"In the Spotlight"

Dirty Vote: „Ich könnte mir Ignoranz nicht verzeihen“

Faire Wahlen? Ein Interview mit dem Dokumentarfilmer Dandhy Dwi Laksono über seine viral gegangene Dokumentation zu den Wahlen 2024 in Indonesien.

14.03.2024

Faire Wahlen in Indonesien? Ein Interview mit Dandhy Dwi Laksono über seinen viral gegangenen Film, der Manipulationen während des Wahlkampfes kritisiert.

Am 14. Februar 2024 fanden in Indonesien die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Erste Auszählungen ergaben einen erdrutschartigen Sieg für das Kandidatenpaar Prabowo Subianto und Gibran Rakabuming Raka. Der Ex-General mit einer mindestens problematischen Menschenrechtsbilanz und der Sohn des amtierenden Präsidenten Joko Widodo (Jokowi genannt) stellten sich als Präsident und Vizepräsident zur Wahl.

Vorwürfe der politischen Einflussnahme und der Einsatz von öffentlichen Personal- und Finanzressourcen zur Stärkung der Kampagne Prabowo-Gibran überschatteten die Wahl. Dass das Verfassungsgericht unter dem Vorsitz des Schwagers von Jokowi, die Kandidatur von Gibran erst ermöglichte, betrachten viele als Rechtsbeugung.

In der wenige Tage vor der Wahl veröffentlichten Enthüllungsreportage „Dirty Vote“ von Dokumentarfilmer Dandhy Dwi Laksono gehen drei Staatsrechtler:innen diesen Vorwürfen nach. Mit mittlerweile über 20 Millionen Klicks schlägt der Film Wellen und die Macher:innen haben Repression zu befürchten.

Dokumentation „Dirty Vote“

Dandhy, am 10. Februar hast du den Trailer zu deinem neusten Film „Dirty Vote“ bei YouTube veröffentlicht, einen Tag später dann den Film selbst. Drei Tage vor der großen Wahl. Kannst du uns erzählen, worum es in dem Film geht?

Der Film enthüllt ein Muster, welches Wahlen in Indonesien bereits im Vorfeld unfair macht. Wir haben mit drei Staatsrechtler:innen zusammengearbeitet. Sie haben Entwicklungen beobachtet, in denen sie das Potential für Wahlmanipulation ausmachen. Die Manipulation ist strukturell, systematisch und sehr massiv.

Ihre Analysen zeigen, das Wahlberechtigte darauf konditioniert wurden, eine bestimmte Partei zu wählen. Die Einflussnahme besteht darin, dass Wähler:innen gezielt in die Befürwortung der Partei gesteuert wurden, für die Jokowis Sohn als Vizepräsident antrat. Die tatsächliche Ausgestaltung ist recht komplex und die Vorbereitungen für diese Einflussnahme begannen bereits vor drei Jahren. So wurde eine Reihe von relevanten Regularien auf eine Weise angepasst, dass regierungsloyale Beamt:innen, Generäle, Provinzvorsteher:innen, Bürgermeister:innen und Distriktvorsteher:innen auf Posten gesetzt werden konnten, die sie in die Lage versetzte Wähler:innenentscheidung in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Wir wollten diese Inszenierung sichtbar und einem breiten Publikum zugänglich machen.

Erinnerst du dich an den Moment, in dem du entschieden hast, diesen Film zu produzieren? Gab es einen bestimmten Trigger?

Ich habe täglich eine Flut an Neuigkeiten und Posts in den sozialen Medien bezüglich der Wahl gesehen, die mich normalerweise nicht zu sehr interessieren. Ich wähle eigentlich nicht. Aber, die Events und Posts wurde so intensiv, dass meine Alarmglocken losgingen. Die Entscheidung handeln zu müssen wurde ausgelöst von einem Podcast von Feri Amsari. Er ist einer der drei Staatsrechtler:innen, die auch im Film zu sehen sind.

Missstände treten ans Licht

Worum ging in dem Podcast?

