Jenseits des Rechts

Dieser Artikel liegt auch in Spanischer Übersetzung vor.

Jungle World, Nr. 18, 24. April 2002

In Indonesien finden mehrere Prozesse gegen hohe Militärs und Politiker statt. An Rücktritt denken die Angeklagten nicht.

von Alex Flor

Jungle WorldBis vor kurzem galten sie als unerreichbar für die indonesische Justiz. Generäle und hohe Repräsentanten der Suharto-Diktatur blieben von Strafverfolgung verschont, wie erdrückend die Beweise gegen sie auch sein mochten. Derzeit aber stehen gleich mehrere prominente und hochrangige Personen in Jakarta vor Gericht.

Nach monatelanger Verzögerung begannen Mitte März, wenige Tage vor der Eröffnung der UN-Menschenrechtskonferenz in Genf, die ersten Verfahren gegen mutmaßliche Verantwortliche für die Gräueltaten, die 1999 in Ost-Timor begangen wurden. Angeklagt sind unter anderem der ehemalige Gouverneur Ost-Timors, Abilio Soares, sowie der damalige Polizeichef der Provinz, Timbul Silaen.

Fast gleichzeitig begann der Prozess gegen Tommy Mandala Putra, den jüngsten Sohn des 1998 entmachteten Diktators Suharto. Der Multimillionär war im September 2.000 wegen eines Korruptionsfalles schon einmal zu 18 Monaten Haft verurteilt worden, flüchtete aber in den Untergrund. Während er die Polizeifahnder medienwirksam mit Katz- und Mausspielen vorführte, erwirkten seine Anwälte vor Gericht eine Annullierung des Urteils. Zuvor war im Juli 2001 der Richter, der das Urteil gesprochen hatte, auf offener Straße erschossen worden. Nachdem er im November des letzten Jahres schließlich gefasst wurde, muss sich Tommy nun wegen Mordes, seiner Flucht vor der Justiz und illegalen Waffenbesitzes verantworten.

Ein weiteres Verfahren wurde Ende März gegen den amtierenden Parlamentspräsidenten und Vorsitzenden der ehemaligen Regierungspartei Golkar, Akbar Tandjung, eröffnet. Ihm wird die Veruntreuung von umgerechnet rund 3,6 Millionen Euro vorgeworfen, die für die von der Wirtschaftskrise besonders getroffene arme Bevölkerung bestimmt waren. Deutet sich in Indonesien tatsächlich eine neue Epoche an, in der dem Gesetz auch gegenüber der Oligarchie Geltung verschafft wird? Die Vehemenz, mit der sich Indonesien in der letzten Woche auf der UN-Menschenrechtskonferenz dagegen wehrte, dass in einem Konsenspapier die Anwendung internationaler Rechtsstandards in den anhängigen Prozessen festgeschrieben wird, spricht eine andere Sprache.

Auch Frans Winarta von der National Law Commission bezweifelt die Konsequenz der Justiz: „Ich sehe keinen politischen Willen, das Gesetz aufrechtzuerhalten. Die Prozesse sollen nur die Feindseligkeit der Öffentlichkeit und die Forderung nach Gerechtigkeit dämpfen.“ Aufschlussreich ist ein Blick auf die Liste derer, die nicht vor Gericht stehen. Der Bericht eines Untersuchungsteams der Regierung nannte 33 Personen, gegen die Ermittlungen wegen der in Ost-Timor begangenen Menschenrechtsverletzungen aufgenommen werden sollten, darunter der damalige Militäroberbefehlshaber und Verteidigungsminister, General Wiranto. Die Staatsanwaltschaft nahm jedoch nur gegen 19 Personen ein Verfahren auf, von denen nun sieben vor Gericht stehen. Wiranto zählt nicht dazu. Obwohl ihnen die Todesstrafe droht, befindet sich keiner der Angeklagten in Untersuchungshaft; einige der Militärs wurden zwischenzeitlich sogar befördert.

Gegenstand der Verhandlung sind lediglich die Gewaltexzesse in den Monaten April und September 1999. Die Systematik der indonesischen Politik, die Ursachen der Gewalt und die seit der indonesischen Besetzung im Jahr 1975 begangenen Verbrechen dagegen werden nicht behandelt. Sonst müssten nämlich noch ganz andere Personen auf die Anklagebank, beispielsweise der ehemalige Diktator Suharto. Seine in 37 Jahren Amtszeit begangenen zahllosen Verbrechen bleiben wohl für immer ungesühnt. Lediglich wegen Korruption war ein Verfahren gegen Suharto eröffnet worden, das aber wegen seiner angeschlagenen Gesundheit beendet wurde.

Auch von Suhartos Familie und seinen Cronies, die sich über Jahre hinweg illegitim bereichert haben, wurden nur die wenigsten rechtlich belangt. Einzig der Tropenholzhändler Bob Hasan wurde zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. Wie die indonesische Zeitschrift Tempo berichtete, lässt Hasan derzeit die Gefängnisinsel Nusakambangan in eine Ferieninsel umgestalten, er finanzierte Renovierungsarbeiten, eine Moschee und Sportanlagen. Auch Tommy investierte nach seiner Gefangennahme in die Verschönerung seiner Zelle. Fliesen wurden gelegt, Wände gestrichen und eine Klimaanlage eingebaut.

Ungebrochen scheint das Selbstbewusstsein Akbar Tandjungs zu sein, der keinen Anlass sah, sein Amt als Parlamentspräsident niederzulegen. Die veruntreute Summe wurde inzwischen aus unbekannter Quelle zurückgezahlt. Allerdings können sich die Armen davon noch immer keinen Reis kaufen, weshalb dem Prozess gegen Tandjung in der indonesischen Öffentlichkeit derzeit wohl die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Tandjungs Parteifreunde waren derweil darum besorgt, einen zusätzlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss abzuwenden. Eine Verurteilung ihres Vorsitzenden wäre hinnehmbar, aber ein Untersuchungsausschuss könnte der Partei insgesamt Schaden zufügen. Im Extremfall droht die Auflösung der Golkar, sollte sich herausstellen, dass die veruntreuten Gelder, wie vermutet wird, tatsächlich für den Wahlkampf verwendet wurden.

Doch so weit wird es nicht kommen, denn auch andere hätten dann Anlass zur Sorge. Alle zur Wahl angetretenen Parteien, mit Ausnahme der linken PRD (Volksdemokratische Partei), sollen aus dem fraglichen Geldtopf beglückt worden sein, schrieb die Jakarta Post am 6. Februar. Tandjung wurde nach einem Monat Untersuchungshaft Anfang April wieder auf freien Fuß gesetzt. Seither führt er wieder seine Amtsgeschäfte. Auch der Zentralbankchef Syahril Sabirin, kürzlich in erster Instanz zu drei Jahren Haft wegen Korruption verurteilt, befindet sich auf freiem Fuß und sieht keinen Anlass, sein Amt niederzulegen.

Die Gepflogenheit des Rücktritts hat noch keinen Eingang in die politische Kultur Indonesiens gefunden. Von Schuldbewusstsein ist bei der politischen und wirtschaftlichen Elite nichts zu spüren, und die juristische Verfolgung beschränkt sich auf Einzelfälle. Dennoch sind die Prozesse ein wichtiger Anfang, der zumindest eines zeigt: Die Bevölkerung ist keineswegs darüber bestürzt, wenn die einst unantastbaren Mächtigen als gewöhnliche Kriminelle hinter Gittern landen. <>


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