Berichte

Menschenrechtsbericht Osttimor 1998

17. Februar 1999

(Stand Mitte Februar 1999)

Inhalt

1. Hintergrund und politische Rahmenbedingungen
2. Menschenrechtsverletzungen
3. Das UN HRC Chairman’s Statement zu Osttimor 1998
4. Die Umsetzung des UN HCR Chairman’s Statement
5. Besuch der European Union Heads of Mission Troika in Osttimor
6. Bilanz der Menschenrechtslage in Osttimor
Extralegale Hinrichtungen, Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen
Sexuelle Gewalt
Straflosigkeit
Militärpräsenz
7. Beschlußempfehlungen

1. Hintergrund und politische Rahmenbedingungen

HRLogoDer Rücktritt des indonesischen Präsidenten Suharto im Mai 1998 war für das seit 1976 von Indonesien völkerrechtswidrig annektierte Osttimor von einschneidender Bedeutung. In mehreren Wellen wurden seit Mai 1998 dutzende politische Gefangene aus Osttimor freigelassen. Erstmals verspürten die Bewohner der Inselhälfte die vage Möglichkeit auf eine grundlegende Veränderung der politischen Zukunft Osttimors und machten regen Gebrauch von neu gewonnenen Freiheiten wie beispielsweise dem Recht auf Versammlung und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Gleichwohl waren diese Freiheiten weniger einem entschlossenen Reformkurs der neuen Regierung Habibie zu verdanken, die erst nach Monaten begann die gesetzlichen Grundlagen schrittweise zu erneuern, als vielmehr dem Macht- und Autoritätsverlust, den die staatlichen Behörden und das Militär nach Suhartos Rücktritt hinnehmen mußten.

Diese neuen Rahmenbedingungen beflügelten insbesondere osttimoresische Studenten, aber auch Angehörige aller anderen gesellschaftlichen Schichten, ihrem Anliegen nach einer Überwindung der indonesischen Gewaltherrschaft in einem nie zuvor für möglich gehaltenen Ausmaß durch Demonstrationen und politische Seminare Ausdruck zu verschaffen. Das Klima der Offenheit ermöglichte erstmals das Zusammenkommen von Anhängern verschiedener politischer und gesellschaftlicher Strömungen in Osttimor selbst, um in einem nationalen Dialog Möglichkeiten für eine gerechte Staats- und Gesellschaftsordnung nach demokratischen Prinzipien zu erörtern.

Auch in Indonesien führte der politische Wandel zu signifikanten Veränderungen bezüglich der Meinungs- und Informationsfreiheit. Politiker, Nichtregierungsorganisationen und Medien informieren und diskutieren offen über aktuelle und vergangene Mißstände in Osttimor. Dennoch bedarf es zu einer umfassenden Aufklärung der indonesischen Gesellschaft über die wahren Hintergründe des Osttimor-Konfliktes noch erheblicher Anstrengungen.

Unter dem Druck der anhaltenden Wirtschaftskrise und zunehmender Abhängigkeit von Krediten aus dem Ausland befindlich, sieht sich die Regierung Habibie genötigt, politisches Wohlverhalten zu demonstrieren. Die Regierung ist sich seit langem bewußt, daß ihr internationales Ansehen unter dem Osttimor-Konflikt leidet. Die immensen Belastungen des Staatshaushaltes, die für Osttimor aufgebracht werden müssen, und zunehmende soziale Disparitäten sowie die daraus resultierenden Probleme der inneren Sicherheit und Stabilität im indonesischen Kernland förderten die Bereitschaft der Regierung und des Militärs, sukzessive von ihrem kompromißlosen territorialen Anspruch auf Osttimor abzurücken.

