Indonesien-Information Nr. 2 2002 (Poso)

Das Ende des Poso-Konfliktes?

Einige Anmerkungen über einen Konflikt um Ressourcen und Religion, einen vermeintlichen deutschen Provokateur und den Frieden von Malino

von Reinhard Schulze-Hönighaus

So konnte es nicht weitergehen. Seit drei Jahren bereits tobte die Gewalt zwischen Christen und Muslimen in und um Poso in Zentral-Sulawesi, zeitweise abflauend, dann wieder aufflammend, angeheizt von Gerüchten, Rachefeldzügen und gegenseitigen Provokationen. Mehrere hundert Menschen waren bis Ende vergangenen Jahres den Unruhen zum Opfer gefallen1, 27 Moscheen und 55 Kirchen waren zerstört und mehr als 7.000 Häuser niedergebrannt. Schätzungsweise 80.000 Menschen, mehr als ein Drittel der lokalen Bevölkerung, waren auf der Flucht. Dennoch zählte der Poso-Konflikt (Kerusuhan Poso) zu den vergessenen Brandherden im Indonesien der Nach-Suharto-Ära, die unverstanden blieben und fernab der Weltöffentlichkeit und auch der indonesischen Tagespolitik wüteten - bis Indonesiens Geheimdienstchef Hendropriyono im Dezember 2001 eine Bombe platzen ließ: Al Qaeda-Terroristen hätten islamische Extremisten in einem Dschungellager bei Poso trainiert, verkündete er. Die Welt, in all der Aufregung nach dem 11. September, horchte auf. Als sich gleichzeitig mehrere hundert Milizen der notorischen Laskar Jihad für eine "blutige Weihnacht" in Poso rüsteten, erreichte der Konflikt angesichts der drohenden Eskalation eine Dringlichkeit, der sich auch die Regierung in Jakarta nicht mehr verweigern konnte. Endlich schien es an der Zeit, der Gewalt ein Ende zu setzen.

Anfang Dezember schickte Präsidentin Megawati ihren Sicherheitsminister Susilo Bambang Yudhoyono und Innenminister Hari Sabarno nach Poso, um mit lokalen Beamten sowie christlichen und muslimischen Lokalgrößen nach Lösungen zu suchen. Gleichzeitig erhielten Polizei und Armee in Poso - die den Unruhen bis dahin machtlos gegenüber standen, ihnen untätig zugesehen oder durch undurchsichtige Verwicklungen zu ihrem Ausbreiten beigetragen hatten - erhebliche Verstärkung. Seit Beginn der Unruhen waren vier offizielle Friedensinitiativen nach ähnlichem top down-Strickmuster gescheitert, diese fünfte aber führte am 20. Dezember 2001 zur Friedenserklärung in Malino (Süd-Sulawesi). Unter der Schirmherrschaft von Sozialminister Jussuf Kalla beteuerten dabei jeweils 25 Vertreter christlicher Gruppen (Kelompok Merah, "Die Roten") und muslimischer Gruppen (Kelompok Putih, "Die Weißen") ihre Friedensbereitschaft.

Kalla kündigte eine groß angelegte Regierungskampagne an: Die verfeindeten Gruppen sollen binnen sechs Monaten entwaffnet, Schuldige zur Rechenschaft gezogen, Gotteshäuser, Schulen und Verwaltungsgebäude mit Regierungshilfe wieder aufgebaut und Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat ermutigt werden. Bis Anfang März gelang es der Polizei nach eigenen Angaben mehr als 39.000 Waffen zu beschlagnahmen, vor allem Schuss- und Stichwaffen sowie hausgemachte Sprengsätze. Ferner sollen Zugereiste, die den Konflikt verschärft hatten, aus der Region Poso verwiesen werden. Damit sind wohl besonders die Laskar Jihad Ahlus Sunnah Wal Jamaah gemeint - die bewaffneten Milizen um den wahhabitischen Prediger Jafar Umar Thalib, die im Sommer 2001 aus Java und den Molukken nach Zentral-Sulawesi kamen und seither Angst und Schrecken verbreitet hatten. Doch viele von ihnen haben sich nun offenbar gefälschte Personalausweise besorgt, die sie als Ortsansässige ausweisen. Ohnehin hat die Erfahrung gezeigt, dass in Konfrontationen mit den Milizen bisher eher Armee oder Polizei die Flucht ergriffen haben als umgekehrt. Auch die Verbindungen zwischen Laskar Jihad und hochrangigen Militärs sind kein Geheimnis.

