"In the Spotlight"

Fälschungen und Originale

12. Mai 2009

von Alex Flor

Goettinger_Sieben

Die Göttinger Sieben

Bild: Wikipedia

Die Göttinger Sieben (Göttinger „7“) waren eine Gruppe Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Königreich Hannover protestierten und deshalb entlassen wurden; manche von ihnen wurden darüber hinaus des Landes verwiesen. (Wikipedia)

Heute sind es nun nicht mehr die Göttinger 7, sondern die Göttinger 16, die in Kreisen der Wissenschaft in aller Munde sind. Wie viele davon Professoren sind, ist mir nicht bekannt. Vielleicht zählen ja an einer Eliteuni wie Göttingen jeweils drei wissenschaftliche Mitarbeiter soviel wie ein Prof, so dass seit 1837 eigentlich keine signifikante Steigerung zu verzeichnen ist. Allerdings sollen sich die modernen Göttinger 16 nicht gegen das Königreich Hannover (heute vielleicht zu vergleichen mit der kombinierten Macht aus Landesregierung Niedersachsen plus Volkswagen AG/Porsche??) aufgelehnt haben. Sie sollen stattdessen nur den Fehler begangen haben, in einem Projektantrag Publikationen angegeben zu haben, von denen sie wohl guten Gewissens ausgehen konnten, dass sie sowieso niemand lesen will. Durch einen dummen Zufall scheint nun allerdings aufgefallen zu sein, dass diese Publikationen gar nicht existieren. Der Skandal ist groß. Aber zumindest ein Landesverweis wie danno 1837 darf wohl vorläufig ausgeschlossen werden.

Watch Indonesia! hat bislang keine über die bereits verbreiteten Meldungen hinaus gehenden Kenntnisse über den vorliegenden Fall. Quasi zur Entschuldigung wurde verschiedentlich der auf Wissenschaftlern lastende übergroße Druck angeführt, nach dem Motto „Masse statt Klasse“ Publikationen zu produzieren. Ohne Zweifel ein gültiges Argument. Ob es im vorliegenden Fall zur Entlastung vom Vorwurf der Fälschung beizutragen mag, bleibt abzuwarten.

Die Alarmglocken sollten allerdings spätestens läuten, wenn sich – wie heute vom Tagesspiegel berichtet – die Ermittlungen ausweiten und dabei bemängelt wird, dass Wissenschaftler Ausgaben für Taxifahrten in Indonesien nicht belegen konnten.

Es gibt in ganz Indonesien wohl keinen einzigen Taxifahrer, der einen Quittungsblock mit sich führt. Es ist daher schlicht und ergreifend unmöglich, Taxifahrten in Indonesien auf Heller und Pfennig zu belegen!

Wohin das in Deutschland übliche – und daher auch für Auslandsprojekte angewandte – Belegwesen führen kann, mag folgendes reale Beispiel verdeutlichen:

Ein dem Autor persönlich bekannter indonesischer Experte bekam von einer etablierten deutschen Institution den Auftrag für ein Kurzzeitprojekt in seiner Heimat. Nachdem er viele Jahre in Deutschland gelebt hatte und bestens mit Sprache und Gepflogenheiten der Deutschen vertraut war, wusste er bestens, dass er alle in Indonesien getätigten Ausgaben mit Originalbelegen nachzuweisen hatte.

Er wusste aber andererseits auch darum, dass Taxifahrer in Indonesien in aller Regel keine Quittungen ausstellen. In Vorbereitung seiner Reise entwarf er daher auf seinem Computer eine Vorlage für indonesische Taxiquittungen und druckte diese ein paar Dutzend mal aus. Bei jeder Taxifahrt in Indonesien notierte er dann brav die Angaben zur Fahrtstrecke, das Taxiunternehmen, den Namen des Fahrers und den laut Taxameter zu entrichtenden Fahrpreis (ich weiß leider nicht, wie er dies in Städten handhabte, in denen auch der Gebrauch eines Taxameters unüblich ist). Anschließend ließ er den Fahrer unterschreiben. Ein richtig deutscher Indonesier!

Sein Pech war leider, dass die Organisation, die ihn beauftragt hatte, selbst über hervorragende Kenntnisse des Alltagswesens in Indonesien verfügte. Die Herren und Damen in der Rechnungsprüfungsabteilung wussten nur allzu genau, dass es in ganz Indonesien keine Quittungen für Taxifahrten gibt. Wenn nun also dieser Auftragnehmer plötzlich einen Stapel indonesischer Taxiquittungen zur Abrechnung einreicht, dann kann es sich ja offensichtlich nur um Fälschungen handeln!! Ohne großes Presseecho ereilte ihn daher ein ähnliches Schicksal wie jüngst die Göttinger 16.

