Abwarten und Tee trinken? Deutsche Asienpolitik auf dem Prüfstand

IPS, 31. Januar 2003

Von Sebastian Bersick, Berlin

IPSAuf Einladung des Essener Asienhaus, des Global Cooperation Council und der Inter Press Service Nachrichtenagentur kamen am Dienstag abend Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Zivilgesellschaft in den Räumlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin zusammen, um die Asienpolitik der Bundesrepublik Deutschland zu diskutieren und einer Bewertung zu unterziehen. Die Veranstalter verfolgten das Ziel, im Dialog zwischen Regierungs- und Nichtregierungsakteuren der Frage nachzugehen, ob die deutsche Asienpolitik geeignete Antworten auf die Herausforderungen in Asien gibt und wo die Stärken und Schwächen dieser Politik liegen. Welche Erfolge kann die Asienpolitik verbuchen, angesichts so unterschiedlicher Entwicklungen wie bspw. der Inbetriebnahme des Transrapids in Shanghai und des deutschen Tourismus in der Region einerseits und von Menschenrechtsverletzungen, von 800 Millionen in absoluter Armut lebender Menschen sowie der Bedrohung durch militärische Konflikte und Terrorismus in Asien andererseits?

Anlaß für die bereits zweite Veranstaltung dieser Art war die Verabschiedung dreier „Asienpolitischer Regionalkonzepte” durch das Auswärtige Amt im Mai letzten Jahres, die die Richtlinien der deutschen Außenpolitik für Asien formulieren. Da weitere Bundesministerien, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenso Regionalkonzepte für Asien formuliert haben, zielte die Veranstaltung auch auf die Klärung der Frage, ob die verschiedenen Regionalkonzepte in die gleiche Richtung weisen.

Dr. Volker Stanzel, Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes, Dr. Renate Müller-Wollermann, ehemalige Asienbeauftragte von amnesty international, Professor Dr. Eberhard Sandschneider, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und Sven Hansen, Asien-Redakteur der TAZ zeigten sich im Laufe der gut zweistündigen Veranstaltung in ihren Bewertungen uneinig.

Sven Hansen, der in einem Impulsreferat die Asienpolitik der deutschen Regierung teilweise einer starken Kritik unterzog, stellte zunächst fest, daß die Bedeutung der Region Asien, also der Staaten von Afghanistan bis hin zum Pazifik, für Deutschland und Europa in den letzten zehn Jahren gewachsen ist. Diese Entwicklung resultiere aus wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und ökologischen Faktoren, da sich globale Probleme in wachsendem Maße ohne die Zusammenarbeit mit Asien nicht lösen lassen. Darüber hinaus werde Asien, vor dem Hintergrund fehlender regionaler kollektiver Sicherheitsstrukturen, zunehmend als Krisenregion wahrgenommen, in der deutsche Truppen stationiert sind und deutsche Touristen zu Opfern von terroristischen Anschlägen werden, wie beispielsweise in Kashmir und auf Bali.

Obwohl die neue im September 1998 gewählte rot-grüne Regierung bei Amtsantritt über keine programmatische Position hinsichtlich einer Asienpolitik verfügt habe und Ziele einer rot-grünen Asienpolitik erst Mitte 1999 formuliert wurden gelangt Hansen zu der Einschätzung, daß die Regierung Schröder/Fischer der Region Asien in Hinblick auf die Besuchsdiplomatie mehr Aufmerksamkeit widmet – wenn auch nur geringfügig – als die Regierung Kohl/Kinkel. Zudem weise die rot-grüne Regierung den Menschenrechten eine höhere Bedeutung zu; diese „spiele in der konkreten Politik jedoch keine größere Rolle”. Auch bliebe der Beitrag zur Friedenspolitik in Asien, wie das Beispiel Ost-Timors zeige, „nur symbolisch”, da Deutschland keine Polizisten zur Absicherung des Referendums im Jahr 1999 nach Ost-Timor entsandte.

Im Vergleich zur schwarz-gelben Regierung unterstütze Rot-Grün jedoch den Dialog zwischen Regierungsvertretern und der Zivilgesellschaft, wenn es auch an einem systematischen Austausch fehle. Darüber hinaus bemängelte Hansen insbesondere den Rechtsstaatsdialog zwischen Deutschland und der VR China, da dieser „bisher keinen nachweisbaren Erfolg” gebracht habe und keine Zielvorgaben besitze. Auch stellte er die Effektivität der so genannten Asienkonzepte deutscher Ministerien grundsätzlich in Frage, da diese „rein deskriptiv” seien und beispielsweise weder „Ziel, Form und Instrumente des politischen Dialogs” benennen. Insgesamt blieben die Regionalkonzepte „Stückwerk”.

Die Kritik lieferte für die folgende Diskussion eine Grundlage, die die divergierenden Standpunkte und Wahrnehmungen der Konferenzteilnehmer erkennbar machte. Professor Sandschneider widersprach der Auffassung, daß es den Regionalkonzepten an konkreten Strategien mangele. Er betonte, daß es die Aufgabe der Konzepte sei, „Aufmerksamkeit auf das Thema Asien zu ziehen”. Da „die Realität von Asienpolitik in anderen Kontexten stattfindet” als in programmatischen Texten, sei die entscheidende Frage vielmehr, „wie wir mit unseren Erwartungen im Abgleich mit den Realitäten umgehen”. Letztlich „sei die Art und Weise, wie wir über Asien reden mindestens so interessant wie die Asienpolitik”.

