- Publikationen
- Information & Analyse
- Pressemitteilungen & Offene Briefe
- Berichte & Petitionen
- Informations- und Bildungsmaterialien
Indonesia Gelap: Protestbewegung gegen Militarisierung der Gesellschaft
Die Reihe von Maßnahmen, die die Regierung Prabowo-Gibran in ihren ersten 100 Tagen ergriffen hat, zeigt ein deutliches Muster: eine zunehmende Stärkung der oligarchischen Dominanz und eine Schwächung der zivilen Vorherrschaft. Von der intransparanten Gründung des Investmentfonds Danantara bis hin zur Änderung des TNI-Gesetzes, das die Rückkehr der militärischen Doppelfunktion ermöglicht – all diese Entwicklungen deuten auf eine Machtverschiebung hin, die die Interessen der Oligarchie und des Militärs stärkt. Die Regierung missachtet nicht nur die Prinzipien der öffentlichen Rechenschaftspflicht, sondern schafft auch Strukturen, die die Interessen einiger weniger schützen und dabei die Rechte der Bürger*innen opfern. Die Aushöhlung der Kontrollmechanismen und die zunehmende Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraums beschleunigen den Weg hin zu einem tief verwurzelten Autoritarismus.
Doch dagegen entsteht jetzt Widerstand. Die Bewegung „Indonesia Gelap“ (dunkles Indonesien) dient als Warnung an die Regierung: Zahlreiche politische Entscheidungen und Gesetzesvorhaben drohen, Indonesien in eine dunkle Ära zu führen. Ziel der Protestbewegung ist es, diese Entwicklung zu verhindern und die Regierung dazu zu bewegen, ihre Politik stärker an den Bedürfnissen und Interessen der Bevölkerung auszurichten.
……………………..
Am 21. Februar 2025 kam es in Indonesien zu einer massiven Demonstration unter dem Motto „Indonesia Gelap“ (dunkles Indonesien). Nachdem Aktivist*innen den Hashtag #IndonesiaGelap auf X lancierten, hat der indonesische Studierendenverband (BEM SI) am 16. Februar 2025 ein erstes Bündnistreffen veranstaltet und anschließend eine Welle von Studierendenprotesten in mehreren Städten organisiert. Um die Dynamik aufrechtzuerhalten, wurde landesweit zu weiteren Konsolidierungstreffen aufgerufen, die in einer zentralen Demonstration in Jakarta am 21. Februar 2025 gipfelten. Gleichzeitig fanden in zahlreichen Regionen Indonesiens sowie in der Diaspora Solidaritätsaktionen statt.
Diese Bewegung ist Ausdruck des zunehmenden Unmuts der Zivilgesellschaft über die ersten 100 Tage der Regierung Prabowo-Gibran, die eine Reihe von Maßnahmen und Programmen eingeführt hat, die langfristig als nachteilig für die Mehrheit der indonesischen Bevölkerung angesehen werden. Während die Regierung einerseits Haushaltskürzungen durchführt, investiert sie andererseits erhebliche Summen in Großprojekte, insbesondere in das Programm für kostenlose nährstoffreiche Mahlzeiten (MBG), die Erweiterung von Palmölplantagen und Bergbauprojekten sowie die Gründung der neuen Staatsfonds Daya Anagata Nusantara (Danantara), die auf breite Kritik stößt.
Unterstützt von Studierendenbewegungen, Gewerkschaften, Bauernverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen, formulierte Indonesia Gelap vier zentrale Forderungen:
- Verabschiedung von pro-rakyat (bürgerfreundlichen) Gesetzen
- Ablehnung von anti-rakyat (bürgerfeindlichen) Gesetzen
- Evaluierung umstrittener Maßnahmen und Programme
- Annullierung von klar schädlichen Regierungsprojekten
Jede dieser Hauptforderungen umfasst drei bis vier spezifische Unterpunkte, die direkte Auswirkungen auf das Leben der Zivilbevölkerung haben.
Haushalteffizienzpolitik zur Finanzierung von fragwürdigen Investitionen
Die Bewegung Indonesia Gelap gewann an Kraft, als die Regierung eine Haushaltseffizienzpolitik einführte. Diese Maßnahme folgte auf die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 12% zu Beginn des Jahres 2025, die bereits massive öffentliche Empörung ausgelöst hatte. Nach einer Reihe von Protesten und die Drohung eines Generalstreiks seitens der Gewerkschaften wurde die Steuererhöhung schließlich verhindert.
