Information und Analyse

Die Gewalt ist der Preis der Freiheit
oder
Politik ist ein schmutziges Geschäft

04. März 2003

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Abschiedsgruß: Genießt die Unabhängigkeit mit Blut und Tränen! Graffiti in Dili 1999

Foto: Anna Voss

José Ramos-Horta, Außenminister Osttimors, drückt gerne auf die Tränendrüse, wenn es darum geht, seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen. Die Hälfte seines jüngsten Kommentars zum Irakkonflikt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung handelt von seinem persönlichen Schicksal – von den Brüdern und Schwestern, die der Gewaltherrschaft Indonesiens über Osttimor auf grausame Weise zum Opfer gefallen sind. Auch die Amerikaner hatten sich an ihrem Tod schuldig gemacht. Eine Rakete abgeschossen aus einem von den USA gelieferten Flugzeug zerfetzte Ramos-Hortas jüngere Schwester. Aber nach Ansicht des Friedensnobelpreisträgers haben die USA und alle anderen Staaten, die jahrzehntelang die indonesische Herrschaft über Osttimor stützten oder zumindest duldeten, „alle ihre Fehler wettgemacht“. Der Einsatz der internationalen Friedenstruppe INTERFET beendete 1999 die Herrschaft Indonesiens über Osttimor, nachdem die Bevölkerung sich in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit entschieden hatte und von Indonesiens Militär dirigierte Milizen das Land in Schutt und Asche gelegt hatten.

Der Einsatz der Friedenstruppe machte den Weg frei für eine neue „unabhängige“ Regierung, der Ramos-Horta als Außenminister angehört. Doch diese Unabhängigkeit hat enge Grenzen. Osttimor ist wie kaum ein anderes Land abhängig von internationaler Hilfe. Nicht nur finanziell hängt es am Tropf von Gebern aus dem Ausland. Auch personell und militärisch ist es auf die Hilfe von Außen angewiesen. Kritik an ehemaligen Unterstützern der Besatzungsmacht wie Australien oder den USA verbietet sich daher wie von selbst. Aber auch zur früheren Besatzungsmacht selbst gilt es gute Beziehungen aufzubauen. Indonesien ist und bleibt neben Australien der wichtigste Nachbar Osttimors mit vielfältigem Einfluss auf die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Belange des Zwergstaates. Und nicht zuletzt liegen gut nachbarschaftliche Beziehungen zu Indonesien – einschließlich seines Militärs – im Interesse der Schutzmächte Osttimors. Die USA und Australien setzen auf das indonesische Militär als wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror und islamistische Tendenzen.

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Gerechtigkeit für die Opfer

Foto: Maria Tschanz

Es ist eine undankbare Rolle, die José Ramos-Horta und sein Präsident Xanana Gusmão zu spielen haben. Ihre Abhängigkeiten klar vor Augen bleibt ihnen nichts anderes als zu versuchen es jedem Recht zu machen. Als die von den Vereinten Nationen assistierte Staatsanwaltschaft ihres eigenen Landes vor wenigen Tagen Anklage gegen hohe Militärs Indonesiens wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen von 1999 erhob, beeilten sich Horta und Gusmão sich von der Anklage zu distanzieren. Horta reiste umgehend nach Jakarta, um die Wogen zu glätten. „The relationship between East Timor and Indonesia is far too important for any issue that might arise to … derail this relationship,“ sagte Ramos-Horta (Reuters, 3.3.03). Wie Ramos-Horta 1978 verloren 1999 Hunderte, wenn nicht Tausende, den Bruder oder die Schwester. Ob sie Verständnis dafür haben, dass nun die Verfolgung der Täter zugunsten vermeintlicher gut nachbarschaftlicher Beziehungen zurückstehen soll?

Vielleicht werden einige Angehörige von Opfern sogar einsehen, dass Diplomatie Kompromisse erfordert. Politik ist halt ein schmutziges Geschäft. Aber ist es wirklich nötig, sich in vorauseilendem Gehorsam selbst da anzubiedern, wo man gar nicht um seine Meinung gefragt ist? Im Verlauf einer Rede in Berlin Ende November letzten Jahres zitierte Ramos-Horta Präsident Xanana Gusmão noch mit den Worten „do you think President Bush is going to worry about my opinion on Iraq?“, um den geringen Stellenwert seines Landes bezüglich weltpolitischer Fragen dieser Größenordnung deutlich zu machen. „We are an extremely minuscule player in the region and in world affairs,“ erklärte er weiter. Diese weit gehend realistische Selbsteinschätzung scheint Ramos-Horta inzwischen abhanden gekommen zu sein. Denn anstelle von George W. Bush berät Ramos-Horta nun die Millionen zählende Friedensbewegung in aller Welt: die Drohung mit Gewalt sei notwendig und schon „die Debatte [darum] schwächt das Mittel“.

