Information und Analyse

Elf Jahre nach dem Mord an Menschenrechtverteidiger Munir: Ein Mord ohne Täter?

Watch Indonesia! – Information und Analyse, 08. September 2015

 von Basilisa Dengen

Foto: Monika Schlicher

Foto: Monika Schlicher

Am 7. September 2004 starb der indonesische Menschenrechtsverteidiger Munir auf einem Flug in die Niederlande. Die Autopsie der niederländischen Behörden ergab, dass er mit Arsen vergiftet worden war. Der Mord an Munir geschah kurz vor der Stichwahl zum ersten direkt vom Volk gewählten Präsidenten Indonesiens. Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri musste gegen den ehemaligen Koordinierenden Minister für Politik und Sicherheit ihres eigenen Kabinetts, Susilo Bambang Yudhoyono (SBY), antreten – und verlor die Wahl. Kurz nach seinem Wahlerfolg versprach SBY im November 2004, den Mord an Munir zu untersuchen. Ende Dezember setzte er ein Untersuchungsteam (Tim Pencari Fakta/TPF) ein und erklärte die Aufklärung des Falls als einen „test of our history“.

Der erste Gerichtsprozess begann im August 2005. Ihm voraus gingen Drohungen und Erpressungsversuche von Unbekannten gegen Suciwati, die Witwe von Munirs, gegen Mitglieder des vom Präsidenten eingesetzten Untersuchungsteams (TPF) sowie der von Munir gegründeten Menschenrechtsorganisation KontraS. Der Grund dafür war, dass das TPF Hinweise auf die Beteiligung des staatlichen Geheimdienstes (Badan Intelijen Negara/BIN) an dem Mord festgestellt hatte. Der damalige Chef von BIN, Hendropriyono, ist Vorladungen von TPF und Polizei mehrfach nicht gefolgt. Zurzeit hält er die Funktion eines Beraters von Staatspräsident Joko Widodo.

Die Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen in Indonesien und die Hinterbliebenen von Opfern waren voller Hoffnung, als der Gerichtsprozess zum Mord an Munir begann. Sie sahen in diesem Fall eine Chance zur Aufklärung weit über den Mord an Munir hinaus und somit die Möglichkeit, dass die Kette der Ungerechtigkeit in Indonesien zerschlagen werden könnte. Diese Hoffnung stellte sich jedoch bald als Irrtum heraus. Elf Jahre sind bereits vergangen und es gibt keinerlei Fortschritt in der Aufklärung des Mordes.

Die indonesische Justiz sieht sich nicht in der Lage neue Beweise zu präsentieren und konnte bisher nur einen kleinen Fisch fangen: Pollycarpus Budihari Priyanto, ein Pilot der Fluglinie Garuda Indonesia, der zugleich für BIN arbeitete, wurde als ausführender Täter zu 20 Jahren Haft verurteilt. Eine Revision des Urteils verkürzte die Strafe im Juli 2013 auf 14 Jahre. Hinzu kamen reguläre Haftverkürzungen, wie sie bei guter Führung regelmäßig zu hohen Feiertagen ausgesprochen werden, von insgesamt 51 Monaten und 80 Tagen. Ende November 2014 wurde Pollycarpus unter Bewährungsauflagen auf freien Fuß gesetzt. Gegen weitere mutmaßliche Täter wie Muchdi Purwopranjono, den damaligen Leiter der Abteilung V des Geheimdienstes, der nach Erkenntnissen des TPF in den Tagen vor dem Mord über sein Handy intensivem Kontakt zu Pollycarpus pflegte, geschweige denn gegen Hendropriyono wurden jemals formelle Ermittlungen eingeleitet. Kein Wunder also, dass gegen die beiden keine Beweise vorliegen. Wer nicht danach sucht, wird auch nichts finden!