Demgegenüber steht jedoch die Befürchtung, eine Entlassung Osttimors in die Unabhängigkeit könnte den Beginn des Zerfalls der staatlichen Integrität der Republik Indonesien darstellen. Einflußreiche Kräfte in Regierung und Militär wie auch Persönlichkeiten der Oppositionsbewegung beharren daher auf der Wahrung des Status Quo. Verschiedene Vorschläge für eine weitreichende Autonomie Osttimors – möglicherweise im Rahmen einer generellen Stärkung föderalistischer Elemente in ganz Indonesien – sind Ausdruck der Suche nach einer vernunftgeprägten Kompromißlösung. Die Verfechter dieser Modelle sind ausnahmslos in Kreisen der „Realpolitiker“ und Intellektuellen zu suchen. Die Bevölkerung Osttimors und anderer Regionen reagiert bislang mit Mißtrauen auf solche Angebote und favorisiert die vollständige Loslösung von Jakarta.

Da bestimmte Kreise innerhalb das Militärs versucht sind, sämtliche Bestrebungen für eine friedliche Lösung des Konfliktes zu unterminieren, indem sie u.a. paramilitärische Truppen ausrüsten und gezielt Gewalt schüren, um somit einen Vorwand für den weiteren Verbleib indonesischer Truppen zu schaffen, ist das Mißtrauen der Bevölkerung mehr als verständlich. Die Operationen der paramilitärischen Einheiten und des Militärs selbst sind dafür verantwortlich, daß sich die Menschenrechtslage in Osttimor trotz der genannten Erleichterungen hinsichtlich der Versammlungs- und Meinungsfreiheit in keinster Weise verbessert hat.

Vor diesem Hintergrund ist auch das jüngste Angebot der indonesischen Regierung Osttimor eventuell in die Unabhängigkeit zu entlassen, kritisch zu bewerten. Dieses Angebot gilt für den Fall, daß die Osttimoresen einem erweiterten Autonomiestatus eine Absage erteilen. Bislang ist jedoch unklar, auf welche Weise die Osttimoresen zu den angebotenen Alternativen befragt werden sollen. Ein Referendum unter Aufsicht der UN, wie es von Seiten des Widerstandes seit vielen Jahren gefordert wird, schließt die indonesische Regierung kategorisch aus. Auch einen schrittweisen geordneten Übergang lehnt die indonesische Seite mit Hinweis auf die Kosten ab, obwohl sie ihrerseits jahrzehntelang die ehemalige Kolonialmacht Portugal beschuldigte, sich 1975 in verantwortungsloser Weise überstürzt aus Osttimor zurückgezogen und somit die Vorbedingungen für einen Bürgerkrieg geschaffen zu haben.

2. Menschenrechtsverletzungen

Die Unabhängigkeitskämpfer der FALINTIL und deren mutmaßliche Sympathisanten – mithin die gesamte Zivilbevölkerung – setzen sich Tag für Tag der Gefahr aus, Opfer willkürlicher Attacken des Militärs oder paramilitärischer Einheiten zu werden. Wie aus dem gemeinsam vorgelegten Menschenrechtsbericht der Kommission Justitia et Pax des Bistums Dili/Osttimor und der Rechtshilfeorganisation Yayasan Hak hervorgeht, wurden 1998 656 Fälle von Menschenrechtsverletzungen bekannt, das sind fast zwei Fälle pro Tag. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Die Spannbreite der Menschenrechtsverletzungen umfaßt extralegale Hinrichtungen, Verhaftungen, Folter, Verschwindenlassen und sexuelle Gewalt.

Täter und Verantwortliche aus den Reihen des Militärs gehen in den meisten Fällen straflos aus oder werden von Militärgerichten lediglich disziplinarrechtlich verfolgt.

Die nach wie vor extrem hohe Militärpräsenz und das verstärkte Auftreten paramilitärischer Truppen schaffen ein beständiges Klima der Angst in der Bevölkerung. Viele Bürger sind Einschüchterungen, Verdächtigungen und Bedrohungen ausgesetzt.

3. Das UN HRC Chairman’s Statement zu Osttimor 1998

Nachdem die UN HRC 1997 eine Resolution bezüglich der Menschenrechtslage in Osttimor erlassen hatte, konnte Indonesien 1998 durch verschiedene Zugeständnisse eine erneute Resolution verhindern. Einige westliche Staaten lenkten daraufhin ein und einigten sich mit der Vertretung Indonesiens auf ein Consensus Statement.