Immerhin ist inzwischen gespannte Ruhe eingekehrt in und um Poso. Vielerorts in den Dörfern an der Tomini-Bucht und dem hügeligen Hinterland rund um den Poso-See sind nun, so wird berichtet, Dorfoberhäupter und lokale religiöse Führer unterwegs, um für das Malino-Abkommen zu werben. Wie gut und wie lange der Frieden von Malino halten wird, bleibt jedoch abzuwarten.

Die Hintergründe des Poso-Konfliktes

Auslöser des Poso-Konfliktes war ein Streit zwischen Jugendlichen im Dezember 1998 (genannt Poso I), der sich vor dem Hintergrund von Machtkämpfen zwischen örtlichen Elite-Gruppen um das Landratsamt (bupati) ausweitete und im April 2000 zu erneuten gewaltsamen Ausschreitungen führte (Poso II), bevor der Konflikt im Mai 2000 in dem blutrünstigen Angriff christlicher Milizen auf das islamische Internat Pesantren Wali Songo einige Kilometer südlich von Poso-Stadt seinen vorläufigen Höhepunkt fand (Poso III). Bis Ende 2001 flammte die Gewalt immer wieder sporadisch auf. Heckenschützen töteten Bauern in ihren Kakao-Plantagen, mysteriöse Sprengstoffanschläge auf Linienbusse verängstigten Reisende, und Brandstifter legten ganze Dörfer in Schutt und Asche (Poso IV). Ende November 2001 schließlich hatten sich die Laskar Jihad formiert und griffen gezielt christliche Dörfer an (Poso V). Ein Teil der Bevölkerung flüchtete sich in die christliche Hochburg Tentena am nördlichen Ufer des Poso-Sees, wo man einen noch größeren Angriff und eine "blutige Weihnacht" befürchtete - wenigstens das konnte die indonesische Regierung durch ihr überraschend beherztes Eingreifen vorerst verhindern. Das Flüchtlingsproblem bleibt jedoch ungelöst. Christen sind in mehrheitlich christliche, Muslime in mehrheitlich muslimische Gebiete geflohen. Beide Gruppen leben in unwürdigen Provisorien, haben aber noch Angst, in ihre Dörfer zurückzukehren. Die vorangegangene "ethnische Säuberung" droht zementiert zu werden.

Was sind die Hintergründe und Ursachen dieses Konfliktes? Wie steht es um die Perspektiven für einen dauerhaften Frieden? Viele Beobachter ordnen den Poso-Konflikt in ein allgemeingültiges Erklärungsmuster ein, wie es auf viele Gewaltausbrüche im Indonesien der Nach-Suharto-Ära zutrifft: Seit dem Zusammenbruch des autoritären Suharto-Regimes ringen Eliten vor Ort und in Jakarta um Macht und Einfluss, manipulieren Gruppeninteressen und religiöse Gefühle. Kenner Zentral-Sulawesis wie die amerikanische Ethnologin Lorraine Aragon oder ihre kanadische Kollegin Tania Murray Li haben auch tiefer liegende, lokale Hintergründe ergründet - etwa den Ethno-Nationalismus der angestammten Bevölkerung, der To Pamona, der auf die Mission zurückgeht oder die wirtschaftlichen Spannungen zwischen den To Pamona und zugereisten Buginesen und Javanern durch Transmigration, die Öffnung des Trans-Sulawesi-Highways und die Expansion der devisenträchtigen Kakao-Plantagenwirtschaft. Basierend auf diesen Analysen, Medienberichten und eigenen Beobachtungen bei einem Kurzbesuch in Poso im August 2000 möchte ich versuchen, die Region Poso kurz darzustellen, um dann auf die einzelnen Phasen der Gewaltausbrüche einzugehen und schließlich die Perspektiven für eine Beilegung des Konfliktes zu bewerten2.

Die Region Poso

Der Anblick menschenleerer Dörfer, verwaister Kakao- und Kokosplantagen und schmieriger Hassparolen auf verkohlten Ruinen wirkt inmitten einer Landschaft von so anmutiger Schönheit besonders beklemmend. Die hügelige Provinz Zentral-Sulawesi ist jenseits der Flusstäler und der Küstenstädte Palu und Poso dünn besiedelt und noch zu 65 Prozent von Wäldern bedeckt, aus denen das edle Ebenholz (kayu hitam) stammt, für das Poso bekannt ist. Der Holzeinschlag ist weitgehend illegal und wird von Unternehmern kontrolliert, die nicht aus der Provinz stammen und meist muslimische Immigranten beschäftigen. Etwa 60 ethnische Gruppen sind in Zentral-Sulawesi heimisch, die 17 verschiedene Sprachvarianten sprechen, dazu kommen Buginesen, Makassaresen, Minahasa, Javaner, Balinesen und Indonesier chinesischer und arabischer Herkunft. 75 Prozent der Provinzbevölkerung von rund zwei Millionen sind Muslime, 20 Prozent Christen. Im Landkreis Poso, einem von sieben kabupaten der Provinz und einst eine christlichen Hochburg, hielt sich zuletzt das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen etwa die Waage.

