Zeitschrift SUARA

Auch Habibie geht über Leichen

Indonesien-Information Nr. 2-3, 1998 (Demokratie)

von Alex Flor

Bacharuddin_Jusuf_Habibie_official_portraitNach seiner Machtübernahme im Mai konnte Präsident Habibie seine Amtsgeschäfte mehrere Monate lang weitgehend unbehelligt von öffentlichen Protesten führen. Den demokratischen Kräften Indonesiens, die sich in den vergangenen Jahren gebildet hatten, schien es schwerzufallen, sich auf die neuen politischen Rahmenbedingungen einzustellen. Jahrelang hatten sie nur ein Ziel vor Augen gehabt: den Sturz der Diktatur Suharto. Alle konnten sich mit dem Wunsch nach einem Ende der Ära Suharto identifizieren, umso mehr als es sich dabei um eine scheinbar ferne und unerreichbare Utopie handelte. Politische Richtungsstreits beschränkten sich auf die Frage, wie man dieses Ziel am besten erreichen könne. Strategien über den Tag X hinaus wurden kaum diskutiert.

Plötzlich war es doch soweit. Es scheint absurd, das Ende einer 32 Jahre dauernden Epoche mit dem Wort ‚plötzlich‘ zu versehen, aber die fast lähmende Orientierungslosigkeit, von der die Oppositionsbewegung nach dem Machtwechsel gezeichnet war, zeigte, wie wenig man darauf vorbereitet war, dass der langersehnte Tag X jemals eintreten würde. Niemand war zur Stelle, der dem frischgebackenen Präsidenten Habibie ernsthaft sein Amt hätte streitig machen können. Und niemand setzte die neue Regierung Habibie mit alternativen politischen Forderungen und umsetzungsfähigen Konzepten ernsthaft unter Handlungsdruck. Keiner verstand es, sich die offenkundige Schwäche dieser Regierung und ihres Präsidenten zunutze zu machen. Die Bewegung, die gerade eben noch stark genug gewesen war, um Suhartos Rücktritt zu erwirken, war gespalten in einen Teil, der das Ziel der „reformasi“ mit dem Amtswechsel bereits erfüllt sah, und einen Teil, der in dem von Suharto ernannten Nachfolger Habibie nichts anderes als die Fortsetzung des alten Systems erkannte. „Reformasi total“ lautete nun die Forderung, mit der diese zweite Gruppe versuchte ihren Kampf gegen das Regime mit unveränderten Mitteln fortzusetzen.

Die der Forderung nach „reformasi total“ zugrundeliegende Analyse, es hätte sich im Prinzip überhaupt nichts geändert, griff freilich zu kurz. Denn Habibie wartete mit neuen politischen Freiräumen auf, die geeignet waren, die Angriffe der Opposition zunächst ins Leere laufen zu lassen. Darüber hinaus gelang es Habibie sogar, der Oppositionsbewegung mit den neugewährten bürgerlichen Freiheiten ein Spielzeug an die Hand zu geben, mit dem sich seine potentiellen Gegner erst einmal trefflich selbst beschäftigen konnten. Im Rahmen dieser neuen Freiheiten wurden inzwischen mehr als hundert politische Parteien sowie dutzende Gewerkschaften, akademische Diskutierclubs, Nichtregierungsorganisationen und Presseorgane gegründet. Nun sind alle damit beschäftigt, sich Statuten zu geben, Vorstände zu wählen, Büros einzurichten, Mitglieder zu werben und nach Finanzierung zu suchen. Doch kaum eine der neugegründeten Parteien verfügt bisher über ein Programm.

Derweil konnte Habibie die Zeit nutzen, um seine Macht zu konsolidieren und gemeinsam mit dem IWF und anderen internationalen Institutionen die politischen und wirtschaftlichen Leitlinien für die nächsten Jahre festzuklopfen. Das wirtschaftlich schwer angeschlagene, von Korruption und Vetternwirtschaft gezeichnete Inselreich wird fit gemacht für das Zeitalter des Neoliberalismus und der Globalisierung. Keine der neuen Parteien oder Gewerkschaften hat dem etwas entgegenzusetzen. Wie ehedem streiken die Gewerkschaften für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Zur gleichen Zeit machen dutzende Firmen Konkurs und täglich verlieren ca. 15.000 ArbeiterInnen ihre Beschäftigung. Schon möglich, dass Indonesiens Wirtschaft eines Tages wieder auf die Beine kommt, aber ihre Struktur wird eine andere sein.

