Den inneren Frieden bewahren

iz3w Nr. 369, Oktober 2018

In Indonesien konnten Konflikte deeskaliert werden

Indonesien hat viele Bürgerkriegshandlungen hinter sich, darunter antikoloniale, islamistisch begründete und sezessionistische Kämpfe. Immer wieder gelingt es, die Gräben halbwegs zuzuschütten. Von positivem Frieden ist das Land aber weit entfernt.

 von Alex Flor

iz3wIn Indonesien leben rund 260 Millionen Menschen, die verschiedensten Ethnien angehören, unterschiedliche Kulturen und Religionen pflegen und mehr als 250 Sprachen sprechen. Die Republik Indonesien ist dabei ein Erbe des Kolonialismus. Ihr lagen Gebietsansprüche entlang wirtschaftlicher und strategischer Interessen von Kolonialmächten zugrunde. Diesen folgte beispielsweise ein mit dem Lineal gezogener senkrechter Grenzstrich, der den zu Indonesien gehörenden Inselteil Westpapua vom Nachbarstaat Papua-Neuguinea (PNG) trennt.

Die Gründer der postkolonialen Republik um den späteren Staatspräsidenten Sukarno kämpften zu Ende des Zweiten Weltkriegs für die Unabhängigkeit der von den Niederlanden kontrollierten Gebiete in Südostasien. Sukarno versuchte aus der Not eine Tugend zu machen. Mittels der Staatsphilosophie »Pancasila« (verkürzt: Gott, internationale Solidarität, nationale Einheit, Demokratie und Gerechtigkeit) und mit dem Staatsmotto »Einheit in Vielfalt« sollte eine gemeinsame Basis geschaffen werden.

Das funktionierte nur bedingt. Nach der Unabhängigkeit Indonesiens 1945 erhoben sich in den 1950er Jahren sezessionistische islamische Bewegungen gegen den Einheitsstaat. Sie fanden Unterstützung durch die USA, denen Sukarnos Kuschelkurs mit den KommunistInnen im In- und Ausland missfiel. Die Aufstände wurden militärisch besiegt, aber Sukarno stürzte letztlich über die bis heute ungeklärten Ereignisse am 1. Oktober 1965 um einen Putschversuch. General Suharto nutzte die Gunst der Stunde, um für die kommenden 32 Jahre die Macht als Diktator zu übernehmen. Schätzungsweise eine Million des Kommunismus Verdächtigte bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Doch auch Suharto hielt an der Pancasila fest, um den inneren Frieden im Land zu wahren. Er verwandelte die Philosophie der Pancasila in ein Zwangsinstrument, in eine Doktrin. Alle zivilgesellschaftlichen Organisationen mussten sich dazu bekennen. Unter dem Vorwurf des Schürens von Konflikten des Typs SARA (suku, agama, ras dan antar golongan – Ethnie, Religion, Rasse und Klasse) drohte massive Verfolgung. Etliche SARA-Konflikte schwelten weiter, kamen unter dem bleiernen Deckel der Repression aber selten zum Ausbruch. Ausnahmen waren die Regionen Osttimor, Papua und Aceh.

Widerstand und Sezession

Osttimor ist wohl der eindeutigste Fall. Die östliche Inselhälfte war rund 500 Jahre lang eine portugiesische Kolonie. Nach dem Sturz des dortigen Diktators Salazar sahen die Dekolonisierungsparteien den Moment zur Unabhängigkeitserklärung gekommen. Suharto – und zahlreiche westliche Politikerinnen – sahen vor allem in der dominierenden linken FRETILIN eine Bedrohung durch ein »zweites Kuba«. Mit Billigung der USA marschierten indonesische Truppen 1975 in Osttimor ein. Wenig später wurde das Land als 27. Provinz Indonesiens annektiert. Die Bevölkerung Osttimors bezahlte die Annexion mit einem immensen Blutzoll: bis zu 183.000 der 800.000 EinwohnerInnen Osttimors fielen ihr insgesamt zum Opfer.

