Information und Analyse

Die neuen Militärzivilisten

Watch Indonesia! Information und Analyse, 17. August 2004

von Ingo Wandelt

1. Explikationen: die neuen Militärzivilisten

TNIDie Serie von drei aufeinander folgenden Wahlen, die dieses Jahr in Indonesien stattfinden, sorgt für eine Umbesetzung der staatlichen Gremien und Institutionen der Staatsführung mit neuem Führungspersonal. Dazu bewirken sie auch eine Enthüllung oder Explikation von dem öffentlichen Blick entzogenen Strukturen, die dem Machtgefüge des Staatswesens unterliegen. Zeiten des Umbruchs wie diesen ist es gegeben, zeitweilig verhüllte Sachverhalte und latente Mechanismen offenbar zu machen, verborgene Strukturen an die Oberfläche zu bringen, Verborgenes zu offenbaren und Implizites explizit zu machen. Das betrifft im Falle Indonesiens das verborgene Wesen, die verhüllte Natur der nach wie vor mächtigsten Kraft des Landes, dem Militär und seiner „Großen Familie“.

Anlass und unfreiwillige Agenten dieser Enthüllung sind jene Persönlichkeiten, die als zivile Ex-Militärs posieren und sich in demokratischen Wahlprozessen um die obersten Staatsämter bewerben. Benennen wir sie der Klarheit halber, ohne intendierte Diskriminierung, aber terminologisch angemessen, als die neuen Militärzivilisten Indonesiens. Damit geben wir der Behauptung der Betroffenen, sie seien ihrem gesellschaftlichen Status als ausgeschiedene Kommandeure gemäß keine Militärangehörigen mehr und somit Zivilisten, eine Form und widersprechen ihr zugleich mit der Gegenthese, sie seien es als Mitglieder und Hineingeborene in die „Große Familie der Streitkräfte“ in der Wirklichkeit doch immer. Also Militärs, die sich aus strategischen Überlegungen und Absichten heraus selbst der Uniform entledigt haben, sie aber implizit immer noch tragen. Deshalb Militärzivilisten. Diese These unterliegt dem Gebot des quod erat demonstrandum, was mit diesem Beitrag ansatzweise geschehen soll.

Sachverhalte

Indonesien ist ein großes Land mit einer Bevölkerung von etwa 210 Millionen Menschen. Die indonesischen Streitkräfte sind zahlenmäßig klein – etwa eine halbe Million aktive Angehörige. Auch wenn wir das Personal des staatlichen Sicherheitsapparates – Polizei, Nachrichtendienste, paramilitärische Reservekräfte – hinzu addieren und die Familienangehörigen des aktiven Personals großzügig in die Addition einbeziehen – das, was in Indonesien als barracks community (komunitas tangsi) benannt wird –, so kommen wir auf quantitative Größen von einigen wenigen Millionen Indonesiern, die einer deutlich überlegenen Zahl an Zivilisten gegenüber stehen.

Die indonesischen Streitkräfte sind qua Wahlgesetz für die Wahlserie 2004 ihres aktiven und passiven Wahlrechts entledigt. Ihr Personal darf an den Wahlen weder teilnehmen, noch sich als Kandidaten aufstellen und wählen lassen. Die Streitkräfteführung hat wiederholt und gebetsmühlenartig diese Rechtsbestimmung bekräftigt und sich für parteipolitisch neutral erklärt. Folgt daraus die völlige politische Abstinenz des Militärs und Sicherheitsapparates?

Nein, diese Behauptung ist oberflächlich und greift nicht in die Tiefe der dem analytischen Blick verborgen Natur des indonesischen Militärs. Ansatzpunkt für deren Widerlegung sind die Militärzivilisten selbst und besonders ihre im Wahlkampf plakativ aufgestellten Biographien, Lebensläufe und Viten. Deren Analyse offenbart die Grundmuster indonesischen militärischen Seins und Werdens von Offizieren als einer lebensumspannenden Karriere, die niemals wirklich ihr Ende findet und die den Kommandeur zu einem lebenslang seiner Gemeinschaft verpflichteten Angehörigen mit dem Status eines putativ Verwandten sein lässt.

Die Präsidentschaftskandidaten Susilo Bambang Yudhoyono für die Partai Demokrat, Wiranto für die Partai Golkar und Agum Gumelar als Bewerber für das Vizepräsidentenamt im Duett mit Hamzah Haz von der Partai Persatuan Pembangunan (PPP) gehören dem Stand der purnawirawan, der Generäle im Ruhestand, an, die im karrieregeführten Lebensablauf eines indonesischen Offiziers die finale Phase seines Dienstlebens darstellt. Als purnawirawan ist ein Offizier und General noch lange kein Rentner, sondern ein sich der Uniform entledigt habender scheinziviler Akteur im militärischen wie im zivilen Gemeinschaftsleben, wobei es gerade die Möglichkeit des Wechselns zwischen diesen sozialen Lebenssphären ist, die den formal pensionierten Militärführern ihren den Militärinteressen wertvollen Instrumentalcharakter verleihen. Sie sind Militärs und Zivilisten zugleich, die es vermögen, die der Lage angemessene Rolle flexibel anzunehmen und sich das zur Rolle passende Kostüm überzustreifen. Ein Vermögen, dass es der indonesischen Armee als „Großer Familie“ ermöglicht, einen weitaus umfassenderen Zugriff auf die Zivilgesellschaft zu besitzen, als es alle konkurrierenden zivilgesellschaftlichen Vereinigungen aufbieten können. Das Machtpotential der Streitkräfte liegt nicht nur in ihrer landesweiten Präsenz in Form von territorialen Heereskommandos und ihren see- und luftstreitkräftemäßigen Entsprechungen, sondern auch im Reservoir ihrer Omnipräsenz in der Gesellschaft überhaupt. Es gibt überhaupt keinen zivilen Bereich, der per se als militärfrei anzunehmen ist. Diese Situation ist weder neu noch unbekannt; allein, es bedurfte der Kandidatur der drei Militärzivilisten für das höchste Staatsamt, um die verborgene Realität offenbar werden zu lassen.

Nach dem aktuellen Stand der Stimmenauszählung hat Susilo Bambang Yudhoyono („SBY“) mit 33,6% die relative Mehrheit der Stimmen im ersten Wahlgang erhalten. Zweite wurde Amtsinhaberin Megawati mit 26,2%. SBY’s Militärkamerad Wiranto liegt mit 22,2% auf Platz drei. Somit kommen laut offiziellem Auszählungsergebnis SBY und Megawati in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen. Wiranto hat jedoch das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten. Es bleibt abzuwarten, wie dieser entscheidet.

Militarismusgefahr?

Die indonesische Gesellschaft hat ihre schlechten Erfahrungen mit der Militärherrschaft gemacht. Nicht verwunderlich ist deshalb die offen geäußerte Befürchtung einer Rückkehr des militerisme (Militarismus) als verdeckte Form einer neuen Militärdominanz in Politik und Gesellschaft. Welche Formen könnte dieser Militarismus annehmen?

Ein dem Militär entstammender Präsident wird mit einiger Gewissheit einige der führenden Mitarbeiter seines nationalen Wahlkampfteams in seinen Mitarbeiterstab und vielleicht auch als Minister berufen. Dazu zählen die purnawirawan, denen der neue Präsident sein Vertrauen schenken wird.

Die künftige Macht der purnawirawan wird in dem Einbringen ihrer Erfahrungen aus der militärischen Stabsarbeit in ihr Arbeitsumfeld liegen sowie in der Umformung der staatlichen Administration nach militärischem Vorbild. Dazu bedarf es keiner großen Zahl von Ex-Generälen. Allein indem sie Knotenpunkte, Schaltstellen und Kommunikationslinien von Verwaltung und politischer Entscheidungsfindung besetzen, den zivilen Amts- und Mandatsträgern als Berater oder nur als Kollege oder Partner zur Seite stehen, werden sie in der Lage sein, die großen wie kleinen Linien der Politik wenn nicht zu entscheiden, so doch entscheidend zu lenken. Zumal ehemalige Stabsoffiziere mit einem sich angeeigneten Durchsetzungsvermögen und einer persönlichen Überzeugungskraft ausgestattet sind, die ein solches Auftreten dies nicht gewohnten Zivilisten schwer macht, den angemessenen persönlichen Widerstand in der Sache entgegen zu setzen. Nicht unterschätzt werden darf die relative finanzielle Unabhängigkeit der purnawirawan, die nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst auf den institutionellen Bahnen der nachdienstlichen Versorgung des Ex-Militärführungspersonals in materiell gut ausgestattete Positionen gehievt werden und von dem geringen regulären Gehalt, das sie vom Staat oder den Parteien erhalten, weitestgehend unabhängig sind.

Nicht nur in staatlichen Einrichtungen, sondern auch in Parteiorganisationen können die zivilen Kräfte von den erfahrenen Stabsoffizieren derart an den Rand gedrängt werden, dass eine schleichende Militarisierung von innen her einsetzt, die den Charakter von Parteien grundlegend verändern kann. Dies eingedenk der Tatsache, dass keine Partei eine der militärischen gleichwertige landes- und gesellschaftsumspannende Organisation aufzubieten vermag. Die militärischen Patronagebeziehungen tun das übrige, die Gefahr einer heimlichen Machtübernahme von außen her zur Realität werden zu lassen: auch nominelle Zivilisten können einen militärfamiliären Hintergrund aufweisen und ihre Loyalität im Entscheidungsfall dem Sicherheitsapparat, und nicht dem Staat oder dem Gemeinwohl aussprechen.

Eine reale Gefahr besteht in der Übernahme der Diskursherrschaft in der Gesellschaft durch die Netzwerke der „Großen Familie der Streitkräfte“, wenn die staatlichen Organe der Medien und Kommunikation in die Hand von purnawirawan gelangen und eine Meinungsführerschaft in der Gesellschaft anstreben. Die Besetzung der Themen ist zum Beispiel im Kürzel und Symbol NKRI zu fassen, welches, vom Militär in den öffentlichen Diskurs eingebracht, nicht nur die wörtliche Aussage „Einheitsstaat der Republik Indonesien“ trifft, sondern die unbedingte Loyalität jedes Bürgers zu eben jenem NKRI meint und einfordert. Mit der Maßgabe, dass es der Sicherheitsapparat ist, der jegliches Abweichen vom Pflichtbekenntnis zur NKRI definiert, identifiziert und ahndet. Denn Worten können Taten folgen.

Von entscheidender Bedeutung zur Durchsetzung militärischer Interessen in einem purnawirawan-geführten Indonesien werden die persönlichen Beziehungen des Präsidenten zum Sicherheitsapparat und zur „Großen Militärfamilie“ sein. Dazu zählt das Einvernehmen mit dem Führungsstab in Cilangkap, im Süden von Jakarta, und das Auskommen mit dem Territorialapparat in den Provinzen. Welche Beziehungen wird ein SBY, der dem Akademiejahrgang 1973 entstammt, mit den bald in führenden Kommandopositionen sitzenden Generälen der Jahrgänge 1975 und 1976 pflegen? Welche Patronagebeziehungen bestehen bereits, und welche wird er zu errichten und zu pflegen verstehen? Wie wird er den finanziellen Bedürfnissen und Wünschen dieser Kommandeure entsprechen wollen und können? Wie wird sein persönlicher Ressourcenzugriff sein, welcher sich aus privaten – öffentlich wie verdeckten – Vermögen und aus Beziehungen zu Privatfinanciers ergibt? Schwierig, dies zu beantworten, wo doch allein schon die Finanzierung des Wahlkampfes aller Parteien und Kandidaten nicht nachvollziehbar war.  

Lebensläufe und Imagepflege: SBY wie Suharto (?)

Alle drei Militärkandidaten haben eine nachweisbare, wenn auch persönlich sehr unterschiedliche Form von Karriereführung durchlaufen. Sie sind Produkte von einflussreichen Ziehvätern und deren Familien und Beziehungsgeflechten. Auch wenn diese mit Namen und Einzelheiten nicht immer, oder nur in kleinen Einblicken, bekannt werden, so ergeben sich doch Explikationen von vormals verdeckten Strukturen, die die wahre Natur der oligarchischen Elitenherrschaft in Indonesien ein Stück weit zu enthüllen verstehen. Indonesien ist ein Staatsgebilde, das von familiären Beziehungsstrukturen getragen und beherrscht wird. Sie zu offenbaren, ermöglicht, sie zu verstehen. Dynastien sind, in astrophysikalischer Analogie gesprochen, die Gravitationsfelder und kosmischen strings, welche die Oligarchie in sich und die um sie herum angeordnete „fließende“ Volksmasse halbwegs in einem Anschein von Ordnung halten. Von den drei militärzivilen Kandidaten ist allein Susilo Bambang Yudhoyono um einen „familiären“ Anstrich bemüht, was wohl in Indonesien, nicht jedoch im Ausland Beachtung findet. Weder Wiranto noch Agum Gumelar können oder wollen diesen Weg der Image-Konstruktion gehen, möglicherweise aus dem einfachen Grund, dass sie es nicht glaubhaft zu tun in der Lage sind. Beide besitzen nicht die dynastische Anbindung, die Susilo Bambang Yudhoyono aufbringen kann.

Es ist bereits die Bildung eines eingängigen und sprechbaren Rufnamens, die „SBY“ in eine historische Parallele zu Suharto setzt. Jener legte sich damals die Titulierung „Pak Harto“ („Väterchen Harto“) zu, ließ eine imagebildende Standardbiographie auflegen – anno 1969 noch verfasst vom deutschen Journalisten und Geheimdienstler Rudolf O’G Roeder mit SS-Kriegsverbrechervergangenheit und Wohnsitz in München – und ward fortan für das Ausland der smiling general, für das Inland das „Kind vom Dorfe“ (anak desa), so der Titel der Roederschen Biographie in ihrer indonesischen Übersetzung.

Dieser Susilo Bambang Yudhoyono pflegt sich seit 2002 “SBY” rufen zu lassen und lässt eine Biographie mit dem Titel “Der Demokrat” (Sang Demokrat) auflegen, was besonders sein Image im Ausland auf einen global positiv besetzten Wert ausrichten soll. Für die eigene Bevölkerung legt er sich ein anderes Mäntelchen um. Krasser ist nämlich eine Gemeinsamkeit beider, die vor allem Javanern auffallen wird. Wie damals „Pak Harto“ ist heute „SBY“ um die Eingliederung in eine anerkannte Herrscherdynastie javanischer Herkunft bemüht. Damals war es die Herrscherlinie der Fürsten des Kraton (Herrscherpalastes) Mangkunegaran in Surakarta, Zentraljava, die dem unbekannten General mit dem ewigen Lächeln auf den Lippen einen Hauch von Autorität verleihen sollte. Heute ist es die Militärdynastie des Sarwo Edhie Wibowo, die auf Java nicht irgendeine Dynastie ist, sondern eine Personifizierung und symbolische Historienverknüpfung zur Kultur der javanischen ksatria (Ritter) in eben jener Gestalt des verstorbenen Heeresspezialtruppenkommandeurs. Beiden Emporkömmlingen ist gemeinsam, den Zugang zur Herrschaft legitimierenden Dynastie über die Ehefrau, und somit über die Einheirat, gefunden und begründet zu haben. Solche Genealogie bildenden Imagekampagnen fährt nicht jemand, der es bei einer beliebigen Präsidialherrschaft belassen will. So jemand plant für einen langen Zeitraum, denn so jemand ist ein Mann mit Herrschaftsanspruch. Ein Herrscher vom javanischen Typ und jemand, der Macht nicht zu teilen pflegt. Aus diesem Holz ist ein „SBY“ geschnitzt.

Die offizielle Biographie des „SBY“ ist nicht wortwörtlich zu nehmen. Ohne den Verfassern und dem Biographieträger selbst zu nahe treten zu wollen, werden wohl die dargestellten Lebensabschnitte aufpoliert, beschönigt oder gar der schöpferischen Phantasie von „Hofpoeten“ entstammen. Darauf kommt es auch gar nicht an. Allein von Relevanz ist die Präsentation des Lebensweges eines Mannes von niederer Geburt, der aus eigenem Vermögen und dennoch legitim – durch die Heirat mit der Herrschertochter – bis an die Spitze des Staatswesens gelangt und damit den mythischen Vorbildern eines Gajah Mada des javanischen Mittelalters oder, wenn auch mit Abweichungen, des Heroen Hang Tuah der malaiischen Herrschertradition folgt. Lesenswert ist dafür auch der leider noch nichts ins Deutsche übersetzte Roman Arok Dedes von Pramoedya Ananta Toer (erschienen 1999 bei Hasta Mitra), in dem der Autor die blutige Machtübernahme eines Renegaten in einem zentraljavanischen Staat im 8. Jahrhundert n. Chr. beschreibt. SBY beschreitet den gewaltlosen, sprich demokratischen Weg; die kulturellen Grundmuster sind hingegen identisch.

Nachwahlspekulationen

Eine der großen Unbekannten der Präsidentschaftswahlen ist der innere Zustand der „Großen Militärfamilie“ selbst. Sind die Nominierungen der drei Zivilmilitärkadidaten Ausdruck einer inneren Fraktionalisierung der Familie, oder ist es eine strategische Teilung der Kräfte mit Scheincharakter, der nach der Wahl wieder zurückgenommen werden wird? Im ersten Fall hätten wir ernsthafte Nach-Wahl-Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Militärfraktionen zu befürchten, im zweiten Fall würde der unterlegende Kandidat in das Kabinett des Siegers aufgenommen und integriert werden, möglicherweise als oberster Sicherheitsminister (Menko Polkam). In einer harmonisch funktionierenden Großfamilie müsste problemlos ein Wiranto unter einem SBY arbeiten können, und vice versa. In der Theorie zumindest. Die Praxis mag anderes erweisen.

Ein ganz anderes Bild ergäbe sich beim Unterliegen beider Militärkandidaten und dem Sieg der Amtsinhaberin Megawati Sukarnopurti. In dem Fall käme die Kraft ins Spiel, die dem öffentlichen Blick vollends entzogen ist und die der eigentliche Sieger der reformasi ist: der staatliche Nachrichtendienst BIN (Badan Intelijen Negara) und sein Kommandeur Hendropriyono. Er, der einst selbst zu den auserkorenen Pendawa Lima (die „fünf Pandawa“) zählte und sein persönliches Schicksal eng an Megawati geknüpft hat, ist ein mächtiger Mann, und sein ihm unterstellter Dienst ist für verdeckte operative Tätigkeiten bekannt. Obgleich erheblich restrukturiert und sich nominell zivil gebend, ist der BIN nach wie vor ein Produkt der Neuen Ordnung und ihrer Militärkultur. Sein Führungspersonal hat dieselbe Militärakademie durchlaufen wie Wiranto und Susilo Bambang Yudhoyono und zählt wie sie zur „Großen Militärfamilie“. Die Explikationen um die Wahl herum haben einen Bereich verhüllt belassen, und das ist der Nachrichtendienstsektor. Er verdient gleichwohl unsere Aufmerksamkeit.

2. Der lange Atem

Die einstigen Militärreformer an der Schwelle zur Macht

Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt begannen einige Generäle die ersten Fesseln der Suharto-Diktatur abzustreifen und die indonesischen Streitkräfte TNI auf eine Zeit nach Suharto vorzubereiten. Sie leiteten erste Reformschritte des Militärs ein und bedienten sich dabei Netzwerken persönlicher Beziehungen, die sie lange zuvor geknüpft hatten. Nunmehr im militärischen Ruhestand stehen sie an der Schwelle zur Macht im Staat. Sie haben gute Aussichten, nicht nur die Königsmacher zu sein, sondern auch den neuen König auf den Thron zu hieven und den Kurs des Staates in die Zukunft zu bestimmen.

Die Rede ist von der rot-weißen Fraktion (fraksi merah-putih) innerhalb der Kommandeurelite des indonesischen Heeres. Werfen wir einen Blick auf ihre historische Herausbildung.

