George Aditjondro:
„Die Molukken sind das Schlachtfeld der Eliten“

George Aditjondro war letzte Woche auf Einladung von Watch Indonesia! in Berlin, um am „Runden Tisch West-Papua“ sowie an der Konferenz „Conflicts and Violence in Indonesia“ teilzunehmen. Nach Abschluss des offiziellen Programms gab er der Wochenzeitung Jungle World das folgende Interview

Jungle World Nr. 29/12. Juli 2000

Jungle WorldIm Mai 1998 wurde Diktator Suharto gestürzt, sein Nachfolger als Präsident wurde Bacharuddin J. Habibie. Nach Wahlen ist im vergangenen Herbst eine Kompromissregierung aus den Kräften der alten Ordnung und Reformkräften gebildet worden: Abdurrahman Wahid wurde Präsident für die Muslime, Megawati Sukarnoputri wurde zur Beschwichtigung der Reform-Anhänger Vizepräsidentin, verschiedene Militärs und Anhänger von Suhartos Golkar-Partei erhielten Ministerposten.

Gegen Suharto wird wegen Korruption ermittelt, vergangene Woche explodierte eine Bombe im Büro der Generalstaatsanwaltschaft. Gegen Generäle sind unter anderem wegen der Massaker auf Ost-Timor Ermittlungen eingeleitet worden.

Mit dem Soziologen und Anthropologen George Aditjondro, der 1995 wegen seines Engagements für Ost-Timor Indonesien verlassen musste, sprach Carlos Kunze.

Präsident Wahid beschuldigte vergangene Woche Abgeordnete der Beratenden Volksversammlung, die Unruhen auf den Molukken anzuheizen. Welche Rolle spielen diese mörderischen Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Machtkämpfe in Jakarta?

Die Molukken dienen als Schlachtfeld für politische Spiele der Elite in Jakarta. Das hat nichts mit dem Recht der molukkischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung zu tun. Tatsächlich scheint der Beginn der Gewalt im Januar 1999 von Gruppen in Jakarta herzurühren, die damit gegen die erfolgreiche Mobilisierung der Studentenbewegung auf den Molukken vorgehen wollten. Die forderte dasselbe wie die Studenten auf Java: Rückzug des Militärs aus Politik und Wirtschaft, Abschaffung der Doppelfunktion des Militärs.

Die Militärs waren von dieser Bewegung wenig begeistert. Sie wollen die Auseinandersetzungen auf den Molukken benutzen, um die Reformbewegung innerhalb der Streitkräfte zu stoppen; die Pro-Reform-Generäle wie Agus Wirahadikusumah wollten aus den Streitkräften eine kleinere Verteidigungskraft machen, nach dem Motto „Back to the Barracks!“

Also Beschränkung der Rolle der Streitkräfte auf militärische Aufgaben, Rückzug aus Politik und Wirtschaft?

Richtig. Aber das sind nicht die einzigen Interessen, die in diesem Konflikt eine Rolle spielen. Die konservativeren muslimischen Parteien in Indonesien wollten unter dem Habibie-Regime verhindern, dass Megawati Sukarnoputri die Wahlen im Herbst 1999 gewinnt. Man kann sagen, dass das die zweite Agenda für die Anstifter der Unruhen auf den Molukken war: Unterminierung der Unterstützung für Megawatis Partei, die in jenem Teil Indonesiens stark verankert ist.

Die dritte Agenda kam auf, als Wahid im vergangenen Herbst Präsident wurde: Die rechten Muslimkräfte, die Wahids Präsidentschaft unterstützt hatten, sahen ihre Interessen gefährdet, als er seine Regierung auch für Christen und Chinesen öffnete. Sie suchten nach Wegen, ihn zu stürzen oder zumindest ihren Wünschen Respekt zu verschaffen. Sie haben Interesse daran, die Fakten auf den Molukken dahingehend zu manipulieren, dass sich die Unruhen als eine Form anti-moslemischer Säuberung darstellen. Dann ist die nahe liegende Schlussfolgerung: Weil Wahid und Megawati diese nicht stoppen können, sollten sie zurücktreten.

Die vierte Agenda sind die Geschäftsinteressen von Suhartos Familie und seinen Günstlingen. Die werden gerade von der Indonesian Banking Reconstruction Agency (IBRA) untersucht. Der Suharto-Clan hat Billionen Rupien (8.000 Rupien entsprechen etwa einem Euro, Anm. d. Red.) an Schulden bei den indonesischen Banken, die er nicht bezahlen konnte. Heute benutzt er die Unruhen auf den Molukken, um zu erklären, dass er dort nicht produzieren könne – Holz, Muskat, Bananen; deshalb sollten ihm die Schulden erlassen werden.