Die Haushaltseffizienz wurde durch Präsidialerlass Nr. 1/2025 festgelegt, der eine Überprüfung der Aufgaben und Funktionen der Ministerien sowie Einsparungen bei staatlichen Ausgaben anordnete – insbesondere für Aktivitäten, die als ergebnislos oder rein zeremoniell angesehen wurden. Auf den ersten Blick erscheint diese Maßnahme vielversprechend, doch in der Praxis führte sie zu erheblichen Kürzungen in öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Rechtsberatung und Unterstützung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Die unmittelbaren Folgen dieser Politik sind für die Bevölkerung spürbar: steigende Kosten im Gesundheitswesen durch den Abbau von Subventionen, eingeschränkter Zugang zu Bildungsstipendien und fehlende Investitionen in Forschung und Innovation. Besonders ironisch ist, dass diese Einsparungen mit einer Erweiterung des Regierungsapparats einhergehen – mit über 100 Minister:innen und Vizeminister:innen hat Prabowo das größte Kabinett in der Geschichte Indonesiens gebildet.
Ein Drittel der eingesparten Haushaltsmittel wird für das Programm Makan Bergizi Gratis (MBG) verwendet, das als ineffizient und fehlerhaft in der Umsetzung gilt.[i] Die verbleibenden zwei Drittel der Einsparungen fließen als Investitionen in den neuen Staatsfonds (Danantara) – eine staatliche Investmentgesellschaft, die am 24. Februar 2025 gegründet wurde und sieben staatliche Unternehmen (BUMN) sowie Staatskapital verwaltet.[ii]
Die erste Finanzierungsrunde für Danantara beträgt 20 Milliarden US-Dollar (ca. 300 Billionen Rupiah) und soll für rund 20 nationale strategische Projekte verwendet werden, darunter Nickel-, Bauxit- und Kupferverarbeitung, KI-Datenzentren, Ölraffinerien, petrochemische Anlagen, Lebensmittel- und Proteinproduktion, Aquakultur sowie erneuerbare Energien. Während diese Projekte als wirtschaftliche Wachstumsmotoren vermarktet werden, verursachen viele von ihnen Umweltzerstörung und humanitäre Krisen.[iii]
Eine Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts Celios deckt schwerwiegende Probleme in Bezug auf seine rechtliche Grundlage, seine Arbeitsweise, seine Führungsstruktur und die fehlende Aufsicht auf.[iv] Artikel 3H Absatz (2) des Gesetzes Nr. 1/2025 über staatliche Unternehmen (BUMN) besagt, dass Gewinne oder Verluste aus Investitionen ausschließlich Danantara zuzurechnen sind. Dies widerspricht dem Antikorruptionsgesetz Nr. 31/1999, das klar definiert, dass alle staatlichen Vermögenswerte als Teil des nationalen Finanzsystems gelten. Diese Regelung könnte Danantara-Führungskräfte faktisch vor Korruptionsverfahren schützen, da Verluste nicht als Staatsverluste gelten, die strafrechtlich verfolgt werden können.
Nach dem BUMN-Gesetz sind Danantara-Manager keine staatlichen Amtsträger. Dies verstößt gegen das Antikorruptionsgesetz Nr. 28/1999, das Transparenz und Rechenschaftspflicht für alle staatlichen Institutionen vorschreibt. Dadurch sind Danantara-Führungskräfte nicht verpflichtet, ihr Vermögen offenzulegen und unterliegen nicht den Ethikrichtlinien für Regierungsbeamte. Zudem entzieht dies Danantara der Kontrolle durch die Korruptionsbekämpfungsbehörde (KPK), den Rechnungshof (BPK) und die Staatsanwaltschaft.
Durch die Verordnung Nr. 10/2025 erlaubt die Regierung Ministern und Vizeministern, gleichzeitig Positionen in staatlichen Unternehmen zu übernehmen, obwohl das Gesetz über Ministerien dies verbietet. Dies schafft einen klaren Interessenkonflikt, da dieselben Personen als Regulatoren und Investoren agieren. Zudem wird das Verbot der Ämterhäufung durch eine untergeordnete Verordnung umgangen, was die Rechtsstaatlichkeit untergräbt.
Obwohl Danantara von verschiedenen staatlichen Institutionen überwacht werden soll, erlaubt Artikel 24 der Verordnung Nr. 10/2025 dem Präsidenten, eine "Monitoring- und Rechenschaftskommission" einzusetzen oder aufzulösen – ohne klare Kriterien. Dies könnte dazu führen, dass die Aufsicht nach politischen Interessen manipuliert wird und keine echte Kontrolle stattfindet.
