Verletzung der Menschenrechte, Gewalt und blutige Konflikte in Indonesien

icon_audioDeutsche Welle, 17. September 2004

Interview mit Alex Flor von Watch Indonesia! Die Fragen stellte Katrin Ogunsade

deutsche-welleDeutsche Welle: Das Rennen um die Präsidentschaft in Indonesien bleibt spannend. Am kommenden Montag werden die Indonesier in einer Stichwahl entscheiden, wen sie künftig als Staatsoberhaupt haben wollen. Ob die amtierende Präsidentin Megawati noch einmal wieder gewählt wird, gilt noch als völlig offen. Traut man den Umfragergebnissen, so liegt der Herausforderer Ex-General Yudhoyono deutlich vorn. Die Präsidentschaftswahlen wollen wir zum Anlass nehmen, über die Situation der Menschenrechte im Land zu sprechen. Sechs Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur sind Teile des Inselreiches immer noch von Gewalt und blutigen Konflikten überschattet. Darüber habe ich mich vor dieser Sendung mit Alex Flor von der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! in Berlin unterhalten, der die Lage der Menschenrechte in Indonesien so zusammenfasst:

Alex Flor: Ich würde sagen, die Situation der Menschenrechte ist nach wie vor schlecht, wenngleich sich seit 1998 natürlich Veränderungen in der Qualität der Menschenrechtsverletzungen ergeben haben. Währenddem damals die gesamte Opposition unter massivem Druck des Regimes stand, ist heute doch eher festzustellen, dass sich die Menschenrechtsverletzungen sehr stark auf die – ja ich sage mal – Sezessionsgebiete oder auf die lokalen Konfliktregion wie zum Beispiel Aceh oder Papua, teilweise auch Sulawesi und die Molukken beschränken.

DW: Würden Sie denn insgesamt sagen, dass sich die Situation der Menschenrechte in Indonesien nach dem Ende der Suharto-Diktatur vor sechs Jahren eher zum Positiven oder zum Negativen gewandelt hat?

Alex Flor: Ich tue mir etwas schwer das so zu bewerten. Wie gesagt, es gab eine Verlagerung. Wenn damals ein Student auf die Strasse gegangen ist, um gegen das Regime zu demonstrieren, dann war er massiver Repression ausgesetzt. Das kann er heute tun, weitgehend ohne jede Angst, dass ihm irgendetwas passiert. Gleichzeitig hat aber die Gewalt und die Verletzung von Menschenrechten in diesen Konfliktregionen, insbesondere in Aceh unter dem militärischen Ausnahmezustand, denke ich, um ein Vielfaches zugenommen.

DW: Wo in Indonesien sehen Sie denn derzeit die größten Menschenrechtsverletzungen? Sie erwähnten ja schon Aceh in Sumatra. Gibt es andere Regionen, wo Sie sagen würden, dort sind die Menschenrechtsverletzungen am größten?

Alex Flor: Es war sicherlich eine Zeit lang auf den Molukken ein sehr schlimmer Zustand, das scheint sich im Moment etwas beruhigt zu haben, etwas gebessert zu haben. Es ist nach wie vor besorgniserregend die Region in Zentral-Sulawesi wo ähnliche kommunalistische Auseinandersetzungen von verschiedenen Seiten operationalisiert wurden und eben auch das Militär und die Polizei nicht immer eine nicht sehr rühmliche Rolle gespielt haben, und es ist nach wie vor die Lage extrem Besorgnis erregend in Papua, dem westlichen Teil der Insel Papua-Neuguinea.

DW: Ist denn vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen eine Verbesserung der Menschenrechtslage zu erwarten? Viele halten ja den Ex-General Yudhoyono, der ja gegen die amtierende Präsidentin Megawati antritt, für den eigentlichen Favoriten.