General Leonardus Benjamin Murdani, kurz „Benny“ Murdani, war Mitte der achtziger Jahre der zweitmächtigste Mann Indonesiens hinter dem allmächtigen Staatspräsidenten Suharto. Als Befehlshaber der ABRI, der Streitkräfte Indonesiens, unterzog er das Militär der größten Strukturreform seit seiner Gründung in den Wirren des Freiheitskampfes gegen die Niederländer. Mit der Reform vollzog er einen einschneidenden Generationenwechsel in der Kommandeurelite, mit dem die Generäle der Gründerzeit, die Veteranen des Freiheitskrieges, in den Ruhestand entlassen und von einer neuen Führungsgeneration abgelöst wurden. Mit diesen neuen Kommandeuren, die im unabhängigen Staat Indonesien ihre Sozialisation erfahren hatten, sollte die Truppe ein neues Gesicht erhalten, ohne die Werte und Ziele ihrer Vätergeneration aus den Augen zu verlieren.

Die Streitkräfte Indonesiens waren nicht aus dem hervorgegangen, was in Indonesien als „Politik“ zu beschreiben gepflegt wird: die zivile Staatsführung und ihre Ränkespiele um Prestige, Einfluss und Macht. Der militärische Gründervater, General Sudirman, hatte der 1947 in Yogyakarta einrückenden niederländischen Armee nicht, wie ihm von der damaligen Staatsführung um Sukarno und Mohammad Hatta befohlen, seine Truppen der jungen TNI (der indonesischen Nationalarmee) übergeben. Stattdessen führte er sie ins Hinterland und eröffnete den Guerrillakrieg gegen die Besatzungstruppen. Mit diesem Akt des Widerstandes sowohl gegen die ehemaligen Kolonialherren, als auch gegen die eigene Zivilregierung, begründete Sudirman die Identität der indonesischen Armee, die sich versteht als eine gesellschaftliche Größe auf Augenhöhe mit dem Staat und seiner Führung: selbstbewusst, unabhängig und nur dem höheren nationalen Wohl verpflichtet.

Murdani verstand sich als in dieser Tradition stehend, war aber trotz seiner damaligen Machtposition im Militär mit zwei entscheidenden Mängeln behaftet. Er hatte seine Karriere in den militärischen Nachrichtendiensten durchlaufen, die traditionell zu den dienenden Diensten zählen und ihre Mitarbeiter nicht in die höchsten Führungspositionen zu bringen pflegen. Dazu war er katholischer Christ, was ihn in der indonesischen Gesellschaft zum Angehörigen einer Minderheit machte, einer machtvollen Minderheit zwar – aus Katholiken rekrutierte sich zu seiner Zeit eine hohe Zahl der Mitarbeiter der Dienste –, aber eben doch einer Minderheit in einer mehrheitlich islamischen Gesellschaft.

Murdani kompensierte diese Schwächen durch seinen hohen Intellekt und seine Fähigkeit vorausschauender strategischer Planung, was ihn seinen mehrheitlich durchschnittlich begabten Kameraden weit überlegen machte. Als geborener Militärführer, der er war, sorgte er nicht nur für einen ihm loyal ergebenen Stamm an Offizieren, sondern er kümmerte sich auch um die Karriereführung von jungen Nachwuchsoffizieren und legte damit Samen, die erst heute, lange nach seinem Fall von der Macht, politisch aufgehen und sein Erbe in die nun unter demokratischen Vorzeichen stehende Zukunft Indonesiens weiter tragen.

So wurde Murdanis Erbe nicht vernichtet, als er 1988 bei Suharto in Ungnade fiel und das Militär dem Prozess einer „de-Benny-isasi“ unterzogen wurde, mittels derer seine Getreuen aus den Führungspositionen der Streitkräfte verbannt wurden. Mit seinem endgültigen Abtritt von der militärischen Bühne 1993 – er hatte fünf Jahre lang sein Gnadenbrot als machtloser Minister der Verteidigung fristen dürfen – waren bereits jene in entscheidende Positionen aufgestiegen, die sein militärisches Erbe weiter tragen sollten. Sie werden in Indonesien als die Fraktion Rot-Weiß (fraksi merah putih) der Streitkräfte bezeichnet.

Rot-weiß und grün

Suharto erkannte in Murdanis Karriereführung junger Offiziere eine Gefahr für seine Macht. Langfristig erschien am Horizont die Bedrohung durch eine neue Kommandeurelite, die nicht mehr auf Suharto, der selbst aus der Armee kam und die Armee als seine erste Machtbasis verstand und verwendete, eingeschworen war. Deshalb nutzte er die erst beste Gelegenheit, um 1988 einen General mit ausgewiesenen Qualitäten als Muslim zum Panglima (Befehlshaber) zu ernennen, den angesehenen General Try Sutrisno. Mit ihm begann die Fraktion der ABRI Hijau („ABRI-Grün“) heranzuwachsen, die sich mit ihrer Orientierung auf den Islam (mit Grün als der Farbe des Islam) ideologisch von der sich national und überreligiös orientierenden Mehrheitsströmung der Armeekommandeure abzugrenzen begann. Try Sutrisno selbst war kein reiner Exponent der späteren ABRI Hijau, bereitete aber sich zum Islam bekennenden Offizieren (1) den Weg an die Spitze. Erst in den neunziger Jahren sollte die Grüne Fraktion an Einfluss gewinnen, was aus ihrer personell recht dünnen Repräsentanz unter den Offizieren und Generälen in der ABRI zusammenhing.

Suhartos öffentlichkeitswirksame Wandlung zu einem gläubigen Muslim, seine Pilgerreise nach Mekka (haj), seine Hinwendung zum (zivilen) Minister Habibie als seinem politischen Ziehsohn und die Unterstützung der muslimischen Intellektuellenvereinigung ICMI trugen auf dem politischen Feld zur Unterstützung der fraksi hijau im Militär bei. Suhartos „Neue Ordnung“ kleidete sich zunehmend in der Farbe grün.

Suharto begann zunehmend, die Karriereführung der Offiziere (perwira) und Generäle (perwira tinggi oder Pati) in die eigenen Hände zu nehmen, indem er u.a. den Generalstab der ABRI (Staf Umum ABRI) faktisch entmachtete. So prüfte er zum Beispiel alle ihm vorgelegten Beförderungsvorschläge eigenhändig und setzte gegebenenfalls seine eigenen Kandidatenvorschläge gegen den Widerstand der Militärinstanzen durch. Zum Symbol dieser militärischen Palastpolitik wurde sein eingeheirateter Schwiegersohn, Prabowo Subianto, dem es dank präsidentieller Protektion gelang, binnen zehn Jahren (1988 – 1998) vom Oberstleutnant bis zum Generalleutnant aufzusteigen und dabei alle militärischen Aufstiegsrekorde in der ABRI zu brechen. In den letzten Jahren der Suharto-Präsidentschaft waren die Streitkräfte bereits soweit zu einer Palastarmee degradiert worden, dass nur Kommandeurkandidaten mit guten persönlichen Beziehungen zu Suharto und seiner Familie für die höchsten Führungspositionen qualifiziert waren.

Das Militär 1993 – 2001: Innere Widersprüche und Forderungen nach Reform

Im Rückblick kann das Jahr 1993 als Einschnitt für die Entwicklung des Militärs betrachtet werden. Die Ernennung von General Edy Sudrajat zum Panglima (Februar bis Mai 1993) und Verteidigungsminister (1993 – 1998) brachte einen General der Übergangsgeneration zwischen den Kriegsveteranen und den heranwachsenden Junggenerälen an zwei entscheidende Schaltstellen der Macht. Edy Sudrajat war der erste Repräsentant der rot-weißen Fraktion im Militär und Initiator wesentlicher Reformbemühungen in der ABRI.

Edy Sudrajat übernahm eine heruntergewirtschaftete Armee, die am Rande ihrer Leistungsfähigkeit arbeitete, weil ihr zu viele Aufgaben aufgebürdet worden waren, die nicht ihrem originären Auftrag zur Landesverteidigung entsprachen. Das waren vor allem die Aufgaben in den Sektoren innere Sicherheit und Kontrolle der Gesellschaft. Sie langfristig abzustreifen war das Thema, welches die inner- und außerhalb der Streitkräfte geführte Debatte um eine Militärreform bis 1998 beherrschen sollte.

Der Begriff Doppelfunktion (Dwifungsi) der ABRI bezeichnete die beiden Aufträge oder „Funktionen“ (fungsi) der Streitkräfte, sowohl für die Verteidigung der äußeren und inneren Sicherheit des Staates Sorge zu tragen – wofür das Akronym Hankam (pertahanan dan keamanan: äußere und innere Sicherheit) steht –, als auch die sozio-politische Führung (Sospol: sosial politik) der Gesellschaft zu schultern. Eine die Fähigkeiten der ABRI zunehmend übersteigende Auftragslast. Die angestrebte Militärreform lief deshalb auf die radikale Reduzierung oder gar die Abschaffung des Sospol-Auftrages hinaus, zugunsten einer Professionalisierung der ABRI im Sektor Hankam.

Edy Sudrajat begann mit einem Programm des back to basics, wie er es nannte, mit dem Ziel, die ABRI zu ihrem Kernauftrag der Verteidigungsfunktion zurückzuführen und sie dafür fit zu machen. Diese Initiative wurde seinerzeit mit dem Schlagwort Professionalisierung (profesionalisasi) gefasst. Sudrajats primärer Ansatzpunkt war die Beseitigung des beking (vom englischen backing), womit das Heranziehen von Personal und Einheiten der ABRI für Wach- und Sicherheitsaufträge im Industrie- und Objektschutz privatwirtschaftlicher Unternehmen und auch die Übernahme schmutziger Arbeiten, wie die gewaltsame Vertreibung von Wohnbevölkerungen von Landflächen für eine spätere privatwirtschaftliche Nutzung, gemeint ist. Die Fremdfinanzierung des Militärbudgets durch diese Art von Auftragsübernahmen gaben der ABRI zwar ein hohes Maß an Unabhängigkeit von staatlichen Finanzierungsquellen, brachte sie jedoch gleichermaßen in eine Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Akteuren. Jedem Offizier musste einleuchten, dass derjenige, der bezahlt, auch die Befehle gibt.

Als Sudrajat die Führung der ABRI übernahm, war ihr Offizierkorps zu groß. Die Rekrutierungs- und Ausbildungseinrichtungen der Streitkräfte produzierten einen Überschuss an Offizieren, die niemals in die Truppe gingen, sondern für Positionen in der staatlichen Verwaltung und Wirtschaft herangebildet wurden, die so genannten karyawan. Sie unterstanden de facto niemals der Führung der ABRI und brachten der Militärorganisation ABRI politisch wie finanziell wenig ein, was ihre Abschaffung überfällig werden ließ.

Auch die Repräsentanz der Streitkräfte in den Parlamenten war eine Überdehnung der Kräfte der ABRI. Die Abgeordneten der ABRI im nationalen Parlament und in den Regionalparlamenten brachten der Armee selbst immer weniger Vorteile ein, weil unter den Bedingungen der zunehmend personenzentrierten Herrschaft Suhartos und seines Familienclans die Interessen der first family immer mehr auch zu Lasten der ABRI gingen: Die unmäßige Gier der Kinder und Anverwandten des Diktators ließ vom Kuchen der staatlichen Finanzmittel immer weniger für die Armee übrig.

Die organisatorische Verbundenheit der Parlamentsfraktionen der ABRI mit der „Großen Familie der ABRI“ (Keluarga Besar ABRI, abgekürzt KBA), zu der auch die Fraktionen der Staatspartei Golkar und ihrer „Großen Familie der Golkar“ (Keluarga Besar Golkar, abgekürzt KBG) gehörte, ließ einige Generäle in der Öffentlichkeit die spitzfindige Frage stellen, ob diese politischen Familienbeziehungen nicht dazu geführt hätten, dass die Golkar-Familie (KBG) die ABRI-Familie (KBA) beherrsche und das Militär über diese politische Nähe zum Instrument einer Staatspartei degeneriert sei. Eine Ungeheuerlichkeit für die nationalistisch gesonnene rot-weiße Fraktion in der ABRI. Bestand doch in der Generalität die gemeinsame Haltung, in der Politik nur ein Gezerre von (zivilen) Parteien um Macht und Einfluss zu Lasten des Ganzen, sprich Staat und Nation Indonesien, zu sehen. Sich als Teil einer politischen Partei verstehen zu müssen, musste den Generälen einer Degradierung gleichkommen.

Ab den achtziger Jahren ging der größte Druck auf das Militär jedoch von ihrer instrumentellen Rolle als dem zentralen Repressionsapparat der Neuen Ordnung aus. Die in den Neunzigern zunehmend mit brutalen Mitteln betriebene Durchsetzung des staatlichen Herrschaftsanspruchs gegenüber zivilgesellschaftlichen Forderungen nach Demokratie ließ die ABRI zu einem sichtbaren Symbol einer unterdrückerischen Militärtyrannei werden. Die Folgen für den einzelnen Soldaten waren in einer öffentlichen Abscheu durch die Bevölkerung spürbar. Wie es mir einmal eine Sprachlehrerin für Deutsch, selbst Mitglied der Streitkräfte, die in Uniform zu ihrem Dienstort fahren musste, 1999 anschaulich erzählte: „Wenn ich heute zur Schule fahre, schauen mich die Leute so eigenartig an. Ich traue mich gar nicht mehr, den Bus zu nehmen. Das war früher ganz anders.“ Eine Reform des Militärs musste deshalb auch die Fremdbestimmung der Armee durch außermilitärische Interessen, sprich Staat und Familie Suharto-Indonesiens, thematisieren.

Zur Planung, Umsetzung und Durchsetzung ihrer sozio-politischen Führung und Lenkung der Bevölkerung hatte die ABRI parallel zum militärischen Generalstab einen zentralen Sospol-Führungsstab eingerichtet, den Staf Sosial Politik ABRI, der geführt wurde von seinem Stabschef dem Kassospol (Kepala Staf Sosial Politik ABRI). Diesem zentralen Sospol-Führungsstab unterstanden regionale Sospol-Stäbe in den drei oberen Territorialkommando-Führungsebenen von Kodam (auf der Ebene der Provinzen), Korem (auf der Ebene der Regierungsbezirke) und Kodim (auf Landkreisebene). Diese landesumspannende Führungsstruktur gewährleistete den Anspruch der Armee auf gesellschaftliche Führung.

Die Überdehnung der militärischen Kräfte durch ein Übermaß an Aufgaben musste für das Militär fatale Konsequenz haben: die zwangsläufige Fragmentierung und Schwächung der Kräfte und den schleichenden Verlust der Kontrolle durch die zentralen ABRI-Stäbe in Cilangkap (dem Ort des Führungsstabes der ABRI im Süden von Jakarta). Die Dwifungsi machte die Armee immer weniger führbar. Im militärischen Sektor bestand die Gefahr in der Tendenz zur Söldnerarmee, auf dem politischen Feld in Tendenzen zu sectarian politics und der Selbstpolitisierung von Teilen der Armee außerhalb der Kontrolle der Zentrale. Das Schreckensbild der finalen Selbstauflösung der Armee war denkbar geworden.

Die logische Konsequenz musste im Rückzug aus Politik und Sospol und in der Rückbesinnung auf die reine Landesverteidigung liegen. Was konsequent auf die Abschaffung der Dwifungsi hinauslief. Die konsequente Unterstellung der Armee unter eine zivile Führung war zu jener Zeit im Militär kein Thema; eine von Zivilisten fremdgeführte ABRI war für die Generalität undenkbar.

Ein Zurück zur Basis der Landesverteidigung traf auf einen Widerspruch: die Abwesenheit eines glaubhaft erkennbaren äußeren Feindes. Da es keinen äußeren Feind gab, benötigte Indonesien auch keine auf Landesverteidigung ausgerichtete Armee. Die ABRI war zu einer Armee zum Schutz des Staates vor dem Volk mutiert, und sie war mit einer Mannschaftsstärke von einer halben Million Mitgliedern in Relation zur Gesamtbevölkerung des Landes vergleichsweise klein.

Zugleich ließ das der Armee ureigene Misstrauen gegenüber der eigenen zivilen Führung sie immer wieder daran zweifeln, ob die Staatsführung überhaupt in der Lage wäre, ohne die aktive Unterstützung der Armee nicht nur den Staat zu lenken, sondern ihn überhaupt zusammenzuhalten. Die Armee neigt reflexartig zur Gleichsetzung von ziviler Führung und Egoismus, Eigennutz und Dummheit. Sie assoziiert bis heute Regierende mit Spielsüchtigen, die, wenn sie den Staat in ihre Hände bekämen, ihn sogleich verzocken und billig verhökern würden. Weshalb das Militär immer wieder auf einer diskreten „Führung von hinten“ bestanden hat, was es in das militärische Führungsprinzip tut wuri handayani (von hinten führen) gegossen hat (2). Die aus dem Prinzip herauslesbare Neigung zu einer militärischen Machtübernahme war jedoch niemals eine realistische Option. Die Personalstärke der Arme ist zu gering, um eine Militärdiktatur gegen die Bevölkerung gewaltsam durchzusetzen und durchhalten zu können.

Die Reform der neunziger Jahre

In der Folge der Absetzung Suhartos am 21. Mai 1998 unternahm die Führung der Streitkräfte folgende Schritte: Im April 1999 wurde die ABRI zurückbenannt in TNI (Tentara Nasional Indonesia, Nationalarmee Indonesiens); die Polizei wurde von den Streitkräften getrennt und als für die innere Sicherheit zuständig bestimmt; die karyawan-Positionen wurden ersatzlos abgeschafft; die Position des Kassospol und die Organisation der Sospol-Stäbe wurden im November 2001 aufgelöst (3).

Diese einschneidenden Reformschritte hatten weniger mit einem Gesinnungswandel der Militärführung zu tun als mit der Notwendigkeit einer strukturellen Anpassung an eine neue gesellschaftliche Lage, die im Zeichen von Demokratie und Reformasi dem Militär zusetzte. Die Transformation der Streitkräfte musste das Überleben der militärischen Organisation ermöglichen. Ein stures „weiter so“ hätte die Kluft zur Zivilbevölkerung nur weiter vergrößert. Ein Festhalten an der Neuen Ordnung hätte die ABRI über kurz oder lang zu einem toten Instrument nicht des Staates, sondern der Orde Baru und des Suharto-Clans gemacht. Möglich wäre auch ihre völlige Desintegration gewesen. Deshalb war bei gegebener Uneinsichtigkeit Suhartos für Reformen seine Ablösung nur noch eine Frage der Zeit.

Die Ursprünge der Militärreform der Neunziger haben nur am Rande mit geläutertem politischen Bewusstsein und demokratischer Gesinnung der Kommandoführung zu tun. Sie sind vielmehr das Resultat einer schonungslosen Lageanalyse des Militärs, gekoppelt mit den tastenden Versuchen, unter den repressiven Bedingungen der Neuen Ordnung erste Lösungswege zu suchen. Die Reformgeneräle der Neunziger waren kühle Rechner und klar denkende Stabsoffiziere, die, wie sie es auf der Stabsakademie gelernt hatten, aus einer Lageanalyse die konsequenten Maßnahmen abgeleitet hatten und nun daran gingen, das als notwendig Erkannte auch politisch umzusetzen – mit dem obersten Ziel des Überlebens ihrer Organisation, der Streitkräfte. Demokratie spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Mit einigem Recht darf behauptet werden, dass sich die Militärreformer der Neunziger als die konsequenten Schüler und Kinder des Generals Benny Murdani erwiesen.