Repressive Politik durch die Militär- und Polizeigesetzesreformen[v]
Die größte Sorge der Zivilgesellschaft ist die Rückkehr des Militärs in zivile Angelegenheiten. Erste Anzeichen sind die 14 ehemalige Offiziere von TNI (indonesische Streitkräfte) und Polri (indonesische Polizei) im Kabinett Prabowos sowie der Einbindung des Militärs in Regierungsprogramme wie „kostenlose nährstoffreiche Mahlzeiten“. Dieses Programm involviert 351 Militärdistrikte, 14 Marinebasen und 41 Luftwaffenstützpunkte. Außerdem hat die Regierung das Militär mit der Sicherung nationaler strategischer Projekte wie Food- und Energy Estates in Merauke, Papua und Zentralkalimantan sowie der Überwachung von Waldgebieten beauftragt. Zusätzlich besetzte Prabowo wichtige zivile Positionen mit Männern mit Militärhintergrund – insbesondere in Institutionen, die direkt mit der Umsetzung von Regierungsprogrammen verbunden sind. Zum Beispiel stammen von den acht Personen in Führungspositionen der Nationalen Ernährungsagentur fünf aus dem Militär. Die Amtseinführung des Kabinetts und die Ernennung regionaler Regierungschefs begannen sogar mit einem militärischen Rückzugsprogramm an der Militärakademie in Magelang.
Die Rückkehr des Militärs in zivile Bereiche wird durch die Änderung von Artikel 47 Absatz 2 des TNI-Gesetzes erleichtert, die Ende Mai 2024 im Parlament (DPR) hastig und ohne ausreichende öffentliche Beteiligung vorgeschlagen wurde und derzeit schon verabschiedet wurde.
Die Überarbeitung dieses Gesetzes bedeutet nicht nur die Wiederbelebung der „Doppelrolle“ der Streitkräfte (Dwifungsi ABRI), die nach der Reformära abgeschafft wurde. Falls es verabschiedet wird, wird das Militär eine noch größere Rolle in der Staatsverwaltung und im zivilen Bereich einnehmen. Die Folge: Die Professionalität der Streitkräfte wird abnehmen und das Prinzip der Meritokratie im zivilen Sektor untergraben. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Einmischung des Militärs in zivile Angelegenheiten nicht nur zu einer autoritären Regierung führte, sondern auch zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Selbst nach der Reformära kam es weiterhin zu Gewalttaten durch Sicherheitskräfte, was zeigt, dass das Erbe des Militarismus aus der Suharto-Zeit noch nicht vollständig beseitigt wurde.
Besonders besorgniserregend ist der Einsatz des Militärs in den Bereichen Plantagen, Forstwirtschaft, Bergbau und anderen Regierungsprojekten – denn dies führt oft dazu, dass die Rechte der Bevölkerung missachtet, die Umwelt zerstört und die Interessen der Elite bevorzugt werden. Ohne strenge Aufsicht und ohne eine Überarbeitung des Militärjustizgesetzes droht eine noch größere Straffreiheit für Militärangehörige.
Neben dem TNI-Gesetz plant das Parlament auch eine Überarbeitung des Gesetzes Nr. 2 von 2002 über die indonesische Polizei, das seit mehr als 20 Jahren in Kraft ist. Der neue Gesetzesentwurf würde der Polizei umfassendere Überwachungsbefugnisse geben, einschließlich der Möglichkeit, digitale Inhalte zu blockieren, den Internetzugang zu verlangsamen oder ganz zu kappen. Diese weitreichenden Kontrollbefugnisse könnten als Rechtfertigung für digitale Angriffe auf Aktivisten, Journalisten, Menschenrechts- und Umweltverteidiger sowie kritische Bürger:innen in sozialen Medien genutzt werden.
Darüber hinaus enthält der Entwurf Bestimmungen zur Ausweitung der Abhörbefugnisse der Polizei und zur Stärkung der Abteilung für Nachrichtendienst und Sicherheit (Intelkam). In einem Land, dessen Geheimdienstwesen ohnehin problematisch ist, könnte diese Erweiterung zu Kompetenzüberschneidungen zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden führen.
Problematisch ist zudem, dass die erweiterten Befugnisse der Polizei nicht mit einer gleichzeitigen Stärkung der unabhängigen Aufsichtsbehörden einhergehen. Die Nationale Polizeikommission (Kompolnas) hat sich bereits als ineffektiv erwiesen und leidet unter strukturellen Dysfunktionen. Laut Daten der Menschenrechtsorganisation KontraS gab es allein zwischen Januar und April 2024 insgesamt 198 Fälle von Gewalt durch Polizeibeamte.
