Suara Nr. 2/2007 (Menschenrechte)

 

Der vergessene Terror

 

von Alex Flor


Die Welle der Gewalt in Poso, Zentralsulawesi, hält ungebrochen an. Bombenattentate, kaltblütige Erschießungen, Hinrichtungen und Polizeiaktionen prägen seit Jahren das Bild der Region. Während die Augen der Welt auf Bali und Jakarta gerichtet sind, ist Poso seit beinahe einem Jahrzehnt einer der wichtigsten Schauplätze des Terrors in Südostasien.
 

Fünf Jahre ist es her, dass wir in der Indonesien-Information zum letzten Mal über die Gewalt in der Region Poso, Zentralsulawesi, berichteten (s. Indonesien-Information Nr. 2/2002). Wenn auch fragend, so wohl doch ein wenig zu optimistisch titelten wir damals "Das Ende des Poso-Konfliktes?"

Nichts hat sich seitdem zum Besseren entwickelt. Lediglich das Wesen des Konfliktes mag sich gewandelt haben. Handelte es sich in den Jahren von 1998 bis 2000 im wesentlichen um eine blutige Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen - vordergründig ähnlich dem gleichzeitigen Bürgerkrieg auf den Molukken zwischen Christen und Muslimen - so sind seit 2001 bewaffnete Aktionen mit religiöser Symbolik, ausgeführt von einer wahrscheinlich organisierten Gruppe, das vorherrschende Merkmal.

Während in den ersten Jahren des Konfliktes Übergriffe von Christen auf Muslime im Vordergrund standen - der schlimmste Einzelfall war das Massaker von Walisongo im Jahr 2000, bei dem ca. einhundert Muslime getötet wurden -, richten sich die Anschläge seit 2001 mehrheitlich gegen Christen. Bis dahin waren die Toten und Verletzten eher "zufällige" Opfer spontaner Ausbrüche von Gewalt zwischen verfeindeten Teilen der Bevölkerung. Die Toten der letzten Jahre waren jedoch mehrheitlich Opfer von gezielt geplanten Aktionen.

Gezielt geplante Aktionen treffen allerdings nicht immer gezielte Opfer. Beispielsweise soll das Attentat auf die evangelische Pfarrerin Susianti Tinulele, die während des Gottesdienstes erschossen wurde, eigentlich ihrem verhinderten Kollegen Irianto Kongkoli gegolten haben, für den sie in letzter Minute eingesprungen war. Irianto Kongkoli, Sekretär der Kirchensynode Zentralsulawesi, erlag am 16. Oktober 2006 einem zweiten Attentat. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er wenige Tage zuvor, als er zu einer Menge von mehreren Tausend Leuten sprach, die sich aus Protest gegen die Vollstreckung der Todesstrafe an Fabianus Tibo, Dominggus Dasilva und Marinus Riwu versammelt hatte.
 

Drei Katholiken werden hingerichtet

Die Hinrichtung dieser drei von der Insel Flores stammenden, katholischen Transmigranten erregte weltweit die Gemüter. Sie waren als Drahtzieher des Massakers von Walisongo zum Tode verurteilt worden. Auch Watch Indonesia! berichtete vor Jahren über zahlreichen Indizien, die für eine Schuld der drei Verdächtigen sprachen. Dennoch wurden zuletzt Zweifel laut, insbesondere nachdem der Hauptbeschuldigte Fabianus Tibo nach Ablehnung des letzten Gnadengesuches erklärte, er könne eine Anzahl weiterer bzw. tatsächlicher Schuldiger aus protestantischen Kreisen benennen. Im Bestreben, die ganze Wahrheit über das Massaker von Walisongo ans Licht zu bringen, hätte zumindest ein Aufschub der Hinrichtung erwirkt werden müssen, der Tibo die Möglichkeit gegeben hätte als Zeuge auszusagen.

Appelle an die indonesischen Behörden, die Exekutionen auszusetzen, verklangen ungehört. Verschiedene Seiten bezweifelten die Schuld der drei Delinquenten. Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Watch Indonesia!, erklärten ihre prinzipielle Ablehnung der Todesstrafe und viele andere - vor allem kirchliche Gruppen - fragten, warum ausgerechnet drei Christen die ersten sein sollten, an denen in diesem Konflikt die Todesstrafe vollzogen würde. Kein Geringerer als der Papst appellierte in einem Schreiben an die indonesische Regierung für die Begnadigung von Fabianus Tibo, Dominggus Dasilva und Marinus Riwu. Es hat alles nichts genützt. Am 22. September 2006 wurden die drei Verurteilten in Palu von einem Erschießungskommando exekutiert.

Möglicherweise versperrten sich die indonesischen Behörden den Gnadenappellen aus politischem Kalkül. Denn eine Reihe von Muslimen, unter anderem die mutmaßlichen Bombenattentäter von Bali, muss ebenfalls mit der Todesstrafe rechnen. Westliche Staaten wie die USA und Australien, die sich dem Kampf gegen den Terror verschrieben haben und selbst keine rechtlichen oder moralischen Bedenken hegen, die Todesstrafe zu vollstrecken, warten mit Ungeduld auf die Urteile gegen die Attentäter von Bali und deren Vollstreckung. Bei der Mehrzahl der Toten von Bali handelte es sich um australische Staatsbürger.