In dem am 24. April 1998 verlesenen Chairman’s Statement unterstrich die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen u.a. die Notwendigkeit der Freilassung osttimoresischer politischer Gefangener und die menschenwürdige Behandlung der Gefangenen. Die Kommission unterstrich zum wiederholten Male die Notwendigkeit einer genaueren Aufklärung der Umstände des „Zwischenfalls von Dili“ 1991 – allgemein bekannt als das Massaker von Sta. Cruz. Indonesien erklärte dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sowie internationalen Medien und Hilfsorganisationen Zugang zu Osttimor gewähren zu wollen, wie die Kommission festhielt. Indonesien erklärte auch, vor der 55. Sitzung der Kommission die UN HCR Working Group on Arbitrary Detentions einzuladen. Ein Memorandum of Understanding bzgl. der Zusammenarbeit der indonesischen Regierung mit der Kommission in technischen Fragen wurde in Aussicht gestellt. Dies beinhaltete die Entsendung eines Beauftragten nach Indonesien, dem freier Zugang nach Osttimor gewährt werden sollte. Des weiteren sollten ein nationaler Menschenrechtsplan verabschiedet und die Anti-Folter-Konvention ratifiziert werden. Letztlich wurden Vereinbarungen getroffen, die Gespräche unter Schirmherrschaft des UN Generalsekretärs und den „all-inclusive intra East Timorese dialogue“ (AIETD) auf einer regelmäßigen Basis fortzusetzen.

4. Die Umsetzung des UN HCR Chairman’s Statement

Tatsächlich kam die Regierung Indonesiens den meisten genannten Punkten nach, wenngleich in mehreren Fällen erst kurz vor der 55. Sitzung der Kommission. Die ‚working group on arbitrary detentions‘ beispielsweise besuchte erst Anfang Februar Osttimor, so daß die Ergebnisse dieser Reise im vorliegenden Papier noch nicht berücksichtigt werden konnten.

Eine Anzahl politischer Gefangener wurde freigelassen, aber Xanana Gusmão, dem nach Meinung vieler Staatschefs eine tragende Rolle bei den anstehenden Verhandlungen um die Zukunft Osttimors zukommen sollte, und andere politische Gefangene befinden sich noch immer in Haft, meist mit der Begründung es handele sich nicht um politische Gefangene, sondern um gemeine Kriminelle. Am 10. Februar 1999 wurde Xanana Gusmão vom Gefängnis Cipinang in ein Haus nahe des Salemba-Gefängnisses verlegt, wo er unter Hausarrest steht. Obwohl diese Verlegung grundsätzlich zu begrüßen ist, ist derzeit noch ungewiß, ob Xanana Gusmãos Zugang zu Informationen und die Bedingungen für Besuche Dritter damit auf Dauer verbessert oder gar erschwert werden.

Die Aufklärung des Dili-Massakers von 1991 wurde nicht weiterbetrieben,obwohl der seit vielen Jahren von Augenzeugen und Überlebenden erhobene Vorwurf, es habe ein „Massaker nach dem Massaker“ gegeben zwischenzeitlich sogar von dem seinerzeitigen Gouverneur Osttimors, Mario Carrascalão, gegenüber der Presse bestätigt wurde. Carrascalão erklärte laut der portugiesischen Tageszeitung „Expresso“ vom 14. November 1998, etwa 50 Menschen seien nach dem eigentlichen „Zwischenfall“ erschossen und etwa 100 lebendig begraben worden.

Der freie Zugang internationaler Medien und Hilfsorganisationen ist weiterhin nicht gegeben. Im Falle des mutmaßlichen Massakers in Alas im November 1998 (s.u.) wurde lediglich dem IKRK mit einiger Verspätung ein beschränkter Zugang zu dem Gebiet gestattet.