Das Regime ab 1993: Politische Verkrustungen und das Erscheinen einer Alternative

Flashback zurück in die frühen Neunziger: Die allgemeinen Wahlen von 1992 brachten der Golkar den erwarteten Sieg, wenn auch mit einem um fünf Prozent – von 73% auf 68% – gesunkenen Anteil. Die Stimmenverluste für Golkar gingen zu Gunsten der PDI (Partai Demokrasi Indonesia) und der Sukarno-Tochter Megawati Sukarnopurti, die 1993 zur Parteivorsitzenden gewählt wurde. Die Stimmengewinne der PDI gingen nicht zuletzt auf die Unterstützung führender purnawirawan-Generäle zurück, die der Partei offene Unterstützung gaben. Auch die ABRI hatte sich für die Wahlen erstmals nicht auf die Golkar als ihren einzigen Partner eingeschworen und sich als für andere Parteien offen erklärt, was besonders der PDI zugute gekommen war. Mit der Führungsfigur Megawati, die zugleich das Symbol für ihren Vater, den verstorbenen Staatsgründer und ersten Präsidenten Sukarno, war, erschien zum ersten Mal eine glaubwürdige Alternative zum Alleinherrscher Suharto und seiner Neuen Ordnung. Im Zeichen der „Offenheit“ (keterbukaan, formuliert in Entsprechung zum Russischen glasnost) bemühte sich auch die Kommandospitze der ABRI um ein Freischwimmen von den alten Zwängen und um erste Reformen.

In der historischen Phase zwischen 1993 und 1998 traten jene Vertreter der Armeefraktion, die als fraksi merah putih bekannt wurde, an die Öffentlichkeit. Ihre führenden Repräsentanten von damals sind heute Spitzenkandidaten für die Wahl um das Präsidentenamt: Wiranto und Susilo Bambang Yudhoyono. Sie entstammen der militärpolitischen Dynamik jener Zeit. Nehmen wir sie in näheren Augenschein:

In historischer Perspektive darf General Edy Sudrajat als der erste Nachfolger Benny Murdanis gelten. Die militärpolitische Situation, die er 1993 vorfand, war jedoch eine andere. Er war als Militärführer nicht derart machtvoll wie Murdani vor ihm. Er hatte sich gegnerischen Militärfraktionen zu stellen. Als Heeresstabschef (Kasad) vermochte er den General Try Sutrisno auf die Position des Panglima zu hieven. Unter ihm diente er fünf Jahre als Kasad, von 1988 bis 1993, bevor er selbst an Sutrisnos Stelle trat und als Panglima (1993) und Verteidigungsminister (1993-1998) Schlüsselpositionen in Militär und Sicherheitspolitik übernahm. Edy Sudrajat vermochte es selbst nicht, ein ihm loyal ergebenes Netzwerk an Kommandeuren aufzubauen. Aber er gab Anstöße für die Heranbildung von personellen Kommandeursnetzwerken, die in ihrer Gesamtheit die fraksi merah putih bildeten, aber eben niemals eine organisatorische Einheit darstellten. Die Rot-Weißen blieben immer segmentierte Beziehung-„cluster“ (in der Terminologie von Kingsbury), die sich auf der Basis ihrer gemeinsamen Haltung zu Zweckbündnissen zusammenfanden und wieder auseinander gingen. Edy Sudrajat musste frühzeitig den Panglima-Posten zugunsten des „grünen“ Generals und Suharto-Loyalisten Feisal Tanjung abgeben und hatte sich dem steigenden Einfluss der fraksi hijau zu ergeben. Sein Ausscheiden aus dem Kabinett als Minister der Verteidigung 1998 war zugleich ein Zeichen seines Machtverlustes in den Streitkräften.

Die 1993 begonnene Phase der Offenheit wurde mit den Unruhen vom 27. Juli 1996 und dem Sturm auf die Parteizentrale der PDI in Jakarta abrupt beendet. Suharto selbst hatte die Absetzung der Parteivorsitzenden Megawati vor der im Jahr 1997 bevorstehenden Wahl verfügt, und es wurde ein Szenario eines verdeckten Militäreinsatzes angeordnet, diese Anweisung umzusetzen. Auf dem Parteinkongress der PDI in Medan intervenierte der Panglima ABRI, Feisal Tanjung, offen in den Verlauf und setzte die Absetzung Megawatis durch. Diese und ihre Anhänger reagierten mit Strafanzeigen gegen Regierungs- und Militärvertreter und eröffneten eine „Bühne der freien Rede“ auf dem Gelände der Parteizentrale in Jakarta. Diese zog Demonstranten aller Richtungen an und entwickelte sich zu einem Forum der freien Meinungsäußerung, was das Regime nicht zu akzeptieren bereit war. Am 27. Juli stürmten 800 Kader des von Suhartos Gnaden zum Parteivorsitzenden der PDI ernannten Soerjadi zusammen mit angeheuerten Schlägern, darunter verkleideten Spezialisten der Heeresspezialkräfte Kopassus, das Gelände der Parteizentrale und zogen brandschatzend weiter durch Teile der Innenstadt Jakartas. Die Stadt brannte. Dieses Muster eines kombinierten Einsatzes von verdeckt operierenden Spezialkräften, Militärs in Zivil und angeheuerten zivilen Hilfskräften sollte sich im Mai 1998 in derselben Stadt und 1999 in Osttimor wiederholen. Teile der Armee hatten den offenen Krieg gegen die eigene Bevölkerung eröffnet und leiteten damit das Ende Suhartos ein.

Warum die fraksi merah putih nicht zugunsten Megawatis eingriff, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Waren ihre Kräfte zu schwach, oder war, wie Kingsbury spekuliert, ihre politische Allianz mit Megawati nur eine taktische, die unter veränderten Bedingungen als negativ erachtet und aufgekündigt wurde?

Mit den Unruhen vom 27. Juli 1996 verschärfte sich die Spaltung innerhalb des Heeres zwischen der rot-weißen Fraktion, die nichts zugunsten Megawatis unternommen hatte, sondern dienstvorschriftsmäßig ihren Teil zu deren Absetzung beitrug, und der ABRI hijau, die zunehmend unter den Einfluss des Befehlshabers der Spezialkräfte Kopassus, Prabowo Subianto, geriet. Prabowo stellte Strukturen und Kräfte der unkonventionellen Kriegführung auf, die er zuerst in Osttimor einsetzte und auf ihre Tauglichkeit erprobte (4). Aus entwurzelten Jugendlichen, Bandenkriminellen und bezahlten Mitläufern stellte er paramilitärische Gruppen auf, die unter der verdeckten Führung der Kopassus oder örtlicher Militärkommandos in der Gesellschaft Furcht und Terror verbreiteten. Erste Einsätze solcher proxy forces begannen 1996, und eine Spur dieser schmutzigen Kriegführung zog sich durch die großen Städte und Industrieregionen Javas. Im Mai 1998 waren es provozierte Gewaltakte angeheuerter Banden dieser Art, welche die Massenunruhen in Jakarta und andernorts auslösten. Die Beweisführung einer Verbindung offizieller ABRI-Befehlsstellen mit den Akteuren paramilitärischer Gewalt konnte bis zum heutigen Tag vom Militär und einflussreichen Helfershelfern in Justiz und Politik verhindert werden. Dennoch, oder gerade deshalb, versetzte diese Form der provozierten mob violence dem Ansehen der Streitkräfte in der Gesellschaft den finalen Todesstoß. Die Armee sah sich im Juli 1998 genötigt, Prabowo als den Vater der neuen schmutzigen Kriegführung der ABRI aus dem Militärdienst zu entlassen und für zwei Jahre außerhalb des Landes zu „parken“, bevor er 2001 als Pensionär wieder ehrenvoll in die Reihen der purnawirawan aufgenommen wurde. Prabowo kandidierte 2004 als einer von fünf Bewerbern um die Golkar-Präsidentschaftskandidatur, verlor jedoch gegen Wiranto.

Die Pendawa Lima

Ab 1997 erschien die erste Konkretisierung einer personalen Struktur der fraksi merah putih in Gestalt der „Fünf Pandawa“ (Pendawa Lima), einer Gruppe, die je nach Blickweise mehr ein Mythos oder eine Hoffnung war als eine Gemeinschaft. Diese fünf vergleichsweise jungen Kommandeure, benannt nach den fünf Heroen der javanischen Schattenspielversion des Mahabharata, wurden als künftige Militärführer und Hoffnungsträger für eine militärische und politische Reform in der Nach-Suharto-Ära gehandelt. Kritisch bleiben Zweifel anzumerken, ob diese Gruppe, die ihre Ursprünge in Spekulationen im Umfeld der Golkar hatte, jemals ein zentrales Netzwerk innerhalb der fraksi merah putih darstellte oder eine Kopfgeburt politischer Analysten war. Unbezweifelbar haben es vier der einstmals fünf Pandawa in hohe Positionen gebracht, und drei von ihnen standen als Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten im Juli 2004 zur Wahl.

Von ihrer Persönlichkeit her weisen die „Fünf Pandawa“ wenige Gemeinsamkeiten auf. Auch was Alter und militärischen Werdegang betrifft, sind sie voneinander verschieden. In ihrer Gesamtheit decken sie jedoch das Spektrum der Offiziere im Heer ab. Schauen wir sie uns nun einmal näher an (mit Stand von 1996 bis 1998) (5):
 

–  Generalmajor (**) Susilo Bambang Yudhoyono, Jahrgang 1949 / Akademiejahrgang 1973, Kostrad, Befehlshaber des Wehrbereichskommandos II Sriwijaya (Südsumatra), danach Assistent des Kassospol ABRI; der intellektuelle Kopf der Gruppe, vorgesehen für eine künftige politische Vertretung der Streitkräfte.

 – Generalmajor (**) Abdullah Makhmud Hendropriyono, 1945 / 1968, Kopassus und Nachrichtendienste, Sesdalopbang (eine speziell für ihn eingerichtete Position als „Sekretär für die operative Kontrolle von Entwicklung“ für operative nachrichtendienstliche Aufgaben in den Provinzen (6); qualifiziert für verdeckte nachrichtendienstliche Aufgaben.

– General (****) Wiranto, 1947 / 1968, Kostrad, Befehlshaber der Kostrad (Pangkostrad) 1996-1997, danach Heeresstabschef (Kasad), im Februar 1998 zum Panglima ABRI ernannt. Seine Biographie weist außerdem Positionen als Chef des Wehrbereichs Jakarta (1994-1996) und eine dreijährige Verwendung als militärischer Sekretär des Präsidenten Suharto aus (1989-1993). Er war ein qualifizierter Truppenführer und Vertrauter Suhartos.

– Generalmajor (**) Agum Gumelar, 1945 / 1968, Kopassus und Nachrichtendienste, Spezialist für Sicherheit und Politik im Stab der Fachoffiziere des Panglima, danach Befehlshaber des Wehrbereiches VII/Wirabuana (Sulawesi), dann Leiter der Militärhochschule Lemhannas in Jakarta; der „Springer“ mit Erfahrungen in einem breiten Spektrum militärischer Aufgaben.

– Generalmajor (**) Farid Zainuddin, (?/?), Nachrichtendienste, Chef des Nachrichtendienstes der Streitkräfte BIA (1996-1997), führende Position im mächtigen Nachrichtendienst der ABRI und das einzige „Gefechtsopfer“ der Pendawa Lima. Er musste seine Position an Generalmajor Zacky Anwar Makarim abtreten, der mit der verdeckten Führung von paramilitärischen Gruppen in Jakarta (1998), Osttimor (1999) und Lombok (2000) beauftragt wurde.
     

Die fünf Generäle kombinierten die beiden wesentlichen Gruppierungen im indonesischen Heer, und zwar Kostrad (Heeresreserve) und Kopassus (Spezialkräfte), sowie die wichtigsten Einsatzkräfte und die militärischen Nachrichtendienste. Yudhoyono galt zu der Zeit als der Protegé Wirantos, der, obgleich nicht der älteste der Pendawa, unter ihnen eine Art von Führerrolle übernahm. Wiranto erreichte als einziger der fünf während seiner Dienstzeit eine Viersterne-Position. Hendropriyono hatte bereits 1993 die Ernennung Megawatis zur Vorsitzenden der PDI gefördert und war ein enger Freund des Suharto-Sohnes Bambang Trihatmojo. Ein enger Vertrauter Hendropriyonos ist Agum Gumelar, ein, wie er, über die Nachrichtendienstschiene aufgestiegener General, der sich ebenso als ein Klassenkamerad Wirantos und Förderer Megawatis ausweisen konnte. Die Karrieren der fünf Generäle verbinden sich in der Protektion durch Edy Sudrajat, und sie dürfen deshalb mit einiger Berechtigung als seine Ziehkinder betrachtet werden.

Die Pendawa Lima waren keine Rebellen. Sie waren etablierte Kommandeure, die das Vertrauen und die Protektion ihrer Vorgesetzten besaßen. Die fraksi merah putih gewann niemals eine öffentlich sichtbare Präsenz, und ihre Beziehungen mit- und untereinander mussten verborgen hinter den Kulissen entstanden und vollzogen worden sein.

Im Februar 1998 ordnete Suharto seine letzte Dienstpostenverschiebung von ABRI-Kommandeuren an, mittels derer er Generäle seines Vertrauens in Führungspositionen hob, die seine Wiederwahl zum Präsidenten im Folgemonat sichern sollten: Wiranto löste Feisal Tanjung als Panglima ab, Edy Sudrajat verließ den Posten des Verteidigungsministers und ging in den Ruhestand, und Prabowo Subianto wurde Kommandeur der mächtigen Kostrad. Susilo Bambang Yodoyono rückte auf den Posten des Kassospol auf, dessen Assistent er für sechs Monate gewesen war. Zwei der Pendawa Lima waren für würdig befunden worden, den alternden Diktator in seine nächste Amtsperiode zu geleiten. Sie sollten ihn schließlich überdauern.

Die Nach-Suharto-Zeit: machtbewusste Reformer

Es war der entschiedene Druck des Generals Wiranto, der Suharto zu seinem Rücktritt veranlasste. Wiranto soll seinem obersten Dienstherrn kundgetan haben, ihn nur dann schützen zu wollen, wenn er freiwillig den Präsidentensessel räume.

Der Rücktritt Suhartos machte General Wiranto zum de facto mächtigsten Mann Indonesiens. Er nutzte seine Position nicht zur politischen Machtübernahme, wie er seither nicht müde wird zu betonen. Verfassungsgemäß übernahm der Vizepräsident Habibie das höchste Amt im Staate. Es war Wiranto, und nicht der neu bestimmte Präsident Habibie, der seinen ärgsten Widersacher im Militär, Generalleutnant Prabowo Subianto, vom Stuhl des Kostrad-Kommandeurs entfernen und für einen erzwungenen, aber dennoch ehrenvollen Abschied aus den Streitkräften sorgen konnte. Die Kostrad übergab er wieder in die Hände eines Kostrad-Mannes, des Generalmajors Djamari Chaniago, den er bereits 18 Monate später auf den politisch unbedeutenden Posten des Generalstabschefs abschob. Danach begann Wiranto eine eigenartige Personalpolitik im Heer, ausgesprochen „grüne“ Generäle aus den Reihen der Kostrad wurden in wichtige Kommandeurspositionen gehievt – Generäle, die mit der Gewalt paramilitärischer Kräfte in Verbindung gebracht werden sollten: Kivlan Zein, Stabschef der Kostrad 1998, der im November 1998 die so genannten Pamswakarsa, paramilitärische Wach- und Schlägertrupps, in Jakarta rekrutierte und aufstellte – und zwar im Auftrag von Wiranto, wie Kivlan im Mai 2004 in einem Buch öffentlich erklärte, was Wiranto über seine Anwälte vehement bestreiten ließ. Kurz darauf entließ ihn Wiranto in eine bedeutungslose Position als General in besonderer Verwendung (was ohne Verwendung bedeutet). Oder Djadja Suparman, der mit dem Ausbruch der Gewalt auf Ambon und der Aufstellung der Laskar Jihad im März 2000 in Verbindung gebracht wurde – Wiranto enthob ihn kurz danach seines Postens als Kostrad-Chef.

Welche Spielchen hat Wiranto mit ihnen gespielt? Und was ist mit Wirantos Verantwortung für die Milizengewalt im Umfeld des Referendums für die Unabhängigkeit Osttimors? Wiranto hielt 1999 die oberste Kommandoverantwortung über das indonesische Militär, streitet jedoch bis heute jegliche persönliche Verantwortung für die Gewalt ab. Die Generalstaatsanwaltschaft in Osttimor hat ihn der Menschenrechtsverletzungen, begangen 1999 in Osttimor, beschuldigt. Die indonesische Untersuchungskommission KPPHAM hat eine Anklage empfohlen (7). Bislang ohne rechtliche Konsequenzen für Wiranto. Jedoch erscheint hinter dem mit ernstem und besorgten Gesicht auftreten Ex-General das Bild eines geschickten Manipulators und Strippenziehers, der die fraksi hijau und ihre Mittel geschickt zu instrumentalisieren verstand für ihm nützliche politische Gewalt, die niemals wirklich auf ihn zurückverfolgt werden konnte.

Susilo Bambang Yudhoyono profilierte sich spätestens im September 1998 als der führende militärpolitische Reformer in der ABRI, als diese unter seiner Führung ihre „Vier Neuen Paradigmen“ (Empat Paradigma Baru) formulierte und den Ausstieg aus den Fesseln der praktischen Politik und der Sospol-Aufgaben beschlossen. Als seine neuen Aufgaben wies sich das Militär die Professionalisierung auf die Rolle des Verteidigers des Staates vor äußerer Bedrohung und den Rückzug auf eine politische Position des „Lenkens von hinten“ (tut wuri handayani) zu. Yudhoyonos Klassenkameraden des Akademie-Jahrgangs 1973 begannen eine öffentlichkeitswirksame Intellektuellendebatte um eine umfassende Militärreform, die von Agus Wirahadikusumah („Agus WK“) und Saurip Kadi geführt wurde und als von Wiranto gebilligt galt. Yudhoyono selbst hielt sich aus dieser Debatte vollständig heraus, galt aber als ihr spiritus rector. Agus WK wurde Kostrad-Kommandeur, bevor er in seinem Reformeifer die Grenzen der Toleranz der konservativen Generäle überschritt, indem er für die Abschaffung der Territorialkommandos eintrat und einen Skandal um die Kostrad-interne Fremdfinanzierung der Öffentlichkeit bekannt machte – eine Maßnahme, welche die mächtige Fraktion der Kostrad-Generäle ihm als Verrat anlastete. In der Folge wuchs der militärinterne Druck auf Agus WK und zwang den Präsidenten, ihn als Kostrad-Befehlshaber abzusetzen und in den vorläufigen Ruhestand zu entlassen. Agus WK verstarb kurz darauf an Herzversagen.

Die von der Klasse 1973 getragene Reformbewegung im Militär war spätestens im Mai 1999 beendet, als Wiranto der parlamentarischen Kommission I die Absicht der Armee unterbreitete, die Zahl der Wehrbereichskommandos (Kodam) von zehn auf siebzehn zu erhöhen, von denen letztlich zwei realisiert werden sollten. Wiranto verhinderte im Dezember 1999 den militärischen Aufstieg Yudhoyonos, als er Tyasno Sudarto zum Kasad erhob und die Nominierung von Yudhoyono seitens der zunehmend schrumpfenden Reformfraktion im Heer missachtete. Yudhoyono war damit von Positionen des direkten Kommandos über Kampftruppen abgeschnitten und als militärinterner Rivale Wirantos ausgeschaltet.

Den Umstieg in die Rolle von Spitzenpolitikern schaffte als erster Wiranto, wenn auch gegen seinen Willen. Seine politischen Ambitionen begannen mit seiner Ernennung zum obersten Sicherheitsminister (Menko Polkam, Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit) in der Regierung von Abdurrahman Wahid im Oktober 1999. Diesen Posten verlor er jedoch bereits im Februar 2000, als ihn der Präsident aus dem Kabinett warf. Wiranto verstand es jedoch, aus dem politischen Off heraus eine Karriere als charismatischer Politiker zu beginnen. Über öffentlichkeitswirksame Auftritte als Sänger und die Veröffentlichung einer professionell produzierten und gut verkauften CD mit indonesischen Schnulzen schuf er sich ein populäres Image eines zum Zivilpolitiker gewendeten Ex-Generals. In einer Zahl von Publikationen bestritt er alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe seiner Verstrickung in Gewalt und Menschenrechtsverletzungen und portraitierte seine historische Rolle als die eines wohl gesonnenen, aber ewig missverstandenen Machers.

