Information und Analyse

Schwarze Magie: Lehren aus Europa?

Information und Analyse, 28. März 2013

 

 von Alex Flor

 

Indonesische ParlamentarierInnen planen eine Informationsreise nach Europa. Werden Geisterschlösser in England, dunkle Mächte in Russland und Graf Draculas Anwesen im rumänischen Transsylvanien Eingang in ein überarbeitetes Strafgesetzbuch finden? Und wird Europa Inspiration für die Kriminalisierung der „wilden Ehe“ liefern?
 

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Besuch einer Parlamentarierdelegation im Deutschen Institut für Normung

Foto: PPI

Schon häufig gerieten Reisen indonesischer ParlamentarierInnen ins Visier der kritischen Öffentlichkeit. Im Herbst letzten Jahres protestierten Watch Indonesia!, PPI (Verband der indonesischen Studenten) und der deutsche Ableger der islamischen Nahdlatul Ulama (PCI NU) gegen die Reise zweier Delegationen nach Deutschland und Großbritannien, um sich über die hiesigen Ingenieursgesetze zu informieren (s. SUARA, Nr. 3, 2012). Die gesuchte Information wäre leicht über das Internet zu recherchieren gewesen: es gibt nämlich kein deutsches Ingenieursgesetz.

Genauer: es gab mal ein solches Gesetz, welches aber vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde, da die Anerkennung des Titels einer Ingenieurin oder eines Ingenieurs in die Zuständigkeit der Länder fällt. Infolge dieses Urteils verabschiedeten die Bundesländer jeweils eigene Ingenieursgesetze. Dort ist in meist wenigen Paragraphen geregelt, wer sich hierzulande als Ingenieur bezeichnen darf, und vor allem wie mit im Ausland erworbenen Titeln umzugehen ist.

Vergnügungsreise auf Kosten des Staates?

Der Verdacht lag nahe, dass sich die Damen und Herren des hohen Hauses in Jakarta mehr für Fotoevents vor Sehenswürdigkeiten wie dem Brandenburger Tor und Einkaufsmöglichkeiten in Konsumtempeln wie dem KaDeWe oder den Galeries Lafayette interessierten als für das deutsche Ingenieurswesen. Nur wenige Monate zuvor hatten StudentInnen der PPI Angehörige einer anderen ParlamentarierInnendelegation aus Jakarta beim Einkaufsbummel in den genannten Kaufhäusern erwischt. Längst wurde der Begriff Studi Banding – vergleichende Studien – in Indonesien zum Synonym für Vergnügungsreisen von ParlamentarierInnen.

Das deutsche Ingenieurswesen genießt weltweit einen hervorragenden Ruf. Das offizielle Ansinnen, sich an der Quelle der „Made in Germany“-Produkte schlau zu machen, erweckte daher wenig Verdacht. B.J. Habibie, in Deutschland promovierter Ingenieur, langjähriger Forschungs- und Technologieminister Indonesiens und nach dem  erzwungenem Rücktritt von Diktator Suharto kurzzeitig Präsident des Riesenstaates, verteidigte die Parlamentarierreise nach Berlin daher energisch. Wo sonst könnte man sich besser über das Ingenieurswesen informieren als bei Institutionen wie dem Deutschen Institut für Normung (DIN) oder dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI)?

Ein von der PPI ins Internet gestelltes Video zeigt entgegen Habibies Erwatungen nur gelangweilte indonesische ParlamentarierInnen und Zuspätkommer bei einem Termin im Deutschen Institut für Normung (DIN). Ein Sprecher des DIN erläuterte anhand geschichtlicher Anekdoten die Notwendigkeit von Normen: das im Deutschen sprichwörtliche 0-8-15 gehe auf eine Norm von Maschinengewehren im Ersten Weltkrieg zurück. Nach dem englischen Begriff „machine gun“ musste der Sprecher des DIN suchen und der Übersetzer der indonesischen Delegation hatte alle Hände voll zu tun, das schlechte Englisch des Vortragenden ins Indonesische zu übersetzen. Die Wahl einer ÜbersetzerIn, die direkt vom Deutschen ins Indonesische hätte dolmetschen können, stand offenbar nicht zur Debatte.

Schwarze Magie: Europas neuer Exportschlager?

Die Kommission III des indonesischen Parlaments (DPR), der zuständige Ausschuss für Justiz, Menschenrechte und Sicherheit plant nun die Entsendung einer neuerlichen Reisegruppe nach Europa (u.a. Niederlande, Großbritannien und Russland), um sich über gesetzliche Regelungen gegen schwarze Magie zu informieren. Offenbar ein drängendes Thema.