Schon vor vielen hundert Jahren kamen die Küstenbewohner in Kontakt mit arabischen und buginesischen Händlern und bildeten kleine islamische Königreiche, während ein buntes Mosaik von Hochlandvölkern noch Ahnenkult und Kopfjagd pflegte, als sich hier ab dem späten 19. Jahrhundert die niederländische Kolonialmacht breit machte. Ganz im Sinne der "Ethischen Politik" der Kolonialregierung glaubte auch die Niederländische Missionsgesellschaft (Nederlands Zendeling Genootschap), in Poso vertreten durch Albertus C. Kruyt, die Hochlandvölker "aus der Steinzeit zu holen," indem man sie in den Tälern sesshaft machte und ihnen den Nassreisanbau und den Protestantismus beibrachte. Die erfolgreiche Mission isolierte die Hochlandbewohner von den Muslimen an der Küste, eröffnete ihnen aber moderne Bildung und Wege in die Kolonialbürokratie sowie Verbindungen zur protestantischen Weltgemeinde. Sie verschaffte ihnen eine gemeinsame, an ihren adat-Traditionen orientierte Identität als To Pamona, aus der sich der religiös fundierte Lokalpatriotismus speist, der die Christen in der Region Poso, heute organisiert im Dachverband der Gereja Kristen Sulawesi Tengah (GKST), nachhaltig geprägt hat.

Das 32 Jahre währende Militärregime unter Suharto, das seine Primadonna der wirtschaftlichen Entwicklung (pembangunan) in allen Winkeln des Inselreichs propagierte, führte zu enormen Umwälzungen auch in Zentral-Sulawesi. Die Provinz wurde eines der zehn Hauptsiedlungsgebiete des Transmigrationsprogramms, durch das mehrere zehntausend landlose Bauern - vor allem aus Java und Bali - in Zentral-Sulawesi angesiedelt wurden. Viele andere, besonders Buginesen, kamen auf eigene Faust und suchten ihr Glück im Gefolge des Ausbaus der Infrastruktur wie etwa des Trans-Sulawesi-Highways, der an den Ufern des Poso-Sees durch Tentena (der angestammten Heimat der To Pamona) und Poso-Stadt führt. Die Wälder, in denen die Vorfahren der To Pamona Wanderfeldbau betrieben hatten, fielen zusehends den Motorsägen der Siedler zum Opfer, die hier Kakaobäume und andere cash crops pflanzten. Auch in der lokalen Verwaltung sahen die To Pamona ihren Einfluss schwinden. Gleichzeitig wetteiferten religiöse Gruppen miteinander um Gelder zur Umsetzung der staatlichen Entwicklungsziele, errichteten neben Schulen und Krankenhäusern neue Moscheen und Kirchen, die zu Statusobjekten und seit den Unruhen schließlich zu Neidobjekten wurden. So verquickten sich politisch-wirtschaftliche Interessen mit ethnisch-religiöser Identität und brachen nach dem Sturz Suhartos im Mai 1998 harsch als Konfliktlinien auf.

