21 Jahren wehren sich die Menschen gegen die gewaltsame Einverleibung ihres Landes durch Indonesien. Die indonesischen Streitkräfte sind am 7. Dezember 1975 in die ehemalige portugiesische Kolonie eingefallen mit Billigung der westlichen Regierungen. Gerade nach dem Verlust Indochinas war Indonesien für die westlichen Regierungen ein politisch und strategisch wichtiger Partner. Die politisch instabile Lage nach Abzug der Portugiesen ließ Indonesien ein Kuba vor der eigenen Haustür befürchten. Doch die indonesischen Streitkräfte kamen nicht als Befreier nach Osttimor, und sie bleiben als Besatzer: Sie gingen bei der Invasion äußerst brutal vor und sie stießen auf erbitterten, nicht erwarteten Widerstand, der bis heute anhält.

Die Vereinten Nationen haben die Annexion nie anerkannt; völkerrechtlich gilt die Dekolonisation Osttimors als unterbrochen: de jure ist noch immer Portugal die Verwaltungsmacht, de facto hält Indonesien das Gebiet besetzt. Seit der Invasion sind ca. 200.000 Osttimoresen/innen – 1/3 der Bevölkerung – an den Folgen des Krieges, durch Terror und Gewaltakte, an Hunger und Krankheit gestorben. Ein Völkermord, vergleichbar dem in Kambodscha unter Pol Pot und seinen Roten Khmer; mit dem Unterschied, daß Osttimor in den Medien der westlichen Welt nur selten Beachtung fand. (…)
Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo und an José Ramos Horta, hat das Preiskomitee dieses Jahr das Augenmerk auf das scheinbar so weit entfernte Osttimor gelenkt. (…)

Das Massaker von Santa Cruz

Dominierte bis etwa Mitte der 80er Jahre der bewaffnete Widerstand der Guerilla in Osttimor, so tritt heute der zivile Widerstand in den Städten in den Vordergrund, der Züge einer nationalen Bewegung trägt. Aktiv getragen wird er von jungen Leuten, die unter der indonesischen Herrschaft aufgewachsen sind. Dem indonesischen Repressionsapparat zum Trotz nutzen sie jede Gelegenheit zu öffentlichen Protestaktionen und strafen so die indonesische Propaganda von einer erfolgreichen Integration Lügen. Um der gewandelten Form des Widerstandes Rechnung zu tragen, wurde 1988 der Nationale Widerstandsrat Osttimors (CNRM) ins Leben gerufen; ein breites, jedem offenstehendes Widerstandsbündnis, ein Dachverband, der alle Gruppierungen vertritt, die für das Selbstbestimmungsrecht der Osttimoresen/innen eintreten. José Ramos-Horta ist Sprecher des inhaftierten Führers des osttimoresischen Widerstandes Xanana Gusmão. Er setzt sich auf internationaler Ebene unermüdlich für eine friedliche Losung des Konfliktes ein.

Seit 21 Jahren herrscht in Osttimor ein Klima der Angst und des Terrors: Menschen verschwinden, werden verhaftet, gefoltert und mißhandelt, vergewaltigt und ermordet. Traurige Berühmtheit erlangte die Demonstration am 12. November 1991 – besser bekannt als das Massaker von Santa Cruz. Das Militär schoß damals ohne Vorwarnung in einen friedlichen Demonstrationszug.

