Zehn Jahre in Freiheit – Christliches Bollwerk in Asien

Katholische SonntagsZeitung 19./20. Mai 2012 / Nr. 20

Osttimor:

In Osttimor sind über 90 Prozent katholisch – Seit Mai 2002 unabhängig von Indonesien

von Michaela Koller

Osttimor, das Land mit dem höchsten christlichen Bevölkerungsanteil in Asien, feiert am 20. Mai den zehnten Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Indonesien. Der Weg dahin war steinig.

Kath_sonntagszeitungAm 7. Dezember 1975 waren indonesische Truppen in Osttimor eingefallen. Auf die Eroberung folgten 24 Jahre Unterdrückung jeglicher Freiheitsbestrebungen. Mindestens 102.800 Osttimoresen kamen durch Verfolgung und Vertreibung ums Leben. Die Gewalt erreichte ihren Höhepunkt, nachdem am 30. August 1999 mehr als 78 Prozent der osttimoresischen Wähler für die Loslösung von Indonesien gestimmt hatten.

Armee und pro-indonesische Milizen töteten dabei rund 1500 Zivilisten, Hunderttausende Osttimoresen wurden vertrieben, mehr als drei Viertel der Infrastruktur zerstört. Der Gewaltexzess wurden erst beendet, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) Mitte September 1999 eine internationale Truppe entsandte.

Voraussichtlich wird die UN-Mission in Timor Leste, wie das Land offiziell heißt, Ende dieses Jahres auslaufen. Der gerade abgewählte Präsident José Ramos-Horta dankte noch im Februar in einer Rede vor den Vereinten Nationen der internationalen Staatengemeinschaft, die das Land von September 1999 bis Mai 2002 regierte.

Aus den dritten Präsidentschaftswahlen, die kürzlich weitgehend friedlich verlief, ging der ehemalige Armeechef Taur Matan Ruak als Sieger hervor. In der Nacht zum 20. Mai wird er das Amt von Ramos-Horta übernehmen. Sollte auch die Parlamentswahl im Juni ruhig verlaufen, dürfte dem Abzug der UN-Truppen nichts im Weg stehen.

Die meisten Menschen in Osttimor leben von dem, was sie selbst um ihr Haus herum anpflanzen können. Vielerorts fehlt es noch immer an Essentiellem: an Straßen, Strom, Wasser. Auch eine erste tiefe Krise mit Straßenkämpfen im Jahr 2006 hatte das Land zu überstehen, ebenso ein Attentat auf Präsident Ramos-Horta am 11. Februar 2008, bei dem dieser schwer verletzt wurde. Trotzdem ist der Staat nicht gescheitert, sagen Beobachter.

„Vieles ist in Osttimor erreicht worden. Das Land hat unzweifelhaft Fortschritte gemacht“, resümiert Monika Schlicher im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie überwacht für die Organisation „Watch Indonesia“ Menschenrechte, Demokratie und Umwelt in Indonesien und Osttimor. Schließlich habe Osttimor seinen Staat ganz neu aufbauen müssen. „Die Politiker haben verstanden, dass die Bevölkerung Sicherheit und Frieden sucht.“

Dennoch warnt Schlicher vor Stolpersteinen auf dem Weg zu einem stabilen demokratischen Rechtsstaat: Die schwersten Verbrechen vom September 1999 sind noch immer nicht gesühnt. Die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren nach 1975 sind ebenso niemals vor Gericht gestellt worden. Indonesien liefert sie nicht aus. „Die Regierungen haben sich darauf verständigt, dass es für diese Leute keine weitere Strafverfolgung gibt, weil ihnen gute nachbarschaftliche Beziehungen vielversprechender erscheinen.“

Auch eine Gesetzesvorlage für die Errichtung eines Instituts des Erinnerns liegt seit zwei Jahren im Parlament – ohne, dass sich weiter etwas tut. Eine Abteilung dieses Instituts sollte für die Suche nach vermissten Unabhängigkeitskämpfern und Zivilisten zuständig sein. „Es macht sich Unmut in der Bevölkerung breit“, sagt Schlicher, „weil viele das Gefühl haben, dass ihr Einsatz für die Unabhängigkeit im unabhängigen Osttimor nicht anerkannt wird.“

Priester und Bischöfe waren während der Besatzungszeit unmittelbar Zeugen geworden, wie die Indonesier die Unabhängigkeitsbewegung durch Einschüchterung, Folter und Mord verfolgten. So ereignete sich etwa 1981 an einer Pilgerstätte in Lacluta im Zentrum des Landes, die dem heiligen Antonius geweiht ist, ein Massaker an 500 Frauen und Kindern.

Der damalige Bischof der Hauptstadt Dili, Martinho da Costa Lopes, beschuldigte die indonesischen Streitkräfte des Massenmordes und trug dies auch dem damaligen Diktator Suharto vor. Auch sein Nachfolger Carlos Ximenes Belo sammelte Beweise für die Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat und erhielt dafür 1996 zusammen mit José Ramos-Horta den Friedensnobelpreis. Der Anteil der Katholiken stieg in der Besatzungszeit von 30 auf über 90 Prozent.

Die Menschen suchten in den Kirchen Zuflucht vor den Übergriffen, waren aber letztlich auch dort nicht sicher. Am 6. April 1999 etwa hielten sich 2000 Timoresen in der Kirche der Ortschaft Liquica auf. Mit Tränengas trieben die Milizen sie vom Gelände. Beim anschließenden Massaker kamen bis zu 100 der Schutzsuchenden ums Leben. Das Militär schaffte die Leichen fort. „Bis heute wissen die Angehörigen nichts über deren Verbleib, und wie Angehörige anderer Opfer der Verfolgung warten sie noch auf Reparationen“, sagt Schlicher. Ein Gesetzesentwurf über die Entschädigung harrt noch seiner Abstimmung im Parlament.

Die Jahrestage von Gräueltaten begehen die Osttimoresen mit heiligen Messen im Gedenken an die Toten. „Die Menschen erwarten jedoch mehr“, meint Schlicher. „Sie brauchen auch ein deutliches politisches Wort der Kirche zur Unterstützung ihrer Forderungen.“ Auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit ist noch nicht alles gut in Osttimor.


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