Information und Analyse

Oberstes Gericht bestätigt Räumung des Armenviertels Bukit Duri

Watch Indonesia! – Information und Analyse, 08. März 2017

 

von Alex Flor

 

SanggarCiliwung16

Hochwasser in Bukit Duri 2007

Foto: Alex Flor

„Unglücklicherweise gibt es Beispiele dafür, dass frühere Gerichtsentscheidungen durch höhere Gerichte gekippt wurden,“ schreibt die Autorin des unten stehenden Beitrags etwas ungelenk bezüglich des erstinstanzlichen Urteils des Verwaltungsgerichts Jakarta vom 5. Januar 2017. Dieses hatte die Räumung des Armenviertels Bukit Duri am Ufer des Flusses Ciliwung für gesetzeswidrig erklärt.

Selbstverständlich ist es in einem Rechtsstaat eher ein Glück als ein Unglück, dass höherinstanzliche Gerichte ein in erster Instanz gefälltes Urteil widerrufen können. Voraussetzung dafür ist, dass der Rechtsstaat tatsächlich funktioniert und sämtliche Instanzen der Justiz frei und unabhängig entscheiden können. Unter dieser Voraussetzung wäre es unerheblich, ob einem ein Urteil in der Revisionsinstanz gefällt oder nicht. Aber eben auch nur dann.

Der Beitrag von Edith Koesoemawiria erschien leider fast gleichzeitig mit der Nachricht, dass der Oberste Gerichtshof Indonesiens (Mahkamah Agung) das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichtes mit Urteil vom 6. März 2017 kassiert hat. Tatsächlich ein unglückliches Urteil. In einer nicht autorisierten vorläufigen Kurzfassung der Urteilsbegründung, die uns zur Stunde noch nicht komplett vorliegt, heißt es sinngemäß: »der Streit um den Grundstücksbesitz in Kampung Pulo ist nicht länger relevant, da die Räumung bereits am 16. August 2016 vollzogen wurde.« Wahrhaft zynisch, sollte sich dieser Wortlaut tatsächlich im schriftlichen Urteil wiederfinden!

Politische Relevanz

Der amtierende Gouverneur Jakartas, Basuki Tjahaja Purnama, bekannt als »Ahok« steht aufgrund seiner chinesischen Abstammung und seines christlichen Glaubens unter starkem Beschuss von muslimischen Hardlinern. Selbige stehen offensichtlich in der Gunst seiner politischen Gegner.

Bukit Duri geräumt

2017: geräumte Flussufer. In der Mitte des Bildes die Moschee

Foto: Alex Flor

Das Beispiel der Räumung von Bukit Duri spricht Bände. Der frühere Gouverneur Fauzi Bowo führte vor Jahren die Kampagne zu seiner Wiederwahl unter Bemühung seiner Herkunft als Betawi (Ureinwohner Jakartas) und seiner Religionszugehörigkeit als Muslim. Bezüglich der Räumung des Armenviertels Bukit Duri verfolgte er ähnliche Pläne wie der heute amtierende Gouverneur Ahok. Erst gegen Ahok machen islamistische Organisationen deswegen Stimmung.

Zur Regierungszeit seines Vorgängers gab es keine solche Front gegen Räumungspläne. Dennoch verlor Fauzi Bowo die Wahlen und wurde mit dem Posten des Botschafters der Republik Indonesien in Berlin entschädigt. Heute machen dieselben Kräfte, die seinerzeit Fauzi Bowo im Wahlkampf unterstützten, Stimmung gegen Ahok, der – neben vielen begrüßenswerten Schritten – nichts anderes tut als einige schlechte Pläne seines Vorgängers in leicht modifizierter Form umzusetzen. Sofern sich seine Gegner jenseits religiöser Hetze überhaupt auf Sachthemen einlassen, führen sie gerne das Schicksal der aus ihren Vierteln vertriebenen Slum-BewohnerInnen an – eine Bevölkerungsgruppe, die Fauzi Bowo und seinen AnhängerInnen vor Jahren noch reichlich egal war.

Ortsbegehung

Zwischen Weihnachten und Neujahr verbrachte ich einige Tage in Jakarta. Ich machte gar nicht erst den Versuch, irgendwelche Termine zu vereinbaren. Es war mir klar, dass zwischen den Jahren kaum jemand am Arbeitsplatz zu sprechen sein würde. Stattdessen machte ich auf eigene Faust eine Ortsbegehung in Bukit Duri. Das Viertel ist mir seit vielen Jahren aus zahlreichen Besuchen vertraut.