Nach dem Massaker, ging das Morden im Militärhospital weiter, wohin die Verwundeten gebracht wurden. João Antonio Dias, 27 Jahre alt, arbeitete am 12. November 1991 im Militärhospital. Es ist ihm gelungen, aus Osttimor zu fliehen. 1993 sagte er vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf aus:

„17 Militärlastwagen – sieben Mercedes-Benz Lkws aus Deutschland und zehn Hinos aus Japan – brachten die Verwundeten gegen 8 Uhr morgens ins Militärhospital, wo ich arbeitete. Die Körper waren wahllos aufeinandergeworfen. Die Soldaten warfen die Körper auf den Hof. Diejenigen Timoresen/innen, die noch am Leben waren, fingen an zu schreien, sie baten um Hilfe und riefen nach ihren Eltern. Die Soldaten hingegen traten auf die Verwundeten ein, schlugen sie mit ihren Gewehrkolben, und mit schweren Steinen zertrümmerten sie ihnen die Schädel. Andere wiederum überfuhren sie einfach mit Militärlastwagen. Sie brachten die Opfer in die Leichenhalle, die jedoch nicht groß genug für alle war. Einige der Verletzten lebten noch immer. Sie schrien laut vor Schmerzen.“ (…)

Danach wurden die Toten völlig entkleidet. Die Soldaten wickelten sie in große weiße Tücher ein und warfen sie auf die bereitstehenden Militärlaster. Sie fuhren fort und bis heute weiß niemand, wohin die Leichen gebracht wurden. (…)

Mehr als 270 Menschen starben an diesem Tag, von vielen anderen fehlt bis heute jede Spur. Das Santa-Cruz-Massaker war keine Einzelaktion oder gar ein Unfall – es war lediglich ein weiteres Massaker in der leidvollen Geschichte Osttimors unter indonesischer Herrschaft. Nur durch die zufällige Anwesenheit von Journalisten sorgte der Vorfall weltweit für Bestürzung.

1994 beschließt die UN-Menschenrechtskommission, den UN-Sonderberichterstatter für extralegale, summarische und willkürliche Tötungen, Bacre Waly Ndiaye, nach Osttimor zu schicken, um das Santa-Cruz-Massaker zu untersuchen. Er kommt zu dem Schluß, daß Santa Cruz keineswegs ein Unfall war, wie es die indonesische Regierung und ihre westlichen Verbündeten immer wieder betonten, sondern eine gezielte militärische Aktion, für die die Regierung und die Streitkräfte die volle Verantwortung tragen. Vor allem seien die Bedingungen, die damals das Töten erlaubt haben, auch heute noch gegeben sind. (…)

Bischof Belo hat die westlichen Regierungen angeklagt, bewußt Zahl und Ausmaß der durch die indonesische Armee verübten Massaker zu verdecken. Die indonesische Regierung hat diese Anschuldigung zurückgewiesen. Bischof Belo zweifelt jedoch nicht an der Glaubwürdigkeit der Augenzeugen:
„Als ich am 12. November um 11 Uhr die Verwundeten im Krankenhaus besuchte, lagen dort mehrere hundert. Als ich am darauffolgenden Tag wieder kam, waren es nur noch neunzig. Augenzeugen berichteten mir, daß die Tötungen der Verletzten um 8 Uhr abends begannen und die meisten zwischen 2 und 3 Uhr morgens vonstatten gingen, als in der Stadt plötzlich das Licht ausging. Westliche Regierungen reagierten nicht auf die Anschuldigung. Und nicht nur im Hospital wurde an diesen Tagen getötet. Auch außerhalb Dilis gab es Hinrichtungen.“

Osttimor zeigt heute alle klassischen Symptome kolonialer Beherrschung: Die timoresische Bevölkerung ist in der Mehrheit nicht nur vom politischen, sondern auch vom wirtschaftlichen Prozeß des Landes ausgeschlossen. Die indonesische Regierung argumentiert gerne, daß ihre Herrschaft über Osttimor gerechtfertigt sei, weil sie enorme Summen in den Aufbau der Provinz stecke und so zur Entwicklung beigetragen habe, wie es Portugal in 400 Jahren Kolonialherrschaft nicht vermocht habe.