Nur wenige Tage vor der „Indonesia Gelap“-Demonstration zeigte die Polizei erneut ein repressives Vorgehen, indem sie die Punkband Sukatani ins Visier nahm. Der Grund: Sie hatten in ihrem Song „Bayar, Bayar, Bayar“ Kritik an der Polizei geäußert. Die Polizei zwang die Band, sich öffentlich für das Lied zu entschuldigen, es musste von allen öffentlichen Kanälen heruntergenommen werden. Dieses Vorgehen verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, eine starke unabhängige Aufsichtsbehörde wie Kompolnas gesetzlich zu stärken, damit sie die Polizei wirksam kontrollieren und Machtmissbrauch verhindern kann.
Die Gegenbewegung
Der Protestaufruf unter #IndonesiaGelap, der erstmals Anfang Februar 2025 auf der Plattform X viral ging, vereint unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen: Studierende, Arbeiter*innen, Bäuerinnen und Bauern – sogar Hausfrauen stiegen auf die Protestfahrzeuge, um ihrem Zorn Gehör zu verschaffen. Für viele ist es das erste Mal, dass sie auf die Straße gehen. Stimmen, die lange Zeit an den Rand gedrängt wurden, finden in dieser Bewegung einen Raum, um Veränderungen zu fordern und die Solidarität der Bevölkerung gegen immer repressivere Maßnahmen zu stärken.
Doch diese Proteste sind nicht ohne Risiken. Von den ersten Demonstrationen in der Hauptstadt bis hin zu den Protestwellen in anderen Regionen reagierten die Sicherheitskräfte mit übermäßiger Gewalt. Tränengas wurde auf Demonstrierende abgefeuert, verdeckte Polizeieinheiten drangen in die Proteste ein, um Unruhen zu provozieren, und Journalist*innen, die die Proteste dokumentierten, wurden gezielt durch Doxxing bloßgestellt, um eine unabhängige Berichterstattung zu untergraben.
Einerseits markiert #IndonesiaGelap eine neue Phase des Widerstands – eine inklusivere Bewegung, die verschiedene soziale Schichten einbindet. Andererseits bringt die spontane Natur dieser Proteste Herausforderungen mit sich. Ohne eine systematische politische Bildung, den Aufbau von Schutzstrukturen (sogenannte „Shell Groups“) und eine starke nationale Konsolidierung ist die Bewegung anfällig für Infiltration, Spaltung und Repression. Die Solidarität zwischen Studierenden, Arbeiter*innen, der städtischen armen Bevölkerung und Bäuerinnen und Bauern muss kontinuierlich gestärkt werden, um zu verhindern, dass egoistische sektorale Interessen den gemeinsamen Kampf schwächen.
Letztlich kann Demokratie nur durch anhaltenden und sich ausbreitenden Widerstand verteidigt werden. Damit die Ausdauer der Bewegung #IndonesiaGelap trotz des zunehmenden Drucks des Regimes erhalten bleibt, muss politische Bildung in den Alltag integriert werden – bis in die Küchen der Haushalte und in die gemeinschaftlichen Netzwerke von Dörfern und Städten. Denn ein einziges Licht in einem Haus zu entzünden bedeutet, das gemeinsame Bewusstsein zu erhalten. Angesichts eines dunklen Indonesiens muss das Licht bewahrt und gemeinsam verteidigt werden.
[i] https://www.tempo.co/ekonomi/celios-kritik-prabowo-makan-bergizi-gratis-boros-karena-tidak-tepat-sasaran-1204242
[ii] https://www.tempo.co/ekonomi/kritik-indef-soal-danantara-jika-hanya-jadi-superholding-perusahaan-bumn-saja-tidak-terlalu-bermanfaat-1211852
[iii] https://www.mongabay.co.id/2024/10/19/wajah-horor-proyek-strategis-nasional-bagaimana-di-era-prabowo-gibran/, https://kontras.org/laporan/peluncuran-catatan-kritis-atas-nama-proyek-strategis-nasional-ruang-hidup-dirampas-masyarakat-tertindas
[iv] https://celios.co.id/legal-issues-and-risks-in-the-regulation-of-the-establishment-of-danantara/
[v] https://www.amnesty.id/kabar-terbaru/siaran-pers/hentikan-pembahasan-revisi-undang-undang-tni-yang-menghidupkan-dwifungsi/03/2025/