Ähnlich, aber keineswegs gleich, stellte sich die Situation in Westpapua dar. Westpapua gehörte bis in die 1960er Jahre nicht zu Indonesien, sondern befand sich weiter unter Kontrolle der Niederlande. Das stand im Widerspruch zu Sukarnos Anspruch an Indonesien als einen aus allen einst niederländisch beherrschten Gebieten gebildeten Einheitsstaat. Nach einigen diplomatischen Depeschen, in denen Druck auf die Niederlande ausgeübt wurde, und der von Indonesien inszenierten Volksabstimmung »Act of Free Choice«, an der nur rund 1.025 gekaufte und unter Druck gesetzte Papua teilnehmen durften, wurde die Region mit Segen der UN offiziell Indonesien zuerkannt.

Wieder anders war die Situation in Aceh. Die Provinz sah sich seit Gründung der Republik um ihren damals versprochenen Sonderstatus betrogen. 1976 formierte sich unter Führung von Hasan di Tiro die Widerstandsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka – Bewegung Freies Aceh). Diese befand, dass die Ressourcen der Provinz Aceh einseitig zugunsten des Zentralstaates ausgebeutet würden. Historische Quellen sollten begründen, warum Aceh nicht Teil der Republik Indonesien sein könne. Von 1976 bis 2004 befand sich Aceh de facto im Krieg mit der Zentralmacht. Auf beiden Seiten wurden schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Tausende von Menschen fielen dem Konflikt zum Opfer.

Mit dem Abtritt von Diktator Suharto und der einsetzenden Reformbewegung (reformasi) brachen alle Dämme. Die längst als Repressionsinstrument verstandene Pancasila galt als überholt. Davon befreit, erlangten auch islamistische Strömungen neuen Bewegungsspielraum. Hassprediger kehrten aus dem Exil zurück. In einer Gesellschaft, deren ideologisches Fundament gerade zusammengebrochen war, fanden sie fruchtbaren Boden. Mangels anderer Werte orientierten sich viele Menschen an ihrer religiösen oder ethnischen Identität.

In Zentralsulawesi, Westkalimantan und auf den Molukken brachen neue blutige Konflikte aus. Alte Konflikte wie in Osttimor, Aceh und Papua, verschärften sich. Befürchtungen wurden laut, das Land werde auseinanderbrechen. Nur in einem langwierigen Prozess beruhigte sich die Lage wieder.

Negative Friedensschlüsse

Über die politische Zukunft Osttimors ließ Interimspräsident Habibie für August 1999 ein Referendum zu. Das überwältigende Votum der WählerInnen für die Unabhängigkeit war ein Schlag ins Gesicht des indonesischen Militärs und der Regierung. Man hatte felsenfest an die eigene Propaganda geglaubt. Ein Rachefeldzug folgte, bei dem ganze Dörfer ausgelöscht und tausende Menschen getötet oder vertrieben wurden. Erst die unter dem Kommando Australiens stehende internationale Eingreiftruppe INTERFET konnte im September dem Morden ein Ende setzen. 2002 erlangte Osttimor die Anerkennung als unabhängiger Staat Timor Leste. Das bilaterale Verhältnis mit Indonesien kann seither als gut beschrieben werden. Die Menschenrechtsverbrechen werden dabei nicht mehr problematisiert. Die Opfer werden mit Verweis auf die Berichte zweier Kommissionen vertröstet, deren Empfehlungen jedoch nie umgesetzt wurden.