Osttimor – Kolonie Indonesiens

Doch Fremdherrschaft legitimiert sich nicht durch die Summe der Gelder, die in eine Provinz gepumpt werden. Der Vertrieb von Exportprodukten, wie z.B. Kaffee, ist fest in den Händen von Firmen, hinter denen sich ranghohe Vertreter der indonesischen Armee verbergen. Vergleichbar der chinesischen Politik in Tibet, fordert die indonesische Regierung den Zuzug von Indonesiern, um ihre Herrschaft zu stabilisieren. Auf ca. 100.000 wird die Zahl der Neusiedler geschätzt. Über Landbesitzrechte setzt man sich rigoros hinweg. Die Osttimoresen/innen werden vor allem im wirtschaftlichen Bereich mehr und mehr an den Rand gedrängt. Die Arbeitslosigkeit ist unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders hoch. Weniger als 20 Prozent der Arbeitsplatze in der öffentlichen Verwaltung sind mit Osttimoresen/innen besetzt. (…)

Auch in der kleinen Gruppe von Osttimoresen, die ursprünglich vehement für die Integration war und eng mit den indonesischen Behörden zusammenarbeitet, wächst die Unzufriedenheit: Das, was Indonesien als Integration bezeichnet, sei nichts weiter als eine militärische Annexion. Die Prointegrationsgruppe, zu der auch der Gouverneur Abilio Soares zählt, macht sich für Autonomie stark. Doch es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was Autonomie bedeutet. Abilio Soares und seine Gruppe verstehen unter Autonomie größere Freiheit und mehr Entscheidungsbefugnis innerhalb Indonesiens und eine Provinzregierung, in der Osttimoresen dominieren. Nach Auffassung von Bischof Belo bedeutet Autonomie für die Mehrheit der Osttimoresen den ersten Schritt auf dem Weg zur Selbstbestimmung.

Gewalt gegen Frauen

In Osttimor leben wir mit der Angst – so beschreiben osttimoresische Frauen ihre Situation. Zum Repertoire des Terrors der indonesischen Besatzungstruppen in Osttimor zählte von Anbeginn der Invasion bis heute systematische Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Mißbrauch von Frauen und Mädchen. Die Täter werden strafrechtlich nicht verfolgt – Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch dienen als Mittel der Kriegführung, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern, zu erniedrigen und zu terrorisieren. Andere Formen des Mißbrauchs an Frauen sind die Zwangssterilisation und die erzwungene Teilnahme am Familienplanungsprogramm der indonesischen Regierung.

„Ich habe den Eindruck, die indonesischen Soldaten haben keine Moralvorstellung, keine Menschlichkeit. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist es, Frauen vor den Augen ihrer Ehemänner und manchmal sogar vor den Augen ihrer Kinder zu vergewaltigen. Es sind nicht so sehr die körperlichen, wie die seelischen Schäden, die sie den Menschen in Timor damit zufügen; die Soldaten nehmen ihnen jegliche Würde. Ich sagte zu indonesischen Offizieren, habt ihr keine Mutter, keine Schwestern, wißt ihr denn nicht, was es heißt menschlich zu sein?“

Die Anklage von Monsignore Martinho da Costa Lopes, dem Vorgänger von Bischof Belo in Osttimor, verhallte ungehört; doch die Kirche in Osttimor wurde zum Zufluchtsort und Sprachrohr der Bevölkerung in einer Zeit, wo eigenes Aufbegehren gegen Unrecht und Willkür automatisch als Zugehörigkeit zum Widerstand gerechnet wird. Vom Zeitpunkt der Invasion an, war die Residenz des Bischofs voll von jungen timoresischen Mädchen, die Zuflucht suchten und fanden vor den indonesischen Invasionstruppen. (…)

Häufig werden Frauen in Osttimor anstelle ihres Mannes oder sonstiger Familienmitglieder verhaftet, die als Aktivisten der Widerstandsbewegung verdächtigt werden. Die indonesischen Soldaten verlangen Informationen über den Widerstand und versuchen durch die Inhaftierung der Frau an den Mann, Bruder oder Sohn heranzukommen und ihn zur Aufgabe zu bewegen – sei er nun aktiver Widerstandskämpfer oder nicht. (…)