Am 15. Februar meldete die portugiesische Nachrichtenagentur LUSA, daß die Vereinen Nationen und die indonesische Regierung sich auf einen ständigen VN-Menschenrechtsbeauftragten mit Sitz in Jakarta und freiem Zugang nach Osttimor geeinigt haben. Eine Bestätigung dieser Meldung liegt zum Zeitpunkt der Erstellung des vorliegenden Papieres noch nicht vor. Somit scheint auch in diesem Punkt kurz vor Beginn der 55. Sitzung der Kommission eine Umsetzung des Chairman’s Statement von 1998 und der Resolution von 1997 erfolgt zu sein. Gleichwohl bleibt die Forderung osttimoresischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen bestehen, den Beauftragten nicht in die 2.000 km entfernte indonesische Hauptstadt, sondern direkt nach Osttimor zu entsenden. Auch bezüglich des Mandates dieses Beauftragten gingen die Forderungen der Menschenrechtsorganisationen weit über die von der Kommission angestrebte Zusammenarbeit in technischen Fragen hinaus.

Im Juni 1998 legte die indonesische Regierung einen Menschenrechtsaktionsplan vor, der formal die wichtigsten anzulegenden Kriterien erfüllt. Der Aktionsplan erschöpft sich jedoch in einer Reihe von Punkten in eher allgemein formulierten Zielbestimmungen ohne Angaben bezüglich konkret in Aussicht genommener Durchführungsmaßnahmen. Der Plan spiegelt das Menschenrechtsverständnis der Regierung wider, das der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen nur in wenigen Bereichen wie etwa der Menschenrechtserziehung und Öffentlichkeitsarbeit eine mitwirkende Rolle einräumt. Maßnahmen zur Aufarbeitung von in der Vergangenheit begangenen Menschenrechtsverletzungen fehlen völlig. Die Ratifizierung des Paktes über bürgerliche und politische Rechte wird erst im letzten Jahr (2003) des zunächst auf fünf Jahre Dauer konzipierten Planes in Aussicht gestellt. Auf Nachfrage stellte sich heraus, daß die Existenz und der Inhalt des Planes der indonesischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland noch zwei Wochen nach dessen feierlicher Verkündung durch Außenminister Alatas gänzlich unbekannt waren.

Die hier zu befürchtende Diskrepanz zwischen dem geschriebenem Wort und der konkreten Ausführung vor Ort zeigt sich auch am Beispiel Folter. Trotz der kürzlich vollzogenen Ratifikation der Anti-Folter-Konvention vermeldete die osttimoresische Menschenrechtsorganisation Yayasan HAK alleine für die Monate Dezember 1998 und Januar 1999 17 Fälle von willkürlicher Verhaftung und Folter in Osttimor.

Der Fortgang der Gespräche zwischen den Regierungen Portugals und Indonesiens (tripartite talks) sowie des „all-inclusive intra East Timorese dialogue“ (AIETD) ist zu begrüßen. Ungeachtet vieler noch offener Fragen besteht kein Zweifel, daß in die zuvor stockenden Gesprächsrunden erhebliche Bewegung geraten ist. Gleichwohl erscheint die Notwendigkeit einer direkten Einbeziehung der Osttimoresen und ihres unter Hausarrest stehenden politischen Führers Xanana Gusmão in dieser möglicherweise entscheidenden Phase dringender denn je.

5. Besuch der European Union Heads of Mission Troika in Osttimor

Nach der 54. Sitzung der Kommission gab die Besuchsreise der EU-Troika vom 27.-30. Juni 1998 eine erste Zwischenbilanz der Lage in Osttimor. Der Besuch war überschattet von blutigen Auseinandersetzungen zwischen osttimoresischen Demonstranten und indonesischen Sicherheitskräften in unmittelbarer Nähe des Hotels der Gesandten. Als im weiteren Verlauf des Besuches ein Osttimorese in nächster Nähe der Botschafter erschossen wurde, brachen diese ihren Besuch aus Protest ab.

Auf Grundlage ihres Reiseberichtes kam die EU-Troika u.a. zu dem Schluß, daß es dringend notwendig sei, Xanana Gusmão direkt an den „tripartite talks“ unter UN-Schirmherrschaft zu beteiligen. Das Partizipationsrecht der Osttimoresen müsse gestärkt werden, z.B. durch häufigere Treffen des „all-inclusive intra East Timorese dialogue“ (AIETD), für den ein breiteres Spektrum an Teilnehmern und ein erweitertes Mandat wünschenswert wäre, das die Diskussion um Osttimors politische Zukunft miteinschließen müsse. Vergleichbare Dialogveranstaltungen unter Vermittlung der Kirche müßten auch in Osttimor selbst gefördert werden, erklärte die Troika weiter.