Feri Amsari berichtet von einer Fülle an Daten, die er zusammengetragen hat, die zeigen, wie Jokowi das Potenzial zur Wahlmanipulation schuf. Das hat mich neugierig gemacht und wir haben sein Material diskutiert. Gleichzeitig haben wir eine eigene Recherche gestartet.

Wie seid ihr dann weiter vorgegangen?

Wir haben versucht, Verbindungen zwischen einzelnen Ereignissen zu erkennen, z.B. Dynamiken im Zusammenhang mit dem Urteil des Obersten Verfassungsgerichts in Bezug auf das Mindestalter für Präsidentschaftskandidat:innen. Die Beweise, die wir fanden waren überzeugend. Sie sind schlüssig und logisch, weder erfunden, noch hypothetisch. Auf der Grundlage von Fakten, die wir aus Nachrichtenmeldungen zusammengetragen haben und wissenschaftlichen Recherchen, weist der Film konkrete Missstände nach.

Wir kontaktierten dann weitere Wissenschaftler:innen als zusätzliche Kontrollinstanz. Am Ende arbeiteten wir mit drei Staatsrechtexpert:innen. Sie sind Dozierende an Universitäten und äußerten sich bereits in der Vergangenheit öffentlich zu unlauterer Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und der Verdrehung des Rechts. Sie wurden bisher jedoch nicht ausreichend gehört. Die Öffentlichkeit schien ihre Analysen zu ignorieren.

Während des Wahlkampfes wurde viel Lärm gemacht, eine Menge Propaganda, eine Menge Falschmeldungen kursierten. Dieser Lärm übertönte die wissenschaftlichen Analysen und sorgten dafür, dass ihre Botschaften es nicht ins Rampenlicht schafften. Ich wollte den Scheinwerfer auf sie richten und ein Gegengewicht zu den Mainstream-Medien generieren. Die Öffentlichkeit muss wissen, dass da eine große Geschichte im Gange ist, die nur aus der Vogelperspektive zu begreifen ist. Die tägliche Berichtserstattung schaffte es nicht, dieses große Bild, die ganze Geschichte offenzulegen. Dieses bislang unbekannte Gesamtbild zeigt der Film.

Du sagst, die drei Hauptprotagonisten, die Staatsrechtsexpert:innen, haben vor dem Film noch nicht zusammengearbeitet?

Sie sind bekannt als kritische und mutige Rechtswissenschaftler:innen. Aber ihre Kräfte waren zuvor nicht gebündelt. Das ist erst durch den Film passiert. Wir haben bewusst ausschließlich Rechtsexpert:innen ins Rampenlicht gestellt. Es war nicht die Absicht, was oft als „beide Seiten“ betitelt wird, abzubilden. Es ist ein Gegengewicht zur Berichterstattung, die von der Regierung kommt, von bezahlten Beobachter:innen oder von Forschungsinstituten, die Teil der Wahlkampagnen sind.

„Der Film gehört der Öffentlichkeit“

War es schwierig die Wissenschaftler:innen davon zu überzeugen bei dem Film mitzuwirken? Sie geben ihre Namen und Gesichter in der Öffentlichkeit preis. Sie wissen, dass deine Filme eine große Reichweite und potentiell auch weitreichende Konsequenzen haben.

Nein, es brauchte nicht viel, sie für den Film zu gewinnen. Sie sind bekannt und in den Medien präsent. Bisher waren sie nur kleine Teile in einem Tsunami von Informationen, der über das Land rollt. Sie in einem Film zusammenzubringen verstärkt ihre Botschaft.

Watchdoc, dein Produktionshaus, hat ein eigenes Studio. Für diesen Film habt ihr jedoch an einem anderen Ort gearbeitet.

Von Anfang an ist dieser Film nicht unter dem Logo eines bestimmten Produktionshauses entstanden. Es ist eine Kooperation von vielen Partner:innen. Die Belastung der politischen Tragweite, der Zeitdruck und der logistische Aufwand wäre zu groß für ein kleines Produktionshaus wie Watchdoc. Das können wir nicht alleine stemmen. Der Film gehört der Öffentlichkeit und jede:r sollte ihn sich bei YouTube angucken können. Niemand verdient an dem Film. Es ist eine öffentliche Angelegenheit, von der Öffentlichkeit für die Öffentlichkeit.