Im vorliegenden Fall an derUni Kassel geht es angeblich um 10.000 Euro für Taxifahrten und Übersetzungen, die nicht belegt sind. Ohne Zweifel eine Menge Geldes, für die man in Indonesien schon seeeehr weit mit dem Taxi fahren kann. Bei Übersetzungen mögen sich entsprechend Art, Umfang und Qualität tatsächlich schnell Ausgaben in vierstelliger Euro-Höhe anhäufen. Aber auch hier werden Experten des öfteren eher auf lokale Sprachgenies zurückgreifen, anstatt sich eines professionellen Übersetzungsbüros zu bedienen. Der lokale Übersetzer bekommt dann ein Honorar auf die Hand und unterschreibt – wenn überhaupt – irgendeine formlose Empfangsbestätigung, die keiner Rechnungsprüfung in Deutschland genügt.

Die Anforderungen an Transparenz und Nachweispflicht in Deutschland sind im Prinzip vorbildlich. Es darf keinen Raum geben, Geld oder Leistungen zweckentfremdet zur Seite zu schaffen. Gerade auf ein Land wie das – leider zu Recht – als korrupt verschrieene Indonesien können solche Anforderungen Signalwirkung haben. Seine Grenzen findet die deutsche Genauigkeit jedoch dort, wo sie – zumindest vorläufig – systembedingt nicht erfüllbar ist, bzw. dort, wo sie in Form von Überregulation zur „Fälschung“ geradezu herausfordert.

Wohl jede und jeder, der oder die an bestimmte Beleg- und Abrechnungsrichtlinien in Deutschland gebunden ist, weiß davon ein Lied zu singen. <>


Tagesspiegel, 12. Mai 2009

Forschungsförderung: Göttinger Skandal weitet sich aus
Nach Enthüllungen um manipulierte Publikationslisten geht es jetzt um finanzielle Ungereimtheiten auch an der Universität Kassel.
Von Amory Burchard

tagesspiegelIm Skandal um einen Sonderforschungsbereich der Universität Göttingen gibt es neue Details. Neben Manipulationen von 16 Wissenschaftlern an ihren Publikationslisten geht es jetzt um finanzielle Unregelmäßigkeiten. Betroffen ist auch die Uni Kassel, an der ein Teilprojekt des Forschungsvorhabens zum Regenwald in Indonesien bearbeitet wird. Beanstandet werden Reisekosten für einen Forschungsaufenthalt in Indonesien, sagte Unisprecherin Annette Ulbricht am Montag dem Tagesspiegel. Ausgaben von 10.000 Euro für Übersetzungen und Taxifahrten hätten nicht belegt werden können. Die Belege seien nachgefordert worden, der Vorgang werde noch bearbeitet. Darüber hinaus gehe es um 1000 Euro für eine Büroausstattung, die nicht aus DFG-Mitteln finanziert werden durfte.

Klar sei jedoch, dass es sich „nicht um einen Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis“ handele, sagte Ulbricht. Entdeckt worden seien die „geringfügigen Verstöße gegen die Abrechungspraxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 2007. Ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen habe den Verdacht von Unregelmäßigkeiten bestätigt. In einer Stellungnahme des Göttinger Präsidiums heißt es, die Uni habe seit September 2007 „Kenntnis über mögliche Probleme bei der Mittelbewirtschaftung in einem Teilprojekt des SFBs“ an einer beteiligten Hochschule. Unipräsident Kurt von Figura sagte dem Tagesspiegel, er betrachte die Kasseler Vorgänge als abgeschlossen. Weitere mögliche finanzielle Unregelmäßigkeiten am Sonderforschungsbereich (SFB) 552 würden aber noch von den internen Revisionen der Universität Göttingen und der DFG geprüft.

Das bestätigte die DFG. Ebenso wie Untersuchungen zu den Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch Mitglieder des SFB 552 dauere auch die Revision bezüglich der Verwendung bewilligter Fördermittel an, erklärte DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek. Beide Untersuchungen würden mit Nachdruck betrieben. Neuerliche Veröffentlichungen im „Spiegel“ böten zudem Anlass für weitere Überprüfungen.

Danach geht aus einem Gesprächsprotokoll des Leiters der Göttinger Finanzabteilung mit einer SFB-Mitarbeiterin hervor, dass die finanziellen Ungereimtheiten als „kreative Mittelverwendung“ gesehen wurde. Die Finanzabteilung habe angeboten, dem SFB zu helfen „überschüssige Mittel“ DFG-konform auszugeben, erklärt die Uni in ihrer Stellungnahme.

Im Raum steht der Vorwurf, dass mit SFB-Geldern Personal-und Anschaffungskosten anderer Uni-Institute beglichen wurden. Durch „interne (!) Umbuchungslisten“ seien Personal- und Anschaffungskosten anderer Uni-Institute dem SFB untergeschoben worden, heißt es. Dazu sagte von Figura lediglich, das sei Gegenstand der Prüfung. Innerhalb der Projektfinanzierung durch die DFG seien Umbuchungen zwischen Personal-, Sach- und Investionsmitteln in einem bestimmten Prozentsatz allerdings zulässig.

Laut „Spiegel“ könnten die Unregelmäßigkeiten über die in Kassel beanstandeten Beträge hinausgehen. Aus E-Mails und Sitzungsprotokollen gehe hervor, dass möglicherweise „mindestens 200.000 Euro für andere Aufgaben abgezweigt“ worden seien. <>


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