Die Frau des osttimoresischen Widerstandsführers Xanana Gusmão bot eine besondere Zielscheibe für die Sicherheitskräfte. Emilia Gusmão wurde ständig unter Druck gesetzt, den Widerstand zu verraten. Sie sollte der Köder sein. Ständig wurde sie bedroht: Die Soldaten haben sie beleidigt, ihr ins Gesicht gespuckt und ihr einen Gewehrlauf vor den Augen ihrer beiden Kinder an die Schläfe gehalten und sie gefragt, wie sie sich wohl fühlen wurde, wenn ihre Kinder verschwänden. Wut, Haß und Ohnmacht bestimmten Emilia Gusmãos Gefühle. Die Soldaten gingen bei ihr ein und aus, als sei es ihr eigener Besitz. Dies ging soweit, daß sie mit einem ihrer Kollaborateure zusammenleben mußte, was, wie sie sagt, sehr schwer und unglaublich widerwärtig war.

Frauen sind Leidtragende und Betroffene der völkerrechtswidrigen Besetzung Osttimors durch Indonesien auf vielfältige Weise. In unzähligen Familien sind es die Frauen, die für das wirtschaftliche Überleben der Familie sorgen müssen. Ihre Männer wurden von indonesischen Streitkräften ermordet, sie verschwanden oder sind im Gefängnis. Von körperlichen Verletzungen einmal abgesehen, hinterlassen Vergewaltigungen nicht nur das Gefühl von Erniedrigung und Ohnmacht, sondern verursachen darüber hinaus oftmals lebenslange seelische Schäden. Die psychische Belastung, der die Menschen in Osttimor seit 20 Jahren ausgesetzt sind, ist ohnehin sehr hoch: fast jeder hat Familienangehörige verloren, viele waren gezwungen an unsagbaren Greueltaten teilzunehmen, Familien und Dorfgemeinschaften wurden auseinandergerissen durch die indonesische Umsiedlungspolitik.

Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch sind keine schmutzigen oder bedauerlichen Zwischenfälle, die von einzelnen begangen werden: Es sind Maßnahmen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung, die mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit, Stabilität und Einheit gerechtfertigt und über die geltenden Gesetze gestellt werden, nach denen Folter und Mord durchaus strafbar sind. (…)

Die Lage in Indonesien

In Indonesien erkennen immer mehr Menschen, daß eine pluralistische und demokratische Gesellschaft in Indonesien ohne eine gleichzeitige Lösung des Osttimor-Konfliktes nicht möglich ist. Nachdem Osttimor innenpolitisch jahrelang ein absolutes Tabu war, zeigt sich die indonesische Opposition langsam solidarisch mit den Osttimoresen. Haben sie doch beide mit den gleichen Problemen zu kämpfen: der fundamentalen Mißachtung grundlegender Menschenrechte.

Fünf Tote und 149 Verwundete, so lautet die traurige Bilanz der gewaltsamen Räumung des Büros der Demokratischen Partei Indonesiens, PDI, am 27. Juli 1996. In einem kürzlich vorgelegten Abschlußbericht der von Staatspräsident Suharto ins Leben gerufenen nationalen Menschenrechtskommission KOMNAS HAM werden weitere 23 Personen als vermißt aufgeführt. KOMNAS HAM läßt keinen Zweifel daran, daß viele der Vermißten nie mehr auftauchen werden.

In den frühen Morgenstunden des 27. Juli hatten sich etwa 800 Leute vor dem PDI-Parteibüro in Jakarta versammelt und begannen, das Gebäude mit Steinen und Molotowcocktails zu bewerfen. Der Angriff der in den Parteifarben der PDI gekleideten Menge galt Anhängern der im Juni ihres Amtes enthobenen Vorsitzenden Megawati Sukarnoputri, die das Gebäude seit Wochen besetzt gehalten hatten. Megawati, eine Tochter des ersten Staatspräsidenten Sukarno, war bei der Regierung in Ungnade gefallen, nachdem sie von der wachsenden Opposition im Lande zur Leitfigur der Demokratiebewegung hochstilisiert worden war.