Das Ende des Dornröschenschlafes

„Sondersitzung der Beratenden Volksversammlung (MPR)“ hieß der Prinz, der zumindest die StudentInnen aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen vermochte. Aus Protest gegen diese Sondersitzung machen sie seit dem 9. November im ganzen Land wieder durch Demonstrationen und phantasievolle Aktionen auf sich aufmerksam. Die Demonstrationen in der Haupstadt Jakarta zählten sogar mehr TeilnehmerInnen als die Aktionen im Mai, die zu Suhartos Rücktritt geführt hatten.

Die 1.000 Mitglieder zählende Beratende Volksversammlung (MPR) vereint die 425 „vom Volk gewählten“ Abgeordneten und 75 vom Militär gestellten Abgeordneten des Parlamentes (DPR) mit den vom Präsidenten handverlesenen VertreterInnen der Regionen und funktionalen Gruppen. Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Habibie zwar einige Verwandte führender Funktionäre, darunter die Söhne und Töchter Suhartos, ihrer Mitgliedschaft im MPR enthoben, dennoch ist die Zusammensetzung beider Kammern des MPR aber ein Überbleibsel der keinerlei demokratischen Grundsätzen gehorchenden Herrschaft Suhartos. Ausgerechnet dieses Gremium sollte nun über grundlegende Bestimmungen für den politischen Neuanfang entscheiden. Auf der Agenda standen u.a. die Leitlinien für ein neues Parteiengesetz und ein neues Wahlgesetz sowie Bestimmungen, die den zukünftigen politischen Einfluss des Militärs regeln sollten.

Die StudentInnen sprachen dieser Versammlung jegliche Legitimation ab und erklärten ihre eigenen Vorstellungen eines politischen Neuanfangs: Ex-Präsident Suharto solle vor Gericht gestellt werden, die Doppelfunktion (Dwifungsi) des Militärs als „Sicherheitsgarant“ nach innen und außen müsse abgeschafft und anstelle der Regierung Habibie eine Übergangsregierung eingesetzt werden, an der Vertreter der Opposition teilhaben sollten. Hatte sich im Mai noch der Vorsitzende der Moslem-Organisation Muhammadiyah, Amien Rais, als prominenter Fürsprecher vor die StudentInnen gestellt und sich damit als führende Oppositionsfigur einen Namen gemacht, so waren die StudentInnen diesmal ganz auf sich alleine gestellt. Amien Rais verweigerte die Solidarität mit Hinweis auf die Gefahr eines Militärputsches /AFP, 13.11.98/. Die Tatsache, dass die Massendemonstrationen trotzdem stattfanden, widerlegte alle politischen Beobachter, die immer behauptetet hatten, jede Bewegung in Indonesien bedürfe einer starken Führungspersönlichkeit.

Getragen waren die Proteste von einer Vielzahl studentischer Gruppen, von denen die meisten seit Oktober im Aktionsbündnis AKRAB FORKOT zusammengeschlossen sind. Die meisten der Gruppen sind erst wenige Monate alt, viele hatten sich im Mai anlässlich der Besetzung des Parlamentsgebäudes gegründet. FORKOT (Forum Kota; Stadtforum), eine Gruppe, die durch radikale gegen das Militär gerichtete Forderungen aufwartet, ist vielleicht die bekannteste unter ihnen, nicht zuletzt, weil sie von regierungstreuen Radikalislamisten als „Forum Komunis“ verunglimpft wurde. FAMRED (Front Aksi Mahasiswa untuk reformasi Damai; studentische Aktionsfront für friedliche Reformen), ist eine weniger militant eingestellte Abspaltung von FORKOT. Mit von der Partie sind auch KOMRAD (Komite Mahasiswa Anti Dwi Fungsi ABRI; Studentenkomittee gegen die Dwifungsi), eine unter starkem Einfluss der linksgerichteten Volksdemokratischen Partei, PRD, stehende Gruppe, KOBAR (Komite Buruh untuk Aksi Reformasi; Arbeiterkomittee für Reformaktionen), ein nach den Mai-Unruhen an der Universitas Indonesia gegründetes Forum aus StudentInnen und ArbeiterInnen, das in den letzten Monaten mehrere Streiks im Speckgürtel von Jakarta organisiert hatte, und KPM (Komite Pendukung Megawati; Unterstützerkomittee für Megawati), eine auf Mitgliedern der städtischen Armutsschichten basierende Gruppe zunehmend enttäuschter Fans von Megawati Sukarnoputri. Anhänger der seit vielen Jahren aktiven Politgruppen PIJAR und ALDERA prägen das Bild von FORBES (Forum Bersama, gemeinsames Forum). Die wahrscheinlich moderateste Gruppe ist FKSMJ (Forum Komunikasi Senat Mahasiswa Jakarta; Kommunikationsforum der Studentensenate in Jakarta), in der die bisher regierungsoffiziell anerkannten Studentenvertretungen der Universitäten zusammengeschlossen sind. /ASIET, 14.11.98/