Susilo Bambang Yudhoyonos politische Profilierung verlief über die Institution des Kassospol, die er im Oktober 1999 verließ und seinen ersten Ministerposten annahm, den des Ministers für Bergbau und Energie im Kabinett Wahid. Bereits im August 2000 wurde er zum Menko Polkam, zum obersten Sicherheitsminister im Kabinett, ernannt. Dieselbe Position nahm er auch unter Präsidentin Megawati ein. Im November 2000 vorzeitig in den Ruhestand getreten und damit purnawirawan, besitzt er immer noch exzellente Kontakte ins Militär. Seine noch aktiven ehemaligen Klassenkameraden der Jahrgangsabschlussklasse 1973 der Militärakademie in Magelang, Zentraljava, besetzen leitende Positionen in den Führungsstäben der Streitkräfte. Zum Beispiel:
 

 – Mayjen Syamsul Ma’arif – Assistent für soziale Kommunikation des Generalstabschefs;
 – Mayjen Cornel Simbolon – Assistent für operative Aufgaben des Heeresstabschefs;
 – Mayjen Agus Suyitno – Assistent für Territorialangelegenheiten des Heeresstabschefs;
 – Mayjen Bambang Sutejo – Assistent für Planung und Haushalt des Heeresstabschefs;
 – Mayjen HM Arief Budi Sampurno – im Mai 2004 ernannt zum Kommandeur des Heereszentrums für Infanteriewaffen in Bandung;
 – Mayjen Syamsul Mappareppa – Kommandeur des Heereszentrums für Territorialangelegenheiten.

Auch die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos Aceh, Südsumatra, Zentraljava und Kalimantan sind seine Jahrgangskameraden. Die Absolventen seiner Juniorklassen von 1974 und 1975 werden seine Altersgruppe jedoch bald ablösen – die Pensionierungsgrenze der 73er wird 2005 erreicht werden. Sollte er Präsident werden, so wird sich Yudhoyono mit dieser neuen Generation von Kommandeuren auseinanderzusetzen haben.

Das Ende der alten Klassifikationsmuster

Die „interne Reform des Militärs“ (reformasi internal TNI) war eigentlich im November 2001 an ihrem Endpunkt angelangt. In jenem Monat wurde die Position des Kaster aufgelöst und eine wesentliche Forderung der politischen reformasi eingelöst: der institutionelle Rückzug des Militärs aus den politischen Institutionen des Staates. Zugleich, und von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, verschwand das Thema der Territorialreform des Heeres und die Forderung nach Auflösung der Territorialkommandos in der Versenkung. Das Heer bestand auf seiner Präsenz in den Provinzen und auf seiner vom Staat unabhängigen Finanzierungsbasis, die in einer Vielzahl von oft extralegalen Finanzierungsquellen überall im Lande besteht. Das neue Führungsduo in TNI und Heer, das mit Megawati an die Spitze der Streitkräfte gelangte, hatte anderes im Sinn: Endriartono Sutarto und Ryamizard Ryacudu verstehen unter Reform das Zurück zu alten Grundwerten mit dogmatischer Wirkkraft, die sie für die weitere Existenz des Staates als unverzichtbar ansehen und deren Verteidigung sie als die Hauptaufgabe der TNI betrachten. Diese Grundwerte sehen sie verankert in der Abkürzung NKRI, was für Negara Kesatuan Republik Indonesia, „Einheitsstaat der Republik Indonesien“ steht. NKRI ist der neue Glaubenssatz und das Dogma für einen Staat, der sich nicht sehr von dem der Neuen Ordnung unterscheidet, der zwar keinen Suharto mehr an seiner Spitze sieht, dessen Regierung aber im Geiste Suhartos Stabilität und innere Sicherheit zu Hauptgaranten staatlichen Seins verabsolutiert hat. Endriartono (Jahrgang 1971) und Ryamizard (eingetreten in die Militärakademie im Jahrgang 1973, aber abgeschlossen im Jahrgang 1974) stehen für die schleichende Absetzung der Ideale der Jahrgangsklasse 1973 der Akabri von der Reformagenda des Militärs, auf der allein die Tagesordnungspunkte der Verbesserung der Finanzlage der TNI und der Disziplinierung der Truppe anstehen. Merah-putih ist auf einen dogmatischen Schmalspurdogmatismus reduziert worden, der mit Reform nichts mehr im Sinn hat und nationalistischen Konformismus repräsentiert. Auf welcher Seite sie politisch stehen, ist eingedenk der politischen Neutralität, die sie der TNI verordnet haben, schwer einzuschätzen. Es spricht einiges dafür, dass sie sich auf die Seite des Siegers schlagen werden und dass sie bereits SBY als Sieger ausgemacht haben.

Die internen Differenzen der Rot-Weißen mit der fraksi hijau wurden schon 2001 beigelegt, als der Hauptexponent der ehemals „Grünen“, der zwangspensionierte ehemalige Generalleutnant Prabowo Subianto, in allen Ehren wieder in die Keluarga Besar TNI aufgenommen wurde. Große ideologische Differenzen zwischen beiden Gruppierungen bestehen nicht mehr, mit der einzigen Ausnahme, dass die Vertreter der fraksi hijau bei Beförderungen erhebliche Nachteile zu erleiden hatten. Politisch sind „grüne“ Exponenten im Wahlkampfteam Wirantos auszumachen.

Die Pendawa Lima heute

Die fünf Pendawa gehen aktuell im Kampf um die Spitzenpositionen im Staate getrennte Wege. Agum Gumelar, der dritte in ihrem Bunde, trat als Partner von Hamzah Haz für die Vizepräsidentschaft an. Die fraksi merah putih hat den Kommandostab an Generäle wie Endriartono Sutarto (Panglima TNI und Akademie-Jahrgang 1971) und Ryamizard Ryacudu (Kasad und Jahrgang 1974) abgegeben. Beide sind eng mit Megawati liiert und würden bei Abwahl der Präsidentin ihre militärischen Positionen verlieren.

Megawatis Militärpolitik spielte Wiranto und Yudhoyono indirekt in die Hände. Ihre Ernennung der beiden „security first generals“ (nach Honna 2003), Endriartono Sutarto zum Panglima und Ryamizard Ryacudu zum Kasad, überließ das politische Feld zwei Generälen, die keinerlei politische Ambitionen zeigten und die Truppe unpolitisch, d.h. jenseits der Ränkespiele der zivilen Politikelite sehen wollten. Das Militär hatte sich damit als politische Kraft von selbst ausgeschaltet, und auch Bestrebungen von Hari Sabarno, Innenminister und General i. R., das Militär über eine für 2003 vorgeschlagene Revision des Sicherheitsgesetzes in die Politik zurückzubringen, scheiterten Megawati ernannte zudem den ehemaligen Pendawa Lima Hendropriyono zum Leiter des Staatlichen Nachrichtendienstes BIN (Badan Intelijen Negara) mit Sitz im Kabinett und gab dem Dienst Befugnisse, wie sie seit Murdani kein Nachrichtendienstchef mehr besessen hat (8), und die vor allem zu Lasten des militärischen Nachrichtendienstes BAIS TNI gingen. Das Militär darf jedoch keineswegs als politisch schwach gelten. Die Macht der Streitkräfte auf die politische Entscheidungsfindung ist stark geblieben, besonders in den autonomer gewordenen Provinzen. Das System der Territorialkommandos garantiert die Verhandlungsmacht des Militärs vis-á-vis den Regierungsinstanzen und seine Position als Vetomacht der Demokratie. Es fehlt ihm jedoch eine zentrale politische Führung, was zwangsläufig zu einer Zersplitterung des Militärs in zahlreiche, meist regional basierte Gruppen und Grüppchen führen musste. Der Rückzug aus der Politik hat die inneren Tendenzen zur Fragmentierung der Streitkräfte gefördert.

Die Pendawa Lima sind heute bestenfalls nur noch in ihrem politischen Kampf gegen Megawati vereint und zeigen damit einen irritierenden Kollektivcharakter als Verräter ihrer einstigen politischen Beschützer, denen sie einst ihre Karriere verdankten. Als historisches Phänomen der fraksi merah putih haben sie ihre Rolle gespielt in einem Historiendrama, für das nun der Vorhang gefallen ist. Ihre Akteure sind jedoch nach wie vor die political players der anstehenden Zukunft. Es sind eben jene Repräsentanten eben jener Pendawa Lima, die den Wiedereinzug des Militärs in die Politik durch die demokratische Hintertür anführen und die Akzeptanz der civil supremacy seitens der Streitkräfte infrage stellen.

Wiranto und SBY waren in ihren so unterschiedlich verlaufenen Karrieren nur den corporate interests der Institutionen des Militärs und des Regierungsapparates, dem sie zeitweilig angehörten, verantwortlich. Werden sie als Präsident ihre demokratische Verantwortung für die Gesamtheit von Volk und Staat übernehmen und mehr sein, als Interessenvertreter ihrer großen Militärfamilie?

3. Werdegänge. Wie entsteht ein indonesischer Offizier?
Einige Randbemerkungen zur Analyse von militärischen Biographien

Ein indonesischer Offizier ist ein perwira. Perwira gibt es in allen drei Teilstreitkräften der indonesischen Streitkräfte TNI (Tentara Nasional Indonesia: indonesische nationale Armee) – dem Heer (TNI-Angkatan Darat), der Marine (TNI-Angkatan Laut) und der Luftwaffe (TNI-Angkatan Udara).

Terminologisch bezeichnet der Begriff perwira zweierlei:
Perwira – mit großem P, weil ein Eigenname – umfasst die Kategorie der militärischen Ränge (die Dienstgradgruppen) der Offiziere. Im indonesischen Heer umfasst es drei Dienstgradgruppen, und zwar in aufsteigender Reihenfolge:

Die Dienstgradgruppe der Pama (Perwira Pertama): Hauptleute und Leutnante
– Letda (Letnan Dua) – Leutnant
– Lettu (Letnan Satu) – Oberleutnant
– Kapten – Hauptmann

Die Dienstgradgruppe der Pamen (Perwira Menengah): Stabsoffiziere
– Mayor – Major
– Letkol (Letnan Kolonel) – Oberstleutnant
– Kolonel – Oberst

Die Dienstgradgruppe der Pati (Perwira Tinggi): Generale
– Brigjen (Brigadir Jenderal) – Brigadegeneral (1 Generalsstern)
– Mayjen (Mayor Jenderal) – Generalmajor (2 Generalssterne)
– Letjen (Letnan Jenderal) – Generalleutnant (3 Generalssterne)
– Jenderal – General (4 Generalssterne)

Die indonesischen Dienstgrade lassen sich nicht durchgehend exakt mit den Entsprechungen der deutschen Bundeswehr übersetzen, weshalb die wörtliche Übersetzung der indonesischen Ränge nicht immer sinnvoll ist. Neben dem Heer haben Marine, Marineinfanterie und die Luftwaffe ihre eigenen Dienstgradgruppen. Diese Kategorie der perwira betrifft die formelle Organisation des Militärs, ihre Strukturen, Gliederungen und Befehlsketten, welche sozusagen die sichtbare Oberfläche des militärischen Seins ausformt.

Unter den Dienstgraden der Perwira stehen die Ränge der Bintara (Unteroffiziere) und der Tamtama (Mannschaften). Sie sind von den Offizieren strikt abgegrenzt. Die unteren Dienstgrade leben mit ihren Familien oft in gesondert ausgewiesenen Wohnquartieren und Vierteln, die sie auch außerhalb ihres Dienstes selten verlassen. Soldaten verbleiben unter Soldaten, und Soldaten und ihre Familien verkehren nur mit Soldatenfamilien. Die Besoldung der Bintara und Tamtama ist gering, und Möglichkeiten zu Nebenverdiensten sind oft nur am Rande der Legalität möglich. Tamtama verbleiben häufig nur wenige Jahre bei der Truppe und wechseln danach wieder in die zivile Arbeitswelt. Bintara sind Berufssoldaten, deren Altersgrenze gesetzlich auf 49 Jahre festgelegt worden ist. Die Altersgrenze für Perwira beträgt 55 Lebensjahre.

Zum Zweiten verbindet sich mit perwira – klein geschrieben – der militärische Stand der Kommandeure, den man auch als Offizierkaste bezeichnen kann: eine sich als exklusive Führungselite im Militär verstehende Gemeinschaft, die in der politikwissenschaftlichen Terminologie als Krieger zu bezeichnen ist (9). Die Gemeinschaft der perwira darf entsprechend als Kriegerkaste definiert werden.

Perwira ist mehr als ein Beruf. Es ist ein Stand, den seine eigene Ehrvorstellungen – sein eigener Ehrenkodex – und seine Weltsicht auszeichnen. Perwira ist eine von der Masse der Bevölkerung abgehobene Elite im Militär, deren Angehörige militärische Einheiten, Verbände und Einrichtungen führen. Perwira sind die militärischen Kommandeure, die gemeinsam die Kommandeurelite des indonesischen Militärs bilden.

Perwira ist kein Beruf, sondern eine Bestimmung. Ein indonesischer Jugendlicher, und sehr selten auch eine indonesische Jugendliche, kann sich durchaus für die Ausbildung zum perwira bewerben. Seine bzw. ihre Annahme zur Militärakademie ist einer starken Selektion unterworfen, deren Kriterien bewusst nicht bekannt gegeben werden. Mit der Konsequenz, dass ein Indonesier erst dann perwira werden kann, wenn er zum perwira auserkoren worden ist.

Perwira ist keine zeitweilige Beschäftigung, sondern eine lebenslange Aufgabe. Ein perwira scheidet mit seiner Pensionierung nur aus dem aktiven Dienst, nicht aber aus den Bindungen an das Offizierkorps aus. Alle perwira betrachten sich als eine große Familie, der neben den aktiven Offizieren auch die Offiziere im Ruhestand, die purnawirawan, angehören, und zwar sowohl die noch lebenden als auch die verstorbenen, die, sofern sie aktiv am Freiheitskampf von 1945 bis 1949 partizipiert haben, als veteran (Veteranen) bezeichnet werden. Zur „Keluarga Besar TNI“, der „Großen Familie der Streitkräfte“, gehören auch die Ehefrauen der perwira und ihre Kinder, und zwar nicht nur solange sie Kinder und Jugendliche sind; auch die Söhne von perwira im reifen Alter, die nicht die militärische Laufbahn gewählt haben, zählen zur Keluarga Besar und sind ihr verpflichtet.

Ein perwira verlässt niemals die Streitkräfte. Auch über seinen Tod hinaus verbleibt er in der Gemeinschaft der Ahnenkette der Militärführer, die ihren mystischen Ahn und Stammvater im ersten Befehlshaber des Heeres, dem „Großen General“ (Jenderal Besar) Soedirman, sehen. Der mystische Animismus der militärischen Identität sieht in jedem perwira ein Glied in der historischen Kette, welche die Ahnen aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft fortführt. Jeder perwira trägt die Verpflichtung der Ehrenschuld, zumindest einen seiner Söhne – zumeist den ältesten – für die Offizierlaufbahn auszuwählen und damit die Offiziertradition fortzuführen. Daneben kann er, wenn er will, jungen Kadetten und Offizieren seine Patenschaft angedeihen lassen, um ihnen ihren Weg im Militär zu ebnen.

Die „Große Familie der Streitkräfte“ fordert von jedem ihrer Mitglieder höchste Loyalität ein. Jeder perwira, und gleichsam jedes Mitglied der Familie eines Offiziers, ist qua  Geburt dazu bestimmt, in seinem Handeln die Interessen seiner Großfamilie voranzustellen und ihr Wohl zu mehren. Das gilt für die aktiven Offiziere mehr als für die zivilen Angehörigen, deren Bindungen aber auch für diese nicht verpflichtungsfrei sind. Im Gegenzug gewinnt jedes Mitglied der Kriegerkaste seine Ehre und seinen Stolz über die Tatsache, einer auserwählten Elite anzugehören und über sein Hineingeborensein etliche Privilegien und Vorteile erwarten zu dürfen.

Die Hierarchie der perwira ist dauerhaft bindend. Der Offizier nimmt auch in seinem nachdienstlichen Leben als purnawirawan die Position ein, die ihm durch seinen letzten Dienstgrad im aktiven Dienst zukommt. Ein Kolonel bleibt auch als Pensionär ein Kolonel und untersteht in der Hierarchie der Offizierpensionäre einem Brigjen, Mayjen, Letjen und Jenderal. Verdienstvollen Generälen, deren abschließender Rang nicht ihren Leistungen und Verdiensten für das Militär gerecht wird, kann mit ihrer Pensionierung eine Dienstgradaufstockung um einen Rang gewährt werden. So verließ Susilo Bambang Yudhoyono als Jenderal die Streitkräfte, obgleich sein letzter offizieller Dienstgrad der eines Letjen war. Auch das Ansehen der Kinder von purnawirawan orientiert sich am Dienstgrad des Vaters. Ein Sohn eines Letjen steht innerhalb der Keluarga Besar höher als ein Sohn eines Kolonel.

Die Vererbung der Mitgliedschaft im Militär über die Generationen hat Militärdynastien entstehen lassen. Das Aufzeigen und die Analyse genealogischer Beziehungen in der Kommandeurelite zählen jedoch zu den großen Wissenslücken in der Betrachtung der indonesischen Streitkräfte (10). Das Fehlen eines einheitlichen Systems von Familiennamen erschwert gerade für Java die Identifizierung von Vater-Sohn-Verwandtschaftsverhältnissen. Dennoch müssen wir von der Existenz solcher Genealogien ausgehen – und können sie auch beispielhaft belegen –, obgleich diese Dynastien mehrere Generationen umfassen können. Der 1945 begonnene Freiheitskrieg als der historische Nullpunkt der genealogischen Entwicklung von Militärfamilien bedingt, dass sich bis zum heutigen Tage maximal vier Generationen einer Dynastie herausgebildet haben können. Die Gründergeneration der Veteranen erschuf die Streitkräfte, ihre Söhne begannen ihren Militärdienst in den sechziger Jahren und gelangten in der ersten Hälfte der achtziger Jahre in Führungsverantwortung. Man bezeichnete sie als die „Brückengeneration“ zwischen den Veteranen und den künftigen Offizieren, die den Ursprung der Armee, den Freiheitskrieg, nicht mehr selbst erlebt hatten. Diese dritte Generation, die auch die „Akademiegeneration“ genannt wird, ist zurzeit an der Kommandospitze der Streitkräfte hat bereits ihre Söhne die Militärakademie durchlaufen lassen.

Ein weiteres Spezifikum der Militärkarriere indonesischer Offiziere ist die Karriereführung, also die Auswahl von Jungoffizieren und ihre Führung hin zu hohen Führungspositionen durch die Generation der aktiven Kommandeure und der Generation ihrer Väter, der purnawirawan. Dies entspricht zum einen dem Grundprinzip indonesischer militärischer Struktur der Beziehung zwischen bapak und anak buah: ein väterlicher Führer (bapak) übernimmt die Führung über seine ihm Schutz  befohlenen Kinder bzw. Untergebenen (anak buah), was auch seine Verantwortung für ihr Wohl und Wehe außerhalb ihres militärischen Dienstes betrifft (11). Zum anderen festigt es Beziehungen des persönlichen Kennen und Vertrauens zwischen Kommandeuren und ihren Untergebenen, deren Nutzen in einem auf persönlichen Beziehungen aufbauenden Kommandosystem wie jenem der indonesischen Armee von unschätzbarem Wert sein kann.

Karriereführung (career guidance) ist kein exklusiv indonesisches Phänomen. Jede Militärorganisation kennt und praktiziert sie. Landes- und kulturspezifische Besonderheiten sind die Art und Weise wie sie geschieht, nach welchen Kriterien vorgegangen wird und wer die Förderer und Sponsoren von Militärkarrieren sind. Im indonesischen Fallbeispiel ist auch die Frage von Interesse, ob Militärkarrieren auch auf eine Fortführung in hohe zivile Positionen von Macht und Führung im Ansatz angelegt sind und angestrebt werden.

