Urteil gegen Entwürdigung Linker

Neues Deutschland, 03. März 2004

Verfassungsgericht hob Entzug des passiven Wahlrechts von früheren KP-Mitgliedern auf

Von Petra Stockmann

Neues-DeutschlandIndonesiens Verfassungsgericht hat dieser Tage eine wichtige Entscheidung zur Rehabilitierung ehemaliger Mitglieder der KP Indonesiens und anderer Linker getroffen. Die Richter des erst seit gut einem halben Jahr bestehenden indonesischen Verfassungsgerichts  entschieden vorige Woche, dass der Entzug des passiven Wahlrechts von ehemaligen Mitgliedern der Indonesischen Kommunistischen Partei (PKI) und anderer verbotener Organisationen verfassungswidrig und somit nicht länger rechtskräftig sei. Der PKI wird offiziell der Umsturzversuch von 1965 angelastet, dessen Hauptakteure und Hintergründe  allerdings nach wie vor weitgehend im Dunkeln liegen. Im Gefolge dieses Coups begann ein Massenmorden unvorstellbaren Ausmaßes. Es wird sich wahrscheinlich nie feststellen lassen, wie viele Menschen bei diesen von der Armee gesteuerten und auch von religiösen Gruppierungen bereitwillig unterstützen Massakern an tatsächlichen oder vermeintlichen Kommunisten tatsächlich umkamen. Schätzungen reichen  von 500.000 bis zu einer Million und mehr. Im Schatten des Massenmords ergriff General Suharto die Macht. Verfolgung und Diskriminierung von Kommunistinnen und Kommunisten samt ihrer Familien überdauerten den Massenmord: Hunderttausende wurden Jahre oder Jahrzehnte in Haft gehalten. 1966 wurden nicht nur alle kommunistischen Organisationen verboten, sondern auch die Verbreitung jeglicher kommunistischer Lehren. Ehemaligen Mitgliedern der KP Indonesiens und ihrer Massenorganisationen wurden politische und bürgerliche Rechte vorenthalten. »Wir sind so lange diskriminiert worden«, sagte ein ehemaliges PKI-Mitglied. »20 Millionen von uns waren die Bürgerrechte entzogen worden. Wir können nicht im Militär, in der Polizei, im öffentlichen Dienst oder in staatlichen Unternehmen arbeiten, weder als Lehrer noch als  Journalisten oder Rechtsanwälte.« Auch durften die Betroffenen weder wählen noch sich zur Wahl stellen. Erst im letzten Jahr hatte die Beratende Volksversammlung, bis vor kurzem das höchste Verfassungsorgan des Landes, das Verbot aus dem Jahre 1966 bestätigt. In der Gesetzgebung für die ersten relativ freien und  fairen Wahlen 1999, also gut ein Jahr nach dem Sturz Suhartos, war ehemaligen PKI-Mitgliedern noch immer das passive Wahlrecht vorenthalten – unter Strafandrohung von maximal fünf Jahren Haft bei Zuwiderhandlung. Das aktive Wahlrecht war ihnen immerhin zugestanden worden, jedoch nur unter  Gesetzesvorbehalt. Auch in den Verfügungen für die Anfang April dieses Jahres stattfindenden Parlamentswahlen blieb – jetzt  allerdings ohne Strafandrohung – ehemaligen Kommunisten die Wählbarkeit vorenthalten. Dies war nun vor dem neu eingerichteten Verfassungsgericht angefochten worden. Mit Erfolg: Die Richter gaben den Klägern Recht, dass damit gegen das verfassungsmäßige Diskriminierungsverbot verstoßen wird – eine  Entscheidung mit weit reichender Signalwirkung. Das Urteil rüttelt an lange gepflegten Tabus. Entsprechend die Reaktionen: Während von Seiten der Opferverbände und Menschenrechtler die Stimmen immer lauter werden, die eine Rücknahme aller diskriminierenden Gesetze und Verordnungen verlangen, wird der Minister für Justiz und Menschenrechte, Professor Yusril Ihza Mahendra, mit den Worten zitiert, die Regierung beabsichtige nichts dergleichen. Streit entzündet sich nun vor allem an der Frage, ob das Urteil Auswirkungen auf die bevorstehen Wahlen haben wird. Die verbreitete (Rechts-) Auffassung ist, das Urteil sei nicht rückwirksam, gelte also erst für die Wahlen 2009. Dies wird jedoch von den Betroffenen nicht widerspruchslos hingenommen. Akbar Tandjung allerdings, derzeitiger Parlamentspräsident und einer der Präsidentschaftskandidaten der früheren Regierungspartei Golkar, plädiert dafür, das Verfassungsgerichtsurteil erst auf die Wahlen 2009 anzuwenden. Dabei sind seine Überlegungen nicht unbedingt juristischer Natur. Tandjung, dessen Verurteilung zu drei Jahren Haft wegen Veruntreuung von Hilfsgeldern erst kürzlich in einer viel kritisierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aufgehoben worden war, äußerte Presseberichten zufolge: »Es ist möglich, dass es 2009 keine ehemaligen PKI-Mitglieder mehr gibt, die an den Wahlen teilnehmen könnten, weil sie schon zu alt sein werden.« <>

Unsere Autorin Dr. Petra Stockmann ist Mitarbeiterin der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!


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