Die Troika forderte einen unverzüglichen sichtbaren Abzug indonesischer Truppen aus Osttimor sowie die Entwaffnung und Auflösung der paramilitärischen Einheiten. Es müsse zum Normalfall werden, daß Militärangehörige für begangene Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden. Vorfälle, bei denen Menschen zu Tode kommen, sollten unter Beteiligung unabhängiger Institutionen wie beispielsweise der Kirche oder der Kommission Justitia et Pax untersucht werden und die Ergebnisse der Untersuchung umgehend öffentlich gemacht werden.

FALINTIL solle einen Waffenstillstand erklären, der einhergehen müsse mit entsprechenden Maßnahmen seitens der indonesischen Streitkräfte. Es sollten weitere politische Gefangene entlassen werden, einschließlich Xanana Gusmãos. Indonesien und Portugal sollten zur Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten in Botschaften Dritter Verbindungsbüros eingerichtet und gegenseitige Visarechte erlassen werden.

Von allen hier aufgeführten Empfehlungen kam die Regierung Indonesiens bislang nur in wenigen Punkten nach:

  • einige politische Gefangene wurden entlassen, aber nicht Xanana Gusmâo und viele andere
  • Anfang Februar wurden in den beiden Hauptstädten Verbindungsbüros eröffnet; Reisemöglichkeiten wurden geschaffen.

Alle weiteren Empfehlungen der EU-Troika, insbesondere die stärkere Beteiligung der Osttimoresen an den laufenden Verhandlungsprozessen, die Einbeziehung unabhängiger Stellen bei Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen und die Öffentlichmachung von Untersuchungsergebnissen, wurden noch nicht implementiert.

6. Bilanz der Menschenrechtslage in Osttimor

Extralegale Hinrichtungen, Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen

Verhaftungen aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen gegen die „Integration“ oder der Annahme der Sympathie für die osttimoresische Befreiungsarmee FALINTIL sind seit dem Abzug der portugiesischen Kolonialmacht bis heute an der Tagesordnung. Immer wieder werden politische Aktivisten willkürlich verhaftet. In der Haft bleibt ihnen häufig die Möglichkeit einen Anwalt zu wählen sowie das Besuchsrecht für die eigene Familie verwehrt.

Die genaue Zahl der gegenwärtig inhaftierten politischen Gefangenen, ist schwierig zu bestimmen, da es trotz der verschiedenen Freilassungswellen immer wieder zu neuen Verhaftungen kommt. Der gemeinsame Menschenrechtsbericht von Justitia et Pax und Yayasan HAK in Dili registriert für das Jahr 1998 212 Fälle von willkürlicher Verhaftung. In den Gefängnissen in Osttimor sind inhumane Behandlung bis hinzu Folter als gängige Praxis.

Yayasan HAK und Justitia et Pax registrierten 1998 89 Fälle von Folter, in den Monaten Dezem-ber 1998 und Januar 1999 wurden 17 Fälle von willkürlicher Verhaftung und Folter gezählt. Oft wird den Inhaftierten die Möglichkeit auf einen fairen Prozeß verwehrt, da Prozesse hinausgezögert oder nicht öffentlich abgehalten werden. Der freie Zugang für unabhängige internationale Prozeßbeobachter ist i.d.R. nicht gegeben.

Verhaftungen werden oftmals gar nicht erst bekannt, häufig werden Leute als verschwunden registriert, ohne daß eine formelle Anklage bekannt ist. In diesen Fällen muß grundsätzlich befürchtet werden, daß die Opfer in die Hände des indonesischen Militärs gefallen sind und unter dessen Aufsicht brutal gefoltert werden, um evtl. später mit physischen und psychischen Schäden freigelassen zu werden. Andere Opfer findet man nur noch leblos am Straßenrand liegen.