Der Krieg in Aceh fand sein Ende nach dem verheerenden Tsunami 2004. Die Kriegsparteien waren längst kriegsmüde. So kam es unter Vermittlung der AMM (Aceh Monitoring Mission) zu einem Friedensschluss. Beide Seiten legten die Waffen nieder und Aceh wurde der Autonomiestatus innerhalb Indonesiens gewährt. Heute ist die Region befriedet. Die bittere Konsequenz ist, dass sich in Aceh eine streng an der Scharia orientierte Rechtsordnung durchsetzte, aufgrund derer regelmäßig Menschen wegen außerehelicher Beziehungen (insbesondere LGBT), Alkoholgenuss oder Glücksspiel öffentlich ausgepeitscht werden. Wenngleich viele der neuen Gesetze und Praktiken in Aceh in Widerspruch zu Indonesiens Verfassung und der vom Staat ratifizierten Menschenrechtskonventionen stehen, traut sich die Zentralregierung nicht zu intervenieren.

So sind die Regeln einer harten Scharia nicht unpopulär.  Andere Provinzen und PolitikerInnen orientieren sich längst am »Vorbild« Acehs. Eine Wahrheitskommission, die sich mit den Menschenrechtsverletzungen während des Krieges beschäftigen soll, ist im Aufbau. Unterstützung erfährt sie jedoch von keiner der damaligen Konfliktparteien.

Vergleichsweise unverändert gestaltet sich die Lage in Westpapua. Zwar nahm der Konflikt längst eine Wendung: Weg von den gewaltsamen Aktionen der bewaffneten Befreiungsbewegung OPM/ TPN (Organisasi Papua Merdeka/Tentara Papua Nasional) hin in Richtung friedlicher Initiativen der ULMWP (United Liberation Movement for West Papua). Indonesiens Sicherheitskräfte scheinen jedoch weder willens noch in der Lage, diese Veränderungen wahrzunehmen. So hält die Repression gegenüber der indigenen Bevölkerung unvermindert an. Internationalen BeobachterInnen bleibt die Region Papua verschlossen und die Fronten verhärten sich. Vor Jahren noch forderten viele Papua den Dialog mit der Regierung in Jakarta. Mittlerweile wollen sie nur noch Unabhängigkeit. »Dialog« ist zum Unwort geworden.

Mittels der Friedensabkommen für Poso (Zentralsulawesi) und den Molukken konnten auch diese neueren Konflikte bereits vor Jahren beigelegt werden. Wenngleich aus Poso bis zum heutigen Tag gelegentlich glaubhafte Nachrichten über Trainingslager für islamistische Terroristen die Runde machen, so ist der Alltag in den Regionen längst wieder ruhig. Der Preis dafür war eine fast vollständige Segregation der Bevölkerungen. Christen aus Poso flohen ins benachbarte Tentena. Auf der Insel Ambon/Molukken ist der gesamte Norden nur noch muslimisch bevölkert. Eine historische Kirche steht unter Denkmalschutz und wird auch entsprechend gepflegt. Doch Kirchgängerinnen gab es schon lange nicht mehr. Die Christinnen leben im Süden der Insel.

Die nächste Bewährungsprobe für die Pluralität Indonesiens besteht im Umgang mit der wachsenden Intoleranz gegenüber religiösen, sexuellen und ethnischen Minderheiten.

Alex Flor ist Mitarbeiter von Watch Indonesia! (www.watchindonesia.org). Er ist Mitherausgeber des 2017 erschienenen Buches »Peacebuilding in Aceh – zwischen Tsunami und Scharia«.


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1 Kommentar

  1. Eine interessante Zusammenfassung der Geschehnisse in Indonesien seit 1945, wobei man die Regierungsentwicklung bei Achmed Sukarno ansatzweise mit der Titos in Jugoslawien vergleichen kann – bei beiden brach die bestehende Ordnung in ihren Vielvoelkerstaaten zusammen,nachdem sie ihr Amt verloren hatten.
    Beide waren ja in uebrigen fuehrende Vertreter der sog. „Blockfreien“, zu denen auch Jawaharlal Nehru gehoerte, und sie wurden vom westlichen Lager waehrend des sog. „kalten Krieges“ lange als „kommunistenfreundlich“ beargwoehnt. Sukarnos (tendenzielle) Zuwendung zum kommunistischen Lager wurde m. W. aber erst greifbarer, als der Viet Nam – Krieg eskalierte.


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