Zivile Bürgerwehren übernehmen die Stellung

Die Gegenseite zeigte sich nicht unvorbereitet auf die Aktionen der StudentInnen. Mittels eines Großaufgebotes eigens zu diesem Zweck zusammengetrommelter „ziviler Bürgerwehren“ (Pam Swakarsa) sollte der ungestörte Ablauf der Sondersitzung des MPR gewährleistet werden. Ca. 125.000 Leute wurden hauptsächlich in Westjava, aber auch im entfernten Madura (Ostjava) sowie selbstverständlich in Jakarta selbst rekrutiert. In Jakarta angekommen bewaffneten sie sich symbolträchtig mit angespitzten Bambusrohren wie ehedem die Freiheitskämpfer, die die holländische Kolonialarmee bezwungen hatten. Mehrere Pam Swakarsa-Rekruten gestanden später freimütig gegenüber der Presse, dass sie für ihren Einsatz pro Person mit Rp. 20.000 (ca. DM 5,-) bezahlt worden seien /Straits Times, 16.11.98/. Gegenüber dem Großaufgebot an Pam Swakarsa fielen die in der Hauptstadt zusammengezogenen regulären Sicherheitskräfte von Polizei und Militär (nach unterschiedlichen Angaben ca. 16.000-30.000 Mann) zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Sie trugen allerdings keine Bambusspeeren, sondern verfügten über Panzer, Tränengas, Gummigeschosse und – wie sich später herausstellen sollte – auch über scharfe Munition. Rings um das Parlament waren Stacheldrahtsperren verlegt worden, um eine Besetzung des Gebäudes wie im Mai geschehen diesmal zu verhindern.

Es kam, wie es kommen musste. Auseinandersetzungen zwischen Pam Swakarsa und Demonstranten eskalierten zu blutigen Straßenschlachten, die auf beiden Seiten Opfer forderten. Schauplatz der heftigsten Gefechte war die Umgebung der Atmajaya-Universität. Mindestens 18 Leute sollen dabei ihr Leben verloren haben, darunter auch sechs Mitglieder der Pam Swakarsa. Wie bereits im Mai an der Trisakti-Universität, wo vier Studenten erschossen worden waren, wurde auch dieses Mal wieder von „Unbekannten“ das Feuer eröffnet. Die Obduktion der Leichen ergab, dass entgegen der ursprünglichen Behauptung der Sicherheitskräfte auch mit scharfer Munition geschossen wurde. Wie Armeechef Wiranto zugeben musste, waren sogar Dum-Dum-Geschosse zum Einsatz gekommen, die sich im Körper des Opfers in mehrere Splitter aufteilen und besonders schwerwiegende – in aller Regel tödliche – Verletzungen hervorrufen. Gleichwohl sieht Wiranto darin den Beweis, dass die Schüsse nicht aus Reihen der Sicherheitskräfte abgegeben worden seien, denn seine Truppen verfügten angeblich nicht über diese weltweit geächtete Art von Munition.

In Reaktion auf die Toten erweiterten die StudentInnen ihren Forderungskatalog: Habibie und Wiranto wurden zum Rücktritt aufgefordert /Jakarta Post, 16.11.98/. Auch Amien Rais meldete sich wieder zu Wort und forderte ebenfalls Wirantos Abdankung /AFP, 14.11.98/.