Der Jahresbericht 1998 von Yayasan HAK und Justitia et Pax führt 19 Fälle von Verschwindenlassen und 54 extralegale Hinrichtungen auf. Die Bilanz für die Monate Dezember 1998 und Januar 1999 erfaßte sechs Verschwundene und 21 extralegale Erschießungen.

Unbestätigten Berichten zufolge soll es im Kecamatan (subdistrict) Alas, Kabupaten (district) Manufahi, am 9. November 1998 zu einem Massaker gekommen sein. Beobachter des IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz) konnten dies bei einem Besuch kurze Zeit später allerdings nicht bestätigen, sondern vermeldeten lediglich den Tod von Vincente Xavier, eines Dorfoberhauptes. Bischof Belo und eine Vielzahl anderer Quellen erklärten davon abweichend, es habe eine weit höhere Zahl von Todesopfern gegeben. Yayasan HAK spricht von mindestens elf Menschen, die bei dem Zwischenfall ums Leben kamen. Die unterschiedlichen Darstellungen des Hergangs der Ereignisse sowie die stark variierenden Zahlenangaben über die Todesopfer machen deutlich, daß eine lückenlose Aufklärung des Vorfalles durch unabhängige Beobachter dringend vonnöten ist. Offenbar handelte es sich bei diesem mutmaßlichen Massaker um eine Vergeltungsaktion des Militärs (ABRI), die auf den Angriff des bewaffneten Widerstandes auf eine Polizeistation am 9. November 1998 erfolgte, bei der drei Uniformierte und ein Zivilist getötet sowie 13 Polizisten gefangengenommen worden waren, von denen elf kurze Zeit später auf freien Fuß gesetzt wurden.

Das IKRK bestätigte die Anzahl von 30 niedergebrannten Häusern in Folge dieser Vergeltungsaktion. Ganze Familienzweige flohen vor dem Terror des Militärs aus ihren Dörfern, man spricht von 187 Familien. Yayasan HAK zählte 831 Personen. Ca. 8.000 Dorfbewohner leben seither unter Ausgangssperre und ohne Elektrizität.

Am 5. November waren im Kabupaten (district) Alas vier junge Leute im Alter von 19 bis 25 Jahren, Elvira (21), Secaltina (19), Marcal (25) und Raimundo (25) von Angehörigen der ABRI-Battaillone 744 und 745 gefoltert worden. Zweien der Opfer wurden die Handflächen durchstochen, sie wurden nackt ausgezogen und durch die Straßen geschleift. /tapol u. Solidamor, 16.11.1998/

Die portugiesische Tageszeitung Diario de Noticias vom 3. Dezember 1998 berichtet unter Berufung auf zwei schweizer Journalisten, Pascal Herren und Olivier Drufaut, von einem Jungen namens Lucas, dem der Kopf mit einem Bayonett vom Nacken bis zur rechten Gesichtshälfte durchstochen wurde. Nach Aussage eines Priesters wurden dem Jungen des weiteren beide Beine abgehackt, bevor Militärs den malträtierten Körper einem Mädchen zur Schau stellten.

Sexuelle Gewalt

Bereits seit vielen Jahren wird immer wieder davon berichtet, daß Frauen und Mädchen unter Zwang bzw. ohne ihr Wissen Langzeitverhütungsmitteln injiziert bzw. implantiert werden. Auch von Zwangssterilisationen wurde in der Vergangenheit mehrfach berichtet. Das Schamgefühl der Betroffenen bedingt, daß die wenigsten Fälle gemeldet und dokumentiert werden können.

Des weiteren finden zahllose sexuelle Übergriffe auf Mädchen und Frauen statt, über die aus denselben Gründen ebenso nur selten berichtet wird. Beispielhaft bleibt der Fall von Alianca Henrique dos Santos, der im November 1996 dokumentiert werden konnte. Alianca wurde von Angehörigen des indonesischen Militärs vergewaltigt. Obwohl sie vor der Militärpolizei aussagte, wurde dem Verbrechen bis heute nicht nachgegangen.