Dr. Müller-Wollermann begrüßte zunächst grundsätzlich die regionale Konzeption der deutschen Asienpolitik und die zunehmende Prominenz von Menschenrechten in dieser. Aus Sicht von amnesty international kritisierte sie jedoch, daß die Regionalkonzepte keine Handlungsstrategien zur Umsetzung der Ziele benennen. Ebenso würden sie im Bereich der Terrorismusbekämpfung die Instrumentalisierung des Terrorismus zur Bekämpfung innenpolitischer Opposition unberücksichtigt lassen. Darüber hinaus thematisierten die Regionalkonzepte nicht die Frage „wie man generell mit der Todesstrafe umgehe”. Insgesamt bewertete Müller-Wollermann die einzelnen Regionalkonzepte unterschiedlich und erkannte insbesondere im Südostasienkonzept des Auswärtigen Amtes Mängel, da dieses in Fragen der Menschenrechte „keine Korrelation” mit Konzepten anderer Bundesministerien aufweise. Als Beispiel nannte sie frauenspezifische Themen wie die von Männern ausgeübten Säureattentate auf Frauen in Bangladesch. Um die Menschenrechtslage in Asien zu verbessern, müssten die Widersprüche zwischen den Regionalkonzepten der unterschiedlichen Ressorts abgeglichen werden.

Auch Dr. Volker Stanzel vom Auswärtigen Amt griff in seinem Beitrag die von Hansen vorgenommene grundsätzliche Kritik an den Regionalkonzepten auf. Dabei unterstrich er die Bedeutung der Regionalkonzepte für die deutsche Asienpolitik, da diese einerseits den Rahmen für die Arbeit des Auswärtigen Amtes markieren und andererseits die Möglichkeit bieten, diese zu reflektieren. Gerade weil die Regionalkonzepte „kurz, knapp und deskriptiv” gehalten seien und eine Darstellung der wesentlichen Aufgaben beinhalten, sei ihre Bedeutung als Mittel zur „Selbstreflexion” nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus ermöglichen die Regionalkonzepte eine „objektive Bewertung der Region und der Optionen der deutschen und europäischen Politik in Asien”, und einen systematischen Zugang, der einen gemeinsamen Handlungsrahmen in den jeweiligen Ländern der drei asiatischen Subregionen schafft.

Ziel der deutschen Asienpolitik, so der Karrierediplomat, der bis vor kurzem Asienbeauftragter der Bundesregierung war, sei letztlich die Beantwortung der Frage, auf welche Weise Deutschland „auf der Grundlage einer kooperativen und multilateralen Außenpolitik unseren Platz in einer multilateralen Welt definiert”. In diesem Zusammenhang besitze auch die Frage, wie Deutschland mit den asiatischen Konfliktherden umgeht, wesentliche Bedeutung und stellten die Regionalkonzepte eine Antwort auf die neuen Herausforderungen dar. Die in den Asienkonzepten aufgeführten Kategorien (1) Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, (2) Frieden und Stabilität, (3) Wirtschaftliche Interessen, (4) Umwelt, (5) Entwicklungspolitische Zusammenarbeit und (6) Kultur, Wissenschaften, Hochschulen, Medien seien Ausdruck „deutscher Interessen in Asien”. In ihrer Reihenfolge drücke sich auch die Priorität aus, die das Auswärtige Amt den jeweiligen Kategorien zuspricht.

In der sich an die Expertenrunde anschließenden Diskussion zwischen den ca. 60 Zuhörern kritisierten Vertreter von Nichtregierungsorganisationen insbesondere die Politik Deutschlands gegenüber Indonesien. Vertreter von Watch Indonesia! sparten nicht mit Vorwürfen an die im Raum anwesenden Diplomaten, daß sich die deutsche Asienpolitik angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor unter der Regierung Suharto „zu passiv” Verhalten habe. Dr. Stanzel argumentierte, daß es einerseits unmöglich sei, „konzeptionell auf alles vorbereitet zu sein”. Andererseits könne kein Staat gegenüber einem Drittstaat einen „strategischen Kurswechsel erzwingen”. Letztlich sei es nicht die Aufgabe des Auswärtigen Amtes, Szenarien für jegliche etwaige Gefahren zu entwickeln, sondern „Risiken zu kennen und vorbereitet zu sein”.

Die Antwort des Politikwissenschaftlers Sandschneider, daß „Wahrnehmungsdefizite die Ursache für mangelnde Prognosen” seien, vermochte nicht zwischen den offensichtlich gewordenen grundsätzlich unterschiedlichen Bewertungen des Regierungshandelns zu vermitteln. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes nannte neben den Beispielen Afghanistan, Südkorea und den Philippinen auch die Ost-Timor-Politik als Beispiele für eine erfolgreiche deutschen Asienpolitik. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen teilten diese Sichtweise nicht. Die Diskussion fand ihren Höhepunkt in dem Vorwurf, die rot-grüne Asienpolitik sei eine Politik des „Abwartens und Teetrinkens”. Während die Regierung Kohl/Kinkel sich offen der Wirtschaftspolitik verpflichtet hatte, warte die jetzige deutsche Regierung, so der Vorwurf eines Vertreters von Watch Indonesia!, lediglich die innenpolitischen Entwicklungen in Indonesien ab.

Angesichts dieser Zuspitzung war die Veranstaltung ein Beleg, wie gleichermaßen schmerzvoll und fruchtbar der Dialog zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren seien kann. Eine Fortsetzung der Diskussionsveranstaltung ist geplant. <>


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