Indonesien-Information - September 1993 (Film)

Manufacturing Consent - Die Konsens-Fabrik

Bei den Berliner Filmfestspielen 1993 gab es lange Schlangen vor den Kinos. Nicht wenige versuchten mehrmals vergeblich eine Kinokarte zu bekommen. Steven Spielberg? Billy Wilder? Randy Newman? Dustin Hoffmann? Nein, ein Film über Noam Chomsky war das Objekt der Begierde. Noam Chomsky, wer ist das? Genau davon handelt der Film. Und von Medien. Und von Ost-Timor. Und ...

Noam Chomsky wurde im jüdisch-intellektuellen Milieu New Yorks groß. Schon früh interessierte er sich für Geschichte und Sprache. Politisch geprägt wurde er von den Werten der Arbeiterbewegung. Mit 12 schrieb er seinen ersten Aufsatz über den spanischen Bürgerkrieg. Sein Weg führte ihn an die Elite-Uni Bostons, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er einen Lehrstuhl für Linguistik besetzt hält. Weltweit macht er sich einen Namen durch aufsehenerregende Schriften zur allgemeingültigen Struktur aller Sprachen, von der allerdings heute manch anderer Linguist heute mehr überzeugt ist als Chomsky selbst.

1964 beginnt Chomsky sich von seinem Lehrstuhl aus politisch zu betätigen. Er weiß, was er tut, als er sich aus der Sicherheit, die er als Professor hatte, herausbegibt auf's tagespolitische Glatteis. Am MIT diskutiert er mit StudentInnen über den Vietnam-Krieg. Seither gab Chomsky zahlreiche Bücher zu politischen Themen heraus, in deren Mittelpunkt immer wieder die Rolle der US-amerikanischen Medien steht.

Manufacturing consent - die Aufgabe der Medien ist es, eine Standardmeinung zu schaffen, die von oben nach unten vermittelt wird. Totalitäre Regime kontrollieren die Menschen direkt, in der Demokratie sind subtilere Mittel gefragt. Das Denken wird kontrolliert.

20 % der amerikanischen Gesellschaft zählen zur politischen Klasse. Sie haben eine gute Ausbildung, sind Manager, Anwälte, Lehrer. Auf sie kommt es an. Sie haben Verantwortung, sie treffen Entscheidungen. Ihre Meinung muß in eine Richtung gelenkt werden. Die restlichen 80 % der Bevölkerung werden nur zum Mitmachen und Geschehenlassen benötigt. Ziel der Medien ist es, sie zu unterhalten, zu zerstreuen - und fernzuhalten von den wichtigen Dingen. Sex and Crime, Fußball, Astrologie sind die Mittel, mit denen die Verdummung gesteuert wird. Nebenwirkungen sind erwünscht. "Warum ist es wichtig, daß das Football-Team meiner High-School gewinnt?", fragt Chomsky. Dabei werde Hurra-Patriotismus trainiert, Leute werden erzogen, sich Autoritäten zu unterwerfen.

Mark Achbar und Peter Wintonick aus Kanada haben in ihrem Film über drei Stunden Material montiert, um der ZuschauerIn Noam Chomskys Thesen näherzubringen. Es wird der Mensch und der Wissenschaftler Chomsky gezeigt, der es versteht, seinen Spaß am Streiten und an der eigenen Zivilcourage zu vermitteln. Dabei hangelt sich der Film an Gedankenketten, Assoziationen und thematischen Schwerpunkten entlang. Interviews und öffentliche Veranstaltungen werden von den Filmemachern gekonnt geschnitten, die Runden eines Streitgespräches werden z.B. mit Szenen aus einem Boxkampf untermalt. Dabei verlangt der Film der ZuschauerIn einiges ab, denn die Flut der Bilder sowie der geschriebenen und gesprochenen Texte ist nicht leicht zu verarbeiten. Dennoch, der Film läßt sich Zeit. "Man kann einen einigermaßen komplexen Gedanken nicht in den zwei Minuten zwischen den Werbeblöcken einer Talk-Show darlegen," meint Chomsky. Der Film gibt ihm ein 80faches dieser Zeit und manchmal hat man das Gefühl, Chomsky kostet es aus. Stellenweise riecht der Film sehr stark nach Selbstdarstellung, insbesondere wenn sich das Gefühl einstellt, daß Chomsky trotz aller Informationsfülle eigentlich nichts sagt, was man nicht auch schon vorher gewußt hat. Aber schön zusammengefaßt und dennoch nicht ganz leicht...

Interessant ist ein Beispiel, mit dem Chomsky seine These untermauert und sich dabei gleichzeitig als engagierter Menschenrechtler zeigt. Chomsky vergleicht die Berichterstattung über zwei ähnliche weltpolitische Vorkommnisse in den amerikanischen Medien, hier insbesondere in der New York Times, die als Trendsetter im Nachrichtenbereich fungiert. Verglichen wird die Gewaltherrschaft Pol Pots in Kambodscha mit der indonesischen Besetzung Ost-Timors. Beide Fälle sind insoweit vergleichbar, als eine nach einfachen Mustern lebende Gesellschaft massiv unter politischen Machtgelüsten zu leiden hatte. In beiden Fällen erreichte die Zahl der Opfer Dimensionen, die es rechtfertigen, von Völkermord zu reden. Der relative Anteil der Opfer in Ost-Timor, ein Drittel des Volkes kam während des Krieges um, übersteigt dabei sogar die Zahl der Opfer Pol Pots.