Nachdem in Indonesien die Massenvergewaltigungen während der Mai-Unruhen zu einem vieldiskutierten Thema geworden waren, machte Friedensnobelpreisträger Bischof Belo mehrfach darauf aufmerksam, daß derartige Vergehen für Frauen in Osttimor seit vielen Jahren zum Alltag gehören. Auch Menschenrechtsaktivistinnen von Focopas, dem „Kommunikationsforum der Frauen im Land des Sonnenaufgangs“, wiesen bei der Vorlage des Menschenrechtsberichtes 1998 von Yayasan HAK vor Pressevertretern besonders auf Fälle von sexuellen Übergriffen auf Frauen hin.

Nicht zuletzt wurden Gewalttätigkeiten des Militärs gegen Frauen in Osttimor von der UN-Beauftragten für Gewalt gegen Frauen, Radhika Coomaraswamy, nach ihrem jüngsten Besuch in Osttimor Anfang Dezember 1998 bestätigt. Ein ausführlicher Bericht der Reise soll bis März 1999 vorgelegt werden.

Straflosigkeit

Seit Indonesiens Präsident Habibie im Mai 1998 seinen Vorgänger Suharto ablöste, wird desöfteren Anklage gegen Angehörige der Streitkräfte erhoben, die zuvor quasi Immunität genießen durften. Eine Verurteilung und Ahndung wegen erwiesener Menschenrechtsverletzungen bleibt jedoch meist aus, da solche älle i.d.R. nicht vor zivilen, sondern vor Militärgerichten verhandelt werden. Nur ab und an werden einige Täter strafversetzt.

Ein Beispiel ist der Fall von Pedro Fragoso de Oliviera. Eines Tages steckte das Militär seinen Laden in Liquica in Brand und verprügelte ihn brutal. Seine Kinder, die sich noch in dem brennenden Haus befanden, konnten glücklicherweise noch gerettet erden. Die Behörden, bei denen er sich zu beschweren versuchte, gingen dem Fall nur halbherzig nach. Nach Aussage von Pedro Fragoso de Oliviera wurden ihm als Sympathisanten der Befreiungsbewegung FRETILIN keine Rechte zugestanden. Die mutmaßlichen Täter wurden nach Bali versetzt. Die für die Tat Verantwortlichen in den höheren Rängen des Militärs blieben unbehelligt. /Chicago Tribune, 17.8.1998/

Nach dem selben Muster war vor Jahren bereits mit den Tätern und Verantwortlichen des Massakers von Sta. Cruz 1991 verfahren worden, wohingegen friedliche Demonstranten zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Den seinerzeit erhobenen Vorwürfen von Überlebenden, es habe ein „Massaker nach dem Massaker“ gegeben wurde niemals nachgegangen, auch nicht nach der jüngsten Bestätigung dieser Vorwürfe durch den damaligen Gouverneur Osttimors, Mario Carrascalão.

Militärpräsenz

Im August 1998 ließ die Regierung Habibie medienwirksam Truppen aus Osttimor abrücken, ca. 1.000 indonesische Soldaten sollen dabei abgezogen worden sein. Glaubwürdigen Berichten des East Timor International Support Centers in Darwin, Australien, zufolge, die sich auf ein internes Papier der Streitkräfte berufen, wurden jedoch zahlreiche Truppen unter falscher Ausweisung über den Landweg von Westtimor aus umgehend wieder in Osttimor stationiert. Den Dokumenten zufolge waren im August 7.938 Soldaten von Kampfeinheiten und fast doppelt soviele Angehörige paramilitärischer Einheiten stationiert. Die Gesamtzahl belief sich somit auf 21.620 Personen. Entgegen der Beteuerungen der indonesischen Regierung soll noch mindestens eine Einheit der berüchtigten Eliteeinheit Kopassus in Osttimor stationiert sein.

Für die Bevölkerung Osttimors stellt die Präsenz der Streitkräfte eine andauernde Gefahr und Erinnerung an die fast 24-jährige Unterdrückung dar. Besondere Gefahr geht von den paramilitärischen Einheiten aus, deren Stärke nach übereinstimmenden Berichten verschiedener Quellen vor Ort in letzter Zeit massiv zugenommen hat. Diese Einheiten, die vom Militär mit Waffen ausgerüstet werden, sind ungleich schwerer zu kontrollieren als das reguläre Militär. Sie stellen eine ernstzunehmende Gefahr für den lang ersehnten Frieden in Osttimor dar und könnten zum Auslöser eines offenen Bürgerkrieges werden.