Die historische Ausformung der perwira-Kaste ist eine konsequente Folge des Ursprunges der indonesischen Streitkräfte aus einer Kampforganisation von Partisanen, deren organisatorisches Grundmuster die dyadische Beziehung zwischen einem einzelnen Kommandeur und seinen direkten Untergebenen bei einer flachen militärischen Hierarchie war. Nur der direkte Kontakt von Vorgesetzten und Untergebenen gewährleistete das Maß an persönlichem Vertrauen, dass eine Partisanenkampfführung ermöglichte. Die indonesische Armee hat diese Partisanencharakteristika niemals aufgegeben, sondern sie als ein der formellen Organisation des Militärs unterliegendes Beziehungsgeflecht von Patronagebeziehungen bewahrt. Mit der Konsequenz, dass die wahren Befehlsstränge im Militär selten über die formelle Befehlskette (chain of command) laufen, sondern über informelle Kanäle persönlicher Loyalität. 

Das idealtypische Karrieremuster eines ausgewählten Offiziers

Susilo Bambang Yudhoyono erfüllt die Kriterien für eine langfristig angelegte Karriereführung, wie an anderer Stelle beschrieben wird. Die Analyse seiner Karrierelaufbahn (career trajectory) lässt die Führung seiner Laufbahn an entscheidenden Punkten erkennen und auf wohlwollende Förderer schließen. Zuvor jedoch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Laufbahn der Offiziere, die zu Beginn der Neuen Ordnung in die Militärakademie eingetreten sind, namentlich die Abschlussklassen 1973 und jüngere, die heute die Führungspositionen in den Streitkräften einnehmen.

Die große Unbekannte sind die Aufnahmekriterien für die Militärakademie (heute Akademi Militer TNI oder Akmil TNI). Ist es so, dass nur Söhne ehemaliger Offiziere zu den Klassen zugelassen werden, die Aussichten auf künftige Führungspositionen bieten? Einiges spricht dafür, wenn auch die Belege für die Annahme nicht greifbar sind (12).

Auch Söhne einflussreicher ziviler Familien können Aufnahme in die Militärakademie finden. So hat Prabowo Subianto als Sohn des Zivilisten Sumitro Djojohadikusumo, einem der führenden Wirtschaftspolitiker der Neuen Ordnung, in der Jahrgangsklasse 1973 die Akademie beendet und ist bis zum Dreisterne-General aufgestiegen. Manche Elitefamilien bestimmen einen ihrer Söhne für den Militärdienst und sind in der Lage, für seinen Aufstieg in Führungspositionen Sorge zu tragen.

Eine weitere empirisch begründete These ist die, dass ein Kadett/Offizieranwärter, der sich für den Eintritt in das indonesische Heer (angkatan darat) entschließt, nur dann realistische Aussichten auf ein Erreichen der Generalsränge eines Mayjen (**), Letjen (***) oder Jenderal (****) hat, wenn er die Zulassung für den Zweig (cabang) Infanterie der Akademie erhält. Auch die Zweige artileri (Artillerie) und kavaleri (leichte Panzerfahrzeuge) bieten gute Aufstiegschancen, aber die hohen Führungspersonen rekrutieren sich ausschließlich aus dem Zweig Infanterie der Militärakademie. Ebenso offeriert nur der Beitritt zum Heer dem Kadetten überhaupt die Aussicht, in die Führungsstäbe der Streitkräfte TNI einzudringen und z.B. Generalstabschef (Kasum) oder Befehlshaber (Panglima) der TNI zu werden. Marine und Luftwaffe bieten ihren Bewerbern zwar auch Generalspositionen, diese versprechen jedoch weitaus weniger Einfluss, Macht und Einkommen.

Die Einweisung in einen cabang determiniert entscheidend den Karriereverlauf des Kadetten, bestimmt er doch auch die Zugehörigkeit zu einem korps, das im Indonesischen kein Verband, sondern eine Truppengattung ist. Die korps-Identität ist die erste Ebene der Prägung der militärischen Identität des Offiziers. Es gibt ernsthafte Hinweise, dass nur die Söhne einflussreicher Offiziere die Zulassung zur cabang infanteri und damit zum korps infanteri erhalten. Die Patronage des Vaters erstreckt sich auch auf die finanzielle Unterstützung während der Akademieausbildungszeit.

Der junge Infanterie-Offizieranwärter leistet vier Jahre seinen Dienst in der Akmil. Während dieser Zeit ist er weitestgehend isoliert von seiner Umwelt und erfährt seine „Prägung“ (pembentukan) als künftiger Offizier. Ideologische Indoktrinierung und extreme Disziplinierung der Kadetten besitzen höchste Priorität. Die extreme Kasernierung – vier Jahre entsprechen acht Semestern Hochschulausbildung, in der der Kadett nur selten die Gelegenheit zum Ausgang ohne Aufsicht erhält – fördert das elitäre Kollektivbewusstsein, als künftiger Offizier einer der Zivilbevölkerung überlegenen Elite anzugehören (13).

In der Akademie erhält der Kadett eine Paten- bzw. Adoptivfamilie (orang tua angkat) zugewiesen, die ihm an Vaters statt für die spärlich bemessene Freizeit seine Ersatzfamilie ist. Oberhaupt dieser Patenfamilie ist ein purnawirawan. Es ist nicht ungewöhnlich, dass das „Patenkind“ als junger Offizier eine Tochter des Adoptivvaters ehelicht.

Mit Abschluss der vier Jahre Offizierausbildung verlässt der junge Infanterieoffizier die Akmil mit dem Dienstgrad Leutnant (Letnan Dua bzw. Letda). Die Offiziere der aktuellen Kommandeurgenerationen waren zu jenem Zeitpunkt im Durchschnitt 24 Jahre jung. Mit Verlassen der Akmil erhält der Letda die Kollektividentität seiner Jahrgangskohorte, der er sein Leben lang eng verbunden sein wird.

Der junge Leutnant leistet nun im Durchschnitt zehn Jahre Dienst, bis er den Dienstgrad Major (Mayor) erreichen wird. Manche benötigen nur acht Jahre, manche einiges mehr an Zeit. Die Schnelligkeit des Karrieredurchlaufs gibt erste Hinweise auf seine Auserwählung seitens ihm Patronage gewährender Kommandeure.

In der ersten Phase seiner Laufbahn erwirbt der Offizier Erfahrung in der Führung militärischer Einheiten und bildet erste persönliche Netzwerke. So übernimmt er Fürsorge- und Patenschaftsaufgaben für Kameraden seiner oder einer jüngeren Jahrgangskohorte und bleibt in Kontakt mit seinen gleichaltrigen Einheitsführern. Er erhält seine zweite militärische Identität über die Aufnahme in die Strategische Heeresreserve, Kostrad, oder in die Spezialkräfte des Heeres, Kopassus. Die Zugehörigkeit zu einem der beiden militärischen Verbände des Heeres wird seine Laufbahn und sein persönliches Beziehungsnetzwerk prägen. In allen Verwendungen wird er zudem geraume Zeit in den Territorien zubringen, d.h. in den Kodam (Wehrbereichskommandos) der Provinzen. Dort gewinnt er eine spezifische Regionalerfahrung und erlernt den praktischen Umgang mit der Zivilbevölkerung.

Karriereentscheidend ist die Auszeichnung der jungen Offiziere in Kampf. Dafür benötigt das Heer dauerhaft zumindest eine Region, in der die Nachwuchskommandeure ihre Fähigkeiten im Gefecht erlernen, erproben und beweisen können. Nach dem Wegfall von Osttimor als Übungsgelände hat sich die Provinz Aceh als geeignetes Trainingsfeld herausgebildet. Alle künftigen Kommandeure des Heeres werden in Aceh Kampfaufträge ausgeführt haben, so wie ihre Vorgänger in Osttimor ihr Kriegshandwerk erlernten.

Mit dem Dienstgrad Mayor führt der junge Offizier seinen ersten Verband, der ein Yonif (batalyon infanteri), ein Infanteriebataillon, sein kann. Dieser kleinste Verband im Heer besitzt einen Offizierstab und ca. 650 Mann an Kampfpersonal. Yonif werden auch für die aktive Kampfführung in Gebieten außerhalb ihrer Heimatregion abgestellt.

Als mayor hat der Offizier im allgemeinen bereits eine kleine Familie, und seine istri (Ehefrau) wird sein Berufsleben als Kommandeur aktiv begleiten: das indonesische Offizierkorps stellt eine den Kommandeuren parallel gestellte Hierarchie der Ehefrauen bereit, in der „Frau Kommandeur“ das Regiment über die Ehefrauen seiner Stabsoffiziere und Untergebenen führt. Diese Frauen übernehmen Aufgaben bei repräsentativen Anlässen, wie die Ausgestaltung von militärischen Zeremonien (upacara), und im sozialen Bereich. Die Disziplin unter den Ehefrauen ist strikt, und es gilt Anwesenheitspflicht und Mitarbeit bei Dienst veranlassten Veranstaltungen.

Nicht selten übernimmt die Ehefrau die Finanzierung der Lebens- und Dienstführung ihres Gatten, wozu sie, falls vorhanden und gegeben, auf Einkommensquellen aus ihrer väterlichen Linie zurückgreifen kann. Der kärgliche Nominalsold eines Offiziers reicht niemals zur Deckung des realen Lebensstandards aus, und die Ehelichung einer begüterten Ehefrau ist für die Repräsentationspflichten des Offiziers unabdinglich. Der mayor seinerseits bestreitet nicht selten auch den Lebensunterhalt seiner weniger begüterten Patenkameraden und festigt damit ihre persönliche Loyalität ihm gegenüber.

Mit dem Dienstgrad Mayor oder Letkol (letnan kolonel) wird der Offizier auf die Stabs- und Kommandoschule des Heeres, die Seskoad (Sekolah Staf dan Komando TNI-Angkatan Darat) in Bandung geschickt. Dort erfährt er die theoretische Ausbildung zum Stabsoffizier und erlernt die Führung von militärischen Verbänden. Die neun Monate Ausbildung sind weniger prägend als die Zeit der Akmil, aber auch dort knüpft er nützliche Verbindungen mit neuen Klassenkameraden.

Der junge Stabsoffizier durchläuft nun die Karrierephase bis hin zum Oberst (Kolonel). Er knüpft neue Beziehungen über direkte Stabskontakte zu Generälen (Pati). Jetzt vermag er die persönliche Nähe zu hohen Generälen zu suchen und sich ihren Karrierelaufbahnen anzuschließen. Auch wird er in den Territorien oder in den Heeresverbänden in Kommandopositionen gelangen, die ihn für den weiteren Aufstieg empfehlen. Ab dieser Karrierephase profitiert er von seinen Beziehungsnetzwerken, die er sich aufbauen konnte. Außerdem gelangt er als Oberst an die Tröpfe der heereseigenen Finanzierung, wie sie sich u.a. aus den Territorien ergeben, über die ein Kodam, Korem usw. die militärische Aufsicht führt, oder wenn sich Gelder aus den Stiftungen (yayasan), Firmen oder Geschäftsbeteiligungen von Kostrad und Kopassus für ihn aufzutun beginnen. Die wahre Nähe zu Einfluss, Macht und hohem Einkommen bieten aber erst die Generalsränge, deren Hürde er zuvor erfolgreich zu meistern hat.

Ein Offizier mit guten Aufstiegschancen wird mit Mitte 40 zum Kolonel und durchläuft in diesem Dienstgrad einige Verwendungen. Wird er mit 50 Jahren zum Brigjen (Brigadir Jenderal) und Träger des ersten Generalssterns, hat er noch fünf Dienstjahre bis zur vorgeschriebenen Pensionierung vor sich. Das ist ein kurzer Zeitraum. Besser haben es die wenigen Auserwählten, die schon mit 48 Jahren zum Brigjen aufsteigen. Nur sie haben realistische Chancen auf drei und mehr Sterne. Wer in dem Alter immer noch ein Oberst ist, wird bestenfalls auf eine Pension als Brigjen auf einer schlecht ausgestatteten Dienstposition hoffen dürfen.

Ab dem Rang eines Brigjen ist der Offizier ein General und Kommandeur. Nun muss er die wenigen Jahre bis zum Abschied aus dem aktiven Dienst nutzen, um aus seiner Position dienstgradmäßig und finanziell das Beste zu machen. Er wird seine über zweieinhalb Jahrzehnte aufgebauten Netzwerke für seine Karriere einsetzen. Wer mit etwa 52 Jahren ein Mayjen (**) ist, darf auf mehr hoffen. In dieser letzten aktiven Laufbahnphase entscheidet sich die nachdienstliche Position des Generals, die er als purnawirawan einnehmen wird. Es winken hohe Ämter in Privatwirtschaft und Politik und Einkommen in beträchtlicher Höhe. Erst jetzt kann der ehemalige Kadett die Ernte seiner dreißig Jahre Selbstaufopferung einzufahren hoffen, aber der Wettbewerb ist groß. Wer es nicht gelernt hat, auf der Klaviatur der verdeckten Schliche und Tricks, der innerelitären Machtkämpfe, zu spielen, der muss seinen nachmilitärischen Lebensabend mit geringem Stand und Auskommen fristen.

Mit seinem Übergang in den Stand der purnawirawan im Alter von 55 Lebensjahren ist der General im allgemeinen körperlich noch so fit, um bis zu fünfzehn weitere Jahre aktiv zu sein. Wen es danach dürstet, der darf an neuen Karrieren bauen, die ihm sein Status in der indonesischen Gesellschaft automatisch andient. Denn wenn er auch seine Uniform offiziell abgelegt hat – und nur noch bei Veteranentreffen anlegen wird –, so trägt er doch sein Leben lang die Uniform unsichtbar mit sich; und Indonesier, die in ihrer Mehrheit Uniformen und das Militärische lieben, werden in ihm immer den Uniformträger sehen und ihm respektvoll entgegenkommen. Es bedarf keiner Erwähnung, dass der purnawirawan immer den Interessen seiner Großfamilie Militär Vorrang gegenüber anderen an ihn herangetragenen Wünschen und Pflichten einräumen wird.

Der purnawirawan wird seiner Ehrenpflicht nachkommen und seinen Teil zur Heranbildung der jungen Offiziergeneration leisten. Er wird sich eines oder mehrerer aufstrebender Militärtalente annehmen und ihren Weg zu höheren Weihen ebnen. Er wird seine Tochter einem jungen Offizier anvertrauen und auf diese Weise einen Teil seines militärischen Seins in die Zukunft weiter tragen.

Hier, genau hier!, setzt die eigentliche Identitätsbildung des indonesischen Militärs an. Nicht im aktiven Dienst, nicht in der realen Organisation, sondern in ihrem genealogischen Unterbau als wertetragender Gemeinschaft einer Elite, die sich selbst als historische Kontinuität und Notwendigkeit versteht und ihre Militärkultur weiterzutragen vermag. Nicht, weil ihre Kultur an sich überlegener gestaltet ist. Nicht nur, weil sie das Monopol für das Tragen von Waffen besitzen. Sondern, weil die perwira im Verlauf ihrer Karriere ihr persönliches, weitreichendes und taktisch wie strategisch nutzbares Netzwerk von Patronagebeziehungen aufbauen können, das sie im Bedarfsfall für sich arbeiten lassen können. Es ist ihre Überlegenheit im networking, dass sie zivilen Gruppen und Gemeinschaften überlegen sein lässt. Der Kern ihrer Patronagenetzwerke sind jene beschriebenen genealogischen Familienbeziehungen ihrer „Großen Familie der Streitkräfte“, innerhalb derer die Dichotomie zwischen militärisch und zivil aufgehoben ist: die Keluarga Besar TNI ist ein historisch gewachsener Bestandteil der Führungsoligarchie Indonesiens, deren führende Familien regelmäßig Kinder in die Militärfamilie eingliedern und daher in der militärischen und zivilen Sphäre der Gesellschaft präsent sind. In Phasen der Schwäche der zivilelitären Führung bieten sich der militärischen Großfamilie von allein Möglichkeiten, die Defizite ihrer zivilen Brüder und Schwestern für sich zu nutzen. Eine solche Phase durchläuft Indonesien zurzeit.

4. Lebensläufe lesen: Der auserkorene Militär – Susilo Bambang Yudhoyonos Militärkarriere

Die militärischen Präsidentschaftskandidaten haben ihre Lebensläufe als Mittel des Wahlkampfes entdeckt. Gut aufpoliert dargebracht, will die persönliche Vita mehr als eine reine Auflistung ihrer ehemaligen militärischen Kommandopositionen sein. Sie dient als der implizite Ausweis ihrer Führungsqualitäten und untermauert ihren Anspruch auf Führung des Staates. Wer im Militär gute Führungsarbeit geleistet hat, so die transportierte Botschaft, der wird auch als politischer Führer seiner Verantwortung für Staat und Gesellschaft gerecht werden können.

Die Lebensläufe der Militärkandidaten sind kaum nachprüfbar, und Schönungen müssen einkalkuliert werden. Yudhoyonos offizielle militärische Vita stand in der Form, wie sie in seinen Wahlkampfmaterialien präsentiert wird, bereits mit seiner Ernennung zum Chef des sozio-politischen Stabes der Streitkräfte fest. Sein Wahlkampfteam hat sie wortgetreu übernommen und nur die Positionen ab 1997 angefügt. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern Ausdruck einer Tradition im indonesischen Militär: Der neu ernannte Kommandeur und Inhaber einer hohen militärischen Führungsposition (von drei Generalssternen aufwärts) erhält in aller Regel vom zentralen militärischen Führungsstab seinen persönlichen militärischen Lebenslauf, der an die Öffentlichkeit ausgegeben wird und offiziellen Charakter besitzt. Alle Pressemedien können nur auf ihn zurückgreifen, und warum sollte ein Wahlkampfteam von der offiziellen Lesart einer Generalsbiographie abweichen wollen? Eine externe Prüfung ist kaum möglich, zumal die offizielle Version nur unverfängliche Angaben wie die persönlichen Biodaten, die Abfolge der militärischen Positionen, erworbene Bildungsabschlüsse und Auszeichnungen aufführt. Die Details bleiben militärische Verschlusssache. Kein Wunder, dass alle externen Beobachter dasselbe Bild vom militärischen Kandidaten zeichnen.

Dennoch bieten die Viten der Generäle lesenswerte Lektüre, gewähren sie doch einen Einblick in das Werden und Entstehen einer Karrierelaufbahn. Gezielt gelesen und mit biographischen Rahmendaten abgeglichen, ergeben sich Einblicke, inwieweit eine Karriere von außen gefördert und gelenkt worden ist, und Hinweise auf protegierende Gruppen und Personen sowie deren Interessenlage.

Es wäre ein Fehlschluss, die Karriere eines Offiziers allein auf sein eigenes Vermögen und seine spezifischen Leistungen zurückführen zu wollen. In allen Armeen dieser Welt gilt, dass die Laufbahn einer militärischen Führungspersönlichkeit immer der beständigen Protektion von Vorgesetzten bedarf, die ihren Schützling von Position zu Position bis zu den hohen Weihen der oberen Kommandopositionen ihrer Streitkräfte geleiten. Karriereführung ist der Begriff für das Prinzip, dass nur der Kandidat, der sich dem dauerhaften Wohlwollen und den beschützenden Armen sehr vieler Vorgesetzter sicher sein kann, die Höhen der Militärorganisation zu erklimmen vermag. Nur wenige Auserkorene genießen die Protektion, die sie quasi von der Wiege (der Militärakademie) bis zur Bahre (dem Dienstgrad bei Beendigung ihrer Dienstzeit) wohlwollend geleitet. In den indonesischen Streitkräften sind es weit weniger als ein Prozent der Heeresoffiziere. Die Lektüre seiner Vita weist Susilo Bambang Yudhoyono als einen Auserkorenen aus.

Wer waren die Persönlichkeiten und Gruppierungen, die Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) zur militärischen Führung – und darüber hinaus auch für die politische Führung – auserkoren hatten? Wer waren seine Förderer, und welches ihre Interessen, denen er sich bei Gelegenheit erkenntlich zu zeigen hat? Wagen wir einige prüfende Blicke mit der Hoffnung auf Einblick.