Viele von uns in Produktion und die Expert:innen haben ehrenamtlich am Film mitgewirkt. Nur einige Techniker:innen und die Filmcrew wurden entlohnt, daneben Materialkosten. Das Budget war daher vergleichsweise gering.

Noch eine Frage zu dem Produktionsort. In einem Vorab-Gespräch hast du von einem ‚safe house‘ gesprochen. Was bedeutet das?

Wir haben zehn Tage lang an einem Ort gearbeitet, an dem wir uns sicher fühlen und ungestört zusammen sein konnten. Wir haben mit super knappen Deadlines gearbeitet, frei von Ablenkungen. Aber auch vor möglichen Gefahren. Wir haben fast alle Familie und wollten durch den Aufenthalt im ‚safe house‘ keine Familienmitglieder gefährden.

Die Wahl war am 14. Februar. Den Trailer habt ihr am 10. Februar veröffentlicht, gemeinsam mit der Ankündigung für den Film am 11. Februar. Warum habt ihr entschieden, den Film so knapp vor der Wahl zu bringen?

Die einzig rationale Antwort auf diese Frage ist eine logische Antwort. Wir haben den Film genau zu diesen Daten fertiggestellt. Wir haben nur zwei Wochen vor der Wahl und somit auch ca. zwei Wochen vor Veröffentlichung mit der Produktion begonnen. Wir hatten nicht den Luxus, das Release-Datum frei zu wählen. Das ist der erste Teil der Antwort. Gleichzeitig ist der Moment sicherlich auch politisch gewählt, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. Diese Gelegenheit ergibt sich nur alle fünf Jahre [Anm.: Wahlen finden alle 5 Jahre statt], es ist eine seltene Gelegenheit, somit haben wir natürlich das Datum auch bewusst gewählt.

Angriffe und Unterstützung 

Kannst du beschreiben, was sich nach der Veröffentlichung des Trailers ereignete?

Wir haben am 10. Februar um 10 Uhr den Trailer veröffentlicht, in dem bereits angekündigt wurde, dass wir am 11. Februar um 11 Uhr mit dem Film online gehen. Beim Hochladen gab es jedoch technische Probleme, und wir konnten 11 Uhr nicht halten. Zeitgleich hörten wir, dass das Team Prabowo-Gibran zu einer Pressekonferenz um 13.30 Uhr einlädt, in der sie den Film als Verleumdungsstrategie entlarven möchten. Wir wunderten uns darüber, wie der Film als Verleumdung eingestuft werden kann, bevor dieser veröffentlicht ist.

Gleichzeitig sahen wir die Einberufung zur Pressekonferenz als einen Segen, sie machte eindeutig Werbung für den Film. Das Presseteam hoffte wohl, die Zeit zwischen 11 Uhr und 13.30 Uhr nutzen zu können um den Film zu sehen, doch er war erst später online. Durch die Verzögerung bei Hochladen war es quasi unmöglich, dass sie den Film zum Zeitpunkt der im TV übertragenen Pressekonferenz, ganz geschaut haben konnten, vielleicht haben sie 20 Minuten gesehen.

Am nächsten Tag wurde bekannt, dass ich und die drei Staatsrechexpert:innen angezeigt wurden. Der Vorwurf lautet wohl Wahlmanipulation. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Anzeige von der Partei Solidaritas Indoensia (PSI) kommt. Der Vorsitzende dieser Partei ist ein weiterer Sohn Jokowis, der Bruder von Gibran, dem Vize-Kandidaten.

Außerdem begannen Attacken auf uns in den sozialen Medien. Ich wurde persönlich attackiert, mir wird vorgeworfen aus dem Ausland finanziert und gelenkt zu sein und dass der Film eine aus dem Ausland gesteuerte Anti-Nickel-Kampagne sei. Das alles bestärkt uns nur das Richtige zu tun.

Dies sind nun eher negative Ereignisse. Gibt es auch positive Entwicklungen die du beobachtest?