Doch was berichtete die New York Times über die beiden Fälle? In Kambodscha starben bis 1957 ca. 600.000 Menschen aufgrund der Bombardements durch die US Air Force. Doch später als Pol Pot noch kaum an der Macht war und die ersten 1.000 Opfer forderte, schrie die New York Times bereits: "Völkermord". Chomsky will keineswegs die Herrschaft Pol Pots rechtfertigen, sondern auf die unausgewogene Berichterstattung hinweisen. Pol Pot war ein "Böser", die Story paßte ins Konzept.

Anders in Ost-Timor. Die Beziehungen zwischen Indonesien und den USA Mitte der 70er Jahre waren gut. Amerikanisches Militär nutzt den Tiefseegraben im Timor Gap, Amerika liefert Waffen an das befreundete - weil antikommunistische - Regime in Jakarta. Aus Rücksichtnahme auf Präsident Ford und seinen Außenminister Kissinger, die 1975 auf Staatsbesuch in Jakarta waren, wurde die Invasion nach Ost-Timor verschoben - sie fand zwei Tage nach Abflug der beiden Gäste statt. Nach der Invasion verfaßte die UNO eine Reihe von Resolutionen, um die Invasion Ost-Timors zu verurteilen, aber die USA sorgten regelmäßig dafür, daß den Resolutionen keine Taten folgten. 90 % der Waffen, die die indonesische Armee in Ost-Timor einsetzte, stammten aus den USA. 1978, drei Jahre nach dem gewaltsamen Einmarsch bewilligte Präsident Carter die Lieferung neuer Waffen. Was zählt ist der Profit.

Die New York Times berichtete viel über Ost-Timor - in der Zeit vor dem indonesischen Einmarsch. Es herrschte Angst, daß die Sowjetunion vom Zusammenbruch der portugiesischen Herrschaft profitieren könnte und die FRETILIN an die Regierung kommt. 1978, zum Höhepunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen in Ost-Timor berichtete die New York Times nichts - "that is just the wrong story". Es waren die "Guten", die hier ein Volk massakrierten.

Chomsky klebte jeweils sämtliche Zeitungsmeldungen der New York Times zu Kambodscha und Ost-Timor aus den Jahren 1975-1990 untereinander. Vor der Kamera entrollen sich eindrucksvoll die zwei Papierrollen: Die Meldungen über Ost-Timor erreichen eine Gesamtlänge von 70 Zoll, die über Kambodscha 1.175 Zoll. Die Filmemacher stöberten in Archiven von Menschenrechtsorganisationen und fanden etliches Bildmaterial zu beiden Fällen, das in dem Film gezeigt wird, um das Defizit in der New York Times wettzumachen.

Der Film ist sehenswert. Nur ein Bruchteil der von Chomsky angesprochenen Themen kann hier gewürdigt werden. Einige seiner Standpunkte sind angreifbar. Sein relativ gutes Bild der Medien außerhalb der USA beispielsweise scheint in zu schönen Farben gemalt zu sein, denkt man an Tycoons wie Murdoch, Springer, Kirch etc. Auch das von Chomsky geschriebene Vorwort zu einem Buch des französischen Autors Fauvisson, der die Existenz der Gaskammern von Auschwitz leugnet, reizt zum Widerspruch. Chomsky ist keineswegs einverstanden mit Fauvissons Geschichtsinterpretation, verteidigt aber sein Vorwort mit dem Argument, eine ernst gemeinte Meinungsfreiheit müsse auch eine unbequeme, ja irrige Meinung, wie die Fauvissons, zulassen. Deshalb habe er das Vorwort geschrieben und es handele im übrigen von nichts anderem als eben dieser Meinungsfreiheit.

Man wünscht sich, solche Ansichten eingehender mit Chomsky zu diskutieren. Sieht sich Chomsky angesichts des in Europa neu aufblühenden Rechtsextremismus genötigt, seine Erklärungen zum Fall Fauvisson zu revidieren? Wenn nicht, welche Rezepte empfiehlt er, der rechten Meinungsmache Einhalt zu gebieten? Chomsky gibt einem das Gefühl, daß solch eine Diskussion fruchtbar sein könnte. Er wirkt nicht arrogant, drückt sich klar und für alle verständlich aus. Schade, daß er zu einem während der Filmfestspiele in Berlin angesetzten Diskussionstermin nicht erschienen ist. Wegen Krankheit, wie es hieß.

Trotz großer Nachfrage ist von dem Film derzeit nur eine Kopie in Deutschland im Umlauf. Vom 16.-22.9.1993 wird er im fsk, Wiener Str. 20 in Berlin-Kreuzberg zu sehen sein. Reingehen! <>

 
Literatur:
Noam Chomsky - Nach dem kalten Krieg: US-Außenpolitik im mittleren Osten; in Norbert Mattes (Hrsg.) - Wir sind die Herren, 1991
Noam Chomsky - Turning the Tide, 1985
Noam Chomsky - On Power and Ideology, 1987
Noam Chomsky - The Culture of Terrorism, 1988
Noam Chomsky, Edward S. Herman - The Washington Connection and Third World Fascism, the political economy of human rights, vol I & II, 1979
 
 
 
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