Information und Analyse

17.000 Inseln der Imagination und zwei Gesichter: Selbstdarstellung in Deutschland, Zensur in Indonesien

Watch Indonesia! – Information und Analyse, 26. Oktober 2015

 von Alex Flor

Die vor genau 50 Jahren einsetzenden Massenmorde waren das beherrschende Thema beim Auftritt des Ehrengastes Indonesien auf der Frankfurter Buchmesse. In Indonesien wird die Diskussion um diese blutige Vergangenheit mit repressiven Methoden verhindert.

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Watch Indonesia! auf der Frankfurter Buchmesse 2015

Foto: Alex Flor

»Indonesien – 17.000 Inseln der Imagination« lautete das Motto der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die vor einer Woche ihre Tore schloss. Indonesien war der Ehrengast dieser Messe.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise in Europa und der Absage der Teilnahme seitens des Irans wegen der Einladung an Salman Rushdie betonten Messedirektor Jürgen Boos, Staatsministerin Monika Grütters und viele andere Funktionäre und PolitikerInnen auf der Eröffnungsfeier die Bedeutung von Meinungsfreiheit und Menschenrechten. Es sollte die »politischste Buchmesse seit Jahren« werden, rühmten sich die Organisatoren.

Die 1965 beginnende blutige Verfolgung von KommunistInnen und deren vermeintlicher Anhängerschaft in Indonesien, der mindestens 500.000 bis zu einer Million Menschen oder gar mehr zum Opfer fielen, war das »heimliche Thema« der Messe, wie es ein Journalist auf einer der Messeveranstaltungen bezeichnete. Dass ausgerechnet dieses empfindliche Thema den Auftritt Indonesiens beherrschen würde, lag mitnichten in der Absicht der Behörden des Ehrengastslandes – insbesondere in Hinblick auf den gerade vergangenen 50. Jahrestags des Beginns der Massaker.

»Heimliches Thema« als Ergebnis einer Verkettung von Zufällen

Dass 1965 letztlich doch zum beherrschenden Thema werden konnte, war einer Verkettung von Zufällen und organisatorischen Unzulänglichkeiten seitens des Ehrengasts geschuldet. Viel zu spät und beladen mit viel zu vielen bürokratischen Hürden hatte man sich darum gekümmert deutsche Übersetzungen indonesischer Literatur rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Mit Kochbüchern, Comics und schlecht übersetzten Kinderbüchern erfüllte Indonesien schließlich mehr schlecht als recht die Mindestanforderungen zur Teilnahme an der Buchmesse. Wie es der Zufall so wollte, waren es neben Adrea Hiratas »Träumer« im Wesentlichen drei Romane von Laksmi Pamuntjak, Leila Chudori und Ayu Utami, die rechtzeitig zur Messe in deutscher Übersetzung vorlagen. Und zufällig handelten alle drei von den blutigen Ereignissen 1965.

Der Ehrengast Indonesien ließ es gewähren, dass diesen AutorInnen und ihren Werken große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Gegen die massive Werbekampagne, die der Ullstein-Verlag für Laksmi Pamuntjaks »Alle Farben Rot« auflegte, war ohnehin nicht mehr anzukommen.

Überlebende Opfer der Ereignisse von 1965 kritisierten, dass alle drei Werke von AutorInnen verfasst wurden, welche die damaligen Ereignisse aufgrund ihres jungen Alters nicht bzw. nicht bewusst erlebt haben. Währenddessen fanden Autoren wie Putu Oka Sukanta und Martin Aleida, zwei Überlebende, die nach 1965 viele Jahre im Gefängnis verbringen mussten, nur auf den Bühnen von Nichtregierungsorganisationen wie amnesty international und Watch Indonesia! ein angemessenes Forum.