Mit dieser Anbiederung an die USA setzt Ramos-Horta einmal mehr die Sympathien ehemaliger Mitstreiter aus der Solidaritätsbewegung in vielen Ländern der Welt aufs Spiel. Der dieser Bewegung entwachsene junge Staatsmann mag diesen Preis für bezahlbar halten. Fraglich bleibt jedoch, ob der große Häuptling im Weißen Haus in Washington überhaupt Notiz von seinem ergebenen Anhänger nimmt. Schließlich ist Osttimor ein „extremely minuscule player in world affairs“. Und Politik ist ein schmutziges Geschäft. <>

Alex Flor
Watch Indonesia!


Quellen:

„[…] Just a few weeks ago I was accompanying President Xanana Gusmão to the United Nations and to Washington for a meeting with President Bush. And some journalists asked President Xanana Gusmão: „Are you going to raise the issue of Iraq with President Bush?“ And President Xanana Gusmão responded in this way: „And do you think President Bush is going to worry about my opinion on Iraq?“

Well, actually President Bush began our discussion by a very forceful introduction about his views on the situation in Iraq. Of course, he didn’t necessarily have in mind to ask President Xanana Gusmão to comment on that – but this is only to emphasise our own awareness, our own consciousness that we are an extremely minuscule player in the region and in world affairs. […]“

Speech of H.E. the Senior Minister and Minister for Foreign Affairs and Cooperation of the Government of the Democratic Republic of Timor-Leste, Nobel Peace Prize Laureate Dr. José Ramos-Horta at Heinrich Boell Foundation, Berlin, 29 November 2002: „Can Timor-Leste Become a Model for Successful Conflict Resolution?“

epd, 02. März 2003

Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta hat der Friedensbewegung eine massive Fehleinschätzung des irakischen Diktators Saddam Hussein vorgeworfen. Sie werde im Irak zu einem „Friedhofsfrieden“ beitragen, wenn der Krieg verhindert werde, schreibt der Außenminister Ost-Timors in der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Die Anti-Kriegs-Bewegung müsste sich dann „eingestehen, dass mit ihrer Hilfe ein unbarmherziger Diktator an der Macht geblieben ist – und sie müsste das seinen Opfern erklären“. Warum, so fragt er,“ habe ich also bei den Demonstrationen kein Transparent gesehen, keine Rede gehört, die das Ende der Menschenrechtsverletzungen im Irak forderten?“(epd)

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 02. März 2003

José Ramos-Horta: Die Gewalt ist der Preis der Freiheit -Ohne den Willen zum Waffengang droht im Irak ein Friedhofsfriede

Oft erwische ich mich dabei, wie ich zähle, wie viele von uns noch übrig sind. Vor nicht allzu langer Zeit saßen meine beiden noch lebenden Brüder und ich eines Morgens beim Kaffee – und ich zählte wieder: Sieben Brüder und fünf Schwestern waren wir, eine von vielen Großfamilien in diesem kleinen katholischen Land Ost-Timor.

Einer meiner Brüder starb, als er noch ein Säugling war. Antonio, unser ältester Bruder, starb 1992, weil er keine ausreichende medizinische Hilfe erhielt. Drei Geschwister wurden getötet im langen Konflikt mit Indonesien. Eine jüngere Schwester, Maria Ortencia, starb am 19. Dezember 1978. Die Rakete einer „OV-10 Bronco“ tötete sie. Dieses Propellerflugzeug hatten die Vereinigten Staaten an Indonesien verkauft. Begraben wurde sie auf einem majestätischen Berggipfel. Die einfachen Leute der Gegend kümmerten sich um ihr Grab.

Es zerriß mir fast das Herz, als im vergangenen September ihr provisorisches Grab geöffnet wurde. Ich hatte meine Schwester zuletzt gesehen, da war sie achtzehn Jahre alt. Nach der Exhumierung sah ich, daß der Hinterkopf und eine Gesichtshälfte weggeschossen waren. Sie muß auf der Stelle tot gewesen sein. Wir begruben sie auf dem Friedhof der Hauptstadt Dili. Unsere Brüder Nuno und Guilherme waren 1977 von indonesischen Soldaten erschossen worden. Wir wissen nur wenig über den Ort, wo es passierte – und haben keine Hoffnung, ihre sterblichen Überreste würdevoll bestatten zu können.