Poso I (Dezember 1998): Ein trivialer Vorfall als Auslöser

Am 24. Dezember 1998, dem Beginn des Weihnachtsfestes und gleichzeitig des Fastenmonats Ramadan, gerieten in Poso-Stadt zwei betrunkene Jugendliche aneinander, der eine aus dem protestantischen Viertel (kelurahan) Lombogia, der andere aus dem muslimischen Kayamanya. Der Jugendliche aus Lombogia verfolgte sein Opfer bis in eine Moschee, wo er ihm eine Stichwunde zufügte. Als sich das am nächsten Morgen herumgesprochen hatte, kam es zu kleineren Ausschreitungen. Umgehend traten religiöse Führer zusammen und beschlossen, den Verkauf von Alkohol während des Ramadan zu unterbinden. Muslimische Jugendliche attackierten daraufhin Geschäfte chinesischer Christen, die weiterhin Alkohol verkauften. Unterdessen versammelten sich in Tagolu, wenige Kilometer südlich von Poso, einige hundert Protestanten - angeheizt von dem Gerücht, in Poso würden Kirchen brennen, schwangen sie sich unter Führung von Herman Parimo, einem bekannten Aktivisten der To Pamona, auf Lastwagen und fielen mit Macheten bewaffnet in Poso ein. Sie stießen auf einen nicht minder erregten Mob, der aus mehrheitlich muslimischen Gegenden westlich von Poso angereist war. Weder Polizei noch einflussreiche Beamte hatten die Situation unter Kontrolle. Die Straßenschlachten dauerten die ganze Weihnachtswoche an, bis sintflutartige Regenfälle einsetzten und der Mob sich auflöste. Am Ende waren mindestens 79 Menschen verletzt und etwa 400 Häuser - fast ausschließlich christlicher Familien - niedergebrannt.

Christliche Gruppen betonten später, den Ausschreitungen sei eine Hetzkampagne gegen Herman Parimo und den von ihn favorisierten Landratskandidaten Yahya Patiro vorausgegangen. Diese Kampagne blieb ungestraft, während das Militär später acht vermeintliche Provokateure aus dem protestantischen Lager verhaftete. Parimo kam ins Gefängnis, trat in Hungerstreik und starb unter ungeklärten Umständen im April 2000 in einem Krankenhaus in Makassar. Patiro indes sah sich mit gewaltsamen Protesten muslimischer Gruppen gegen ihn konfrontiert und war als Landratskandidat diskreditiert. Viele To Pamona sahen das als Affront. Zieht man die große Bedeutung ethnisch-religiöser Beziehungsgeflechte in Betracht, war es durchaus von Bedeutung, wer Bupati von Poso werden und künftig öffentliche Aufträge und andere Patronage vergeben würde.

Doch auch der muslimische Bupati Arief Patanga und sein Bruder Agfar gerieten unter Beschuss. Sie wurden letztlich beschuldigt, die Drahtzieher der Kampagne gegen das Lager der To Pamona gewesen zu sein. Ferner verwickelt in einen Korruptionsskandal, schien ein Gerichtsverfahren gegen die beiden unausweichlich, wurde aber von ihren Anhängern immer wieder verhindert, bis Provinzgouverneur Paliudju den umstrittenen Arief Patanga vor den Wahlen im Juni 1999 des Amtes enthob. Neuer Bupati wurde mit Unterstützung der auf den Außeninseln bekanntlich nach wie vor starken Golkar-Partei ein Muslim aus der fernen Bungku-Gegend, Muin Pusadan. Nun fühlte sich nicht nur das protestantische Lager benachteiligt, sondern auch muslimische Gruppen, die mit ihrem heimischen Kandidaten Damsyik Ladjalani gescheitert waren.

Poso II (April 2000): Die Unruhen stehen schon am Vortag in der Zeitung

Genau dies veranlasste ein Mitglied des Provinzparlamentes (DPRD I), Haelani Umar, in einer Lokalzeitung am 15. April 2000 weitere Unruhen vorauszusagen, wenn Ladjalani nicht wenigstens zum Regionalsekretär (Sekwilda) befördert werde. Tatsächlich brachen am Tag darauf Unruhen aus. Auslöser war erneut eine Rauferei, bei der am zentralen Busbahnhof von Poso angeblich protestantische Halbstarke einen Jugendlichen aus dem mehrheitlich muslimischen Lawanga-Viertel verletzt hatten. Wütende Bewohner Lawangas schwörten Rache und versammelten sich vor einer Kirche im mehrheitlich christlichen Lombogia. Die Polizei erhielt Verstärkung von den mobilen Brigaden (Brimob) aus Palu, errichtete Barrikaden, um Muslime und Christen auseinander zu halten und tötete dabei drei Muslime. Der Mob war entfesselt, zog brandschatzend durch christliche Viertel. Als Provinzgouverneur Paliudju tags darauf nach Poso kam, um im Büro von Bupati Pusadan zwischen den verfeindeten Gruppen zu vermitteln, forderten muslimische Führer, die Brimob wieder abzuziehen. Besonders lautstark forderte dies der Geschäftsmann Aliansah Tompo, dem gerade zusammen mit Ex-Bupati Patanga ein Korruptionsverfahren anhing. Tompo verquickte damit gleich auch die Forderung nach der Einstellung des Verfahrens und der Beförderung Ladjalanis.