Unterdrückter Diskurs über die Vergangenheit

Die Frankfurter Buchmesse war noch nicht vorbei, als uns die Nachricht ereilte, dass Tom Iljas (77), ein im schwedischen Exil lebender Indonesier bei einem Besuch in seiner Heimat deportiert wurde. Tom Iljas wollte in Westsumatra die Gräber seiner Eltern und Verwandten besuchen. Doch eines der zu besuchenden Gräber stellte sich als ein bereits identifiziertes Massengrab aus den Jahren 1965 ff. heraus, was Tom Iljas auf den Radar der Sicherheitsdienste brachte.

Letzte Woche wurde an der Universität Salatiga, Zentraljava, das studentische Magazin »Lentera« (dt: Lampe, Laterne) eingezogen, weil es sich mit der »kommunistischen« Vergangenheit der Stadt historisch auseinandersetzte.

»17.000 Inseln der Imagination«: Zensur in Ubud

Wie in Frankfurt steht auch das renommierte Literaturfestival in Ubud, Bali, das diese Woche stattfinden soll, unter dem Motto »17.000 Inseln der Imagination«. Doch anders als in Frankfurt ist das Thema 1965 im eigenen Land noch immer ein Tabu. Polizei und Behörden verlangten drei Podiumsdiskussionen, eine Filmvorführung von Joshua Oppenheimers »The Look of Silence«, die Fotoausstellung »The Act of Living« sowie eine Buchvorstellung des gleichnamigen Bildbandes vom Programm zu nehmen, anderenfalls werde das gesamte Festival verboten.

Protest statt Selbstbeweihräucherung

Die Organisatoren der Frankfurter Buchmesse, die zahlreichen GastrednerInnen von Verbänden sowie aus der Politik, die sich in ihren Reden auf der Eröffnungsveranstaltung für die Meinungs- und Pressefreiheit stark machten, müssen ihren Worten nun Taten folgen lassen. Zusammen mit Verlegern und AutorInnen sind sie aufgerufen, die Zensurmaßnahmen in Salatiga und Ubud sowie die Deportation von Tom Iljas in einer öffentlichen Protestnote auf das Schärfste zu verurteilen. Die Bundesregierung ist aufgerufen der indonesischen Seite zu vermitteln, dass künftige Messeauftritte in Deutschland vom Umgang mit grundlegenden Rechten wie der Meinungs- und Pressefreiheit abhängig sein werden.

Die verbotenen Werke in Deutschland

»The Look of Silence« läuft derzeit in verschiedenen Städten Deutschlands in den Kinos; am 29. Oktober veranstalten die Uni Köln und Watch Indonesia! eine Vorführung und anschließende Diskussion mit Joshua Oppenheimer im Hörsaal 2, Hauptgebäude der Uni Köln <www.watchindonesia.org/Filmwoche1965Koeln.pdf>. Die Ausstellung »The Act of Living« wird noch bis zum 6. November 2015 gemeinsam von AJAR, der Uni Köln und Watch Indonesia! in der Aula des Philosophikums der Uni Köln präsentiert.

Verschiedene Motive der Ausstellung zieren Postkarten, die mit einer Petition an die Bundesregierung versehen sind. Darin heißt es:

Voraussetzung jeglicher weiterer Schritte zur Aufarbeitung der Vergangenheit und einer Hinwendung zur Entwicklung einer auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gründenden Zukunft der Republik Indonesien ist die Anerkennung der im Namen des Staates in der Vergangenheit begangenen Verbrechen.

Watch Indonesia! und Asia Justice and Rights (AJAR) fordern daher dazu auf, dass:
1) die indonesische Regierung, die schweren Menschenrechtsverletzungen offiziell anerkennt.
2) die deutsche Regierung Indonesien bei der Aufarbeitung der Vergangenheit unterstützt.
Die gesammelten Unterschriften werden anlässlich des internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember 2015 dem Botschafter der Republik Indonesien in Deutschland und der Bundesregierung übergeben.

Bestellen Sie kostenlos Postkarten zur Verteilung an Freunde, Verwandte, Kollegen usw. bei
Watch Indonesia!
Urbanstr. 114
10967 Berlin
watchindonesia@watchindonesia.org


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