Das Ende eines Tabus

SÜDWIND-Magazin, Nr. 9, September 1996

Monika Schlicher

In Indonesien wächst der Widerstand. Die Unrechtmäßigkeit der Besetzung Osttimors und die brutale Unterdrückung der dortigen Bevölkerung werden öffentlich diskutiert. Mehr noch: Immer mehr indonesische Demokratiegruppen zeigen sich solidarisch mit dem osttimoresischen Widerstand. SuedwindDie offene Auflehnung gegen ein undemokratisches Regime erfordert Mut. Diesen beweist die indonesische Bevölkerung in zunehmendem Maße. Zum 20. Jahrestag der Besetzung Osttimors durch Indonesien am 7. Dezember 1995 haben 40 indonesische Aktivistinnen der Demokratischen Volkspartei (Partei Rakyat Demokratik – PRD) zusammen mit 60 OsttimoresInnen die russische und holländische Botschaft in Jakarta besetzt. Die AktivistInnen forderten den sofortigen Rückzug des indonesischen Militärs von Osttimor, die Freilassung aller politischen Gefangenen und das Recht auf Selbstbestimmung mittels eines Referendums. Bereits seit einigen Jahren unterstützen indonesische Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die für Menschenrechte und Demokratie eintreten, das Anliegen der Bevölkerung von Osttimor. Doch noch nie zuvor haben sich indonesische Bürgerrechtler an einer solchen politischen Protestaktion beteiligt und die Suharto-Regierung so offen herausgefordert. In der jüngsten Zeit hat sich auch die Art des Widerstandes in Osttimor gewandelt: Dominierte bis etwa Mitte der achtziger Jahre der bewaffnete Widerstand der Guerilla, so tritt heute der gewaltfreie, zivile Widerstand in den Städten in den Vordergrund. Aktiv getragen wird er vor allem von jungen Menschen, die unter der indonesischen Herrschaft aufgewachsen sind. Dem indonesischen Repressionsapparat zum Trotz nutzen sie jede Gelegenheit zu öffentlichen Protestaktionen. Die größte und bekannteste Studenten- und Jugendorganisation ist die RENETIL. Die Gruppe trat erstmals 1988 mit einer Demonstration anläßlich des Papstbesuches in Osttimor öffentlich in Erscheinung Traurige Berühmtheit erlangte die Demonstration am 12. November 1991 – besser bekannt als das Massaker vom Santa-Cruz-Friedhof. Das Militär schoß damals ohne Vorwarnung in einen friedlichen Demonstrationszug und tötete mehr als 270 Menschen. Von vielen, die an der Demonstration teilgenommen haben, fehlt bis heute jede Spur – verschwunden! Dies war keine Einzelaktion oder gar ein Unfall – es war lediglich ein weiteres Massaker in der leidvollen Geschichte Osttimors unter indonesischer Herrschaft. Nur durch die zufällige Anwesenheit von ausländischen JournalistInnen und FilmreporterInnen sorgte der Vorfall für weltweite Bestürzung. Verwundete Augenzeugen berichteten von weiteren Ermordungen im Militärhospital, wohin die Verletzten gebracht wurden. Die Mehrzahl der Toten des Santa-Cruz-Massakers waren Jugendliche unter 25 Jahren. Um die Mitte der achtziger Jahre versuchte die indonesische Regierung osttimoresische StudentInnen mit Stipendien für das Studium an Universitäten in Java für sich zu gewinnen. Diese nutzten die Gelegenheit und bauten in Indonesien ein gut funktionierendes Netzwerk im Untergrund auf. Sie haben von hier aus besseren Zugang zu internationalen Menschenrechtsorganisationen und versorgen sie mit aktuellen Informationen aus Osttimor, wenngleich auch hier mit großem persönlichen Risiko. Doch nicht nur zur Außenwelt konnten sie gute Kontakte aufbauen, sondern auch zu indonesischen StudentInnen und Pro-Demokratie-Gruppen. „Die indonesischen demokratischen Kräfte realisieren zunehmend, daß der Kampf um Demokratie in Indonesien Hand in Hand geht mit dem gerechten Kampf um die Selbstbestimmung der Bevölkerung Osttimors“, betonte 1994 Saleh Abdullah von der Indonesischen Front zur Verteidigung der Menschenrechte (Infight). Infight war eine der ersten indonesischen Organisationen, die sich mit dem Osttimor-Konflikt auseinandersetzten und Verbindungen mit osttimoresischen AktivistInnen aufnahmen. Andere Gruppen folgten. Nach dem Massaker von Santa Cruz kam es erstmals zu einer gemeinsamen Demonstration von indonesischen und osttimoresischen AktivistInnen in Jakarta. Der Osttimor-Konflikt trug in Indonesien zu einer umfassenden Kontrolle der Medien bei und führte zu einem hohen Maß an Zensur. Die indonesische Bevölkerung war von den Vorfällen in Osttimor lange Zeit wenig und auch falsch informiert. Auch war Osttimor bis 1989 militärisches Sperrgebiet und BesucherInnen nicht zugänglich. Die Presse durfte über die „gelungene Integration“ und über „Entwicklungserfolge“ in Osttimor berichten. Von den 200.000 OsttimoresInnen, einem Drittel der Gesamtbevölkerung, die seit der Invasion direkt oder indirekt an den Folgen des Krieges gestorben sind, war indessen nichts zu lesen. Ebenso waren die alltäglichen Terrorpraktiken der indonesischen Armee wie willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter, Vergewaltigung und Mord kein Thema. Doch nach dem Santa-Cruz-Massaker konnte die Militärregierung in Indonesien ihr brutales Vorgehen gegenüber der Bevölkerung von Osttimor national wie auch international nicht länger vertuschen. Auch wächst in Indonesien seit geraumer Zeit die Kritik an den bestehenden autoritären Herrschaftsstrukturen. Gefordert wird eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung am politischen Willens- und Entscheidungsprozeß, insbesondere auch politischer Raum für Opposition. „Osttimor wurde lange von vielen als Problem der Regierung gesehen und nicht als ein Problem, das uns alle angeht. Das hat sich grundlegend geändert, seitdem das indonesische Volk mehr und mehr Informationen über Osttimor erhält“, betont die Studentenaktivistin Yeni Rosa Damayanti. Die Teilnahme an einer friedlichen Demonstration gegen die Menschenrechtsverletzungen der Suharto-Regierung brachte sie 1994 für zehn Monate ins Gefängnis. Viel ist seither an Aufklärungs- und Informationsarbeit von den indonesischen NGOs geleistet worden. Flugblätter, Broschüren und einzelne Interviews haben sie ins Indonesische übersetzt, und inzwischen sind sogar die Verteidigungsrede von Xanana Gusmão, dem inhaftierten Führer des bewaffneten osttimoresischen Widerstandes, und seine Biographie in indonesischer Sprache erhältlich. Anfangs, so berichtet Yeni weiter, zögerten noch viele Gruppen, Osttimor zu thematisieren, um der Regierung nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Konnte man vor dem Santa-Cruz-Massaker diejenigen, die sich für Osttimor einsetzten, an den Fingern beider Hände abzählen, so solidarisieren sich heute eine wachsende Zahl indonesischer NGOs mit den Menschen in Osttimor. Und ihre Arbeit trägt langsam Früchte: Unter der Bevölkerung in Indonesien wächst das Bewußtsein über die Verbrechen, die von der indonesischen Armee in Osttimor begangen werden, und über die Unrechtmäßigkeit der Annexion des Inselteils 1975. Neben den aktionsorientierten Demokratie- und Menschenrechtsorganisationen engagieren sich auch Gruppen wie das „Joint Committee for the Defence of the East Timorese“, die sich neben der Informationsarbeit insbesondere der Betreuung osttimoresischer Gefangener widmen. Im April 1995 hat sich das indonesisch-osttimoresische Aktionsbündnis SPRIM (Solidarität des indonesischen Volkes mit dem Kampf des Maubere-Volkes) gebildet. Mit diesem Schulterschluß soll der internationalen Gemeinschaft gezeigt werden, daß die indonesische Demokratiebewegung den Kampf der Bevölkerung Osttimors um Selbstbestimmung unterstützt und die Annexion Osttimors nicht anerkennt, aber auch, daß sich die indonesische Demokratiebewegung stark genug fühlt, diese Position gegenüber der Regierung zu vertreten. Alles deutet daraufhin, daß in Indonesien die Ära Suharto zu Ende geht. Auf die Forderungen der Menschen nach einer pluralistischen, demokratischen und freien Gesellschaft reagiert die indonesische Regierung mit brutaler Gewalt. Am 27. Juli ließ sie die Parteizentrale der Indonesischen Demokratischen Partei (PDI) stürmen und löste so in Jakarta die schwersten Unruhen seit der Konsolidierung der „Neuen Ordnung“ unter Präsident Suharto aus. Über 10.000 Menschen gingen auf die Straße. Das Gebäude war seit Anfang Juni von Anhängern der PDI-Vorsitzenden Megawati Sukarnoputri – einer Tochter des Freiheitshelden und ersten Präsidenten Indonesiens Sukarno – besetzt, nachdem die Regierung sich in schamloser Offenheit einer Splittergruppe in der PDI bedient hatte, um Megawati parteiintern absetzen zu lassen. Suharto sieht in der Tochter seines Amtsvorgängers eine mögliche Konkurrentin bei den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr und den anschließenden Präsidentschaftswahlen von 1998. Das Vorgehen der Regierung hat Megawati erst richtig zu einer Symbolfigur der Demokratiebewegung gemacht und alle unterschiedlichen Oppositionsgruppen geeint. Die demokratischen Kräfte in Indonesien sind nicht mehr bereit, sich einschüchtern zu lassen. Sie sind sich einig in ihrem Streben nach Überwindung der autoritären Herrschaftsstrukturen in Indonesien, und damit wäre auch Raum gegeben zur Lösung des Osttimor-Konfliktes. Doch noch zögern viele Gruppen, darunter auch die PDI und Megawati, zum langjährigen Tabuthema Osttimor Stellung zu beziehen. Gerade für den sehr nationalistischen Flügel der PDI ist Osttimor Teil von Indonesien. In den letzten Jahren haben sich die Dinge in die richtige Richtung entwickelt, aber bis hin zu einer Lösung des Konfliktes muß noch viel an Aufklärungsarbeit geleistet werden. <> Die Autorin ist Mitarbeiterin von „Watch Indonesia!“, Arbeitsgruppe für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor.


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