Die Spannung auf Ost-Timor vor dem Referendum wächst

KNA, 26. August 1999

Schüsse und Unsicherheit

knaBonn (KNA-Korr.) „Die Stimmung ist gespannt. Auf der Straße sind fast keine Menschen mehr.“ Kurz vor zehn Uhr abends ist es in Dili, der Hauptstadt Ost-Timors, und nach den Gewalttätigkeiten und Schießereien, die an diesem Donnerstag über die Stadt hereinbrachen, herrscht nun gespannte Ruhe. Nach Ansicht von Sabine Hammer, eine der deutschen Beobachterinnen des am Montag anstehenden Referendums, ist es „unmöglich einzuschätzen“, ob die mit so viel Spannung erwartete Volksabstimmung über den künftigen Status der von Indonesien 1975 besetzten und ein Jahr später annektierten Insel halbwegs ordnungsgemäß verlaufen wird.

Trotz zahlreicher Zwischenfälle während der vergangenen Wochen, trotz mancher Behinderungen der Wahlbeobachter: Für Hammer und die anderen deutschen Beobachter kamen die Unruhen an diesem Donnerstag, die nach bislang vorliegenden Informationen außer Verletzten – auch ein Reuters-Fotograf soll verwundet worden sein – mehrere Todesopfer gekostet haben, durchaus überraschend. Als Reaktion der Gegner einer Unabhängigkeit und als Versuch einer Einschüchterung seien sie aber erklärbar. Denn am Mittwoch hatten Tausende auf Dilis Straßen friedlich für die Loslösung von Indonesien demonstriert, ein anderthalb Stunden dauernder Korso von Lastwagen und Autos. „Das wirkte sehr bunt und feierlich, eine lockere Atmosphäre“, sagt Hammer. Bis spät in den Abend seien die Menschen dann noch auf der Straße gewesen.

Anders das Bild am Morgen danach. An die 10.000 Menschen demonstrierten für einen Verbleib der Insel bei Indonesien. Es gab, wie es hieß, mindestens zwei, vermutlich aber mehr Tote. Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta machte in der „Deutschen Welle“ für die Morde indonesische „Hooligans“ verantwortlich, die während der vergangenen Tage zu hunderten nach Ost-Timor gekommen seien. Nach Angaben der deutschen Beobachter, die im Auftrag und mit Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen und kirchlichen Hilfswerken wie Missio und Misereor nach Ost-Timor gereist sind, waren es beispielsweise fanatische Anhänger der berüchtigten Aitarak-Milizen, die Gewalt säten. Hunderte von ihnen seien, in ihren typischen schwarzen T-Shirts, auf Motorrädern auf einzelne Plätze im Stadtteil Kuluhun gefahren und hätten in die Luft geschossen. Auch vor einem von Ausländern bewohnten Hotel fielen Schüsse. Kann man noch von Sicherheit sprechen? Hammer verneint: „Ich war eben noch mit dem Taxi unterwegs. Seit Anbruch der Dämmerung streifen Milizen mit Knüppeln und Macheten, vereinzelt mit Waffen durch die Straßen.“

Die Spannung wächst, und fast verzweifelt appellieren Wahlbeobachter, kirchliche Stimmen und Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung an die für das Referendum verantwortlichen Vereinten Nationen, für mehr Sicherheit zu sorgen oder eine internationale Friedenstruppe zu entsenden. Noch Stunden vor der Eskalation dieses Donnerstags wandten sich die internationalen Beobachter in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan. Befürchtet wird auch eine dramatische Eskalation der Gewalt, falls die Unabhängigkeitsbewegung gewinnt. Dazu passen die Todesdrohungen pro-indonesischer Milizen gegen den Friedensnobelpreisträger und katholischen Bischof in Dili, Carlos Filipe Ximenes Belo. Der bestätigte die Gerüchte über Drohungen: „Noch ist dein Gewand weiß, doch eines Tages wird es mit deinem Blut befleckt sein“, hieß es da. Mehrere Kirchenmitarbeiter und Katecheten seien in den letzten Wochen schon ermordet worden.

Im fernen Jakarta kündigte unterdessen Indonesiens Staatspräsident Jussuf Habibie die Freilassung des ost-timoresischen Rebellenführers Xanana Gusmão für Mitte September an – nach 20 Jahren Haft. Zwei Wochen nach dem Referendum soll Gusmão, der derzeit noch unter Hausarrest steht, begnadigt werden und freikommen. Der 52-jährige ist eine der Symbolfiguren des ost-timoresischen Widerstands. Den Menschen auf der Insel, so Hammer am Abend, sei diese Nachricht noch gar nicht richtig bekannt. Sie hörte davon, als sie am Abend der BBC ein Telefoninterview gab.

Christoph Strack (KNA)


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