Der Angriff auf das Parteigebäude war offenbar von langer Hand geplant. Von Anfang an waren Polizei, Militär und Feuerwehrfahrzeuge zur Stelle, griffen aber erst Stunden nach Beginn der gewaltsamen Übegriffe in das Geschehen ein. Hand in Hand mit der angreifenden Menge stürmte die Polizei schließlich das Gebäude, wobei sie mit größter Brutalität gegen die Anhänger Megawati Sukarnoputris vorging. Mindestens zwei Menschen wurden erschlagen, eine weitere Person erschossen.

Dr. Baharrudin Lopa, Mitglied der nationalen Menschenrechtskommission, nannte den Angriff einen kriminellen Akt. „Alle Beteiligten müssen dazu vernommen werden, einschließlich Soerjadi“, erklärte er. Soerjadi ist der von der Regierung eingesetzte neue Vorsitzende der PDI, als dessen Anhänger sich die Unruhestifter ausgegeben hatten. Die Menschenrechtskommission zeigte sich befremdet darüber, daß unter 124 Festgenommenen, die sich jetzt wegen Gewalttätigkeiten vor Gericht verantworten müssen, kein einziger aus der Gruppe der Angreifer befindet. Soerjadi selbst lehnt jede Auskunft über Beteiligte aus seinen Reihen ab.

Die Räumung der PDI-Zentrale war Auslöser der schlimmsten Unruhen, die Jakarta in den letzten 20 Jahren erschüttert haben. Bis zum Mittag hatten sich mehrere tausend Menschen versammelt, die Stimmung war gereizt und schlug bald in offene Aggression und Gewalt um. 30 Gebäude, darunter Banken, Geschäfte und Ministeriumsgebäude, und zahlreiche Fahrzeuge gingen in Flammen auf.
In den folgenden Tagen blieb die Lage gespannt. Die Furcht vor neuen Ausschreitungen ließ Zweifel an der Stabilität der Regierung Suharto laut werden. Die internationalen Börsen reagierten mit einer deutlichen Abwertung der Landeswährung Rupiah und mit Kurseinbrüchen für Aktien führender indonesischer Unternehmen.

Mit drakonischen Maßnahmen versuchte die Regierung den Glauben in die politische Stabilität Indonesiens wiederherzustellen. Am 30. Juli erließ Jakartas Militärkommandant Sutiyoso einen Schießbefehl gegen alle „Unruhestifter“.

Regierung und Militär beschuldigten die oppositionelle Volksdemokratische Partei, PRD, die Unruhen mit dem Ziel eines politischen Umsturzes geschürt zu haben. Die lediglich ein paar hundert Mitglieder – vorwiegend Studenten und Jugendliche – zählende aber straff organisierte PRD wird von der Regierung als Neuauflage der Kommunistischen Partei angesehen. Damit war der Startschuß zu einer wahren Hexenjagd auf PRD-Mitglieder gegeben, die düstere Erinnerungen an den militanten Antikommunismus wach werden ließ, dem in den sechziger Jahren Hunderttausende Indonesier/innen zum Opfer gefallen waren. Diese Erinnerung ist in Indonesien noch immer ein wirksames Mittel, um jeden Widerstand gegen das System im Keim zu ersticken.