Aus welchen Motiven auch immer wurden die Brimob tatsächlich wieder abgezogen. Beide verfeindete Gruppen sollten der Polizei immer wieder vorwerfen, parteiisch zu handeln (bertindak sepihak). Zur Befriedung der Situation trug dies jedenfalls nicht bei. Als sich zudem die Nachricht verbreitete, in einem christlichen Viertel sei eine muslimische Leiche erstochen vorgefunden worden, brannte der Mob in den folgenden Tagen vier Kirchen und rund 700 christliche Häuser nieder. Mindestens sieben Protestanten wurden getötet. Mehrere tausend Christen flüchteten sich in das mehrheitlich christliche Umland im Süden. Als die Stadt Ende April wieder halbwegs zur Ruhe kam, war Poso eine geteilte Stadt.

Poso III (Mai - Juli 2000): Blutiger Höhepunkt

Wenn es bisher schien, dass die Christen in der Defensive waren, so sollte sich in einer Spirale sich immer weiter steigernder Gewalt in einer dritten Phase des Konfliktes das Blatt wenden. Katholische Migranten aus Flores namens Fabianus Tibo, Dominggus Soares und Marinus Riwu, die in Beteleme lebten (siehe Karte), denen aber auch Verbindungen zu protestantischen Führern der To Pamona nachgesagt wurden, bildeten christliche, "rote" Milizen (Pasukan Merah) und nahmen das Gesetz in die eigene Hand. In schwarze Ninja-Kleidung gehüllt jagten sie vermeintliche Verantwortliche der vorausgegangenen Ausschreitungen im mehrheitlich muslimischen Kayamanya-Viertel. Am 23. Mai 2000 töteten sie dabei drei Muslime und auch einen Polizisten und versteckten sich dann in einer nahe gelegenen katholischen Kirche. Als die Polizei anrückte und Tibos Ninjas abführen wollte, drohten erregte Muslime die Ninjas an Ort und Stelle zu lynchen. In der Aufregung gelang Tibo und seinen Kämpfern die Flucht. Daraufhin brannte der Mob die Kirche nieder. Es folgte ein neuer Flächenbrand, in dem sich Christen und Muslime mehrere Tage lang brutalst bekämpften, angeheizt auch Gerüchten (kabar burung) wie, die To Pamona, also die Christen, hätten Posos Trinkwasser, das aus dem Poso-See gewonnen wird, vergiftet.

Den blutigsten Angriff unternahmen Tibos Milizen am 28. Mai auf die javanische Transmigrantensiedlung Sintuwu Lemba (der Ortsname bedeutet ironischerweise in der Lokalsprache soviel wie "Tal der Eintracht"), denen die To Pamona im benachbarten Tagolu offenbar schon seit langem ihre fruchtbaren Kakaoplantagen neideten. Immer wieder und vielerorts sollten im Laufe der Unruhen Kakao-, Nelken- oder Kokoshaine, meist die der Migranten, von Heckenschützen oder mit Motorsägen attackiert werden. Als Tibos christliche Milizen angriffen, flüchteten sich die Transmigranten in die umliegenden Wälder und in das islamische Internat ihrer Siedlung. Doch das Pesantren Wali Songo wurde zur tödlichen Falle. Die Pasukan Merah durchkämmten außerdem die ganze Gegend und folterten und töteten, wen sie kriegen konnten, auch Frauen und Kinder. Die mehreren hundert Menschen, die dieser Orgie zum Opfer fielen, flossen später als zum Teil zerstückelte Leichen den Poso-Fluss hinab oder wurden in Massengräbern gefunden. In den folgenden Wochen wurden viele weitere, meist muslimische Siedlungen rings um Poso attackiert. In Tentena brannten muslimische Häuser und Geschäfte. Das Wort von Muslim Cleansing machte die Runde.