Es wird vermutet, dass die Rekrutierung der Pam Swakarsa dazu dienen sollte, das angeschlagene Ansehen des Militärs nicht weiter zu belasten. Tote und Verletzte gehen auf das Konto dieser „Bürgerwehren“ und können somit nicht ohne weiteres dem Militär angelastet werden. Aus Sicht des Militärs scheint sich diese Strategie bewährt zu haben. Jüngst wurden Überlegungen laut, im ganzen Lande solche Bürgerwehren zu schaffen und jährlich 40.000 Leute dafür auszubilden /AFP, 13.12.98/.

StudentInnen erzwingen „Nationalen Dialog“

Unterstützung erhielten die DemonstrantInnen in Jakarta von StudentInnen in nahezu allen Universitätsstädten des Landes. StudentInnen in Yogyakarta besetzten das Rundfunkgebäude, in Ujung Pandang auf Sulawesi und in Medan, Nordsumatra, besetzten StudentInnen die Flughäfen. Sie forderten Freiflüge nach Jakarta, um sich den dort stattfindenden Aktionen anschließen zu können /Kompas, 15.11.98/.

Die in ihrer Bedeutung möglicherweise weitreichendste Aktion wurde von dem als moderat geltenden FKSMJ (Forum Komunikasi Senat Mahasiswa Jakarta) durchgeführt. In Anlehnung an ein Ereignis im Jahre 1945, als nationalistische Jugendliche Sukarno entführt hatten, um ihm das Versprechen abzuwingen nach seiner Freilassung umgehend die Republik auszurufen, führten Mitglieder des FKSMJ mit sanftem Zwang die wichtigsten Oppositionsführer des Landes zu einem Gespräch zusammen. Der frühere Muhammadiyah-Vorsitzende und jetzige Parteichef von PAN (Partai Amanat Nasional), Amien Rais, die PDI-Vorsitzende Megawati Sukarnoputri und der populäre Sultan von Yogyakarta, Hamenkubuwono X wurden zur Privatwohnung von Abdurrahman Wahid (Gus Dur) gefahren, dem charismatischen Voritzenden der Moslem-Organisation Nadlathul Ulama. Auch der osttimoresische Friedensnobelpreisträger Bischof Belo sollte ursprünglich an diesem Treffen teilnehmen. Belo war jedoch verhindert und schickte eine Grußbotschaft. /Jeffrey Winters in Time Asia, 23.11.98/

Die StudentInnen forderten die vier PolitikerInnen auf, einen „Nationalen Dialog“ ins Leben zu rufen. Sie sollten nicht das Haus verlassen dürfen, bevor sie sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung verständigt hätten. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten kam tatsächlich ein Gespräch in Gang und die PolitikerInnen traten mit der „Erklärung von Ciganjur“ an die Öffentlichkeit. Deren wichtigste Inhalte sind die Abhaltung freier Wahlen bis spätestens Mai 1999 und deren Überwachung durch eine unabhängige Kommission, die schrittweise Beendigung der militärischen Doppelrolle ‚Dwifungsi‘ innerhalb der nächsten sechs Jahre, die Untersuchung des Reichtums von Ex-Präsident Suharto und die Auflösung der zivilen Pam Swakarsa-Truppen. Amien Rais erklärte, es werde weitere Treffen dieser Gruppe geben. /SiaR, 11.11.98/

Ein Teil dieser Forderungen wurde von Regierung und MPR beherzigt. Die Pam Swakarsa wurden abgezogen und die Untersuchung von Suhartos Vermögen wurde in die Beschlussliste des MPR aufgenommen. Die StudentInnen zeigten sich dennoch enttäuscht. Sie hatten sich mehr erhofft. Eine ihrer wichtigsten Forderungen, nämlich die Bildung einer Übergangsregierung, fand keinen Eingang in die „Erklärung von Ciganjur“.

Habibie lässt die Maske fallen

Von einer Seite, von der es sicher niemand erwartet hätte, wurde dagegen harrsche Kritik am Vorgehen der Regierung gegen die Demonstrationen laut. Niemand geringeres als Ex-Präsident Suharto, ließ verlauten, er habe kein Verständnis für die Unfähigkeit der Habibie-Regierung, die Straßenschlachten im Vorfeld zu vermeiden. „Warum war die Regierung unfähig, das Problem mit den Studenten zu bewältigen? Die Regierung hätte sie zu Gesprächen einladen sollen,“ wurde Suharto von seinem Halbbruder Probosutedjo zitiert /AFP, 14.11.98/. „Surreal,“ kommentierte ein Beobachter in Jakarta diese Meldung.