Als erstes fiel mir auf, dass die ärmlichen Behausungen, die sich einst auf dem Bukit Duri gegenüberliegenden Ufer des Flusses Ciliwung befanden, verschwunden waren und einer Uferbegradigung aus Betonelementen Platz machen mussten.

Als zweites fiel mir auf, dass in Bukit Duri – mit Ausnahme einer Moschee (!) – alle Gebäude zur am Flussufer gelegenen Straßenseite abgerissen wurden, dass aber alle nicht minder ärmlichen Gebäude rechts dieser Straße nach wie vor intakt geblieben sind. Dort waren sogar Bauarbeiten für ein neues Gebäude im Gange: auf einem Schild war zu lesen, dass hier eine Musala (nicht geweihter muslimischer Gebetsraum) für die Nachbarschaft entstehen soll.

Bukit Duri 2017

Diese Häuser haben bislang überlebt

Foto: Alex Flor

Es schien sich bei dem zweifelsohne rechtswidrigen Vorgehen der Stadtverwaltung also keineswegs um eine komplette Räumung eines Armenviertels zum Zwecke der Aufwertung oder Gentrifizierung des gesamten Viertels gehandelt zu haben. Der Abriss der Häuser am Flussufer schien tatsächlich einzig und alleine den – freilich umstrittenen – Plänen der Flussbegradigung zum Schutz vor Hochwassern zu dienen. Bei meinem Besuch waren die Arbeiten zur Befestigung des Ufers durch Betonelemente, wie am gegenüberliegenden Ufer, bereits weit fortgeschritten.

Störend bei diesem Anblick war die Moschee. Als einziges Gebäude stand sie noch immer im Bereich des zu begradigenden Flussufers. Offensichtlich hatte sich die Stadtverwaltung unter dem wegen angeblich islamfeindlicher Äußerungen angeklagten Gouverneur Ahok nicht getraut, auf dieses Haus Allahs ebenso erbarmungslos die Abrissbirne niedergehen zu lassen wie auf die benachbarten Wohnhäuser und das Gemeindezentrum »Sanggar Ciliwung«. Was auch immer man von Ahoks Plänen zum Hochwasserschutz halten mag: wenn aus Rücksicht auf religiöse Gefühle diese eine Lücke in der Flussbegradigung bestehen bleiben sollte, dann war das gesamte Projekt für umsonst. Das Wasser sucht sich seinen Weg – und sei es mitten durch ein Gotteshaus. Und das ist keine Blasphemie, sondern ein Naturgesetz.

 


 

Blickwechsel, Stiftung Asienhaus, März 2017

http://www.asienhaus.de/uploads/tx_news/2017_Maerz-6__Jakarta__GER_01.pdf

Eine vertriebene Gemeinde in Jakarta lässt sich nicht unterkriegen

 

Von Edith Koesoemawiria

Die vertriebenen Bewohner von Bukit Duri, Jakarta, halten zusammen. Standhaft fordern sie in einer Massenklage die volle Entschädigung der Schäden, die ihnen entstanden sind. Das Gericht erklärt die Vertreibung für illegal.

JAKARTA: Im neuen Gemeinschaftshaus von Ciliwung Merdeka eilt eine Gruppe von jungen Journalist*innen hastig die Treppen hinunter in den Raum, in dem sich einige Anwohner*innen, Arbeiter*Innen, Freiwillige, Richter*innen und Architekt*innen versammelt haben. Das alte Gemeinschaftshaus wurde im Oktober 2016 (sic! es war bereits im August; WI!) zerstört: es fiel den massiven Zwangsräumungen der Wohnviertel Bukit Duri, wo 440 Familien, und Kampung Pulo, wo 518 Familien vertrieben wurden, zum Opfer.

Die Reporter*innen sind Volontäre einer Englisch-sprachigen Zeitung in Indonesien. Mehrere Verlage haben eine Kooperation mit der Nichtregierungsorganisation »Ciliwung Merdeka«. Die angehenden Journalisten*innen leben ein paar Tage bei Familien in Bukit Duri. Dies ist ein Teil ihrer journalistischen Ausbildung und viele haben über die Vertreibung geschrieben. In den Medien wurde berichtet, dass 550 Polizeikräfte und Militärs mobilisiert wurden, um die Vertreibung abzusichern. Bulldozer kamen zum Einsatz. Kinder kamen aus der Schule nach Hause und fanden ihre Mütter wartend in den Trümmern. Erzwungene Vertreibung ist niemals human.