Der Mord an Munir hat seinerzeit für große internationale Aufmerksamkeit gesorgt. Munir war einer der mutigsten Menschenrechtverteidiger Indonesiens. Er erhielt mehrere internationale Auszeichnungen, darunter im Jahr 2000 den alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award „…for his courage and dedication in fighting for human rights and the civilian control of the military in Indonesia.“

Zu Lebzeiten sprach sich Munir häufig über die hotspots der Gewalt in Indonesien aus – Regionen, wo das indonesische Militär geheime Kriege führte und Menschenrechtsverletzungen beging, wie Aceh, Papua und Osttimor. Als Anwalt leistete er in großem Umfang advocacy-Arbeit für die Opfer von Entführungen und Folter unter prodemokratischen Aktivisten. Mit Nachdruck drängte er auch auf Reformen im Sicherheitssektor – seinerzeit auch ein wichtiges Thema für die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Indonesien. Angesichts des Wiedererstarkens des indonesischen Militärs und der Gelegenheit zum Export deutscher Leopard-Kampfpanzer und anderer Rüstungsgüter scheint eine Sicherheitssektorreform in Indonesien für die deutsche Politik keine Priorität mehr zu haben.

In den ersten Jahren waren das internationale Interesse und Engagement an der Aufklärung des Mordes an Munir sehr hoch. Die ersten Gerichtsprozesse wurden von vielen internationalen Beobachtern besucht. Im Juni 2006 erhielt Munirs Witwe, Suciwati, das Versprechen des Europaparlaments für die weitere Beobachtung des Prozesses. Philipp Alston, UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen äußerte sich 2007 durch ein öffentliches Statement zu dem Fall. Die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navy Pillay, forderte 2012 die indonesische Regierung dazu auf, die Untersuchung des Mordes neu zu eröffnen und eine gerichtliche Nachprüfung über die mögliche Involvierung von Muchdi Purwopranjono anzustrengen. Leider gab auf diese Vorstösse bislang keine angemessenen Reaktionen seitens der indonesischen Justiz.

Wie bereits erwähnt hält Präsident Joko Widodo („Jokowi“) trotz der Proteste von Menschenrechtsorganisationen den Ex-Geheimdienstchef Hendropriyono als Berater seiner Regierung.

Dass Hendropriyono mutmaßlich für schwere Menschenrechtverletzungen verantwortlich ist, stellt für Präsident Jokowi kein Problem dar, denn es gebe dafür ja keine Beweise. Nein, natürlich nicht. Solange sich keine Staatsanwaltschaft und kein Gericht traut gegen Hendropriyono zu ermitteln, wird es nur Indizien und Mutmaßungen, aber niemals Beweise geben können!

Der Mord an Munir ist nicht der einzige Fall, der Hendropriyono zur Last gelegt wird. Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass Hendropriyono auch für ein Massaker an Dorfbewohnern in Talangsari, Lampung, 1989 verantwortlich war.

Solange sich Präsident Jokowi nicht gewillt zeigt, die Leute in seinem engsten Umfeld einer genaueren Überprüfung zu unterziehen, bleibt sein Wahlkampfversprechen zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit eine leere Worthülse.

Seit 2013 gibt es in der Stadt Batu, Ostjava, ein Museum für Menschenrechte. Es war das Haus, wo Munir und seine Familie wohnten. Suciwati widmete das Omah Munir (deutsch: Munirs Haus) der Menschenrechtsbildung für alle Indonesier, insbesondere für SchülerInnen. Das Museum bekommt regelmäßig Besuche von verschiedenen Schulen aus der Region. Suciwati möchte, dass die jüngere indonesische Generation über Menschenrechte aufgeklärt wird. Zwar gibt sie die Hoffnung auf Gerechtigkeit nicht auf, aber es ist ihr klar, dass unter der jetzigen Situation weder vom Justizsystem, noch von der Regierung bedeutende Fortschritte zu erwarten sind.

Es ist fantastisch, dass die Zivilgesellschaft sich die Menschenrechtsbildung zu ihrer Aufgabe macht. Aber läge es nicht in erster Linie in Verantwortung des Staates für Fälle wie dem Mord an Munir Gerechtigkeit zu schaffen? Another test of our history?


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