Aceh bejubelt »humanitäre Pause«

Neues Deutschland, 17. Mai 2000

Alexander Flor zur Genfer Vereinbarung über Waffenruhe in der Konfliktregion Nordsumatra

Neues-Deutschland Nach Osttimor zeichnet sich in einer weiteren indonesischen Konfliktregion, in Aceh, eine Konfliktlösung ab. In Genf wurde am Freitag zwischen der Regierung und der Bewegung »Freies Aceh« eine Vereinbarung über eine »humanitäre Pause« abgeschlossen. Alexander Flor, Sprecher der Berliner Menschenrechtsorganisation »Watch Indonesia!«, sieht darin trotz aller Schwierigkeiten einen wichtigen Schritt zur Vertrauensbildung.

Ist mit der Genfer Vereinbarung über eine » humanitäre Pause« ein Ende des Bürgerkrieges auf Sumatra in Sicht?

Ich hoffe das. Es handelt sich um einen Waffenstillstand für zunächst drei Monate, der aus bestimmten politischen Gründen so nicht genannt werden darf. Aber ich hoffe doch, dass das der Einstieg in eine andauernde Waffenruhe ist und der erste Schritt zu weiterer Verständigung zwischen den beiden verfeindeten Lagern.

Welche politischen Gründe sind das, nach denen der Waffenstillstand nicht so genannt werden soll?

Das hat mit einer Anerkennung des Aceh-Widerstandes durch Regierung und Militär zu tun. Ein Waffenstillstand setzt in den Augen des Militärs zwei gleichwertige Gegner voraus. Doch für das indonesische Militär sind die Aceh-Leute nichts als aufmüpfige Rebellen.

Glauben Sie denn, dass das indonesische Militär diese »humanitäre Pause« einhalten wird?

Das ist die große Frage. Zunächst mal war das Militär an diesem Vertragswerk kaum beteiligt. Sicher ist es auf höherer Ebene in Jakarta konsultiert worden. Aber inwieweit die Kommandos, die in Aceh stationiert sind, darauf vorbereitet sind, ist nicht bekannt. Andererseits kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass es in den Reihen der Militärs viele gibt, die über diesen Waffenstillstand nicht sehr froh sind. Das Schlimme ist, dass die Provokation von ein oder zwei Leuten – auch solchen des bewaffneten Widerstands – genügen könnte, um den Genfer Ansatz zum Scheitern zu bringen.

Kann denn die Bewegung »Freies Aceh« für die gesamte Bevölkerung von Nordsumatra sprechen?

Ich weiß nicht, inwieweit sie für die gesamte Bevölkerung dieser Region sprechen kann. Auf jeden Fall ist die Vereinbarung von Genf von den Bewohnern Acehs einhellig begrüßt, ja euphorisch bejubelt worden. Am Tag der Unterzeichnung wurde ein Feiertag ausgerufen, die Kinder gingen nicht zur Schule, viele Leute beteten in den Moscheen, dass der Frieden halten möge. Uns sind auch von keiner einzigen Gruppierung in Aceh anders lautende Statements bekannt.

Nun hat aber »Freies Aceh« zugleich verkündet, dass die Bewegung das Ziel Unabhängigkeit nicht aufgegeben hat. Glauben Sie denn, dass Jakarta einer Unabhängigkeit von Aceh letztendlich zustimmt?

Vielleicht unter veränderten Voraussetzungen in einigen Jahren – ja. Aber das ist Spekulation. Das Wichtige ist erst einmal, dass dieser Frieden hält. Die Leute in Aceh wollen in allererster Linie ein Ende der Gewalt und des Terrors. Wenn sie das jetzt bekommen, ohne Unabhängigkeit, dann könnte es sein, dass sich für viele dieses Thema erledigt hat. Auch andere Streitpunkte könnten durch die von der neuen Regierung in Jakarta angestrebte größere Autonomie aller indonesischen Regionen ihre Schärfe verlieren. So etwa sollen die Provinzen auch stärker an den Erlösen für die Bodenschätze beteiligt werden – eine der markanten Forderungen im ölreichen Aceh. Und ich denke, gerade jetzt in der Anfangsphase ist es ganz wichtig, dass möglichst bald Ergebnisse sichtbar werden. Die in der Genfer Vereinbarung enthaltene Bildung gemeinsamer Kommissionen scheint darauf hin zu deuten, dass man ernsthaft um solche Ergebnisse bemüht ist. Die gemeinsamen Kommissionen für humanitäre Aktion und Sicherheit, die in der Provinzhauptstadt Banda Aceh etabliert werden sollen, sind sicherlich ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung, darüber hinaus soll es ja auch gemeinsame Patrouillen von Militärs und Aceh-Kämpfern geben. Die Frage ist, wie geht man mit den Fällen um, die bisher in der Mehrzahl waren: Es wird irgendwo eine Leiche gefunden und niemand weiß, wer diese Person eigentlich umgebracht hat. Jedenfalls besteht jetzt die Möglichkeit, das Konfliktpotenzial in Aceh deutlich zu minimieren.

Bereits zu Zeiten von Generalspräsident Suharto verlangte »Freies Aceh« eine Bestrafung der Menschenrechtsverbrechen von Militärs an der Bevölkerung Nordsumatras. Hat man diese Forderung aufgegeben?

Nein, keinesfalls. Das ist auch keine Forderung, die nur vom Widerstand in Aceh gestellt wird. Die Ahndung der Menschenrechtsvergehen im ganzen Lande wird von der gesamten Zivilgesellschaft in Indonesien getragen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit – im Aceh-Konflikt gab es in den letzten zehn Jahren rund 5.000 Todesopfer – ist eine Frage der Glaubwürdigkeit des neuen Regimes in Jakarta.

Gibt es Anzeichen dafür, dass sich in dieser Sache in Aceh etwas bewegt?

Es hat sich etwas bewegt, aber wir und andere Menschenrechtsorganisationen sind nicht zufrieden damit. Tatsache ist, dass vor einigen Tagen ein Prozess gegen 23 Militärs eröffnet wurde, die fünf schwerer Menschenrechtsverletzungen im Jahre 1999 angeklagt werden. Doch dieses Gericht ist eine Mischung aus einem Militärgericht und einem zivilen Gericht. Es geht hier aber nicht um militärische Disziplin, sondern um Mord und Vergewaltigung in vielen schweren Fällen. Schlimmer noch ist, dass der Prozess mit großer Verspätung begann, weil der Hauptangeklagte – zugleich die Schlüsselfigur für die Aufklärung der Verbrechen – spurlos verschwunden ist. Man weiß aber, mit welchem Auto er zum Flughafen gefahren wurde, und die Autonummer weist darauf hin, dass er Helfershelfer im Militär hatte. Man vermutet, dass befreundete Militärs versuchen, den Prozess dadurch zu torpedieren, dass sie ihn verstecken.

Fragen: Jochen Reinert


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