Indonesien-Information - September 1992 (Ausländerfeindlichkeit)

 

Seite und Seiters Seite an Seite

Gedanken zur Demo in Rostock


Wahrscheinlich ist alles nur auf einen Druckfehler zurückzuführen. In viele Legierungen gehört Kupfer. In eine Regierung gehört er nicht. Die parlamentarischen Spielregeln machen den Rücktritt von Kupfer, Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern erforderlich. Andern würde sich dadurch allerdings nichts, denn es fehlt an glaubwürdigen Alternativen. Möglicherweise wird es aber sowieso nicht passieren. Die Politiker sind nicht interessiert an der Ausgrenzung krimineller Rechtsradikaler, sondern an der Ausgrenzung von Ausländern. Daher wird auch nicht nach der Verantwortung für die unterlassene Hilfeleistung in Rostock gefragt, nicht von Bundesinnenminister Seiters und schon gar nicht von Mecklenburgs Ministerpräsident Seite, dessen Stuhl selbst wackelt.

Am Samstag nach der bislang schlimmsten ausländerfeindlichen Krawallwoche im wiedervereinigten Deutschland trafen sich in Rostocks Trabantenstadt Lichtenhagen ca. 15.000 bis 20.000 Leute, um gegen die rassistischen Ausschreitungen zu demonstrieren. (Bei näherer Betrachtung stellte sich übrigens heraus, daß der Begriff „Trabantenstadt“ überholt ist; vorherrschend sind heute Fahrzeuge der Marken Opel und VW, Trabanten gibt's nur noch vereinzelt.)

Aber warum kamen „nur“ 15.000 bis 20.000? Mindestens die Hälfte dieser Leute gehörte der autonomen Szene an, aber auch die übrigen gehörten zu denen, die sowieso auf jeder Demo mit dabei sind. Es ist ein unverzeihliches Versäumnis der Parteien und Organisationen, nichts zu dieser Demonstration beigetragen zu haben, ging es doch ausnahmsweise nicht darum, nur seinen Unmut gegen Entscheidungen der Regierung kundzutun, sondern vor allem darum, den hier lebenden Ausländern zu zeigen, daß es noch Deutsche gibt, die das Wort „Solidarität“ oder zumindest „Mitgefühl“ buchstabieren können. Im Umkehrschluß wäre es auch wichtig gewesen, der rechten Szene und den klatschenden Bürgern zu zeigen, wie isoliert sie in dieser Gesellschaft sind. Die Demonstration in Lichtenhagen konnte den Anwohnern diesen Eindruck wohl kaum vermitteln. Es fehlten die „normalen Leute von nebenan“, mit denen sie sich hätten identifizieren können. Die SPD beispielsweise hätte solche Leute mobilisieren können, aber sie tat es nicht. Zwar hat sich der SPD-Landesverband Berlin immerhin zuletzt noch entschlossen, den Aufruf zur Demo mitzutragen, aber er hat es versäumt, seinen ParteigenossInnen zu erklären, warum man vielleicht tatsächlich hingehen sollte. Der Bürgermeister von Rostock, auch er ein SPD-Mitglied, hätte die Demo gar am liebsten verboten, während der Bundesvorstand gerade damit beschäftigt war, sich auf die rechtslastigen Argumente der CDU einzulassen, um Regierungsfähigkeit zu beweisen. Außer Modrow und Gysi, beide PDS, war kein Politiker in Lichtenhagen zu sehen; noch nicht einmal ein Grußwort war zu vernehmen. Bei aller Betroffenheit, die zuvor in den Medien an den Tag gelegt wurde, war fast nie von den Menschen die Rede, die Todesängste auszustehen hatten und haben. Man war offenbar nur über den Krawall als solchen betroffen, über das Chaos, die Unordnung, die ausgebrannten Autos und das negative Ansehen, das im Ausland entsteht. „Die Ausländerfeindlichkeit verstehen wir alle, aber benehmt euch doch anständig dabei“, war und ist die Botschaft unserer Politiker an den rechten Mob. Oder auch: „Ihr dürft ja ausländerfeindlich sein, aber wir sollten das mit den Mitteln des parlamentarischen Systems versuchen; ein bißchen Geduld noch.“

Nach dieser infamen Logik, die den Angriff auf Menschen ausklammert, die Intoleranz gegenüber allem Fremden teilt und die Ausschreitungen von Rostock auf ein paar kaputte Autos reduziert, wird es erst möglich, das Geschehene mit „linken“ Krawallen nach Kreuzberger Muster zu vergleichen. Genau diese Logik war es, nach der in den letzten Tagen verfahren wurde. Die Medien übten sich fleißig darin, vor den zu erwartenden Ausschreitungen der linken und autonomen Szene auf der Großdemo zu warnen. Der Rostocker Lokalpresse, prinzipiell auf der selben Wellenlänge, gerieten die Maßstäbe völlig durcheinander. Sie sprach tagelang von „linker und rechter Ausländerfeindlichkeit“.