Spätestens mit den blutigen Ereignissen an der Atmajaya-Universität stellte die Regierung Habibie unter Beweis, dass sie sich in der Wahl der Mittel zur Sicherung ihrer Macht in nichts mehr von der früheren Regierung Suharto unterscheidet. Diejenigen Stimmen, die von Anfang an behauptet hatten, Habibies „Reformregierung“ sei nur die Fortführung des alten Systems mit neuen Masken, durften sich bestätigt fühlen.

Folgerichtig ließ Habibie auch die letzten Hemmungen fallen, ordnete ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrationen an und beschuldigte – ganz nach bekanntem Muster – nicht beim Namen genannte Gruppen der Aufwiegelung, Subversion und des versuchten Staatsstreiches. „Man kann jetzt innerhalb der Gesellschaft Bewegungen und Aktionen verschiedener Gruppen erkennen, die klar darauf abzielen, gegen das Gesetz und die Verfassung vorzugehen indem Massen mobilisiert werden, die diesen Wünschen Nachdruck geben,“ erklärte Habibie gegenüber Journalisten /AFP, 14.11.98/.

Habibie hat offenbar bereits verdrängt, dass er selbst vor wenigen Monaten aufgrund ähnlicher Demonstrationen ins Amt gehoben wurde. Der damals verkündete Reformkurs hatte Hoffnungen geweckt, daß Schießbefehle gegen Demonstranten und willkürliche Anklagen wegen Subversion nunmehr der Vergangenheit angehörten. Eine der ersten Amtshandlungen Habibies war dann auch die Freilassung zweier prominenter politischer Gefangener, Muchtar Pakpahan und Sri-Bintang Pamungkas, die aufgrund solcher Beschuldigungen zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Ausgerechnet Sri-Bintang Pamungkas zählt nun zu einer Gruppe von Leuten, auf die Habibies Äußerung offenbar gemünzt war. Mit einem Vorführbefehl wurde er wenige Tage nach den Schüssen an der Atmajaya-Universität zum Verhör abgeholt. Zusammen mit 16 weiteren Prominenten, darunter der frühere Gouverneur von Jakarta und Mitbegründer der ‚Petisi 50‘, Ali Sadikin, der General a.D. Kemal Idris, der Talkshow Master Wimar Witoelar und Bintangs Bruder, dem Wirtschaftswissenschaftler Sri-Edi Swasono, droht Bintang nun erneut eine Anklage wegen versuchten Staatsstreiches. Anlass war eine Erklärung, die die Gruppe um Ali Sadikin verfasst hatte, die in moderater Form einige der wichtigsten Forderungen der StudentInnen unterstrich. Sri-Bintang Pamungkas hatte diese Erklärung noch nicht einmal mitunterzeichnet.

Keine Chance für „reformasi total“

Ungeachtet aller Unruhen und Widerstände konnte die MPR-Sitzung erfolgreich zu Ende gebracht werden. Die gefassten Beschlüsse ließen die „Erklärung von Ciganjur“ weitgehend und die Forderungen der StudentInnen völlig außer acht. Die ‚Dwifungsi‘ wurde nicht in Frage gestellt, die für Militärs reservierten Sitze im Parlament werden in Einklang mit der vorbereiteten Beschlussvorlage der Regierung lediglich um 20 auf 55 reduziert. Die Amtszeit des Präsidenten soll künftig auf zwei Wahlperioden beschränkt werden – wobei im Unklaren gelassen wurde, ob die derzeitige verkürzte Amtsperiode dabei mitgezählt wird oder nicht. Nach langen Diskussionen wurde beschlossen, eine Untersuchung des Vermögens von Suharto – der nach noch längeren Diskussionen im Beschluss namentlich genannt wurde – anzustrengen.

Eine Untersuchung von Suhartos Verbrechen gegen die Menschlichkeit, angefangen von den Massenmorden 1965/66 bis zu den Toten an der Trisakti-Universität 1998, fand keinerlei Erwähnung in der Debatte – geschweige denn in den Beschlüssen des MPR.


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