Ein vergessener Massenmord

Südlink, September 2015

http://www.inkota.de/suedlink173

in PDF layoutete Version: Ein_vergessener_Massenmord.Suedwind173
 

Vor fünfzig Jahren begann in Indonesien eine beispiellose Verfolgungswelle auf Kommunisten und deren vermeintliche Anhänger. Bis heute warten die Opfer auf eine offizielle Anerkennung ihres Leids.

Von Alex Flor

SuedlinkDer dubiose Mord an sieben Offizieren war der willkommene Anlass: Eine Million Menschen fielen der Jagd auf Kommunisten und ihre Anhänger in Indonesien 1965/66 zum Opfer. Vom Westen bekam Diktator Suharto aktive Unterstützung. Auch heute, fünfzig Jahre nach dem Massaker, kommt die Aufarbeitung des Geschehens nur sehr langsam voran. Und die Täter von einst werden weiterhin geehrt.

Am 1.Oktober 1965 wurden in der indonesischen Hauptstadt Jakarta sechs Generäle und ein Leutnant umgebracht. Die genauen Umstände der Tat sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. General Suharto verstand es, den Vorfall geschickt in seinem Sinne zu deuten und als Ausgangspunkt seiner Machtergreifung zu nutzen. Ohne jeglichen Beweis machte er die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) und ihr nahestehende Organisationen wie die Frauenbewegung Gerwani, die Bauernfront BTI und den Kulturverband LEKRA für die Morde verantwortlich.

Frei erfundene Schilderungen von Gerwani-Aktivistinnen, die nackt um die hingerichteten Generäle tanzten, nachdem sie ihnen in der Nacht zum 1. Oktober 1965 die Augen ausgestochen und die Penisse abgeschnitten hätten, gehören zu einem von der Diktatur verbreiteten Geschichtsbild, das in Indonesien noch immer breit akzeptiert ist. Bis heute – 17 Jahre nach Ende der Diktatur – sind kommunistische, marxistische und leninistische Lehren, Schriften, Organisationen oder gar politische Parteien verboten.

Der 1. Oktober 1965 war Ausgang einer beispiellosen Jagd auf Kommunisten und ihre vermeintlichen AnhängerInnen. Unter Aufsicht des Militärs erledigten Todesschwadronen nationalistischer und religiöser Organisationen den schmutzigen Job der massenhaften Gefangennahme, Folter und Ermordung. Das Militär versuchte so weit wie möglich eine aktive Rolle zu vermeiden, um die Liquidierung der Kommunisten als eine vom Volk getragene Maßnahme darstellen zu können.

Seriöse Schätzungen etwa von amnesty international gehen davon aus, dass zwischen 1965 und 1967 rund eine Million Menschen getötet wurden. General Sarwo Edhie, einer der Hauptverantwortlichen der Operation, sprach sogar von drei Millionen Opfern. Die Täter von damals sind bis heute stolz darauf, was sie getan haben, wie Joshua Oppenheimers preisgekrönter Film »The Act of Killing« eindrücklich zeigt.

Überlebende kämpfen um ihre Rechte

Die meisten überlebenden Opfer dieser Zeit können sich nur noch schwer an ihren 70. Geburtstag erinnern. Doch die Erinnerung an das Leid, welches sie vor vierzig oder fünfzig Jahren durchleben mussten, ist in vielen noch hellwach. Einige möchten sich daran nicht mehr erinnern müssen, andere sind dazu gesundheitlich nicht mehr in der Lage. Viele sind längst gestorben.

Etliche der alten Leute engagieren sich in Organisationen wie etwa der YPKP 65 (Forschungsstiftung über die Mordopfer von 1965/66), eine der größten Opferinitiativen mit lokalen Niederlassungen, die über ganz Indonesien verteilt sind. Sie fordern Anerkennung und Gerechtigkeit. Für die Jüngeren stellen sie die einzig verbleibenden authentischen Quellen dar, um begreifen zu können, was damals passiert ist.

Die an Menschenrechten, Politik und Geschichte interessierten VertreterInnen der jüngeren Generation experimentieren mit unterschiedlichen Annäherungen an die Problematik. Einige versuchen über die Methodik der oral history Schilderungen der Überlebenden festzuhalten. Andere versuchen sich in der Versöhnungsarbeit, und wieder andere widmen sich der Thematik mit Kunstformen wie Literatur, Poesie, Theater, Tanz, Musik, Film oder bildender Kunst.

Auch die Nationale Menschenrechtskommission (Komnas HAM) Indonesiens untersuchte die Ereignisse von damals. In einem 2012 vorgelegten mehrere hundert Seiten starken Bericht belegt die Kommission zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen. Der Bericht der Kommission benennt Verantwortliche und forderte die Generalstaatsanwaltschaft auf, ein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Doch der Bericht wurde von der Staatsanwaltschaft unter fadenscheinigen Begründungen zurückgewiesen.

Auf dem Höhepunkt des allgemeinen Reformeifers nach dem Rücktritt von General Suharto 1998 beschloss eine Sondersitzung der Beratenden Volksversammlung (MPR), dem höchsten Verfassungsorgan Indonesiens, im Jahr 1999 die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der während der Diktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen. Es dauerte Jahre, bis ein Gesetz dafür verabschiedet wurde. Menschenrechtsorganisationen störten sich an einem Amnestieparagrafen, der Aussagewilligen Straffreiheit zusicherte. 2006 wurde das Gesetz vom Verfassungsgericht in Gänze kassiert. Derzeit, 16 Jahre nach dem Beschluss der MPR, liegt wieder ein Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Wahrheitskommission auf dem Tisch – und wieder wird um die Straffreiheit gestritten.