Der junge SBY

Susilo Bambang Yudhoyono, der Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten der Partai Demokrat, wurde als Sohn des R. Soekotjo, eines Offiziers mit niedrigem Dienstgrad, und der Hausfrau Siti Habibah am 9. September 1949 in Pacitan, Ostjava, geboren. Seine Eltern waren in der Lage, ihm eine gute Schulausbildung bis zur SMA (eine Art von Gymnasium) zu geben. 1968 schaffte er den Schulabschluss, der ihn für die Bewerbung bei der Militärakademie Akabri in Magelang, Zentraljava, qualifizierte. Sein Vater Soekotjo war Kommandeur des Koramil (Komando Rayon Militer), des militärischen Bereichskommandos für den Landkreis seines Heimatortes. Es war keine bedeutende Position, die der Familie große Einkünfte beschert hätte, und der Lebensstandard der Familie war bescheiden zu nennen.

Der junge SBY wird in seinen biographischen Darstellungen als Bücherwurm beschrieben, der seine Freunde mit seinem Wunsch, ins Militär einzutreten, überraschte. War er doch ein Jüngling mit ausgeprägter Neigung zur Abfassung lyrischer Gesänge von melancholischer Stimmung, was vielleicht seine Ursache hatte in der Isolierung von seinen Eltern, die ihn bei seinem Onkel Sasto Suyitno, dem lurah (Dorfvorsteher) des Dorfes Ploso, zwölf Kilometer vom Heimatort entfernt, unterbrachten, um dort die Schule zu besuchen. Damit wuchs SBY unter ähnlichen Bedingungen auf wie der junge Suharto, der seine Sozialisierung ebenfalls fern von seinen Eltern in einem javanischen Dorf erfuhr. Damals wurde er Susilo oder kurz Sus gerufen; sein Kürzel SBY erhielt er erst, als er zum Minister aufgestiegen war. Mit seinen Freunden gründete er die Band Klub Rajawali, in der er Bass spielte und als Sänger für die traurigen Lieder auftrat, deren Texte er oft auch verfasste.

Seine erste Bewerbung für die Akabri 1968 wurde abgelehnt. Die Biodaten geben als Grund die verspätete Anmeldung an. Es mag aber sein, dass SBY mit 19 Jahren noch zu jung war. Die Akademie war zu jener Zeit gerade neu gegründet worden, und ihr Kommandeur Solichin musste aus den zahlreichen Bewerbern die 389 Kandidaten für die Klasse 12 auswählen, die 1972 den ersten Abgangsjahrgang der Akabri bilden sollten.

SBY begann am 10.11.1968 ein Studium am Technikinstitut Surabaya (Institut Teknik Surabaya), dass er bald zugunsten eines Lehramtsstudiums an der Pädagogischen Hochschule (IKIP) Malang, Ostjava, aufgab. Auch dieses Studium war nur die Überbrückung bis zum Eintritt in die Akabri, der ihm im Januar 1970 gelang. Er wurde Kadett des Ausbildungszweiges Infanterie  (cabang infantri) und Mitglied des ersten Jahrganges, der 1973 abschloss und die ersten Offizieranwärter produzieren sollten, die ihre militärische Sozialisation unter den Bedingungen und Vorgaben der Neuen Ordnung erhielten. Seine Altersklasse war die erste, welche den ideologischen Vorgaben des Dharma Pusaka 45 ausgesetzt war, einem ideologischen Erziehungsprogramm, das den sozio-politischen Führungsanspruch des Militärs formulierte und landesweit durchsetzen sollte. 1972 an der Seskoad in Bandung entstanden, wurden die Zielvorgaben des Dharma Pusaka 45 in die militärischen, und bald darauf auch in die zivilen Schulcurricula integriert und zum zentralen ideologischen Instrument der mentalen Formung des manusia Pancasila (Pancasila-Menschen). Daraus wurde ab 1978 die ideologische Zwangsschulung P4 entwickelt, der jeder Staatsbürger Indonesiens über die Dauer seiner Schulausbildung – von der Grundschule bis zur Universität – ausgesetzt war (14).

SBY war nur ein Jahr Kadett unter dem Kommandeur Solichin. Im Januar 1970 wurde mit Generalmajor Sarwo Edhie Wibowo ein sehr bekannter und umstrittener General zum Kommandeur der Akabri ernannt (15). Wir werden auf ihn im Weiteren näher zu sprechen kommen. Die Klasse des SBY war die erste Jahrgangsgruppe junger Kadetten, derer sich Sarwo Edhie persönlich annahm. Aus ihr gingen 434 Offiziere hervor, unter ihnen solche, die später auf ihre Weise als Reformgeneräle gelten sollten, wie Agus Wirahadikusumah (Kostrad-Kommandeur, mittlerweile verstorben), Ryamizard Ryacudu (heute Heeresstabschef) und Prabowo Subianto, der künftige Kommandeur der Kopassus und Schwiegersohn Suhartos. Die beiden letzteren erlitten das Schicksal der Rückstufung und schlossen die Akademie erst mit dem Jahrgang 1974 ab. Die Anforderungen an diese Klasse waren hoch, und schon leichte Disziplinarvergehen oder ungenügende Leistungen wurden mit Rückstufung hart geahndet.

Kommandeur Sarwo Edhie Wibowo machte die Akabri zur Kaderschmiede für eine neue Generation von Führungsoffizieren, die im Geist des militärischen Führungsanspruches der Suhartoschen Neuen Ordnung heranwachsen sollte. Drei Jahrzehnte später sind es ihre Absolventen, die Indonesien in die junge Demokratie führen. Die Generationen nach Yudhoyono, die Akmil-Klassen von 1974 und jünger, haben heute die führenden Kommandopositionen in den Streitkräften inne, und es erscheint wie eine Ironie der Geschichte, dass die junge Demokratie des Landes kurz davor steht, von den militärischen Kindern Suhartos geführt zu werden (16).

Susilo Bambang Yudhoyono schloss die Klasse von 1973 als Klassenbester ab und erhielt dafür die Verdienstmedaille Adhi Makayasa. Zu seiner Zeit in der Akabri ist wenig mehr bekannt. Wer gab ihm die Protektion, die ihm den Zugang zum Zweig Infanterie verschaffte? Welche Rolle spielte Sarwo Edhie? Wurde er, wie es Brauch an der Militärakademie ist, der Pate des jungen SBY?

Die Klasse von 1973 gründete bereits auf der Akademie einen Bund der Jahrgangsklasse 1973 mit dem Namen Yayasan Cadaka Dharma, innerhalb der junge SBY bereits spöttisch-anerkennend als ihr „lurah“ (Dorfchef) galt. Dieser Bund soll bis zum Ausscheiden SBYs aus dem Militärdienst bestanden haben. Es mag sein, dass Sarwo Edhie dieser Klasse besondere Aufmerksamkeit gewährte, was die Bewunderung zu erklären vermag, die der Präsidentschaftskandidat SBY seinem Mentor und späteren Schwiegervater öffentlich immer wieder zukommen lässt.

Der junge Offizier: 1974 – 1981

Es ist angebracht, die Beschreibung der Militärlaufbahn des Offiziers SBY mit der Ehelichung der Tochter seines ehemaligen Kommandeurs Sarwo Edhie Wibowo zu beginnen. Bereits als junger Kadett soll er sich in Ani Kristiani Herawati verguckt haben. Er konnte ein erstes heimliches Zusammenkommen arrangieren, in dessen Folge sich die beiden ineinander verliebten. Die Affäre wurde ruchbar, und Vater Soekotjo riet dringend von einer Verbindung mit der Tochter des Kommandeurs ab. Die Standesunterschiede erschienen ihm als unüberwindlich. Aber sein Sohn überzeugte ihn von der Überlegenheit der Liebe über die sozialen Grenzen, und seine Werbung wurde in offizielle Bahnen gelenkt. Die Versetzung des Vaters Wibowo auf den Botschafterposten in Südkorea verzögerte die Hochzeit, die schließlich am 30. Juli 1976 im Hotel Indonesia in Jakarta mit einer Feier geschlossen wurde, bei der auch zwei Söhne Sarwo Edhies ihren neuen Ehefrauen das Jawort gaben. Das Bündnis der beiden so unterschiedlichen Militärfamilien war damit geschlossen. Der erste Sohn, Agus Harimurti Yudhoyono, wurde im Jahr darauf geboren (17). Ehefrau Ani verfolgte eine eigene Karriere und profilierte sich als erfolgreiche Zahnmedizinerin.

Die ersten sieben Jahre der Offizierlaufbahn des SBY standen im Zeichen der Heranbildung eines künftigen Kampftruppenführers. SBY fand seine Heimat bei der luftgestützten Infanteriebrigade (Brigif Linud) 17 Kujang I in Westjava, einem der prestigeträchtigsten Kampfverbände der Heeresreserve Kostrad.

Seine erste Verwendung (1974-1975) war die eines Zugführers eines Infanteriezuges/Schützen am luftgestützten Infanteriebataillon (Yonif Linud) 330/Tri Dharma in Cicalengka bei Bandung. Es ist anzunehmen, dass SBY auch eine Ausbildung zum Fallschirmjäger erhalten hat. Obgleich seine folgende Verwendung erneut die eines Zugführers war, und zwar am Yonif Linud 305/Tengkorak (Karawang, Westjava) der Kostrad, erhielt der junge SBY ab 1976 die Möglichkeit zu mehreren Ausbildungslehrgängen in den USA. Als Oberleutnant nahm er 1976 teil am US Airborne and Ranger Course in Fort Benning, Georgia, einem der wichtigsten Ausbildungszentren für Kampfführung der US-Spezialkräfte, und schaffte zeitgleich seinen Master of Arts im Bereich Management an der Webster University. 1977 kehrte er zum Yonif 330 zurück und wurde im selben Jahr zum ersten Mal für den Stabsdienst abgestellt, und zwar als Offizier im Stabsdienst des Führungsstabes der Brigif Linud 17. Ein Jahr darauf (1979) begann seine erste Einsatzverwendung in Osttimor, über die nichts bekannt zu sein scheint. Für zwei Jahre (1979 – 1981) war er der Kommandeur einer Schützenkompanie des Yonif Linud 330 der Kostrad mit dem Dienstgrad Hauptmann und muss in den direkten Kampfeinsatz einbezogen worden sein. 

Der counterinsurgency-Spezialist: 1982 – 1988

Die Leistungen des SBY in Osttimor müssen auf seine Vorgesetzten dermaßen überzeugend gewirkt haben, dass sie ihn ab 1982 für den höheren Stabsdienst auserwählten.

Für zwei Jahre war er als Adjutant (im Englischen: aide de camp) am Generalstab des Heeres abgestellt, nahm diese Position jedoch kaum wahr. Er durchlief in diesem Zeitraum weitere Ausbildungen in den USA, und zwar den Infantry Officer Advance Course in Fort Benning, den er mit dem honor graduate für Dschungelkriegführung (Jungle Warfare) abschloss. Damit war seine Karrierelaufbahn als Kommandeur für die Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency) und den Einsatz gegen Rebellen vorgezeichnet.

1983 setzte er diese Karriere fort mit einem Lehrgang in Panama, wo die US Army ihre der wichtigste Schulungsstätte für counterinsurgency eingerichtet hatte. Im Jahr darauf, und mittlerweile zum Major befördert, folgte ein Lehrgang für Panzerabwehrwaffen (anti-tank weapon course) in Belgien und der Bundesrepublik Deutschland (1984), der aber, was den deutschen Teil des Lehrganges betrifft, nicht mehr nachzuweisen ist (18). SBY gehörte damit zu der letzten Altersschicht von indonesischen Offizieren, die in den Genuss von speziellen Ausbildungen der US Army und der NATO gelangten; die Generationen nach ihm sollten diese Vorzüge nicht mehr genießen können. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt.
Im Jahr darauf (1985) nahm SBY an einem Bataillonsführerlehrgang in Bandung teil. Formell war er in der Zeit von 1983 bis 1985 der Kommandeur der Schule für Infanterieausbildung.

Seine erworbenen Kenntnisse in der Aufstandsbekämpfung konnte Yudhoyono in zwei Einsätzen über insgesamt drei Jahre in Osttimor praktisch anwenden: 1986 wurde er Kommandeur des Yonif 744/Satya Yudha Bakti, des Stammbataillons des Korem 164/Wira Dharma mit Hauptquartier in Dili. Damit war er der wichtigste Kommandeur des örtlichen Territorialkommandos (19) der ABRI in Osttimor und direkt für militärische Kampfeinsätze verantwortlich. Auch über diese Zeit seiner militärischen Verwendung ist nichts bekannt. 1988 wechselte er als aide de camp in den Operationsstab des für Osttimor zuständigen Kodam Udayana in Denpasar, Bali, um bald darauf einer neuen Karrierephase entgegenzusehen.

Der Dozent und junge intellektuelle Offizier: 1988 – 1993

Die neue Phase von SBYs Laufbahn lenkten seine Protegés in die des Schulungs- und Ausbildungsleiters. 1988 wurde er für einen neunmonatigen Stabs- und Kommandoführungslehrgang an die Seskoad (Stabs- und Kommandoschule des Heeres) in Bandung abgestellt, dessen US-amerikanische Variante er 1990 am Command and General Staff College in Fort Leavenworth, Kansas, wahrnahm. Während jener Zeit war er offiziell als Dozent an der Seskoad im Rang eines Oberstleutnants tätig (1989 – 1992). Der damalige Schulkommandeur, Generalmajor Feisal Tanjung, soll die Gruppe um SBY – die Yayasan Cadaka Dharma – mehrfach an seine Schule berufen haben, um ihre hohen intellektuellen Fähigkeiten den Lehrgangsteilnehmern zugute kommen zu lassen. Die Klasse von 1973 gewann den Ruf als die intellektuelle Speerspitze einer Reform des Heeres, und SBY schien als ihr führender Kopf anerkannt zu sein. 1993 holte ihn der Panglima ABRI, Edy Sudrajat, persönlich in seinen Privatstab (Staf Pribadi), wo er jedoch nur die kurze Zeit bleiben sollte, in der Sudrajat Panglima war: drei Monate. Es sollte ihm nicht zum Nachteil gereichen. War doch Sudrajats Nachfolger, Feisal Tanjung, ebenfalls ein Förderer SBYs.

Oberst und Kommandeur: 1993 – 1995

Frisch zum Kolonel (Oberst) befördert, übernahm Yudhoyono 1993 das Kommando über seinen alten Stammverband, die Brigif Linud 17 Kujang I Kostrad. Er blieb dort ein Jahr und wurde 1994 erstmalig dem Wehrbereichskommando Jakarta, dem Kodam Jaya, überstellt, an dem er als Assistent für operative Aufgaben diente. 1995 übernahm er für wenige Monate das Kommando über das Korem 072/Pamungkas in Yogyakarta, wahrscheinlich, um in seiner Vita auch einmal diese Position vorweisen zu können. Er verblieb dort nur wenige Monate, weil seine Vorgesetzten für ihn eine neue Karrierelaufbahn vorgesehen hatten.

Der General und Stabskommandeur: 1995 – 1999

In der letzten Phase seiner militärischen Laufbahn durchlief Yudhoyono binnen vier Jahren drei militärische Führungsverwendungen, die ihn vom Oberst bis zum Generalleutnant brachten.

Im November 1995 wurde SBY zum indonesischen Chief Military Observer der UN Peace Forces (UNPF) bestimmt. In der Folge erhielt er seinen ersten Generalsstern als Brigjen (Brigadegeneral) und übernahm für fünf Monate die Position als Chef des Stabes am Kodam Jaya (März bis August 1996), wo er für die stabsmäßige Durchführung der verdeckten Militäroperation gegen die Parteichefin der PDI, Megawati Sukarnoputri, verantwortlich zeichnete. Auch dieser militärische Beitrag Yudhoyonos, für die er als counterinsurgency Spezialist bestens qualifiziert war, bleibt bis heute unklar.

Bereits im August 1996 erhielt er seinen zweiten Stern und wurde Mayjen und Pangdam (Befehlshaber eines Kodam) des Wehrbereichs II/Sriwijaya in Palembang, Südsumatra. Während dieser Zeit begann er als Mitglied und intellektueller Führer der Pendawa Lima bekannt zu werden. Er verblieb auf dieser Verwendung exakt ein Jahr, um danach seine letzte Laufbahnphase einzuleiten, die ihn an die Spitze des Sospol-Stabes der ABRI führen sollte. Im August 1997 wurde er „Assistent für sozio-politische Führung des Chef des Stabes für sozio-politische Führung der Streitkräfte“ (Assospol Kassospol) und direkter Untergebener von Generalmajor Yunus Yosfiah, dessen Posten er bereits im April 1998 übernehmen sollte. Zu jener Zeit galt SBY als der „thinking general“ und führender Kopf der Reform des Militärs.

Den Sturz Suhartos und der Neuen Ordnung erlebte SBY als Kassospol und damit ohne Kommandobefugnisse über Kampftruppen. Sein Beitrag zum Regimewechsel lag immer mehr im politischen Bereich. Die Sondersitzung der MPR 1998 sah ihn, obwohl kein Abgeordneter des Parlamentes (DPR), dennoch als Fraktionschef der parlamentarischen Militärfraktion (20); 1999 wurde SBY Mitglied der Gebietsdelegiertenfraktion (Fraksi Utusan Daerah) der Golkar (21).

1998 und 1999 profilierte er sich und seine Jahrgangsklasse von 1973 in zwei Bücherpublikationen, in denen er Aufsätze seiner ehemaligen Klassenkameraden zur Reform der Streitkräfte und ihrer Dwifungsi zusammenfasste. Als Herausgeber fungierte sein Klassenkamerad Agus Wirahadikusumah.

SBY reformierte die Position des Sospol-Stabes in Richtung auf dessen finale Abschaffung, die erst nach ihm im November 2001 vollzogen werden sollte. Im September 1998 änderte er dessen Namen zu Staf Teritorial (Ster) und den seiner Position zu Kepala Staf Teritorial (Kaster) und leitete die Auflösung der sospol-Stäbe in den Kodam ein. Zeitgleich erhielt er die Beförderung zum Letjen (Generalleutnant), seinem formell letzten Dienstgrad.

Als ihm im November 1999 aufgrund des Widerstandes seitens des Panglima Wiranto der Aufstieg zum Heeresstabschef (Kasad) verwehrt wurde, schied er aus dem aktiven Militärdienst aus und übernahm, obgleich damals noch aktiver General, die Position des Ministers für Bergbau und Energie im Kabinett des Präsidenten Abdurrahman Wahid. Erst nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des Gesetzes über die Streitkräfte trat er im November 2000 offiziell in den Ruhestand und wurde purnawirawan, General im Ruhestand.

Als Zivilist amtierte Susilo Bambang Yudhoyono als oberster Sicherheitsminister für zwei Präsidenten: von August 2000 bis Juni 2001 als Menko Polsoskam für Abdurrahman Wahid, und als Menko Polkam für Megawati Sukarnoputri. Im Mai 2004 trat er als Minister zurück und kandiert seither für das Amt des Staatspräsidenten der Republik Indonesien.

Sein Ehrgeiz, das höchste Amt im Staat zu gewinnen, begann mit seiner gescheiterten Aufstellung für die Position des Stellvertretenden Staatspräsidenten bei der Sitzung der MPR im Juli 2001. Nach der Niederlage fanden sich aus historisch noch nicht vollständig nachvollzogenen Prozessen heraus einige Interessengruppen, die ihn zur Gründung einer eigenen Partei und zur anschließenden Kandidatur um das Präsidentenamt drängten. Ab Mai 2002 wurde die Gründung einer damals noch wenig beachteten Partai Demokrat – übersetzbar als „Demokratenpartei“, aber auch als „Partei des Demokraten“ – bekannt, die zwar mit dem Namen SBY warb, ihn selbst aber nicht zu einem Bekenntnis zur Partei bewegen konnten. Vielleicht zuerst nur als ein Testballon für seine politische Akzeptanz in der Politikszene Indonesiens gedacht, outete sich SBY nach positiver Resonanz im folgenden August als treibende Kraft eben jener Partai Demokrat. Der weitere Verlauf ist bekannt: Susilo Bambang Yudhoyono hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl vom 5. Juli 2004 gewonnen und hat ernsthafte Chancen, die Präsidentschaft im September für sich zu gewinnen.