Allerdings: Am 5. Januar 2017 hat das Verwaltungsgericht von Jakarta (PTUN) erklärt, dass die Vertreibung illegal ist. Es ordnete an, dass die Verwaltung von Jakarta den Räumungsbescheid rückgängig zu machen habe. Die Stadtverwaltung hat das Urteil angefochten. Unglücklicherweise gibt es Beispiele dafür, dass frühere Gerichtsentscheidungen durch höhere Gerichte gekippt wurden.

Jakartas aktuelle Verwaltung kategorisiert die Vertreibung als Teil des Programms zur Verbesserung der Stadt. Der amtierende Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama bleibt dabei, dass es sich nicht um Vertreibung, sondern um Re-lokalisierung handle. In der Tat hat die Stadtverwaltung einige einfache Apartments in anderen Teilen der Stadt zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Modernisierung der Infrastruktur hat der amtierende Gouverneur Basuki Tjahaja Purnuma versprochen, bessere Bedingungen für Bewohner*innen zu schaffen, Korruption zu beenden, Verkehrsprobleme und Überschwemmungen zu managen.

Das ist kein einfacher Job. Indonesiens 10 Millionen Hauptstadt ist eine Megacity. Sie ist hart, politisierend und oft gefühllos und die Kluft zwischen Arm und Reich fällt direkt ins Auge.

Anwohner*innen wurde erzählt, dass sie drei Monate freie Unterkünfte bekommen würden. Dafür müssten sie allerdings einige Anforderungen erfüllen. Sie müssen ein monatliches Gehalt nachweisen mit einem Schreiben des Arbeitgebers, ein Bankkonto in der Stadtbank DKI eröffnen und dort die Miete für drei Monate hinterlegen. Doch viele von ihnen sind selbstständig tätig und können diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Und wer sich für ein Apartment entscheidet, muss unterschreiben, auf Kompensation zu verzichten.

Viele Anwohner*innen haben schon unterzeichnet und sind umgezogen, sie akzeptieren den Handel und haben nicht den Wunsch, nach Bukit Duri zurückzukehren. Andere wiederum bedauern ihre Entscheidung. Denn in Bukit Duri hatten sie nicht nur die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern es war auch ihr Zuhause. Manche der Wohngebiete entlang des Flusses Ciliwung sind Slums. Der dreckigste Fluss Jakartas ist kontaminiert von Industrieabwasser, verstopft mit Müll, hineingeworfen von Bewohner*innen. Bei Hochwasser bekommen es diese Gebiete mit den armen Gemeinschaften am meisten zu spüren. Schon seit dem Jahre 1920 besteht Bukit Duri und diese Gemeinschaften haben schon seit Generationen in engen und nahen Verhältnissen gelebt. Die Bewohner*innen sind widerstandsfähig und stolz. Sie wissen, wie man mit dem Fluss umzugehen hat. Sobald der Fluss rumort und steigt, verlegen sie alles Wichtige in die höheren Gebiete, um es zu schützen. Und sobald die Flut abnimmt, begeben sie sich sofort zurück zu ihrer Arbeit.

Etwa einen Kilometer von ihrem früheren Zuhause entfernt leben zwanzig Familien, annähernd 100 Männer, Frauen und Kinder, in einem weniger als 800 Quadratmeter großen, zweistöckigen Haus, in einer Ecke von Kampung Melayu. Sechs Wochen nach der Vertreibung ist die Stimmung zwar freundlich aber auch schmerzvoll. Manche Mieter erzählten Witze an den Essensständen auf dem Parkplatz. Die Besitzerin, ebenfalls eine ehemalige Bewohnerin von Bukit Duri, ist zunächst nach Bogor, südlich von Jakarta, gezogen. Doch als ihr Nachbar Bang Jut ihr erzählte, dass es neue Unterkünfte gibt und Einkommensmöglichkeiten, ist sie zurückgekehrt. Sie sagt: »Ich habe in Bukit Duri mehr als zwei Jahrzehnte gelebt, als ich nach Bogor zurückkehrte, war dort wirklich niemand, den ich kannte. Ich war alleine und blies Trübsal. Hier bin ich mit Freunden, hier habe ich ein Leben.«

Bang Jut vermisst den kleinen Garten in seinem alten Zuhause, hier, an diesem neuen Ort, hat er gerade erst begonnen, in leeren Dosen Tomatensamen zu pflanzen. Er erzählt, dass nicht alle Mieter*innen kochen. Der Essensstand war eine Hilfe für alle. Der erfahrene Bang Jut erzählt, wie die Mieter*innen mit dem Stress umgehen: Manche haben sich komplett verändert. Ein junger netter Mann zum Beispiel, damals ein ruhiger Typ, reagiert extrem emotional. Er sei immer aufgebracht und würde gegen Jeden aggressiv werden. Er zeigt auf eine alte Frau, die lustlos dasitzt, gekrümmt neben ihrem Topf voller Tomaten. Sie sei immer noch unfähig sich zu unterhalten, verlor ihr einziges Einkommen durch die Vermietung von Unterkünften. Essen würde sie lediglich, wenn sie von anderen Mietern dazu gebracht werde.

