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Nach einem gescheiterten Putsch durch rangmittlere Offiziere, die mit der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) assoziiert wurden, verübte die indonesische Armee 1965 einen Massenmord an Kommunisten und deren Sympathisanten. Über die tatsächliche Zahl der Opfer wird noch immer diskutiert, seriöse Studien gehen aber davon aus, dass rund 500.000 bis 1 Million Menschen ihr Leben ließen. Derüber hinaus saßen einige Hunderttausend länger als ein Jahrzehnt ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis. Diese Grausamkeit wurde - befeuert durch den Kalten Krieg - vom indonesischen Militär gemeinsam mit lokalen Milizen verübt. Obwohl die meisten Gefangenen 1979 frei kamen, wurden sie und ihre Familien jedoch von der Gesellschaft weiterhin ausgeschlossen. Sie kämpfen bis heute gegen Diskriminierung und Armut.
Die Bemühungen, dieses Vermächtnis der Gewalt zu enträtseln, sind langwierig und komplex. Die indonesische Regierung weigert sich immer noch ihre blutige Vergangenheit offiziell anzuerkennen. In ersten Tagen nach dem Sturz des Diktators Suharto 1998 wurde über die Etablierung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission diskutiert. Diese Idee wurde dann allerdings wieder verworfen. Dennoch spielen die Überlebenden seit der ‚Reformasi‘ eine aktive Rolle. Sie sprechen offen über die von ihnen erfahrene Gewalt und fordern Gerechtigkeit und Anerkennung. Zudem trieben sie die nationale Menschenrechtskommission dazu an, eine Untersuchung durchzuführen. Im Jahr 2012 stellte die Kommission ihr Ergebnis vor, welches auf ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit rückschließt. Ein von gesellschaftlichen Organisationen initiierter Prozess zur Wahrheitsfindung umfasste öffentliche Anhörungen, die Erfassung von Daten und die Vorstellung eines Abschlussberichts mit dem Titel ‚Reclaiming Indonesia‘. Seit neuestem kommt es zunehmend zu Vorfällen, bei denen Versammlungen von älteren Überlenden von sogenannten anti-kommunistischen Gruppierungen angegriffen werden.
AJAR hat im Juni 2013 eine partizipative Aktionsforschung durchgeführt, woran 140 weibliche Überlebende aus Osttimor, Myanmar und Indonesien teilnahmen, darunter auch Überlebende des Massakers von 1965. Anerkennend, dass die meisten dieser Frauen andauernder Diskriminierung und Straflosigkeit ausgesetzt sind, entwickelte AJAR eine Methodik zur Heilung, Dokumentation, Solidaritätsbildung und kritischen Analyse. Somit konnten die Überlebenden an dem Prozess teilhaben, gestärkt werden und von der Wissensansammlung einen Nutzen für sich ziehen.
Angewandte Techniken als Teil des Trainings umfassten:
Die verschiedenen Tools haben ein neues Verständnis sowohl für die überlebenden Frauen als auch für die Forscherinnen eröffnet. Zum Beispiel konnten die Forscherinnen anhand der Zeitachse über die Jahre vor und nach den entscheidenden Ereignissen über das aktuelle Leben der Frauen erfahren. Die Erinnerungskisten waren eine Einladung für die Überlebenden ihre wertvollen Bilder der Vergangenheit und Gegenwart zu teilen. Stein und Blume erlaubten den Frauen zu reflektieren, ob Wahrheit und Gerechtigkeit dem Anschein nach in ihrem persönlichen Leben existieren und ob sie in der Lage sind zu gesunden und ein gewaltfreies Leben zu leben. AJAR und seine Partnerorganisationen haben einen Bildband über diese Forschung veröffentlicht. Das Buch mit dem Titel Surviving on Their Own: Women’s Experiences of War, Peace and Impunity (2014) enthält wesentliche Forschungsergebnisse und Empfehlungen. Das Ergebnis der gesamten Forschung wird Ende 2015 veröffentlicht.