Einige Hintergründe zum Lebensweg des Susilo Bambang Yudhoyono:

Das Segment der Fraksi Merah Putih im Militär:
Susilo Bambang Yudhoyono zählt zum Segment der rot-weißen Heeresoffiziere, die sich historisch auf den ehemaligen Armeebefehlshaber Benny Murdani zurückführen lassen. Die erste Führungspersönlichkeit dieser Generalsfraktion war General Edy Sudrajat, der dem Wahlkampfteam des Präsidentschaftskandidaten SBY angehört. Mit der rot-weißen Fraktion ist die Jahrgangsklasse 1973 der Militärakademie Akabri verbunden. Die rot-weiße Fraktion gilt als die zentrale Reformbewegung innerhalb der Kommandeurelite der TNI.
 
Die Militärdynastie des Sarwo Edhie Wibowo:
Die historische Gestalt des Generals Sarwo Edhie Wibowo verdiente eine ausführlichere Würdigung, als sie hier geleistet werden kann. Sarwo Edhie ist in die indonesische Militärhistorie eingegangen als der Vater der Spezialkräfte des Heeres und ihrer verdeckten und schmutzigen Kriegführung und als der Schlächter der Kommunisten in der Folge dessen, was die indonesische Militärhistorie bis heute als Putsch der kommunistischen Partei PKI vom 1. Oktober 1965 bezeichnet. Sarwo Edhie zeichnet für die physische Vernichtung der PKI verantwortlich und darf mit Fug und Recht als einer der größten Massenmörder der neueren Geschichte des Landes gelten. Zugleich erfreut er sich in konservativ-nationalistischen Kreisen Indonesiens bis heute größte Wertschätzung, was kein Widerspruch ist.

Sarwo Edhie Wibowo, der 1989 verstarb, war ein charismatischer Militärführer mit Vorbildcharakter für eine Gattung junger Militärs, die im direkten und aggressiven Angehen von Problemen die Lösung von militärischen Aufträgen sahen. Sarwo Edhie wurde immer dann gerufen, wenn Waffengewalt angesagt erschien. Die Kampagne zur gewaltsamen Eingliederung Westpapuas (1961-1963), die Militäraktionen gegen Malaysia im Verlauf der „Konfrontasi“ mit dem Nachbarland (1963-1967) und die Zerschlagung der PKI (1965-1967) waren solche Momente, in denen er zu glänzen verstand. Er entwickelte die Strukturen und Einsatzformen der Heeresfallschirmjäger RPKAD („die roten Barette“), aus denen viel später die Kopassus hervorgehen sollte. Er war anfänglich ein unpolitischer Offizier, der sich im Laufe seiner Karriere zu einem politischen Verfechter einer reinen Militärlehre entwickelte, die ihn zum Gegenspieler und Rivalen Suhartos machen sollte.

Sarwo Edhie reifte in seiner Karriere zu einem Fürsprecher eines militärgeführten Indonesiens heran, das sich mit Gewalt all seiner Gegner zu entledigen habe, zugleich aber nicht in die Hände eines Despoten fallen dürfe. Nachdem seine Kommandotrupps der RPKAD ihre blutigen Spuren im Verlauf der Kommunistenhatz durch Java und Bali gezogen hatten, setzte er seine Truppen in gleicher Manier auf die Reste der PNI (Partai Nasional Indonesia) an, der Partei des damals noch amtierenden Präsidenten Sukarno, dessen faktische Macht bereits 1966 an den General Suharto übergegangen war. Er identifizierte alle Kräfte der alten Sukarno-Herrschaft als Feinde des neuen Indonesiens und war bestrebt, sie vom Boden des Landes zu tilgen. Zugleich wandte er sich auch gegen die Herrschaftsansprüche des Generals Suharto und kann wahrscheinlich als der historisch erste Opponent der Neuen Ordnung gelten, die ohne ihn kaum möglich gewesen wäre. Es waren die Heereskommandeure und Suharto, die ihn, den starrköpfigen Hitzkopf, nur dadurch zu bändigen wussten, dass sie ihn aller Kommandos enthoben und auf Positionen ohne Zugriff auf Truppen abschoben. Er war ihnen zur Gefahr geworden. Die politische Vision des Sarwo Edhie, hätte er sie denn verwirklichen können, wäre möglicherweise die Herrschaft einer nationalistischen Militärjunta im Stile Birmas gewesen, wobei die kulturelle Basis dieser Herrschaft im Kriegertum des mittelalterlichen Java gelegen hätte. Sarwo Edhie war verzückt vom Ideal des ksatria, des javanischen Kriegers, dem nachzustreben immer sein Ideal gewesen war.

Seine Absetzung tat seinem Ansehen innerhalb der Truppe keinen Abbruch. Sarwo Edhie war immer ein Kommandeur gewesen, der von seinen Männern das Äußerste verlangte, sich aber auch für jeden seiner Männer einzusetzen verstand und deshalb die oberste Loyalität nicht einzufordern brauchte. Sie wurde ihm freiwillig offeriert. Er war es, der unter den schwierigen finanziellen Bedingungen der frühen sechziger Jahre die RPKAD aufbaute, der seinen Vorgesetzten die notwendigen Finanzmittel abtrotzte und das Ansehen einer Elitetruppe im Heer aufbaute, die bis heute in der Kopassus fortgeführt wird. Alle Kommandeure der Kopassus, unter ihnen auch der spätere Militärchef Benny Murdani, stehen in der Tradition der charismatischen Führungspersönlichkeit Sarwo Edhies. Mit ihm verbinden sich die militärischen Werte der bedingungslosen Erfüllung des militärischen Auftrages mit allen Mitteln, mit der Einschränkung und Bedingung, dass jeder militärische Führer die ihm gegebene Befehlsgewalt nicht zu seinen eigenen Zwecken zu missbrauchen habe. Die soldatische Loyalität gebührt der militärischen Organisation als großes Ganzes, und nicht dem einzelnen Kommandeur. Auch nicht dem einzelnen politischen Führer. Das Militär hat fest und unbeugsam ewigen Grundwerten zu folgen und sich nicht korrumpieren zu lassen. Es ist deshalb kein Widerspruch, dass die historische Funktion des Sarwo Edhie, einem der Gründerväter der Neuen Ordnung und zugleich ihr größter Kritiker, dann wieder entdeckt wurde, als die Gestaltung der Nach-Suharto-Zeit auf die Agenda des Militärs gesetzt wurde. Sein Erbe liegt in der historischen Korrektur eines 1965 falsch eingeschlagenen Weges, den zu korrigieren nun die Aufgabe seiner Nachfolgegeneration ist.

Die historische Rolle des ehemaligen Heeresfallschirmjägergenerals Sarwo Edhie Wibowo als Förderer einer neuen Offiziergeneration wäre fast unbemerkt geblieben, wäre nicht mit SBY sein erfolgreichster Schützling hervorgetreten. Die Offiziere, über die Sarwo Edhie Wibowo in seiner Lebenszeit eine Patenschaft übernahm, sind nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass die „Reformklasse“ von 1973 aus seiner Führung hervorgegangen ist. Einige der Offiziere, die aus seiner erweiterten Familie hervorgegangen sind, jedoch kennen wir. Neben SBY ist es Blasius Erwin Sudjono, Akademiejahrgang 1975, Halbchinese und Katholik, der zurzeit der Kommandeur der zweiten Infanteriedivision der Kostrad ist. Er hat, wie SBY, eine Tochter des Generals geehelicht. Ein Sohn Sarwo Edhies, Pramono Edhie Wibowo, ist Absolvent des Akademiejahrgangs 1980 und, wie sein Vater, in die Kopassus eingetreten. 1999 kommandierte der die Antiterroreinheit D 81 der Kopassus (die ehemalige Grup V) und war danach bis 2001 militärischer Adjutant des Heeres bei Präsidentin Megawati Sukarnoputri. Seine derzeitige Position ist nicht bekannt.

Die im Wahlkampf verbreiteten Biographien Yudhoyonos ziehen vielfache Verbindungslinien zur Figur des Sarwo Edhie Wibowo, seinem verstorbenen Schwiegervater. Da ist u. a. die Geschichte der umfangreichen Privatbibliothek des RPKAD-Generals, die Yudhoyono in einem Presseinterview erzählt: Er, Yudhoyono, war, wie sein Schwiegervater, ein eifriger Leser und Sammler von Büchern und bereits als junger Leutnant von der umfangreichen Bücherkollektion seines Schwiegervaters von einigen tausend Werken, darunter viele aus dem Ausland, begeistert. Nach dessen Tode betrübte es ihn mit anzusehen, wie die Kollektion der Verwahrlosung ausgesetzt war, und er erinnerte sich an den unverwirklichten Traum seines Schwiegervaters, der Bibliothek einen angemessenen und großzügig ausgestatteten Ort zu geben. Also sprach er zur Schwiegermutter: „Mutter, lass mich den Willen des Vaters erfüllen. Überlasse mir die Büchersammlung des Vaters, und ich werde sie weiter führen.“ Er nahm die Sammlung in seine Obhut und schuf ihr in seinem Haus bei Bogor einen angemessenen Rahmen. „Nun, damit habe ich seinen Willen fortgeführt, als meine persönliche Ehrerweisung.“ (22)

Susilo Bambang Yudhoyono stellt sich selbst in die Nachfolge seines Schwiegervaters und präsentiert sich als Sachwalter seines Erbes. Eines Erbes, das er eben nicht im Blutrausch der Neuen Ordnung verortet sehen will, sondern in der Tradition des Werte bewussten Entgegentretens gegen jegliche Despotie und damit für etwas, das man mit einigem Wohlwollen als Demokratie bezeichnen mag.

Die eigene Familiendynastie

SBY besitzt zwei Söhne, von denen der jüngere, Edhie Baskoro Yudhoyono, zurzeit noch an der Curtain University im australischen Perth studiert. Der ältere tritt in die Fußstapfen des Vaters und hat die Offizierlaufbahn eingeschlagen: Agus Harimurti Yudhoyono hat die Militärakademie im Jahr 2000 als Jahrgangsbester (lulusan terbaik) abgeschlossen und befindet sich zurzeit im militärischen Einsatz in Aceh im Dienstgrad eines Oberleutnants (Letnan Satu). Er wurde bereits der internationalen Presse bekannt, als er im Juni 2004 als Pressesprecher der Armee das Abbrennen von Schulen in Aceh durch die GAM bekannt gab. Zu seiner Person ist noch wenig bekannt (23).

Die Klatschpresse Indonesiens hat auch schon seine Freundin (pacar) identifiziert. Es ist Annisa Larasati Pohan, geboren 1981 in Boston, ein hoch gewachsenes Fotomodell (164 cm Körpergröße) und bereits ein Promi in der nationalen Gesellschaftsszene. Die Zeitschrift Gadis setzte sie 1997 auf ein Titelblatt, und vier Jahre darauf errang sie den Titel des „Shampoo Girl 2001“. Sie wurde Radiomoderatorin des Senders OZ und präsentiert im Fernsehsender RCTI jeden Samstag das Sportquiz „Bundesliga“ (die Sendung heißt wirklich so). Auf die Frage nach ihrer Beziehung zu Agus Harimurti Yudhoyono gibt sie sich zurückhaltend: „Ich bin in der Tat seine Freundin …, aber ich möchte (ihn) rasch heiraten. Hauptsache, das geschieht, bevor ich 25 bin.“ (24)

Wenn Agus Harimurti Yudhoyono dem Karrierebild seines Vaters folgt, ist ihm in den nächsten drei Jahrzehnten eine große Militärkarriere gewiss, und er wird die Militärdynastie Yudhoyono erfolgreich eine Generation weiter führen.

Ein Resümee

Susilo Bambang Yudhoyono ist sich seiner Vita als Instrument der Werbung um seine Person sehr bewusst, sowohl ihrer Vorzüge wie auch ihrer impliziten Mängel. Er ist erkennbar bestrebt, sich in eine bestehende und anerkannte Dynastie einzugliedern und damit mehr zu sein als nur ein Kandidat. Er will als Mann mit dynastischer Einbindung und Legitimation für die Bewerbung um das höchste Staatsamt gelten und stellt sich damit auf dieselbe Ebene wie Megawati Sukarnopurti oder Abdurrahman Wahid, die beide auf Genealogien politischer bzw. religiöser Führungspersönlichkeiten zurückblicken können. Dafür instrumentalisiert SBY die Familie seines verstorbenen Schwiegervaters und dessen genealogische wie putative Großfamilie, der neben Verwandten und Eingeheirateten auch die militärischen Zöglinge seines Schwiegervaters angehören.

Ähnlich wie Suharto, der mit Übernahme der Präsidentschaft 1967 über seine Ehefrau die Bindung an das Herrscherhaus des Sultanspalastes Mangkunegaran von Surakarta suchte, ist sich auch SBY der politischen Wirkmächtigkeit dynastischer Herrschaft bewusst und präsentiert sich als ein Mann, hinter dem personifizierte Geschichte steht. Sein Anspruch auf die Führung des Staates ist ernst zu nehmen.

5. Netzwerkrekonstruktion – Wer sind die neuen Militärzivilisten im Wettstreit um die Macht in Indonesien?

Ein neues politisches Segment hat über die Wahlen 2004 an Explizitheit gewonnen. Es sind die indonesischen Generäle im Ruhestand, die in der indonesischen Militärterminologie mit dem aus dem Altjavanischen entlehnten Kompositum purnawirawan (purna: nach-, post-; wirawan: Held, als Wortbildungsbestandteil auch in perwira enthalten) benannt werden. Das Verbot der aktiven und passiven Wahlteilnahme für aktive Mitglieder der Streitkräfte hat die pensionierten Offiziere fast zwangsläufig zu einer Rückkehr auf die politische Bühne genötigt, auf der sie über die Jahre der Neuen Ordnung bereits präsent waren. Sie gelten, weil pensioniert, formell nicht mehr als aktive Militärangehörige und ersetzen ihre aktiven Kameraden, denen die Wahlpartizipation untersagt bleibt. Über ihre Bindungen an die „Große Familie der Streitkräfte“ sind sie aber weiterhin, und jenseits der rechtlichen Bestimmungen, eine Komponente des Militär.

Drei purnawirawan bewerben sich um das höchste Amt im Staat, und zwar General (a.D.) Susilo Bambang Yudhoyono und General (a.D.) Wiranto für die Präsidentschaft und Generalleutnant (a.D.) Agum Gumelar für die Vizepräsidentschaft.

Purnawirawan sind kein wirklich neues militärsoziologisches Phänomen. Die ersten pensionierten Soldaten gingen aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1945 bis 1949 hervor und gründeten Veteranenorganisationen, deren Aufgabe primär in der materiellen Versorgung der Ex-Freiheitskämpfer lag. In den späten siebziger Jahren bildeten sich Organisationen von pensionierten Offizieren und Generälen heraus, die vor allem als lose Gesprächskreise um ehemalige Kommandeure gruppiert waren. Diese so genannten Forum Studi dan Komunikasi oder Fosko fungierten als Medium des Austausches von Meinungen zu aktuellen militärpolitischen Themen und wurden nicht selten zur Bühne für die Kritik an Regierung und Militärführung stilisiert. Die Meinung der purnawirawan ist im indonesischen Militär durchaus geachtet, und regelmäßig suchen aktive Kommandeure die Nähe zu ihren militärischen Vorgängern. Kaum eine militärpolitische Entscheidung mit gesellschaftspolitischer Relevanz, die von den Streitkräften gefasst wird, sieht zuvor nicht Konsultationen mit purnawirawan, mit dem Ziel, über sie die Zustimmung breiter Kreise, auch über das militärische Umfeld hinaus, zu finden. Die Militärpensionäre sind nach wie vor wichtige Multiplikatoren für die militärische Gesellschaftspolitik.

Die purnawirawan waren nicht immer meinungskonforme Anhängsel des Militärs. Zu Beginn der achtziger Jahre ging zum Beispiel aus ihren Kreisen die Gruppe der Petisi Lima Puluh („Die Gruppe der Petition der Fünfzig“) um den ehemaligen Marinegeneral und Gouverneur von Jakarta, Ali Sadikin, hervor, die in zuvor nicht gekannter Weise den Einfluss des Präsidenten auf die Streitkräfte öffentlich anprangerte. In der Folge, und um eine Wiederholung solchen Protestes zu unterbinden, war Suharto um die Ruhigstellung der Pensionäre bemüht und festigte seinen Zugriff auf die bestehenden purnawirawan-Organisationen, um allzu kritische Äußerungen im Keim abzuwürgen. Die größte Organisation ist bis zum heutigen Tage die Pepabri (Persatuan Purnawirawan Angkatan Bersenjata Republik Indonesia), die Vereinigung der purnawirawan der Bewaffneten Streitkräfte der Republik Indonesien, ABRI. Ihr gehören Offiziere von Heer, Marine, Luftwaffe und Polizei an, und es ist schon erstaunlich, dass diese Organisation die 1999 vollzogene Trennung zwischen Streitkräften (heute TNI) und Polizei (Polri) nicht umgesetzt hat. Weiterhin vertritt sie auch für neu hinzu kommende Pensionäre die ehemalige Gesamtheit von Militär und Polizei unter dem Banner der längst abgeschafften ABRI.

Die Pepabri wurde in der Terminologie der Neuen Ordnung als eine „nicht-strukturelle Kraft der Großen Familie der ABRI“ (kekuatan non-struktural Keluarga Besar ABRI oder KBA) bezeichnet, die ihrerseits ein Teil der Keluarga Besar Golkar (KBG) bildete. Auch die Absetzung Suhartos änderte nur vorübergehend die extrem konservative Haltung dieser Organisation. Die Militärführung ordnete die organisatorische Trennung von Militär und Golkar, und damit auch von KBA und KBG, an, doch die Pepabri schien sich daran nur oberflächlich halten zu wollen. Die offiziellen Verbindungen zur 1999 neu gegründeten Partai Golkar wurden zwar gekappt, doch nach wie vor gibt es auf persönlicher Ebene eine Reihe an Querbeziehungen zur ehemaligen Staatspartei. Vorsitzender der Pepabri war bis Anfang 2004 der ehemalige Panglima ABRI, General (I.R.) Try Sutrisno, der auch dem parallelen Verband der Keluarga Besar Purnawirawan (KBP) vorsteht.

Die Anzahl der purnawirawan-Organisationen ist schier unüberschaubar, und ihre Querverbindungen sind bei weitem noch nicht erforscht – wie überhaupt das Thema purnawirawan in der Forschung zu Indonesien wenig Beachtung gefunden hat. Zwei Organisationen möchte ich exemplarisch herausgreifen.

Da ist als erste die Frauenorganisation Perip (Persatuan Istri Purnawirawan TNI/Polri), die „Vereinigung der Ehefrauen der purnawirawan der Streitkräfte und der Polizei“, der Linda Agum Gumelar, die Ehefrau des Vizepräsidentschaftskandidaten General (a.D.) Agum Gumelar, vorsteht. Die andere ist die recht aktive FKPPI (Forum Komunikasi Putra-putri Purnawirawan TNI/Polri), das „Kommunikationsforum der Söhne und Töchter von purnawirawan der Streitkräfte und der Polizei“. Mir ist nicht bekannt, wann diese Organisation gegründet wurde – eine unbestätigte Quelle nennt das Jahr 1968 – und welche Kriterien sie für eine Mitgliedschaft stellt. Soweit genannt, besteht die Führung aus Söhnen ehemaliger Generäle, die aber selbst für sich eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft aufgebaut haben. Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender der FKPPI ist der Zivilist Surya Paloh, geboren 1951, Medienmogul und persönlicher Freund von Suharto-Sohn Bambang Trihatmodjo und dem ehemaligen Kopassus-General Prabowo Subianto. Er kandidierte im Februar 2004 als einer von fünf Kandidaten der Golkar für die parteiinterne Bestimmung ihres Präsidentschaftskandidaten und unterlag Wiranto. Aktueller Vorsitzender der FKPPI ist Alexander Edwin Kawilarang, geboren 1954 als Sohn des General Alex Kawilarang, dem Begründer der Heeresspezialkräfte in den fünfziger Jahren, die später zur Kopassus werden sollten. Die FKPPI hat ihre eigentliche soziale Basis in den Wohnquartieren der Soldaten und Offiziere und besaß in der Neuen Ordnung den schlechten Ruf, aus ihren Reihen Schlägertrupps von Jugendlichen für Angriffe auf anti-Suharto Demonstranten zu rekrutieren. Die wesentliche Funktion der Führungselite der FKPPI liegt in der Gelderbeschaffung für die Finanzierung der purnawirawan-Organisationen und ihrer Aktivitäten. Das Beispiel der FKPPI belegt, wie weit die „Große Familie der Streitkräfte“ in die zivile Elite Indonesiens hinein reicht. 

