Osttimor ein Jahr nach dem Referendum

epd, 23. August 2000 (Themenpaket – epd-Gespräch)

epd

Leutheusser-Schnarrenberger fordert Hilfe für Justiz in Osttimor
Die «Bilanz des Schreckens» ist noch nicht erstellt – Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen von Osttimor kommt nicht voran, von Elvira Treffinger (epd)
Neben Ruinen blüht wieder geschäftiges Leben – Osttimor ist ein Jahr nach dem Referendum immer noch von Spuren der Zerstörung geprägt, von Klemens Ludwig (epd)

Leutheusser-Schnarrenberger fordert Hilfe für Justiz in Osttimor

Frankfurt a.M. (epd). Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat internationale Hilfe für den Aufbau der Justiz in Osttimor angemahnt. Für die Morde und Zerstörungen nach dem Unabhängigkeitsvotum vor einem Jahr sei bisher niemand angeklagt worden, sagte die FDP-Politikerin in einem epd-Gespräch. Die UN-Verwaltung, die Osttimor derzeit auf die Unabhängigkeit vorbereite, brauche juristische Fachleute für solche Prozesse und für die Ausbildung osttimoresischer Richter. Da sei auch die Bundesregierung gefordert. Ohne Aufarbeitung der Verbrechen in Osttimor und Indonesien könne es keine Versöhnung und Gerechtigkeit geben.
Zugleich forderte Leutheusser-Schnarrenberger die internationale Gemeinschaft zu stärkerem Druck auf Indonesien auf, damit dort die verantwortlichen Militärs vor Gericht kommen. «Wenn es kein internationales Tribunal gibt, müssen die Prozesse wenigstens unter internationaler Beobachtung stattfinden», betonte sie. Die Politikerin war Mitglied einer UN-Kommission, die im November und Dezember 1999 die Gräueltaten in Osttimor untersuchte. Bei den Morden, Vertreibungen, Plünderungen, Brandstiftungen und Vergewaltigungen habe es eindeutig ein «Zusammenwirken» zwischen pro-indonesischen Milizen und indonesischen Militärs gegeben, sagte die FDP-Politikerin.

Die Kommission sprach sich für ein internationales Strafgericht zu Osttimor aus. Der Vorschlag wurde jedoch von UN-Generalsekretär Kofi Annan in dieser Form nicht unterstützt. «Man hoffte, dass die Menschenrechtsverletzungen in Indonesien juristisch aufgearbeitet werden.» Wegen der starken Stellung des Militärs sei dies ungewiss.

Leutheusser-Schnarrenberger kündigte an, sie werde der Bundesregierung nach der Sommerpause erneut die Entsendung von Juristen nach Osttimor vorschlagen. Dort säßen Verdächtige wegen der Gräuel von 1999 in Haft. «Es ist dringend notwendig, dass die Verfahren beginnen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verlaufen», sagte sie. Ein großes Problem sei zum Beispiel der Schutz von Zeugen. «Ich habe große Sorge, dass die Chance zur Vergangenheitsbewältigung vertan wird.» (7126/23.8.00)

Die «Bilanz des Schreckens» ist noch nicht erstellt – Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen von Osttimor kommt nicht voran

von Elvira Treffinger (epd)

Frankfurt a.M. (epd). «Alles brennt, es ist Krieg», berichtete die deutsche Wahlbeobachterin Ruth Lempp am 7. September 1999 über die Situation in Osttimor. Sie selbst war dem Albtraum zu diesem Zeitpunkt entflohen und ins australische Darwin evakuiert worden. In einer beispiellosen Welle der Zerstörung hatten pro-indonesische Milizen innerhalb weniger Tage große Teile Osttimors in Schutt und Asche gelegt. Sie mordeten, vergewaltigten, plünderten.