Im Ganzen nehmen 93 Familien an einer Sammelklage teil. Sie verlangen Rückzahlungen in Höhe von umgerechnet ca. 120 Millionen Euro für die Vertreibung selbst und weiter 104 Millionen indonesische Rupiah (ca. 7.200 Euro) für den immateriellen Schaden, der Ihnen zugefügt wurde. Bang Jut sagt, dass alle diejenigen, welche ihren Landbesitz nachweisen können, zusammen halten. Sie seien standfest mit ihrer Massenklage für volle Entschädigung für die Schäden. Mit Erleichterung fügte er hinzu, dass viele wieder begonnen haben zu lachen und Witze zu erzählen. »Komme was wolle, wir werden jede unrechte Entscheidung anfechten«, sagte Heri, ein 57-jähriger Vertriebener, geboren in Bukit Duri, entschlossen, aber lächelnd.

Das kürzlich herausgegebene Buch »De beste plek ter wereld« (Der beste Ort in der Welt) von Roanne van Voorst erzählt die Geschichte vom Leben in Bukit Duri. Die niederländische Ethnologin lebte dort für ein Jahr. Zusammen mit der Gemeinschaft erfuhr sie das Elend, aber auch Kreativität und den unstillbaren Willen nach einem besseren Leben. Auch lernte Van Voorst wie man es mit Humor schafft, der Gemeinschaft zu helfen und damit die täglichen Aufgaben zu bewältigen.

Seit nun mehr über 20 Jahren gibt es das Gemeindezentrum Ciliwung Merdeka. Nach wie vor ist es an der Seite der Menschen, die entlang des Flusses leben, mit einem neuen Programmen und Aktivitäten. Eine davon ist ein Sicherungsplan für Landbesitz. Bereits im Oktober 2012 hat die Gemeinschaft von Bukit Duri, unterstützt von Akademiker*innen und Praktiker*innen aus dem City Kampung-Forum, einen Entwurf erarbeitet für umweltfreundliches und gemeindeangepasstes Wohndesign. Nun suchen sie Land und eine Public Private Partnership, um diesen Traum zu realisieren.

Bei den Gouverneurswahlen in Jakarta am 15. Februar 2017 konnte der bisherige Amtsinhaber die erste Runde für sich entscheiden und seine beiden Rivalen hinter sich lassen. Am selben Tag kündigten lokale Medien Überschwemmungen an, die am nächsten Tag in Folge der Regenschauer eintreten werden. Wie vorhergesagt, traten die Flüsse Ciliwung und Cipinang über die Ufer, so dass viele Familien evakuiert werden mussten.

Aufgrund dieser Überschwemmungen geriet Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama unter starke Kritik. Sein Plan, den Fluss zu begradigen, schien damit gescheitert. Er wies jedoch jegliche Kritik zurück, da das Programm noch nicht vollendet sei, und machte dafür größtenteils die Bewegung gegen die Umsiedlung verantwortlich. Nichtsdestotrotz schaffte es Basuki, innerhalb von zwölf Stunden die Flut einzudämmen und Hilfe zu organisieren.

Mit fast 43 Prozent der Stimmen gewann Basuki Tjahaja Purnama die erste Runde der Wahlen und zwang somit einen der Rivalen, welcher gegen die Umsiedlungen plädierte, zum Ausstieg. Da jedoch das Minimum von 50 Prozent nicht erreicht wurde, ist eine zweite Wahlrunde für April 2017 angesetzt. Anies Baswedan, Rivale des jetzigen Gouverneurs, tritt für Konsultationen mit den Anwohnern im Entwicklungsprozess von Jakarta ein. Auch wenn er wahrscheinlich seine Kampagne gegen die Umsiedlung angesichts des Wachstums der Stadt zurücknehmen muss bleibt die Hoffnung, dass beide Kandidaten denen, die von Vertreibung betroffen sind und sein werden, neuen Wohnraum anbieten und bessere, faire Bedingungen zugestehen werden.

Die Autorin Edith Koesoemawiria ist freie Journalistin und Übersetzerin, lebt in Indonesien.


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