„Jetzt fühle ich mich viel stärker und nicht mehr so einsam. Weil wir uns für den Kampf gegenseitig brauchen. Wir müssen für die Verminderung der Gewalt kämpfen, um Gerechtigkeit zu erlangen.“ Kadmiyati
„Obwohl wir weit verstreut sind, fühlen wir uns glücklich, denn wir haben viele Freundinnen. Wir können unsere Herzen öffnen um über die dunkle Vergangenheit zu sprechen. Ich bin erleichtert. Was mir in der Vergangenheit passiert ist, kann ich nun als einen vorübergezogenen Sturm betrachten. Ich fühle mich wohl mit vielen Freundinnen und mit unseren Bemühungen uns selbst zu heilen… Was auch immer passiert ist, unsere Heilung muss weitergehen.“ Kina Boboy
“Straflosigkeit Verlernen” ist ein Ansatz, der anerkennt, dass die Entrechtung der Opfer von Ungerechtigkeit kulturell, politisch und sozioökonomisch tief verwurzelt ist. Diese Situation schafft Hindernisse, die über fehlenden Zugang zur Rechtshilfe hinausgehen. Nach Jahrzehnten der Straflosigkeit lernen die Opfer und die Gesellschaft die Botschaft zu akzeptieren und zu verinnerlichen, dass die Gewalttaten der Mächtigen gegenüber den Armen nicht bestritten werden können. Der Ansatz „Straflosigkeit Verlernen“ untersucht auch den Zusammenhang zwischen Armut und Diskriminierung: viele arme Menschen werden Opfer von Menschenrechtsverletzungen, weil ihnen die Mittel fehlen ihre Grundrechte zu schützen; viele arme Menschen werden arm als andauernde soziale und wirtschaftliche Folge der Gewalt, die sie erfahren haben. AJAR arbeitet mit Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen um sie als treibende Kraft des Wandels zu stärken, in dem Versuch eine neue Gesellschaft aufzubauen, die eine Wiederholung der Vergangenheit verhindert.
Partnerorganisationen in der Aktionsforschung mit den Überlebenden von 1965: KIPER (Kiprah Perempuan/Women’s Action), Yogyakarta; LAPPAN (Lingkar Pemberdayaan Perempuan dan Anak/the Institute for Women's and Children's Empowerment), Maluku; JPIT (Jaringan Perempuan Indonesia Timur/Eastern Indonesian Women’s Network), Nusa Tenggara Timur. Diese Forschungwurde von IDRC und der EU gefördert.
Watch Indonesia! e.V. (www.watchindonesia.org[2]) arbeitet zu Menschenrechten, Demokratie und Umwelt in Indonesien und Osttimor. Dieses Jahr organisiert Watch Indonesia! eine Kampagne mit dem Titel ‚Gegen das Vergessen‘, bei der diese Fotoausstellung ein Bestandteil sein wird. Zum 50. Jahrestag des Massakers vom 1965 führt Watch Indonesia! eine Filmwoche, Fotoausstellungen, Unterschriftaktionen, Tagungen und Podiumsdiskussionen in ganz Deutschland durch. Das Ziel dieser Kampagne ist die Unterstützung des deutschen Publikums und der deutschen Politik bei der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Indonesien, insbesondere des Massakers von 1965.
Asia Justice and Rights-AJAR (www.asia-ajar.org[3]) arbeitet zu den Themen Konflikttransformation, Menschenrechte, Bildung und lokale Entwicklung. Die Organisation ist in Südostasien tätig und hat zurzeit Projekte in Indonesien, Osttimor und Myanmar.
Anne-Cecile Esteve (www.acesteve.com[4]) ist eine französische Fotografin, die von 2010 bis 2013 in Indonesien bei verschiedenen internationalen Organisationen tätig war. Im Moment lebt sie abwechselnd in Europa und in Asien. Mit ihren Fotografien und Filmen dokumentiert sie seit 2011 die Arbeit von AJAR. An der o.g. Forschung war sie beteiligt und brachte anderen ForscherInnen die Grundlagen der Fotografie bei.
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