Ein Pamona-Aktivist namens Lateka, der wohl in Verbindung mit Tibo stand, wurde als Provokateur (provokator) und Unruhestifter (dalang kerusuhan) gehandelt und soll sich auch dazu bekannt haben, bevor er am 2. Juni 2000 in einer Straßenschlacht ums Leben kam. Es ist wahrscheinlich, dass Lateka tatsächlich darin verwickelt war, aber wie so oft in solchen Konfliktsituationen ist die Neigung typisch, einen vermeintlichen Provokateur, meist von außerhalb, zum alleinigen Sündenbock zu machen. So war im August 2000 vielerorts das Gerücht zu hören, ein Baulöwe aus Jakarta, dessen Frau aus Poso stamme, habe die Unruhen angezettelt und Waffen geliefert, um sich dann infolge chaosbedingt fallender Grundstückspreise in der Gegend um Poso billig Ländereien unter den Nagel zu reißen. Nicht weniger haarsträubend ist die Geschichte, die im Juli 2000 in einigen indonesischen Medien kursierte: Ein Deutscher namens Karl Heinz Reiche sei in einem Hotel im Toraja-Land festgenommen worden, nachdem er dort in betrunkenem Zustand Jugendlichen erzählt habe, er habe die jüngsten Unruhen in Poso und Tentena provoziert. Die Polizei in Parepare wollte daraufhin ein ähnliches Geständnis von ihm bekommen haben. Wenig später wurde die Polizei kleinlaut und ließ Reiche wieder laufen. Sie war wohl einem Wichtigtuer aufgesessen oder hatte schlicht überreagiert, denn sie fand bei ihm lediglich Urlaubsfotos und ein Radio (und stellte nebenbei fest, dass es sich um einen 63jährigen Touristen aus Österreich handelte).

Im Juli 2000 schließlich gelang es der Polizei, Tibo und seine Komplizen zu fassen. Die Attacken auf muslimische Siedlungen nahmen daraufhin zunächst ab. Ende August 2000 schien die Zeit reif für einen hochkarätigen Versöhnungsversuch der vier Provinzgouverneure von Sulawesi, für den auch der damalige Präsident Abdurrahman Wahid mit einigen Ministern nach Poso einflog, um ein traditionelles Friedensritual zu bezeugen. Dabei begrub eine Auswahl handverlesener örtlicher Respektspersonen rituell einen Rindskopf (das Kriegsbeil sozusagen). Die Friedenskampagne erhielt den Namen Sintuwu Maroso, was in der Sprache der To Pamona soviel bedeutet wie "in Eintracht sind wir stark." Die Kampagne war jedoch zum Scheitern verurteilt, weil die verfeindeten Gruppen das traditionelle Adat-Recht der To Pamona allein nicht als Instrument, das über den Interessen aller Konfliktparteien stand, anerkennen wollten. Einem offiziell eingesetzten Versöhnungsteam (tim rekonsiliasi) wurde ferner eine passive, bürokratische Haltung vorgeworfen. Die Unruhen gingen weiter.

Poso IV (Januar - November 2001): Der Poso-Konflikt als chronischer Zustand

Die Situation heizte sich auf, als in Palu von Dezember 2000 bis April 2001 den christlichen Milizenführern Tibo, Soares und Riwu der Prozess gemacht wurde. Zeugenaussagen brachten die Gräueltaten Tibos ans Tageslicht. So berichtete eine Frau aus Sintuwu Lemba, die christlichen Milizen hätten sie zusammen mit anderen Frauen im Pesantren Wali Songo entkleidet, um ihre Vagina auf javanische Amulette (jimat) zu überprüfen. Daraufhin ohrfeigte sie die drei Angeklagten im Gerichtssaal. Ein anderer Zeuge berichtete, Tibo und seine Komplizen hätten im Dorf Kele'i ein Trainingslager für rund 700 christliche Milizen unterhalten, das mit Waffenlieferungen sogar per Helikopter versorgt worden sei. Tibo, ein Krimineller, der bereits der Polizei bekannt war, bekam im Verlauf der Verhandlungen den Beinamen "Menschenschlächter" (Si Jagal Manusia); die Lokalzeitung Mercesuar fühlte sich berufen, von Anekdoten aus Tibos Heimatdorf zu berichten, wo er als "Herkules von Beteleme" gelte, der, mit übernatürlichen Kräften ausgestattet, einst dort gesehen worden sei, wie er mit einer Hand einen Bulldozer in die Luft gestemmt habe. Die Wogen schlugen also hoch, bis die drei im April 2001 zum Tode verurteilt wurden. Das Urteil steht bis heute aus, ein Gnadengesuch wurde im Oktober 2001 abgelehnt. Das Todesurteil fand in ganz Indonesien große Aufmerksamkeit und wurde von den einen als ermutigender Präzedenzfall aufgefasst, während andere, verständlicherweise besonders Christen, betonen, es seien bisher keine muslimischen Unruhestifter angeklagt oder gar verurteilt worden.