Na klar, es sind auch viele erfreuliche Dinge passiert. Wir haben überwältigendes positives Feedback auf den Social Media Plattformen erhalten. Wir hatten nach nur zwei Tagen schon 13 Millionen Klicks, das spiegelt auch die Macht der Zivilbevölkerung wieder. Ein Tag nach Veröffentlichung des Films, konnte der Film bei YouTube und Google nicht mehr als Suchergebnis gefunden werden, etwas, das wir ‚shadow banning‘ nennen. Wir wurden aber auch hier unterstützt. Privatpersonen haben den Film auf ihren Kanälen hochgeladen und ihn somit wieder sichtbar gemacht. Diese Kraft der Zivilbevölkerung sehen wir als politische Unterstützung an.

Du hast uns von Herausforderungen berichtet, von Anzeigen, Attacken auf Social Media, der Notwendigkeit eines ‚safe house‘ während der Produktionsphase. Trotz dieser Widrigkeiten scheinst du daran festzuhalten, den Film weiter zu verbreiten. Was treibt dich an?

Erstens bin ich überzeugt, dass er einen Beitrag leistet, ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Wir möchten nicht Teil der Ignoranz sein, die die Machenschaften von Politiker:innen hinnimmt. Wir möchten eine neue Geschichte Indonesiens, eine Geschichte mit fairen Wahlen. Was wir auf keinen Fall möchten, ist ein Schritt zurück in Richtung der Suhartos-Ära, als Nepotismus unsere Wahlen prägte.

Die Art und Weise wie der amtierende Präsident Jokowi seinen Sohn als seine Nachfolge im politischen System installiert, ist komplett inakzeptabel für mich und für viele andere Menschen in diesem Land. Wir haben unter einem totalitären [sic!] Regime unter Suharto gelebt. Wir haben schon einmal gesehen, wie Wahlbetrug aussieht und zu was er führt. Es wäre eine große Sünde, die ich mir selbst nicht vergeben könnte, wenn das wieder so passiert und ich tatenlos dabei zugesehen hätte.

Was sind deine Pläne für die nächsten Tage?

Wir haben entschieden weiter zu machen, weil wir hinter dem Film stehen, aber auch zum Selbstschutz. Am 18. Februar starteten wir eine Roadshow. Zusammen mit den Rechtsexpert:innen und dem Filmteam reisen wir in viele indonesische Städte, um den Film öffentlich zu zeigen und zu diskutieren. Am 20. März wird das endgültige Wahlergebnis bekannt gegeben. Bis mindestens dahin werden wir mit unterwegs sein. Uns und den Film weiter ins Rampenlicht zu stellen, schützt sowohl unsere Demokratie, als auch uns als Gruppe. Prabowo soll nicht denken, dass er sich ausruhen kann. Wir sind mit dieser Geschichte noch nicht fertig.

Das Interview wurde von Yvonne Kunz und Michael Schnitzius im Februar 2024 geführt. Es erscheint bei der Stiftung Asienhaus und Watch Indonesia!

Interviewpartner: Dandhy Dwi Laksono ist ein investigativer Journalist, der das Produktionshaus Watchdoc gegründet hat. Watchdoc produziert kritische Dokumentarfilme zu politischen und ökologischen Themen in Indonesien. Sie sind vor allem für ihren Film „Sexy Killers“ bekannt, der Verbindungen von Oligarchen im Bergbausektor zu politischen Ämtern in der indonesischen Regierung enthüllt.

Yvonne Kunz ist promovierte Humangeographin und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Mensch-Umwelt-Beziehungen und Regularien natürlicher Ressourcen, vor allem in Indonesien. Bei Watch Indonesia! e.V. war sie als Umwelt-und Klimareferentin tätig und ist bis heute aktives Mitglied. Michael Schnitzius beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Indonesien. Unter anderem unterstützt er seit mehreren Jahren die Save Kendeng Kampagne, zu der Dandhy auch ein Film gemacht hat.

 

Fotos: Watchdoc und Expedisi Indonesia Baru

 


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