Nach geltendem Recht und angesichts der Faktenlage wird sich Indonesiens Justiz kaum dagegen versperren können, einige Muslime wie beispielsweise Amrozi, dem Hauptverdächtigen für das erste Attentat auf Bali, ebenfalls zum Tode zu verurteilen. Heftiger Protest islamischer Kräfte im In- und Ausland ist vorprogrammiert. Die indonesischen Behörden wissen darum und befinden sich somit in einer Zwangslage. Die vorgezogene Hinrichtung dreier Christen könnte der Versuch gewesen sein, der zu erwartenden Protestwelle von Seiten islamischer Kräfte die Spitze zu nehmen.
 

Geköpfte Schulmädchen

Ein abscheulicher Höhepunkt des Konfliktes ereignete sich am 29. Oktober 2005. Vier christliche Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren wurden auf dem Schulweg von sechs Unbekannten angegriffen. Drei der Mädchen wurden mit Macheten geköpft. Ihre Köpfe wurden später einige Kilometer entfernt von den Körpern gefunden. Noviana Malewa, das vierte der Mädchen, überlebte schwer verletzt. Einige Verdächtige wurden festgenommen und vor Gericht gestellt. Noviana, die einzige Überlebende, konnte den ihr vorgeführten Verdächtigen bei einer Gegenüberstellung in Jakarta nicht wieder erkennen.
 

Bombenanschläge: gezielte Aktionen gegen beliebige Opfer

Ungleich mehr Opfer als Attentate mit Schusswaffen oder Macheten forderte in den letzten Monaten und Jahren eine Reihe von Bombenattentaten. Am verheerendsten wirkten sich zwei zeitgleiche Bombenexplosionen auf dem Markt von Tentena am 28. Mai 2005 (22 Tote, 75 Verletzte) sowie ein Bombenanschlag auf dem Fleischmarkt von Palu (8 Tote, 43 Verletzte) Ende Dezember 2005 aus. Nach unterschiedlichen Angaben ereigneten sich 2006 in Poso und Umgebung 16 bzw. 22 Bombenanschläge. Mindestens zwei weitere Sprengsätze konnten entdeckt und entschärft werden, bevor Schlimmeres passierte. Solche Bombenattentate sind keineswegs Ausdruck spontaner Ausbrüche von Gewalt. Sie sind geplant. Aber an öffentlichen Orten wie Märkten treffen sie eine willkürliche Auswahl von Opfern.

Die Regierung reagiert hilflos auf die anhaltende Welle der Gewalt. Ein 10-Punkte-Katalog zum Frieden, der im Dezember 2001 unter Vermittlung des damaligen Koordinationsministers für Soziales und heutigen Vizepräsidenten Jusuf Kalla ausgehandelt wurde (Malino I), diente zwar als hilfreiches Modell für ein ähnliches Friedensabkommen auf den Molukken (Malino II), verfehlte aber in Zentralsulawesi seine Wirkung.

Neuerliche Eskalationen der Gewalt werden in der Regel mit der Entsendung zusätzlicher Sicherheitskräfte in die Krisenregion beantwortet. Doch mehr als einmal verübten die Sicherheitskräfte selbst willkürliche Gewalt, was eher zur Verschärfung der Lage führte, denn zu ihrer Entspannung. Am 22. Januar 2007 findet eine Polizeiaktion gegen verdächtigte Dschihad-Kämpfer statt. Es kommt zu einem Gefecht, nach dessen Ende ein getöteter Polizist und 14 weitere Todesopfer gezählt werden. Mindestens drei von ihnen, darunter ein Minderjähriger, waren nach Ansicht der International Crisis Group (ICG) unbeteiligte Zivilisten. Ihr einziger Fehler: "sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort." /Jihadism in Indonesia: Poso on the Edge; ICG, 24.01.07/.

Einen Schritt weiter geht die Kritik der indonesischen Menschenrechtsorganisation KontraS. Sie bemängelt nicht nur, dass es dem Sicherheitsapparat bislang nicht gelungen sei, auch nur einen einzigen Fall durch Feststellung der Täter und deren Motiv zufriedenstellend aufzuklären. KontraS vermutet sogar, dass die Sicherheitskräfte selbst in den Terror verwickelt sind. Ein Sumpf der Korruption um Hilfsgelder, unterschiedliche Machtinteressen lokaler und nationaler Akteure sowie mutmaßliche Verbindungen islamischer Kräfte zu internationalen Organisationen, angefangen von der in den Südphilippinen aktiven MILF (Moro Islamic Liberation Front) bis hin zur Al-Qaida sind weitere Faktoren, die eine Analyse des Konfliktes erschweren: was sind die Ursachen, wer sind die Hauptakteure? Und welche Kräfte agieren lediglich als Trittbrettfahrer, um die unübersichtliche Situation durch weiteren Terror für ihre eigenen Zwecke nutzen? <>
 
 

 
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