Derweil breiteten sich sporadische Zwischenfälle über das ganze Jahr 2001 auch auf Regionen außerhalb des Distrikts aus, so etwa in der Lindu-Ebene westlich von Poso und Ampana und Mori Atas östlich von Poso. Siedlungen von Migranten oder Kakaoplantagen waren die Angriffsziele, oder es handelte sich um Racheakte, spontan oder geplant, für vorangegangene Angriffe. Wiederholt wurden Linienbusse, die durch Poso fuhren, das Ziel bis heute ungeklärter Sprengstoffanschläge, der mehrere Menschen zum Opfer fielen.

Poso V (November-Dezember 2001): Jihad

Seit sich die Laskar Jihad im Sommer 2001 allmählich in Poso festsetzten, hat sich die Situation zusehends verschlechtert. Die simple Logik der Laskar Jihad stellt auf die vermeintlich fortwährende Christianisierung der Region ab. Diese sei der eigentliche Grund (sebab laten) für die Spannungen. Muslime würden als Neuankömmlinge (kaum pendatang) abgestempelt und seien von Polizei, Justiz und Bürokratie stets vernachlässigt worden. Deshalb bedürften sie der Solidarität und des Schutzes (komitmen keumatan) der selbsternannten Gotteskrieger von außerhalb - erst recht im Konfliktfall. Für die Laskar Jihad bedeutet komitmen keumatan de facto nichts anderes, als Christen zu provozieren und gewaltsam zu vertreiben.

Dazu kommen die eingangs erwähnten Verwicklungen mit dem internationalen islamischen Terrorismus. Die örtliche Polizei will zeitweise eine Handvoll Pakistani und Afghanen festgehalten haben, ansonsten bleibt die Beweislage für eine tatsächliche Al-Qaeda-Präsenz dürftig. Es ist jedoch offensichtlich, dass gewaltbereite Muslime in Poso, besonders die Laskar Jihad, Osama Bin Laden quasi als Volkshelden verehren und sein Konterfei auf Postern und T-Shirts umhertragen. Im November hatten die Laskar Jihad in der ganzen Region Poso Straßensperren errichtet und die Sicherheitskräfte in die Defensive gebracht. Nach Scharmützeln mit christlichen Milizen im muslimischen Dorf Tabalu (Poso Pesisir) starteten sie am 27. November ihre Offensive und fielen in den mehrheitlich christlichen Nachbardörfern Betalemba, Patiwunga und Ratulene ein, steckten einen Großteil der Häuser in Brand, schlugen die Bewohner in die Flucht und töteten 34 Christen. In den darauffolgenden Tagen legten die Laskar Jihad weitere christliche Dörfer westlich und östlich von Poso in Schutt und Asche. Flüchtlingstrecks bewegten sich gen Westen (Lore Utara) und Süden (Tentena). In Tentena brach Panik aus. Die Laskar Jihad versuchten, Versorgungswege abzuschneiden. Man rechnete mit einem massiven Angriff zu Weihnachten. Das aber verhinderte, wie eingangs erwähnt, die indonesische Regierung durch ihr rasches Eingreifen noch rechtzeitig.

Perspektiven für den Frieden

Anders als die Laskar Jihad bekannten sich etwa 20 ostindonesische Kirchenführer Anfang Februar bei einem Treffen in Tomohon (Minahasa) erstmals zu den Versäumnissen der Kirche. Sie habe in den vergangenen Jahren zu wenig zur Überwindung der Gewalt getan und müsse Vorurteile ablegen, wonach alles eigene gut und das der anderen schlecht sei. Die Kirche sei nun gefordert, mit den muslimischen Nachbarn zu kooperieren. Der Hamburger Theologe Prof. Olaf Schumann ergänzte dazu: "Das Thema Lynchjustiz gehört in die Sonntagspredigt."

Derartige Stimmen der Mäßigung sind, wenn auch bisher rar geblieben, dringend nötig, wenn der Friedensprozess von Malino Früchte tragen soll. Die "Ghettoisierung der Religionen" entlang ethnisch-territorialer Grenzen ist in Poso bereits weit fortgeschritten und hat sich auch in die Flüchtlingslager fortgesetzt, die meist Christen und Muslime separat beherbergen. In Poso-Stadt sind angestammte, buginesische und javanische Muslime nun mehrheitlich unter sich, während Tentena die exklusive Hochburg der protestantischen To Pamona und Christen ursprünglich aus Minahasa und Flores geworden ist. Auch wenn angesichts des Verlustes so vieler Menschenleben und nicht zuletzt auch des enormen materiellen Schadens an Gebäuden, Infrastruktur und Plantagen allseits Anzeichen von "Kriegsmüdigkeit" und der Wunsch nach guter Nachbarschaft spürbar werden, bleibt die Situation gespannt.