Die Militärzivilisten im Hintergrund der Wahlen

Die zivilmilitärischen Kandidaten haben Wahlkampfunterstützerteams aufgestellt, in denen purnawirawan prominente Positionen einnehmen, ohne jedoch eine zahlenmäßige Mehrheit darzustellen. Werfen wir einen ersten Blick auf die militärischen Wahlkampfhelfer der beiden purnawirawan SBY und Wiranto:

Eine erste Sammlung von biografischen Informationen. Zu den Angaben:
1. Letzter militärischer Rang vor der Pensionierung plus Symbol * und Name;
2. Position im Wahlkampfteam des Kandidaten;
3. Geburtsjahr und Abgangsklasse der Militärakademie (Akmil);
4. wichtige Positionen in der Militärkarriere;
5. Angaben zu seiner militärpolitischen Orientierung;
6. militärische Beziehungen zum Kandidaten (soweit bekannt).
 
Aus dem Wahlkampfteam des Kandidaten Susilo Bambang Yudhoyono:
Muhammad Ma’ruf Mohammad,
auch Mochtar Ma’ruf
1. Generalleutnant (***);
2. Leiter des nationalen Wahlkampfteams;
3. ?, Pekalongan, Java, Akmil 1965;
4. Kommandeur des Korem 164 Dili, Osttimor (1987-1988), Chef des Stabes Kodam Udayana (zuständig für Osttimor 1989-1990), Gouverneur der Militärakademie in  Magelang (1992-1993), Assistent für Territorialangelegenheiten des Generalstabschefs ABRI (1994-1995), Kassospol (1995-1996);
6. Vorgänger Yudhoyonos auf der Position des Kassospol.

Sudi Silalahi
1. Generalmajor (**);
2. Leiter des Tim Sukses;
3. 13. Juli 1949, Pematang Siantar, Toba-Batak, Akmil 1972;
4./5. der engste Vertraute und militärisches Patenkind Yudhoyonos; folgte ihm als Chef des Kodam-Stabes Jakarta nach (1997-1998), war Yudhoyono direkt unterstellt als Assistent für soziale Kommunikation des Kepala Staf Teritorial (1998-1999), hielt ihm im politisch sensitiven Raum Ostjava als Kodam-Chef den Rücken frei (11.1999 – 10.2001), konnte, wollte oder durfte jedoch nicht die Ausschiffung der Laskar Jihad nach Ambon verhindern, danach Sekretär Yudhoyonos als Menko Polkam und mit ihm aus der Position ausgeschieden.

Edy Sudrajat
1. General (****);
2. leitender Wahlkampfberater (pengarah) und Chef der Partai Keadilan dan Persatuan Indonesia (PKPI), eine um purnawirawan (Offiziere im Ruhestand) herum aufgebaute Partei, die eine Abspaltung der Golkar war. Sie trat bei den Wahlen im April an, und Edy Sudrajat brachte ihre Führung danach in das Wahlkampfteam Yudhoyonos ein;
3. Chef des Heeresstabes (1988-1993), Panglima ABRI (1993), Verteidigungsminister (1993-1998), gilt als Gründervater der fraksi merah putih.

Widodo Adisutjipto
1. Admiral der Marine (****);
2. leitender Wahlkampfberater (pengarah);
3. 1944, Akmil 1968;
4. Chef des Marinestabes (1998-1999), Panglima (unter Abdurrahman Wahid und  Megawati) (1999-2002);
6. folgte Wiranto als Panglima TNI; auch ein Jahrgangskamerad Wirantos, jedoch von der Marineakademie.

Evert Erenst Mangindaan
1. Generalmajor (**);
2.  Leitender Wahlkampfberater (pengarah);
3. (nicht bekannt);
4. Pangdam VIII/Irian Jaya (1992-1993), Kommandeur der Stabs- und Kommandoakademie des Heeres in Bandung (1993-1995), Gouverneur von Nordsulawesi.

Djali Yusuf
1. Generalmajor (**), pensioniert im November 2003;
2. ?;
3. 1949, Desa Tijue, Siglie, Kabupaten Pidie, Aceh, Akmil 1972;
4. Stellvertretender Befehlshaber für die Militäroperation Aceh (Wapangkolakops)  (2002), Pangdam Iskandar Muda/Aceh (2002–2003), Koordinator des Expertenstabes des Panglima TNI (2003);
5. ein Mann mit praktischer Kampferfahrung in Aceh.

Samsoedin
1. Generalmajor (**);
2. Sekretär des nationalen Wahlkampfteams;
3. (nicht bekannt).

Suratto Siswodihardjo
1. Generalmajor (der Marine) (**);
2, Leiter der Abteilung für den Wahlgewinn;
3. (keine Angaben bekannt).

Suprapto
1. Generalmajor (des Heeres);
2. in der Sektion für Wahlkampfarbeit;
3. Javaner, Akmil 1971, pensioniert 2001;
4. Assistent für Personalwesen des Heeresstabschefs 2000–2001;
 Assistent für Territorialangelegenheiten des Heeresstabschefs 1998–2000; oder  stellvertretender Assistent für sozio-politische Angelegenheiten des Chef des sozio- politischen Stabes, 1998–2000 (unklare Datenlage; falls korrekt, dann war er direkter  Untergebener Yudhoyonos);
5. Erfahrungen in der militärischen Verwaltung;
6. direkte Unterstellung möglich.
 
Aus dem Wahlkampfteam des Kandidaten Wiranto:
Fachrul Razy
1. General (****)
2. erster stellvertretender Vorsitzender des Tim Sukses;
3. 26.6.1947, Banda Aceh, Aceher, Akmil 1970, pensioniert im November 2002;
4. Generalstabschef der ABRI (1998), stellvertretender Panglima TNI (einziger Inhaber der Position, nach ihm abgeschafft);
5. tendenziell ein Anhänger der fraksi hijau;
6. keine direkte Unterstellung nachweisbar; stellte in Wirantos Auftrag im November 1999 die so genannten Pamswakarsa auf.

Affandi
1. Generalmajor (**)
2. Sekretär des Tim Sukses;
3. 16.4.1947, Magetan, Java, Akmil 1970;
4. Pangdam (Kodam-Kommandeur) Sriwijaya/Südsumatra (1998-1999); Pangdam I/Aceh und Nordsumatra (1999-2000);
6. als Pangdam direkt Wiranto unterstellt.

Suaidi Marassabessy
1. Generalleutnant (***);
2. Koordinator für Planung, Konzeption und Auswertung;
3. 5.1.1947, Ambon, Akmil 1971;
4. Pangdam Wirabuana/Sulawesi (1998-1999), Generalstabschef der TNI (1999-2000);
5. strikt islamische Ausrichtung, fraksi hijau. Wird mit Unterstützung der Laskar Jihad in Verbindung gebracht und wurde nach ihrer Gründung als Generalstabschef  abgesetzt. Bezeichnet sich selbst als engen Freund Wirantos;
6. zwei Mal nachweislich Wiranto direkt unterstellt: als Assistent für Operative Angelegenheiten des Heeresstabschef Wiranto und als Generalstabschef TNI dem Panglima TNI Wiranto.

Tulus Sihombing
1. Generalmajor (**);
2. Direktor für Information, gemeinsame Organisation und Leiter der Abteilung für Gerüchtebekämpfung;
3. Akmil 1968;
4. Stellvertretender Chef des Militärnachrichtendienstes BAIS TNI (2001);
5. Ein Nachrichtendienstoffizier.

Sonny Soemarsono
1. Generalmajor (**);
2. Stellvertretender Leiter der Abteilung für institutionelle Beziehungen;
3. (keine Angaben bekannt).

Soentoro
1. Generalmajor (**);
2. Regionalkoordinator Zentraljava;
3. (keine Angaben bekannt);
4. nur bekannt: Kommandeur des Korem 164/Dili, Osttimor (1993) und 163/Bali (1993-1995);
5. möglicherweise ein Mann der Kopassus.

Nurfaizi
1. (Ein ehemaliger General der Polizei);
2. Leiter Zentraljava, zusammen mit Soentoro.

Asman Akhir Nasution
1. Generalmajor (**);
2. Regionalkoordinator Aceh;
3. (keine Angaben bekannt).

Afwan Madani
1. Brigadegeneral der Marine (*);
2. Regionalkoordinator Aceh (zusammen mit AA Nasution);
3. (ein pensionierter General der Marine)

Ein erstes Resümee

Die ersten, sehr oberflächlichen Angaben zu den Personen lassen keine gemeinsamen spezifischen Beziehungen zum jeweiligen Kandidaten erkennen. Die große Spannbreite an Jahrgangsklassen, militärischen Verwendungen und militärischen Spezialisierungen im Verlaufe ihrer Militärkarrieren lassen mehr auf eine funktionale Nutzung ihrer Qualitäten schließen. Die Zahl der nachweislich eng mit dem Kandidaten vertrauten Kameraden ist gering. Eine Bevorzugung von Kameraden oder ehemaligen Dienstunterstellten ist ansatzweise nur bei Susilo Bambang Yudhoyono erkennbar, z.B. in der Person von Sudi Silalahi. Wiranto hat einen von ihm distanzierten Mitarbeiterstab aufgebaut, die eine gewisse Bevorzugung „grüner“ Generäle erkennen lässt.

Bei beiden Kandidaten dominieren unter den militärischen Helfern die purnawirawan aus dem Heer. Die Vertreter von Marine und Polizei scheinen aus Gründen des Proporzes einbezogen zu sein. Vertreter der Luftwaffe fehlen völlig. Einige der Assistenten haben ausgewiesene Kampferfahrung in Osttimor und Aceh, was Fragen nach den Gründen ihrer Einbeziehung aufwirft.

Anmerkungen

    (1) Die Mehrheit der Kommandeure der ABRI waren Muslime, die sich allerdings nationalistisch, also merah putih, verstanden. Mit der Ära Try Sutrisno ging die schleichende Islamisierung des Offizierkorps einher, während der der zahlenmäßig geringe Anteil der Christen im indonesischen Offizierkorps nicht länger Vorteile aus ihrer Religionszugehörigkeit zogen, sondern bei Beförderungen zunehmend an eine „gläserne Decke“ stießen, die ihnen den Eintritt in Führungspositionen verwehrte.
   (2) Tut wuri handayani, Javanisch für „führen von hinten“, ist ein pädagogischer Leitsatz für die Erziehung von Kindern und steht für den Lehrer, der seine Erziehungsbefohlenen von hinten, d.h. von ihnen unbemerkt, zu einem ihnen guten Tun anleitet. Das Prinzip entstammt den Lehrsätzen des pädagogischen Ansatzes des among aus dem nationalistischen Schulsystem der Taman Siswa des Ki Hadjar Dewantara. Die indonesischen Streitkräfte haben den Leitsatz zum Prinzip Nummer vier der elf Führungsprinzipien der Streitkräfte (11 Asas Kepemimpinan ABRI resp. TNI) gemacht.
    (3) Der Sospol-Stab war zuvor umbenannt worden zum Staf Teritorial (Territorialstab), und die Position des Kassospol in Kepala Staf Teritorial/Kaster (Chef des Territorialstabes). Die Abschaffung dieses Sospol-Führungsstranges ging einher mit der militärinternen Diskussion über das Für und Wider einer Abschaffung der Territorialkommandos (Komando Teritorial, Koter) des Heeres. Schließlich verzichtete das Heer zwar auf den Territorialstab, keineswegs aber auf die territoriale Basis. Die Zahl der obersten Territorialkommandos, der Kodam (Komando Daerah Militer), wurde sogar um zwei, einen in Aceh und einen auf den Molukken, aufgestockt.
   (4) Vgl. Douglas Kammen (1999): “Notes on the Transformation of the East Timor Military Comand and its Implications for Indonesia”, in: Indonesia, No. 67 (April), S. 61-76, und ders. (2001): “The Trouble with Normal: The Indonesian Military, Paramilitaries, and the Final Solution in East Timor”, in: Benedict R. O’G. Anderson (ed.): Violence and the State in Suharto’s Indonesia, Southeast Asia Program Publications, Cornell University, Ithaca, New York, S. 156-188.
   (5) Alle Angaben folgen Damien Kingsbury: „Watch these five!“, Inside Indonesia, no. 53, January-March 1998 (www.insideindonesia.org/edit53/Kingsb.htm), und The Politics of Indonesia, 2nd edition 2002, S. 224-227.
    (6) Seine Aufgaben lassen sich nicht nachvollziehen. Eine Quelle sieht ihn als „in effect the president’s assistant to deal with regional security matters. He became a kind of roving operator, observing and monitoring likely places of unrest in remote parts of the country. His concept of arming civilians emerged during this period.”
   (7) Für eine gute Beschreibung der Problematik vgl. Yun Honna. „TNI leaders played a part in the mobilization of ‚pro-integration’ militias in East Timor and the killings of pro-independence citizens. The degree to which Wiranto was involved in these actions is not clear, but it seems certain that he directly reinstated Zacky (Anwar Makarim), Sjafrie (Sjamsoeddin) and the others who previously belonged to the Prabowo clan to engage in special missions in East Timor where their ‘skills’ in ‘black-bag’ jobs could be brought to bear. This fact suggests that, at the least, Wiranto had confidence in them and was both aware, and in full control, of military actions in East Timor.” (Yun Honna (2003): Military politics and democratization in Indonesia, Routledge Curzon, London and New York, S. 175)
   (8) Die Macht eines Hendropriyono hat sich über die von ihm betriebene Ausweisung von Sidney Jones, Leiterin des Jakarta-Büros der International Crisis Group, im Juni 2004 gezeigt. Über die Motive Hendropriyonos sind zahlreiche Spekulationen angestellt worden. Ein persönliches Motiv muss in der Sorge um seine politische Zukunft gesehen werden, die für ihn allein in der Wiederwahl Megawatis zur Präsidentin liegen wird. Kein anderer Präsident wird ihn als Chef des staatlichen Nachrichtendienstes belassen wollen. Ein ernsthafter Konkurrent um seine Position ist Agum Gumelar, der in einem Kabinett Susilo Bambang Yudhoyono oder Wiranto für den Chefsessel des BIN qualifiziert wäre.
   (9) Vgl. Andreas Herberg-Rothe (2003): Der Krieg, Geschichte und Gegenwart, Campus, S. 69-71.
    (10) Die letzte veröffentlichte Biographiensammlung indonesischer Kommandeure ist Harsja W. Bachtiar (1988): Siapa Dia? Perwira Tinggi Tentara Nasional Indonesia Angkatan Darat (TNI-AD), Penerbit Djambatan, Jakarta. Das Werk ist jedoch ein Who’s who des indonesischen Heeres und lässt nur bruchstückhafte Rückschlüsse auf militärische Familiengenealogien zu.
    (11) Vgl. Bernhard Dahm (1985): „Das indonesische Heer und die Politik – Vor dem Hintergrund der Guerrillatradition auf Java“, in: ders. und Rita Weyang (Hrsg.): Das Militär in ASEAN-Staaten auf der Grundlage unterschiedlicher soziokultureller Voraussetzungen, S. 98-115.
    (12) Die Militärakademie und Kadettenanstalt Akabri (Akademi Angkatan Bersenjata Republik Indonesia) in Magelang, Zentraljava, ist externen Beobachtung und Forschung nicht zugänglich. Die letzte externe wissenschaftliche Forschung wurde 1971 durchgeführt und 1973 in einer nur Fachkreisen zugänglichen Dissertation veröffentlicht. Glücklicherweise liegt uns die Übersetzung der einzigen Studie vor, die jemals zur Akabri angefertigt wurde. Es handelt sich um die Studie von Peter Britton, ursprünglich erschienen 1973, und 1996 neu herausgegeben in indonesischer Übersetzung unter dem Titel Profesionalisme dan Ideologi Militer Indonesia. Herausgeber ist LP3ES in Jakarta. Das Kapitel 7 geht auf die Ausbildung der Kadetten im Zeitraum 1971 ein, mithin der Generation, die heute die Top-Positionen in der TNI einnimmt.
    (13) Vgl. Kapitel 5 und 6 in Britton 1996.
    (14) Vgl. Ingo Wandelt (1989): Der Weg zum Pancasila-Menschen, Frankfurt und New York.
    (15) Sarwo Edhie Wibowo war Kommandeur der Akmil in Magelang vom 9. Januar 1970 bis zum 9. Januar 1974. Sein Sohn, Pramono Edhie Wibowo, Jahrgang 1980 der Akmil, trat wie sein Vater der Kopassus bei und diente 1998 als Kommandeur der Grup I (Fallschirmjäger) und der Grup V (Antiterror). Er war bis März 2003 der persönliche Heeresadjutant Megawatis, eine Position, die vor ihm u.a. Wiranto innehatte. Pramono darf als ein künftiger Kandidat für höchste Positionen in Heer und TNI gelten. Sarwo Edhies Schwiegersohn, und Schwager von SBY, ist Erwin Sujono (auch Blasius Erwin Sudjono), Akmil-Klasse 1975, der zurzeit Kommandeur der Infanteriedivision I Kostrad mit dem Dienstgrad Mayjen (**) ist.
    (16) Die Frage, welche Akmil-Klasse die eigentliche erste Altersschicht der Neuen Ordnung war, ist widersprüchlich zu beantworten. Ich sehe die 73-er Klasse als die eigentliche Pionierklasse an, weil sie als erste dem 1973 publizierten Dharma Pusaka 45 ausgesetzt war. Die Klassen von 1974 (mit Heeresstabschef Ryamizard Ryacudu) und 1975 (mit dem stellvertretenden Heeresstabschef Djoko Santoso) haben es in noch größerer Intensität erlitten und könnten mit einigem Recht als die eigentlichen ersten Produkte der Gehirnwäsche der Neuen Ordnung gelten.
    (17) http://www.kompas.co.id/kompas-cetak/0406/24/Sosok/1105275.htm
    (18) Nach Recherchen von Moritz Kleine-Brockhoff, Jakarta
    (19) Ein Korem (Komando Resor Militer) ist die zweite Ebene der territorialen Präsenz des Heeres unterhalb des Kodam (Komando Daerah Militer)  und deckt ungefähr die Fläche eines Kabupaten ab. Im Osttimor zur Zeit der indonesischen Herrschaft wurde die Provinz  nur mit einem Korem abgedeckt
    (20) Als Kassospol führte SBY die Aufsicht über die Fraktion der Streitkräfte in Parlament und Volksdelegiertenkongress (MPR), und es ist wahrscheinlich, dass er wegen dieser Aufsichtsfunktion, obwohl kein ordentliches Mitglied, in die MPR berufen wurde.
    (21) Es ist unklar, ob er das Parteibuch der Golkar besaß. Als Gebietsdelegierte konnte eine Partei auch parteilose Delegierte benennen.
    (22) http://www.sby-oke.com/page.php?.action=wawancara§sekarang=2
    (23) http://www.suaram.org/update/urgent_appeal_20030618.htm
    (24) http://www.gatra.com/2004-05-02/artikel.php?id=36598


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