Die Opfer von 1965 sind nicht länger gewillt zu warten, bis der Staat endlich handelt. Vom 7. bis 8.August 2015 wollten sich Mitglieder der YKPK 65 aus allen Teilen des Landes in der Stadt Salatiga, Zentraljava, zu einem Seminar treffen. Alle notwendigen behördlichen Genehmigungen lagen vor. Vertreter des Ministeriums für Justiz und Menschenrechte sowie der Nationalen Menschenrechtskommission hatten ihre Teilnahme bestätigt. Doch einen Tag vor Eröffnung drohten radikalislamistische Kräfte damit, das Seminar nötigenfalls gewaltsam aufzulösen. Die Drohungen waren ernst zu nehmen, denn bereits Ende Februar wurde ein ähnliches Seminar von YKPK 65 in Westsumatra tätlich angegriffen. Auf effektiven Schutz durch die Polizei war kein Verlass. Das Seminar musste abgesagt werden.

Solcherlei sind die Spätfolgen der fast 33 Jahre währenden Diktatur unter General Suharto, unter der mehr als eine Generation von IndonesierInnen von klein auf der Gehirnwäsche einer staatlichen Propaganda unterzogen wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass zahlreiche indonesische Kommunisten gläubige und praktizierende Muslime waren, folgen islamistische Gruppen bis heute der Propaganda, die Kommunismus mit Gottlosigkeit gleichsetzte. Aber auch im säkular-nationalistischen Lager wird das »Gespenst des Kommunismus« ungeachtet aller globalpolitischen Veränderungen seit 1965 noch immer als eine Bedrohung verstanden.

Das Gespenst des Kommunismus

Die Welt befand sich 1965 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. In Vietnam kämpften die USA einen verlustreichen Krieg gegen die weitere Ausbreitung des Kommunismus. Indonesien wurde regiert von Präsident Sukarno, der sich als einer der Führer der Blockfreienbewegung zunächst dem Ost-West-Muster entziehen wollte.

Die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) war mit 3,5 Millionen Mitgliedern die weltweit drittgrößte Kommunistische Partei und die größte in einem nichtkommunistischen Staat. Aus den ersten und einzigen freien Wahlen 1955 ging sie mit rund 16 Prozent der Stimmen als viertstärkste politische Kraft hervor. Der Westen fürchtete sich vor einem Dominoeffekt, falls Indonesien dem Kommunismus anheimfallen sollte. Die Philippinen, Malaysia, Thailand und andere könnten folgen, bis am Ende ganz Ostasien kommunistisch wäre.

Präsident Sukarno war auf die PKI ebenso angewiesen wie auf das Militär und den Islam – und versuchte diese drei eigentlich unvereinbaren politischen Lager unter dem Konstrukt NASAKOM (Nationalismus, Religion und Kommunismus) zu vereinen. Er verrannte sich in eine militante Konfrontationspolitik gegenüber dem 1963 gegründeten Nachbarstaat Malaysia, den er als Marionette des britischen Imperialismus begriff. In diesem neuen Staat sah er den Versuch, Indonesien durch imperialistische Staaten oder deren Vasallen (Australien, die Philippinen als Vasall der USA und Malaysia als Vasall Großbritanniens) zu umzingeln. Der Konflikt führte soweit, dass Sukarno den Austritt aus der UNO erklärte und dem Westen »Go to hell with your aid!« entgegenschmetterte. Währenddessen litt Indonesien auch damals schon unter Misswirtschaft und Korruption. Wie in sozialistischen Ländern kam es zu Versorgungsengpässen. Für bestimmte Waren musste man anstehen.

Rechtsgerichteten Militärs und ihren Unterstützern in Washington und London waren Sukarno und sein Schmusekurs mit der immer weiter erstarkenden PKI seit langem ein Dorn im Auge. Geschickt nutzten sie die Gunst der Stunde, die sich nach der Mordnacht vom 1. Oktober 1965 darbot, um Sukarno zu entmachten und die PKI samt ihrer Unterorganisationen zu vernichten. Die USA übergaben dem Militär Namenslisten von zu eliminierenden PKI-Kadern und anderes Material zu deren Verfolgung.

Suharto wird häufig als Führer einer »Entwicklungsdiktatur« bezeichnet. Unter seiner Präsidentschaft erlebte Indonesien die wirtschaftliche Anbindung an den Westen und eine maßgebliche Verbesserung der Lebensumstände der breiten Bevölkerung. So stieg die durchschnittliche Lebenserwartung von knapp 49 Jahren 1965 bis zum Ende seiner Amtszeit auf 66,5 Jahre. Wegen solcher Zahlen wird Suharto bis heute von vielen als »Vater der Entwicklung« verehrt. Dabei stieg die durchschnittliche Lebenserwartung bereits vor Suhartos Machtergreifung an.

Nach seinem Tod 2008 errichtete ihm seine Familie ein Mausoleum nebst Museum, welches täglich von vielen Menschen besucht wird. Alte Gedenkstätten und Museen, die an die Brutalität der Kommunisten erinnern sollen, wurden nach 1998 ebenso wenig einer Neugestaltung unterzogen wie die Geschichtsbücher in den Schulen. Und General Sarwo Edhie, der sich dafür rühmte, dass er bis zu drei Millionen Menschen umbringen ließ, wurde kürzlich offiziell für die Ehrung als »Held des Staates« nominiert. Nicht etwa trotz seiner Vergehen, sondern als Zeichen der Anerkennung dafür.

Alex Flor ist Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!.


Tags: , , , , , , ,


Share