Es gab in den vergangenen Monaten Gerüchte über einen schleichenden Coup des Militärs gegen Präsident Wahid. Ist nach der Verhängung des Ausnahmezustands auf den Molukken eine Ausweitung auf ganz Indonesien zu befürchten?

Nein. Der Ausnahmezustand auf den Molukken zeigt, dass Präsident Wahid immer noch auf die Anti-Reform-Elemente, die Streitkräfte, hören muss. Durch den Ausnahmezustand wird den Kräften der fundamentalistisch-islamischen Miliz Laskar Jihad ebenso wie den Streitkräften auf den Molukken freie Hand gegeben.

Suhartos Interessen scheinen nicht nur auf den Molukken eine Rolle zu spielen. Gibt es Anzeichen dafür, dass Gelder von Suharto oder seinen Cronies nach Deutschland transferiert wurden?

Über direkte Transfers von Suharto-Geldern nach Deutschland habe ich keine Informationen. Aber über Investitionen von zwei seiner Cronies. Einer heißt Liem Sioe Liong alias Sudomo Salim, Boss der Salim Group (eines der bedeutendsten Konglomerate unter Suharto, Anm. d. Red.). Er hat beispielsweise die Deutschen Hydrier-Werke in Roßlau in Sachsen-Anhalt gekauft. Das ist quasi ein Suharto-Investment. Ein Günstling von Suhartos Sohn Bambang Trihatmodjo, Johannes Kotjo, hat in den letzten Jahren versucht, eine Reihe kleinerer ostdeutscher Gesellschaften zu kaufen, wie beispielsweise eine Fahrrad-Fabrik. Schließlich versuchte er, eine Gesellschaft indonesisch-chinesischer Geschäftsleute in Deutschland, Insulinde GmbH, zu übernehmen, eine Import-Firma für Nahrungsmittel aus China. Kotjo versuchte, den Direktor dieser Gesellschaft aus dem Spiel zu werfen; aber der zog vor Gericht und gewann.

Meiner Ansicht nach haben Liem Sioe Liong und Johannes Kotjo versucht, die ehemalige Treuhand-Gesellschaft zu nutzen – oder besser gesagt: zu missbrauchen -, um einige der ostdeutschen Ex-Staatsfirmen für eine Mark zu kaufen. Damit wollten sie ihre Fähigkeit, bei indonesischen Banken Kredite aufzunehmen, verbessern. Ihr Kalkül: Die indonesischen Banken würden nicht nach Deutschland gehen, um die ganzen Gesellschaften aus der Treuhand zu überprüfen. Hätten sie das getan, hätten sie zumindest gewusst, dass viele dieser Betriebe potenziell Verluste einfahren.

Eine andere deutsch-indonesische Connection: Was macht German Boy Bacharuddin J. Habibie mittlerweile?

Habibie hat nach seinem Rücktritt als Präsident versucht, sich als Menschenrechtler zu profilieren. Im Mai hat er das Habibie-Center eröffnet. Aber dieses Center ist schon in zwei Affären verwickelt. Anfangs wurde das Center zum Treffpunkt für die Rechtsanwälte, die General Wiranto (ehemaliger Kommandeur der Streitkräfte und Ex-Verteidigungsminister, der wegen seiner Befehlsgewalt der Mittäterschaft an den Massakern auf Ost-Timor beschuldigt wird, Anm. d.Red.) verteidigen. Als das bekannt wurde, zog sich das Anwalts-Team aus dem Habibie-Center zurück. Nun operieren sie aus einem Haus, das der indonesischen Armee gehört. Das war der erste Schnitzer des Habibie-Centers.

Der zweite Schnitzer, der in der indonesischen Presse weniger Beachtung fand: Der Mitarbeiterstab des Centers ist eng verbunden mit Hariman Siregar, einem früheren Studenten-Führer von 1974, der mittlerweile ein Crony von Habibies jüngerem Bruder Fanny ist. Hariman Siregar hat studentische und islamische Anführer und frühere islamische Militante zu organisieren versucht, die in Kampagnen involviert sind, um Wahid von der Präsidentschaft zu entfernen. In anderen Worten: Das Habibie-Center praktiziert Dinge, die die Menschenrechte nicht unterstützen, sondern jene verteidigen, die Menschenrechte verletzen.

Will Habibie sich aus der Politik zurückziehen?

Nein, er verfolgt seine Politik durch das Habibie-Center weiter. Muladi beispielsweise, ein ehemaliger Justizminister, einer der Top-Anwälte im Team zur Verteidigung der Generäle, befindet sich im Vorstand des Centers.

Zum einen versucht Habibie, sozusagen Indonesiens Jimmy Carter zu werden. Zum anderen aber unterstützt das Habibie-Center die Generäle dabei, aus ihren Schwierigkeiten herauszukommen. <>


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