Der Terror geschah aus Rache für die Volksabstimmung, in der 78,5 Prozent der Wähler am 30. August für die Unabhängigkeit von Indonesien gestimmt hatten. Der Wahltag selbst verlief relativ ruhig. Doch schon am 1. September beschossen Milizen das UN-Hauptquartier in Dili, verfolgten ausländische Journalisten, zertrümmerten vor laufenden Kameras Fenster und Türen von Hotels.

«Die Vereinten Nationen standen in Osttimor mit dem Rücken zur Wand», erinnert sich Monika Schlicher von der Menschenrechtsorganisation «Watch Indonesia». Hilflos mussten UN-Mitarbeiter den Gewaltexzessen zusehen, fanden sich selbst von feindseligen Milizen umzingelt. Blauhelme zum Schutz der Bevölkerung waren nicht stationiert. Für die Sicherheit sollte die indonesische Armee sorgen. Doch die erwies sich als «Feuerwehr und Brandstifter».

«Es gab eindeutig ein Zusammenwirken zwischen Milizen und indonesischen Militärs», erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die frühere Bundesjustizministerin hatte im November und Dezember 1999 die Gräuel in Osttimor als Mitglied einer UN-Kommission untersucht. Oft seien die Milizionäre vorne gewesen, «Militärs blieben in der zweiten Reihe».

Die Bilanz des Schreckens ist noch nicht erstellt. Die Schätzungen über die Zahl der Ermordeten schwanken zwischen 1.000 und 5.000. Laut Leutheusser-Schnarrenberger wurden nur rund 150 Leichen gefunden. «Aber es kam unstreitig zu fürchterlichen Massakern, etwa in der Kirche von Liquisa, in Suai oder beim Sturm auf die Residenz von Bischof Belo in Dili, wo sich Tausende von Flüchtlingen befanden.»

Der FDP-Politikerin steht noch das «Grauen vor Augen». Zeugen berichteten, dass Leichen in Suai an der Kirche verbrannt, zum Meer oder nach Westtimor gebracht wurden. Die Täter bemühten sich, keine Spuren zu hinterlassen. Ein internationales Tribunal könnte die Geschehnisse aufklären, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, betont Schlicher. Doch die UN stellten diesen Vorschlag zurück.

Bis heute wurde niemand angeklagt, weder in Indonesien noch in Osttimor, das unter UN-Verwaltung auf die Unabhängigkeit vorbereitet wird und seine Justiz erst aufbauen muss. Die indonesische Generalstaatsanwaltschaft verhörte zwar mehrere Generäle, hat es angesichts der starken Stellung des Militärs aber schwer. Vor wenigen Tagen beschloss die Beratende Volksversammlung in Jakarta, dass die Armee bis zum Jahr 2009 Vertreter ins Parlament entsenden darf. Und der geplante Menschenrechtsgerichtshof darf nicht über zurückliegende Verbrechen urteilen.

Leutheusser-Schnarrenberger fühlt sich den Menschen verpflichtet, die sie im zerstörten Osttimor traf. Familien, die Angehörige verloren hatten, warteten stundenlang, um vor der UN-Kommission auszusagen. Frauen waren dabei, die vergewaltigt worden waren, und kaum sprechen konnten. «In unzähligen Gesprächen haben sie gesagt: Wir wollen, dass dieses Unrecht nicht ungesühnt bleibt.» (7127/23.8.00)

Neben Ruinen blüht wieder geschäftiges Leben

Osttimor ist ein Jahr nach dem Referendum immer noch von Spuren der Zerstörung geprägt

Von Klemens Ludwig (epd)

Dili (epd). Ausgebrannte Häuser, gespenstische Ruinen, umgeknickte Strommasten – ganze Straßenzüge liegen wie tot. Die Spuren der Zerstörung sind in der osttimoresischen Hauptstadt Dili noch immer gegenwärtig. Ismelda Rodriguez steht vor den verrußten Mauern ihres Häuschens. «Ich habe mich immer aus der Politik herausgehalten, denn ich habe acht Kinder groß gezogen», sagt die Lehrerin, die Anfang 50 ist. Doch dass Nachbarn sich vor einem Jahr offen für die Loslösung Osttimors von Indonesien aussprachen, «reichte den Milizen wohl, um auch mein Haus niederzubrennen». Nur die Außenmauern blieben stehen.