Dem Eindruck der internationalen Öffentlichkeit, daß sich in Folge der unbestreitbaren Reformen in Indonesien und der zunehmenden bürgerlichen und politischen Freiheiten auch in Osttimor auch die willkürlichen Übergriffe auf unschuldige Zivilpersonen reduziert hätte, muß aufgrund der vorliegenden Fakten entschieden widersprochen werden. Nach wie vor hat der Ausspruch von Bischof Belo vom 10. Dezember 1997 seine Gültigkeit: „The threat of violence is always present.“

7. Beschlußempfehlungen

Um Menschenrechtsverletzungen in Osttimor wirksam Einhalt zu gebieten, muß es das oberste Ziel sein, die Strukturen, welche Gewalt ermöglichen, zu verändern.

Wir fordern die Kommission daher auf, auf die indonesische Regierung einzuwirken:

  • umgehend alle indonesischen Streitkräfte und deren Sondereinheiten aus Osttimor abzuziehen,
  • umgehend sämtliche paramilitärischen Einheiten zu entwaffnen und aufzulösen,
  • die Voraussetzungen für die Entsendung internationaler Friedenstruppen der Vereinten Nationen nach Osttimor zu schaffen,
  • die verbliebenen politischen Gefangenen, insbesondere Xanana Gusmão, umgehend freizulassen und zu rehabilitieren,
  • Xanana Gusmão und weitere von der Bevölkerung Osttimors frei gewählte Vertreter direkt und gleichberechtigt an den Verhandlungen um die politische Zukunft Osttimors zu beteiligen,
  • die Voraussetzungen für ein Referendum über die politische Zukunft Osttimors zu schaffen,
  • eine ständige Vertretung der UN HCR in Osttimor selbst zuzulassen, deren Mandat auch umfaßt, als Anlaufstelle für Osttimoresen zu fungieren, die Meldung über vermeintliche oder tatsächliche Menschenrechtsverletzungen erstatten wollen,
  • unabhängigen internationalen Beobachtern, internationalen Menschenrechtsorganisationen und der Presse jederzeit uneingeschränkten Zugang zu Osttimor zu gewähren,
  • eine lückenlose und abschließende Aufklärung des Massakers von Sta. Cruz 1991 unter Beteiligung unabhängiger Institutionen wie beispielsweise der Kirche vorzunehmen,
  • die Aufklärung aller Menschenrechtsverletzungen und anderer Straftaten, insbesondere sämtliche Fälle der Ausübung sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen, in die Wege zu leiten und die Täter und Verantwortlichen entsprechend international anerkannter Rechtsnormen zur Verantwortung zu ziehen (fact-finding, truth-finding),
  • die strikte Anwendung rechtsstaatlicher Normen in allen Fällen zu garantieren und internationalen Prozeßbeobachtern uneingeschränkten Zugang zu gewähren und
  • sich zu verpflichten, Inhaftierten eine menschenwürdige Behandlung angedeihen zu lassen und die in der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen getroffenen Regelungen strikt zu beachten,

Des weiteren fordern wir die Kommission auf, auf die internationale Staatengemeinschaft einzuwirken:

  • finanzielle, personelle und organisatorische Hilfestellung zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben in Zusammenhang mit der schrittweisen Eigenständigkeit Osttimors zu gewähren,
  • alle Waffenlieferungen, Logistik- und Ausbildungshilfen für die indonesischen Streitkräfte, die zur Repression in Osttimor eingesetzt werden können, einzustellen und zu ächten,
  • Hilfe für die Therapie von durch Folter, sexuelle Gewalt etc. traumatisierten Opfern zur Verfügung zu stellen, in Zusammenarbeit mit indonesischen und osttimoresischen Behörden bzw. Institutionen geeignete Maßnahmen zur Verbreitung und Förderung des Menschenrechtsgedankens zu unternehmen.

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