Der zentrale Basar in Poso-Stadt ist ein Beispiel dafür. Auch wenn hier früh morgens wieder lebhaftes Treiben herrscht, so fällt auf, dass die Küstenbewohner auf ihrem Frisch- und Trockenfisch häufig sitzen bleiben, während die Obst- und Gemüselieferungen aus dem protestantischen Hinterland ausbleiben. Die Austauschbeziehungen sind nachhaltig gestört. Auch die Verkehrsverbindungen des einstigen Knotenpunktes Poso am Trans-Sulawesi-Highway gelten noch als unsicher. Dass Durchreisende immer noch Geleitschutz von der Polizei erwerben müssen, teils für Geldsummen von 50.000 bis 100.000 Rupiah (etwa 5 bis 10 Euro), spricht Bände darüber, weshalb viele Menschen den Sicherheitskräften nicht vertrauen und woher der verbreitete Vorwurf herrührt, die Sicherheitskräfte hätten Interesse an einem gewissen Maß an Unsicherheit. Auch die Justiz genießt nach wie vor wenig Vertrauen.

Derzeit jedoch scheint das massive Aufgebot an Armee und Polizei den Frieden von Malino, zumindest für den Moment, schützen zu können. Mittel- und langfristig ist erforderlich, dass religiöse Respektspersonen auf beiden Seiten die Emotionen dämpfen und der als göttlich sanktioniert verstandenen Selbstgerechtigkeit von jeweils Christen und Muslimen abschwören, um dem Konflikt - der eigentlich ein Konflikt um Land, Ressourcen und Posten ist - die sakrale Überhöhung zu nehmen.

Ebenso entscheidend ist, wie sich die Machtverhältnisse auf lokaler Ebene im Rahmen Indonesiens neuer Regionalautonomie (otonomi daerah) neu ordnen werden. Der Streit verschiedener Gruppen um Posten, Macht und Einfluss in der Lokalverwaltung, die sich entlang ethnisch-religiöser Gruppenidentitäten herausgebildet haben, hat den Poso-Konflikt bekanntlich verschärft oder gar erst ausgelöst. Die Bevölkerungsgruppen, die sich als einheimisch begreifen, fordern nach jahrzehntelanger Entrechtung während des Suharto-Regimes "ihr Land" und ihre Selbstbestimmung ein. Doch was ist mit den Migranten, den Nachkommen von Zugewanderten, die nun auch Opfer geworden sind? Die Region Poso wie auch andere Konfliktherde, die vielfach als abgelegen und ethnisch-religiös außerordentlich komplex beschrieben wurden, strahlen bedrohlich auf ganz Indonesien aus: Denn nach den langjährigen Migrationsbewegungen gibt es wohl keine einzige Teilregion in Indonesien, die nicht als ethnisch-religiös komplex gelten könnte. <>


[1] Über die Zahl der Todesopfer gibt es keine gesicherten Angaben. In indonesischen Medien kursieren Zahlen zwischen 600 und 3.000. Addiert man jedoch einzelne Schätzungen der Opfer aufeinanderfolgender Gewaltwellen auf, so ergibt sich eine Zahl von mindestens einigen hundert.

[2] Lorraine V. Aragon (2001), "Communal Violence in Poso, Central Sulawesi: Where People Eat Fish and Fish Eat People," in Indonesia 72, S. 45-79 bietet die bisher ernsthafteste und tiefgründigste Analyse des Poso-Konfliktes. Um Poso geht es auch in David Rohde (2001), "Indonesia Unraveling?" in Foreign Affairs, July/August, S. 110-124. Aus indonesischen Medien ergibt sich über offizielle Verlautbarungen hinaus nur ein ungenaues Bild von Tätern, Opfern und Ursachen des Konfliktes. Wertvolle Hintergrundlektüre über die christliche Mission in Zentral-Sulawesi sind Lorraine V. Aragon (2000), Fields of the Lord: Animism, Christian Minorities, and State Development in Indonesia, Honolulu: University of Hawai'i Press und Albert Schrauwers (2000), Colonial Reformation in the Highlands of Central Sulawesi, Indonesia, 1892-1995, Toronto: University of Toronto Press. Ein Aufsatz des Autors über den Poso-Konflikt in der Working-Paper-Reihe der Passauer Beiträge zur Südostasienkunde ist in Vorbereitung.

 

 

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