Am 30. August 1999 fand in der damaligen indonesischen Provinz Osttimor die ersehnte Volksabstimmung statt. 78,5 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Unabhängigkeit. Doch die Reaktion war brutal. Pro-indonesische Milizen legten viele Orte in Schutt und Asche, plünderten und mordeten, mit Duldung oder Unterstützung des Militärs. Selbst das UN-Büro wurde von feindseligen Milizionären umzingelt.

Erst nach drei Wochen griff die internationale Gemeinschaft ein. Zuerst kamen australische Truppen, dann übernahmen Blauhelme das Kommando. Im Oktober 1999 gab Indonesien Osttimor nach rund 24 Jahren Besetzung frei. Nun wird die ehemalige portugiesische Kolonie unter UN-Verwaltung auf die Unabhängigkeit im Jahr 2002 vorbereitet. Doch der Weg ist noch weit.

Vor dem Jahrestag des Referendums verschärften die UN die Sicherheitsvorkehrungen. Denn die Milizen, die sich ins indonesische Westtimor zurückzogen, fallen immer wieder in Osttimor ein. In den vergangenen Wochen wurden zwei Blauhelme erschossen. «Timor LoroSae» soll der neue Staat einmal heißen, Osttimor in der einheimischen Tetum-Sprache. Doch ob Tetum, Portugiesisch oder Indonesisch Amtssprache werden wird, ist noch heiß umstritten.

Unterdessen weiß auch Imelda Rodriguez nicht so recht, wie es bei ihr weitergehen soll. Verwandte halfen ihr, das Dach ein wenig zu flicken, damit ihre Familie während der Regenzeit wenigstens eine Notunterkunft hatte. Für eine richtige Reparatur fehlt das Geld, aber der enge Zusammenhalt der Familien lindert manche Not. Die Lehrerin hofft, dass die Schulen bald wieder öffnen und sie angestellt wird.

Und die Vereinten Nationen? «Ihre Soldaten geben uns Sicherheit. Deshalb sind sie wichtig», sagt Rodriguez. Aber Geld sei von ihnen nicht zu erwarten: «Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns niemand.» Die UN-Administration bemüht sich um Sicherheit und den Wiederaufbau öffentlicher Gebäude sowie um den Aufbau von Verwaltung, Polizei und Justiz. Im Juli nahm erstmals seit dem Abzug der Indonesier ein Gericht in Dili seine Arbeit auf. Doch es wird vermutlich noch lange dauern, bis erstmals ein Milizionär wegen der Verbrechen vor einem Jahr angeklagt werden wird.

Lautes Stimmengewirr weist den Weg zum Markt von Dili. Das bunte Getümmel und das große Warenangebot zeigen, dass die Menschen sich aufs Improvisieren verstehen. Marktfrauen feilschen mit Kunden, Hähne krähen, Schweine quieken. Vielerlei Obst ist hier ausgebreitet, Fisch und Fleisch, neben Kleidung, Schuhen und Elektroartikeln.

Ausländer finden sich kaum auf den Markt ein, sie bleiben in einer eigenen Welt. Die Vereinten Nationen haben 524 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung. Die meisten der knapp 8.000 Mitarbeiter und Sicherheitskräfte stammen aus dem Ausland. Was als multikulturelles Hilfsprogramm begann, empfinden viele in Osttimor als Zwei-Klassen-Gesellschaft. Denn Ausländer verdienen 5.000 Dollar und mehr im Monat, Osttimoresen erhalten aber nur 200 Dollar.<>


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