Alex Flor: Ich denke auch, dass er gute Chancen hat die Wahlen zu gewinnen. Die Frage ist dann, wird von seinem Image des „Anpackers“, des „Mannes der Tat“ noch viel übrig bleiben? Denn es sieht so aus, dass sich möglicherweise die großen Parteien im Parlament um Megawati scharen. Das heißt Bambang Yudhoyono wird möglicherweise die Mehrheit der Wähler gewinnen, aber er wird möglicherweise nicht die Mehrheit im Parlament für sich gewinnen können und damit wäre er wieder natürlich gleich wieder zum Nichtstun verurteilt, was der Menschenrechtssituation mit Sicherheit nicht zuträglich wäre. Trotzdem, die Hoffnung auf den Ausgang der Wahlen, aus meiner Sicht, ist weniger, ob Bambang Yudhoyono oder Megawati die Wahl gewinnt – von ihren unterschiedlichen Interessen und Programmaussagen her – sondern die große Hoffnung ist eigentlich die, dass man nach der Wahl eine Regierung hat, die handlungsfähig ist und das ist einfach die letzten Monate aufgrund des Wahlkampfes oder aufgrund der Wahlkämpfe – wir hatten ja erst die Parlamentswahl, dann den ersten Durchlauf der Präsidentschaftswahl, jetzt den zweiten Durchlauf der Präsidentschaftswahl – in dieser Zeit war keine Politik möglich und wurden kaum Entscheidungen getroffen, die zum Beispiel den Konflikt in Aceh hätten lösen können.

DW: Viele sind ja von Präsidentin Megawati enttäuscht. Sie und ihr System, ihre Regierung gelten als korrupt. Wird sie denn im Falle einer Wiederwahl sich dafür einsetzen können, mehr Frieden und Sicherheit im Land zu schaffen?

Alex Flor: Es ist sehr schwierig. Also ich fürchte auch, dass Megawati – wenn sie gewählt würde – eher die Option wäre auf fünf Jahre weiter wursteln wie bisher.

DW: Wird denn Ihrer Meinung nach der Bombenanschlag vor der australischen Botschaft letzte Woche die Wahlen beeinflussen?

Alex Flor: Ich denke eher nicht, da sowohl Megawati als auch Bambang Yudhoyono nicht sichtbar als Person oder als Partei dafür verantwortlich gemacht werden können oder beziehungsweise umgekehrt davon profitieren können. Sie sind gleichermaßen davon betroffen und gleichermaßen dafür verantwortlich.

DW: Das indonesische Parlament hat ja soeben die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild beschlossen. Ist das denn mit Blick nicht nur auf die Vergangenheitsbewältigung, sondern auch auf die Zukunft ein entscheidender Fortschritt?

Alex Flor: Wenn es denn tatsächlich eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Muster oder nach südafrikanischem Vorbild wäre, wäre das sicher ein begrüßenswerter Schritt. Wir befürchten eher, dass diese Wahrheitskommission eine reine Show-Veranstaltung bleiben wird. Ich denke, wenn eine
Wahrheitskommission funktionieren soll, dann muss tatsächlich die Wahrheit auf den Tisch kommen. Das ist unter den Bedingungen, wie sie zu Stande kam und wie jetzt das Gesetz aussieht, eher unwahrscheinlich. Sondern es steht jetzt schon im Gesetz quasi drin, wie die Gespräche im Rahmen dieser Versöhnungskommission auszugehen haben, nämlich im gegenseitigen Verzeihen der jeweiligen Konfliktparteien. Also das Ergebnis wird quasi schon per Gesetz vorweggenommen und eine juristische Ahndung von Straftaten oder von Vergehen gegen die Menschlichkeit wird damit außer Kraft gesetzt. Ich denke, das ist nicht die richtige Lösung.

DW: Sehen Sie denn unabhängig vom Ausgang der Wahlen in Indonesien eine Chance auf Frieden und mehr Sicherheit?

Alex Flor: Ich denke, es hängt sehr stark zum einen mal davon ab, die Unzufriedenheit, die Sie vorhin ja schon ansprachen, in der Bevölkerung – ja – zu bekämpfen. Die bekämpft man nur dadurch, dass man ihre soziale und wirtschaftliche Lage verbessert. Das wird die Hauptaufgabe der nächsten Regierung sein. Das heißt sie muss in der Wirtschaft Flagge zeigen, sie muss den Leuten wieder zu mehr Geld und mehr Arbeit verhelfen. Ansonsten wird die Unzufriedenheit sich weiter steigern und wird alle möglichen Blüten treiben von Sezessionsbewegungen bis Terrorismus und alle möglichen anderen unschönen Nebenerscheinungen, die eine unzufriedene Gesellschaft hervorbringen kann.

DW: Alex Flor von der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! in Berlin. <>

icon_audioDas vollständige Interview mit Alex Flor können Sie hier anhören (mp3, 3,9 MB)


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