Ehemalige politische Häftlinge

Viele angebliche Sympathisanten der verbotenen Kommunistischen Partei, PKI, saßen jahrelang ohne Prozeß in Gefängnissen und Straflagern. Einige Dutzend befinden sich bis heute in Haft, zum Teil in Todeszellen. Alt und gebrechlich müßten die meisten von ihnen längst wegen Haftunfähigkeit entlassen werden. Doch letztes Jahr an Präsident Suharto gestellte Gnadengesuche wurden barsch abgelehnt. Statt dessen wurde mit der baldigen Exekution der zum Tode verurteilten Langzeithäftlinge gedroht.

Den Alltag als Gefangener in einem indonesischen Straflager beschreibt der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer in seinem Werk. Er war selbst viele Jahre Gefangener auf der Insel Buru. Das gesamte Werk des international geachteten Autors, der bereits mehrfach für den Literaturnobelpreis nominiert wurde, ist in Indonesien verboten. Als Pramoedya in Zusammenhang mit den Unruhen vom Juli als Zeuge vor Gericht geladen wurde, verweigerte er hartnäckig jede Aussage: „Diese Regierung akzeptiert mich nicht einmal als Staatsbürger. Die fragen mich, ob ich Steuern zahle. . . . Mir wurde 1965 alles genommen, mein Haus, meine Einrichtung, meine Manuskripte – ich habe nie dafür eine Entschädigung bekommen.“ Der Vermerk „Ex Tapol“ im Personalausweis macht ehemalige politische Häftlinge jedem Angestellten auf einer Behörde als solche kenntlich. Dieser Vermerk soll nun abgeschafft werden.

Doch die Diskriminierung der ehemaligen politischen Häftlinge dauert an: Sie haben kein Recht zu wählen, sie dürfen keiner gesellschaftlichen Organisation angehören, ihre bürgerlichen Rechte sind gleich Null. „Etwa eine Million Leute sind davon heute noch betroffen“, schätzt ein ehemaliger Häftling, der bis zu ihrem Verbot die Bücher Pramoedyas verlegt hat.

Angesichts der brutalen Mißachtung grundlegendster demokratischer Rechte durch den Erlaß des Schießbefehls auf Demonstranten und dem unmißverständlich geäußerten Kommunismusverdacht gegen die PRD befindet sich die gesamte Demokratiebewegung Indonesiens in einer schweren Krise. Mindestens 34 führende Mitglieder der PRD wurden inzwischen festgenommen. Ihnen droht eine Verurteilung nach dem berüchtigten Anti-Subversionsgesetz, von dem seit Jahren kein Gebrauch mehr gemacht worden war.

Dieses Gesetz erlaubt eine praktisch unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne förmliche Anklage durch die Staatsanwaltschaft, ohne Prozeß und ohne Rechtsbeistand. Im Falle der Verurteilung wegen Subversion droht als Höchstmaß die Todesstrafe. Die Welle der Verfolgung beschränkt sich nicht auf die PRD allein. Aus dem gesamten Spektrum der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung Indonesiens hat kaum jemand die Möglichkeit, zu den jüngsten Ereignissen Stellung zu nehmen, ohne sich damit selbst in Verdacht zu bringen. Fast alle namhaften Vertreter der Bewegung wurden bereits zum Verhör gebeten. Es herrscht ein Klima der Angst. Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, Anwälte, Journalisten, Kirchenvertreter und Gewerkschafter – alle werden sie verdächtigt, mit der PRD gemeinsame Sache gemacht zu haben. (…)

Die Presse: Schere im Kopf

Erneut unter Beschuß geraten sind auch Journalisten, die sich dem Ideal der Pressefreiheit verpflichtet sehen. Ein beliebtes Mittel der Einflußnahme auf die Medien ist die sogenannte Telefonkultur. Militärs oder hohe Beamte bestellen Zeitungsredakteuren per Telefon, was sie am nächsten Tag gerne in welcher Form in der Zeitung lesen möchten und was nicht. (…)
Indonesische Journalisten wissen sehr gut, was ihnen droht, wenn sie sich gegen derartige Einflußnahmen sperren. 1994 mußten Tempo, Editor und Detik, drei der größten Wochenmagazine Indonesiens, schließen, weil sie kritisch über den Kauf deutscher Kriegsschiffe berichtet hatten. Auf die Medienlandschaft Indonesiens hatte dieses Verbot in etwa die Wirkung, die in Deutschland ein gleichzeitiges Verbot von Spiegel, Zeit und Frankfurter Rundschau hätte. (…)