„Rausgeworfene Zeit und rausgeworfenes Geld , […] es  braucht keine Auslandsreise, nur um sich über schwarze Magie zu informieren“, urteilt Permadi – einer, der es wissen muss. Permadi, gilt in Indonesien als ein Meister des Übersinnlichen. Zuzeiten Suhartos waren seine magischen Kräfte allerdings wenig gefragt. Der Diktator war dem Rat von Paranormalen zwar keineswegs abgeneigt, doch vertraute er lieber ihm wohl gesonnenen Magieren als politischen Gegnern. Permadi war als erz-nationalistischer Anhänger Sukarnos, des von Suharto gestürzten Staatsgründers und ersten Präsidenten der Republik Indonesien, bekannt und wurde zum politisch Verfolgten.

Seiner Treue zu Sukarno geschuldet trat Permadi zunächst der Demokratischen Partei des Kampfes (PDI-P) unter der Führung von Sukarnos Tochter Megawati bei. Als Abgeordneter dieser Partei saß Permadi sogar einige Jahre im Parlament, bis er irgendwann später zu Gerindra (Gerakan Indonesia Raya), der nationalistischen  Partei von Prabowo Subianto, des „jungen Sukarnos“ (Zitat Permadis in einer Fernsehshow) beitrat.

Prabowo, ein unehrenhaft aus der Armee entlassener General, beherrscht die Klaviatur des Populismus in perfekter Weise. Ungeachtet der mutmaßlichen Urheberschaft zahlreicher schwerer Menschenrechtsverbrechen genießt der geschasste General Prabowo derzeit die besten Umfragewerte in Erhebungen führender Meinungsforschungsinstitute, wenn nach dem besten Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten gefragt wird.

Sein Anhänger Permadi ist eine schillernde Figur – keiner, dem man seinen Autoschlüssel oder gar sein Password im Internet anvertrauen würde. Aber wo er Recht hat, hat er Recht: „Was da in diesem Gesetz geregelt werden soll, bezieht sich auf die Praxis schwarzer Magie in Indonesien, und nicht auf die Praxis des Westens,“ erklärte er auf einer Diskussionsveranstaltung und fügte hinzu, es wäre besser, wenn die Abgeordneten verschiedene Gegenden Indonesiens besuchen würden. „In all diesen Regionen gibt es Magiere mit spezifischen Fähigkeiten. Lernt von ihnen! Es gibt keine Notwendigkeit dafür ins Ausland zu reisen,“ sagte Permadi.

Ganz anderer Meinung ist Achmad Dimyati Natakusumah, Abgeordneter der islamischen Partei PPP (Partai Persatuan Pembangunan) und Mitglied der potenziellen Reisegruppe nach Europa. Seiner Meinung nach muss die Kommission III zu einer Vergleichsstudie nach Europa aufbrechen: „In Europa ereignen sich viele Fälle von schwarzer Magie. Deshalb ist es wichtig, dass wir von dort lernen,“ erklärte er, ohne genauer zu erklären auf welche Fälle er Bezug nimmt.

Uneheliches Zusammenleben als Straftatbestand?

Achmad Dimyati Natakusumah erklärte darüber hinaus, die geplante Reise diene nicht nur zur Information über dieses eine Thema, sondern der Überprüfung aller insgesamt ca. 700 Paragraphen des indonesischen Strafgesetzbuches (KUHP). Dabei gehe es auch um Paragraphen bezüglich der „wilden Ehe“  (kumpul kebo).

Der derzeit vorliegende Entwurf zur Neuregelung des Strafgesetzbuches sieht vor, die „wilde Ehe“ künftig auf eine Stufe mit Prostitution zu stellen. Beides wäre in Indonesien künftig gleichermaßen strafbar.

Angesichts dieser nachgeschobenen Begründung für die Studienreise nach Europa scheint mir selbige durchaus unterstützenswert. Es wäre zu begrüßen, wenn sich Deutschland offensiv als Gastgeber anbieten würde. Den indonesischen ParlamentarierInnen sollte keine Ehre ausgespart bleiben in ihrem Bestreben der Strafbarkeit der „wilden Ehe“ auf den Grund zu gehen. Ein offizieller Empfang beim Bundespräsidenten, eine private Einladung des Außenministers und ein Festakt des Regierenden Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Berlin könnten sicher wertvolle Inputs liefern.

Ist Folter genauso schlimm wie „wilde Ehe“?

Die zu besuchenden Staaten Europas und ihre Zivilgesellschaften erhoffen sich – vielleicht mit Ausnahme von Russland – von einer Reform des indonesischen Strafgesetzbuches gänzlich andere Ergebnisse als die Angleichung an vermeintlich vom islamischen Glauben vorgegebene Regelungen.  Hier erwartet man von Indonesien vielmehr eine Anpassung der nationalen Gesetze in Einklang mit den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen. Indonesien ist sowohl dem Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte (ICCPR), wie auch dem Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (ICESCR) beigetreten. Es wird mit Spannung erwartet, wann Indonesien seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachkommt und endlich Folter eindeutig unter Strafe stellt. Für Vergleichsstudien in Sachen schwarzer Magie wäre vielleicht eine Reise nach Haiti empfehlenswert. Und gesetzliche Regelungen gegen die wilde Ehe ließen sich eventuell in bestimmten Regionen Somalias bestens untersuchen. Gute Reise!


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