In meinem Land gibt es kaum eine Familie, die nicht einen ihrer Liebsten verloren hätte. Viele Familien wurden während der indonesischen Besatzung und des Widerstandskampfes ausgelöscht. Die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder trugen bei zu dieser Tragödie. Manche sind verantwortlich, weil sie Indonesien Militärhilfe gewährten. Andere machten sich der Komplizenschaft schuldig, weil sie gleichgültig blieben oder schwiegen. Und dennoch haben alle ihre Fehler wettgemacht. 1999 half eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen Ost-Timor, seine Unabhängigkeit zu wahren, und sie beschützte seine Menschen. Wir sind jetzt ein freies Land.

Doch ich erinnere mich noch brennend an Leid und Elend des Krieges. Ich erinnere mich aber auch an meine Verzweiflung und meine Wut, weil die Welt über die Tragödie hinwegsah, die mein Volk zu vernichten drohte. Wir flehten eine fremde Macht an, uns von der Unterdrückung zu befreien – wenn nötig mit Gewalt.

Deshalb bin ich verstört über die Debatte im Sicherheitsrat und bei der Nato. Kritiker der Vereinigten Staaten sehen nicht, daß das aggressive Vorgehen der Regierung Bush den Irak dazu gebracht hat, die Waffeninspekteure wieder ins Land zu lassen und mit den UN zusammenzuarbeiten. Die Debatte schwächt das Mittel, mit dem allein der irakische Diktator unter Druck gesetzt werden kann: die Drohung mit Gewalt.

Die Proteste gegen den Krieg sind ehrenvoll. Meinungsverschiedenheiten muß es geben, besonders wenn es um Krieg und Frieden geht. Sollte die Anti-Kriegs-Bewegung die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten aber von einem Krieg abbringen, wird sie zu einem Friedhofsfrieden beitragen. Saddam Hussein wird der Sieger sein, dessen Trotz erfolgreich war und der darum noch herausfordernder sein wird.

Saddam Hussein hat sein Volk in wenigstens zwei Kriege hineingezogen. Er hat chemische Waffen gegen sein Volk eingesetzt. Er hat Hunderttausende getötet, Unzählige gefoltert und unterdrückt. Warum habe ich also bei den Demonstrationen kein Transparent gesehen, keine Rede gehört, die das Ende der Menschenrechtsverletzungen im Irak forderten, die die Beseitigung des Diktators verlangten und Freiheit für Iraker und Kurden? Wenn wir mit den Protesten Druck ausüben – sollte sich der nicht gegen den wirklichen Bösewicht richten und ihn zur Aufgabe seiner Massenvernichtungswaffen und zum Rücktritt zwingen?

Auch ich glaube, die Regierung Bush sollte den Waffeninspekteuren mehr Zeit geben. Die Vereinigten Staaten sind eine konkurrenzlose Weltmacht, die ihre Feinde überdauern wird; sie kann es sich leisten, geduldig zu sein. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sich als guter Vermittler erwiesen. Gemeinsam mit anderen bedeutenden politischen Führern sollte er Saddam Hussein zum Gang ins Exil bewegen. Saddam Hussein hätte dann das Verdienst, einen weiteren Krieg verhindert und sein Volk verschont zu haben. Aber auch dieses Vorgehen gelingt nur durch die Drohung mit Gewalt.

Es wäre gefährlich, diese Drohung aufzugeben. Die Anti-Kriegs-Bewegung könnte sich zwar siegreich wähnen, weil sie einen Krieg verhindert hätte. Aber sie müßte eingestehen, daß mit ihrer Hilfe ein unbarmherziger Diktator an der Macht geblieben ist – und sie müßte das seinen Opfern erklären.

Die Geschichte hat gezeigt, daß Gewalt oft der Preis der Freiheit ist. Ein kosovarischer Intellektueller hat mir erzählt, wie er sich fühlte, als die Weltgemeinschaft sich schließlich in seinem Land einmischte: „Ich bin Pazifist. Aber ich war glücklich, fühlte mich befreit, als die Bomben der Nato fielen.“

Der Verfasser ist Außenminister von Ost-Timor. 1996 – er lebte als Oppositionsführer im Exil – erhielt er gemeinsam mit dem katholischen Bischof von Ost-Timor, Carlos Felipe Ximénes Bélo, den Friedensnobelpreis.

Aus dem Englischen von Richard Wagner


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