Nach dem Verbot der drei Zeitschriften gründeten die arbeitslos gewordenen Mitarbeiter zusammen mit anderen Journalisten die Allianz unabhängiger Journalisten (AJI), eine Art Mediengewerkschaft. Doch Indonesiens Regierung erkennt nur den staatlichen Journalistenverband PWI an und entzog allen Mitgliedern von AJI die Akkreditierung, was einem Berufsverbot gleichkommt. Redaktionen wurden unter Druck gesetzt, sich von Mitarbeitern, die AJI angehören, zu trennen. Vor wenigen Tagen wurde ein Schreiben bekannt, das als letzte Verwarnung für das Wochenmagazin D & R (Detektif & Romantika) zu verstehen ist. D & R hat sich in letzter Zeit mit einigen kritischen Interviews einen Namen gemacht. Nun muß das Magazin um seine Existenz bangen.

AJI und andere Organisationen reagierten auf die zunehmende Zensur mit der Herausgabe von Alternativmedien, für die gar nicht erst versucht wurde, eine Lizenz zu erhalten.
Zeitschriften wie Independen und Kabar dari Pijar wurden als interne Mitteilungsblätter für Mitglieder vertrieben, wofür nach dem Gesetz keine Lizenz notwendig ist. Doch aufgrund der großen Nachfrage nach unzensierter Berichterstattung erfreuten sich diese Zeitschriften schnell einer wachsenden Leserschaft. Die Journalisten Eko Maryadi, Ahmad Taufik und Triagus Siswodihardjo sowie der Bürogehilfe Danang verbüßen zur Zeit mehrjährige Haftstrafen, weil sie solche Alternativmedien produziert und vertrieben haben.

Sri Bintang Pamungkas

Selbst vor den mehrfach auf ihre Staatstreue überprüften Parlamentsabgeordneten macht politische Verfolgung in Indonesien nicht halt. Dr. Sri Bintang Pamungkas wurde im vergangenen Jahr sein Abgeordnetenmandat entzogen, weil er gewagt hatte, kritische Fragen an den Finanzminister zu richten. Sri Bintang nutzte die Zeit des Ausschlußverfahrens für einen Besuch in Deutschland, wo er an mehreren Universitäten Vorträge zur Wirtschaft Indonesiens hielt.

Im Mai diesen Jahres wurde Sri-Bintang Pamungkas zu 34 Monaten Haft verurteilt. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, während eines Vortrages am 9. April 1995 an der TU Berlin „beleidigende Äußerungen gegen das Staatsoberhaupt, Präsident Suharto“ gemacht zu haben. (…)

Der internationalen Empörung über seinen Fall ist es zu verdanken, daß Sri Bintang sich bis zum Urteil über das noch laufende Berufungsverfahren auf freiem Fuß befindet. Geschickt nutzte Sri Bintang die ihm zugewachsene Popularität, um das System auf seine Weise herauszufordern. Nur drei Wochen nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung gründete er eine eigene politische Partei, PUDI (Partai Uni Demokrasi Indonesia), um ein Zeichen zu setzen gegen die Beschränkung der Parteienlandschaft auf nur drei zugelassene Parteien. Am 10. Oktober erklärte er sich zum Präsidentschaftskandidaten – ein Protest gegen die sich immer wiederholende Alleinkandidatur Präsident Suhartos. Die Sympathien im indonesischen Volk sind Sri Bintang sicher. Allein, er hat keine Chance, gegen das herrschende System anzukämpfen. (…) <>


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