Zeitschrift SUARA

Papuas fordern Unabhängigkeit von Indonesien

Indonesien-Information Nr. 2-3, 1998 (West-Papua)

 

 von Dr. Siegfried Zöllner

 

Seit dem Rücktritt von Präsident Suharto vor sechs Monaten wird in Indonesien überall von „era reformasi“ – Ära der Reformen – gesprochen. In Irian Jaya ist jedoch die Ära der Reformen noch nicht angebrochen. Am 6. Juli 1998 schlug die indonesische Armee eine friedliche Demonstration in Biak mit unglaublicher Brutalität nieder. Bis heute ist die genaue Zahl der Toten nicht bekannt. Es werden jedoch seitdem mindestens 50 Personen vermisst. Daher ist verständlich, daß die einheimischen Irianesen (Papua) nur mit Zurückhaltung ihre Vorstellungen über die politische Zukunft Irians äußern.

 

Nationaler Dialog

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Die Morgensternflagge, Symbol der Unabhängigkeit Papuas

In den letzten Wochen ist die Diskussion um die politische Zukunft Irians jedoch neu angefacht worden. Anlass war der Gedanke eines sog. „Nationalen Dialogs“. Etwa 500 Repräsentanten der Bevölkerung sollen mit dem indonesischen Staatspräsidenten Habibie zusammentreffen und Gelegenheit haben, ihre Vorstellungen zu äußern. Dabei werden drei Konzepte diskutiert, eine föderative Staatsform (F = Federasi), eine weitgehende Autonomie (O = Otonomi) oder die Unabhängigkeit Irians von Indonesien (M = Merdeka). Wo immer man die drei Buchstaben F, O und M nennt, begegnet man verständnisvollen Lächeln und jeder Papua sagt offen, dass es nur eine Alternative gebe, nämlich M = Merdeka = Unabhängigkeit.

Die Machthaber wissen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Unabhängigkeit von Indonesien wünscht. Doch sie verhalten sich schizophren: Im Oktober 1998 verkündete der Oberkommandierende der Streitkräfte in Irian Jaya, General Amir Sembiring: „Es ist ja nur eine ganz kleine Gruppe von Papuas, die die Unabhängigkeit wollen, vielleicht zwei- bis dreihundert.“ So zitierte ihn die Tageszeitung Cenderawasih Pos in Jayapura. Tags darauf verkündigte er, dass beim bevorstehenden „Nationalen Dialog“ mit Präsident Habibie über alles geredet werden darf, nur nicht über die Unabhängigkeit. Warum dieses Verbot, wenn doch kaum jemand die Unabhängigkeit will? Der Nationale Dialog erhitzt die Gemüter: die einen wollen über alles reden, die andern verbieten das Thema Unabhängigkeit, die einen wollen, dass die fünfhundert Gesprächspartner „von unten“ gewählt werden, die Machthaber haben Angst und möchten die Gesprächspartner selbst bestimmen, von oben – wie seit 35 Jahren. Der Dialog soll Ende Dezember 1998 oder im Januar 1999 stattfinden, vielleicht in Biak, vielleicht in Jayapura.

Gefängnis für Papuaführer

Einige mutige Adathäupter (traditionelle Stammesführer) wie Theys Eluay von Jayapura und Tom Beanal von Timika fordern offen die Unabhängigkeit, ein freies Papua Barat. Theys Eluay wird daraufhin von der Polizei eine Woche – im Oktober 1998! – inhaftiert und verhört. Täglich berichtet die Tageszeitung, dass er unbeugsam an seinen Aussagen festhält und ein freies Papua fordert. Er wird wieder freigelassen, doch Freunde bewachen Tag und Nacht sein Haus in Sentani. Sie fürchten Entführung oder Mord. Die Zeitungen nennen Theys „Pemimpin Papua“, Führer von Papua.

Meinungsumfrage in Timika

Tom Beanal hat einen anderen Weg gewählt. Er hat eine Volksbefragung mit Unterschriftensammlung organisiert, übrigens mit Zustimmung der örtlichen Behörden. Jedes Haus in Timika, Tembagapura, Kuala Kencana und Port Site bekam 3 Formulare: Je ein Formular für F (Föderation), O (Autonomie) und M (Unabhängigkeit). Eine Woche später lagen 10353 Unterschriften auf seinem Tisch im Büro der Amungme-Stammesvertretung LEMASA in Timika, davon 10351 für M und zwei für O. Das ist die wahre Stimmung unter der Bevölkerung!

Eine besonders interessante Einzelheit bei der Volksbefragung war, dass auch 73 zugewanderte Indonesier (also Nicht-Papua) ihre Unterschrift abgegeben haben. Sie alle haben für die Unabhängigkeit gestimmt. Sie haben auch ihre Gründe genannt: Es sind in 35 Jahren zuviel Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen durch die indonesischen Machthaber geschehen; die Papua sind keine Indonesier, sie sind ein anderes Volk; sie sind immer diskriminiert worden; sie sollten ihren eigenen Weg gehen können. So denken viele Indonesier, die Irian Jaya kennen.

Die Volksbefragung im Bezirk Timika macht Schule: Auch andere Regionen in Irian wollen ähnliche Befragungen organisieren. General Amir Sembiring soll Lügen gestraft werden. Die Welt soll wissen: 99,9 % der Papua wollen Freiheit von Indonesien.

Weitestgehende Autonomie als Kompromiss?

Doch wahrscheinlich ist die Zeit für die Unabhängigkeit noch nicht reif. Präsident Habibie, selbst höchst umstritten, unbeliebt bei den Massen auf der Insel Java, ungeliebt bei großen Teilen des Militärs, ohne jegliche demokratische Legtimation, kann es sich nicht leisten, Irian Jaya in die Unabhängigkeit zu entlassen. Besonnene Papuaführer, auch die Kirchen, sehen ein, dass sie den Bogen nicht überspannen sollten. Radikale Demonstrationen würden ein Blutbad zur Folge haben. FORERI, ein Forum von Kirchenführern, Stammesältesten, Studentenvertretern und Frauenorganisationen, hat sich schweren Herzens entschlossen, die Forderung nach Unabhängigkeit zur Zeit nicht zu stellen. „Weitestgehende Autonomie“ soll gefordert werden:

  • Das Militär soll abgezogen werden
  • Die Beamtenschaft soll nur aus Papua bestehen
  • Das in Irian erwirtschaftete Geld soll in der Region bleiben
  • Die Transmigration soll beendet werden.

Doch FORERI weiß auch, dass die Diskussion über Autonomie höchst unpopulär ist. Ein Amungmeführer sagte mir: „Wir haben seit 35 Jahren sogenannte Autonomie erlebt. Wir haben keine Geduld mehr. Du wirst in Deutschland von uns hören: Du wirst Rauchfahnen sehen, dann weißt du, dass es bei uns brennt. Du wirst Geschrei hören, dann weißt du, dass wir kämpfen. Du wirst Weinen und Klagen hören, dann weißt du, dass man uns getötet hat.“


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