Auch die Polizei wurde nach ihrem kläglichen Versagen in Rostocks ersten Pogrom-Nächten und den bitteren Erfahrungen, die sie dabei selbst machen mußte, nicht schlauer. 3.400 Einsatzkräfte der Polizei aus allen Bundesländern sowie vom Bundesgrenzschutz hatten am Samstag die Chance ihres Lebens, sich mit den Linken auszusöhnen. Sie hätten versuchen können, sich als „Beschützer“ vor angriffslustigen Skins von ihrer sympathischen Seite zu zeigen und gleichzeitig auf ein wenig Verständnis bei den Autonomen hoffen können, nach dem Motto: Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde. Die Chance ist vertan. 3.400 PolizistInnen und BundesgrenzschützerInnen kannten am Samstag nur einen Gegner: die Demonstranten. Wer sich Rostock auch nur näherte wurde gefilzt. Der Reservekanister im Auto war Molli-verdächtig, ein Motorradhelm wurde als passive Bewaffnung beanstandet und sichergestellt. Fünf Leute wurden festgenommen, da in ihrem Auto ein Stein gefunden wurde. Demo-Insider wissen, daß Steine von zu Hause mitgebracht werden müssen, wenn's an den Ostseestrand gehen soll, wo man sonst nur mit Sand werfen könnte. Wer bis Lichtenhagen durchkam hatte im Schnitt zwei bis vier Kontrollen hinter sich. Insbesondere den Leuten, die mit Bussen von Hamburg angereist kamen, war nicht klarzumachen, warum sie bereits 13 km vor Rostock kontrolliert werden sollten. Noch weniger verstanden sie, warum ihnen angeboten wurde, sie dürften auch ohne Kontrolle weiterziehen, aber ohne Busse, sie könnten ja die letzten 13 km laufen. Waren also die Busse gefährlich? Die wollten ohnehin nicht demonstrieren, sondern die Leute, die drin saßen. Es gab Koordinationsschwierigkeiten bei den Hamburgern, die Polizei zeigte sich unnachgiebig und bildete aus Verlegenheit erstmal einen Kessel. Insgesamt führte das Hin und Her zu einem rund vier Stunden verspäteten Beginn der Demo. Nerven wurden strapaziert. Die Polizei hatte längst alle Sympathien verspielt als erst ungefähr die Hälfte der Demo-TeilnehmerInnen an Ort und Stelle war.

Die schon da waren konnten sich bei Interesse von ein paar Einheimischen die Kriegsschauplätze der letzten Woche erklären lassen. Die Lust am Erzählen war bestimmt von der unausgesprochenen Erklärung „Ich wohne zwar hier, aber ich gehöre nicht zu denen da“. Überhaupt waren die meisten Lichtenhagener zu Hause an diesem Samstag, fast niemand hatte das Weite gesucht. Fast alle legten sich ein Kissen unter und verfolgten das Geschehen vom Fenster oder Balkon aus. Nur wenige trauten sich bis vor die Haustür, aber was sollten sie dort auch? Von oben sahen sie doch viel besser. Gespräche fanden kaum statt. Man beobachtete sich gegenseitig wie im Zoo. „Bürger laßt das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein“, wurde gerufen, als sich die Demo endlich in Gang setzte, und „Schämt euch, schämt euch“. Ansonsten hatte es die Polizei längst geschafft, die Gefühle der Empörung auf sich zu konzentrieren. Gut die Hälfte aller Unmutsrufe richteten sich nicht gegen die Ausländerfeinde, sondern gegen die Polizei. „Schichtwechsel, Schichtwechsel!“ war der harmloseste und gleichzeitig originellste Sprechchor der Demo. Die restlichen Schmähungen der Polizei sind hinlänglich bekannt.

Die Demo setzt sich fort, um ein paar Ecken, kreuz und quer durch die schachbrettartig angelegte Plattenbausiedlung. Im Nu verliert man die Orientierung. „Da! Das SPAR-Geschäft von eben!“ Nein, wer genau hinsah erkannte den Unterschied zwischen beiden Straßenkreuzungen. Hier stand doch groß und deutlich geschrieben „SPAR-Parchimer Straße“, eben dagegen war es noch „SPAR-Güstrower Straße“. Das Bild bleibt immer dasselbe, egal um wieviele Ecken der Demonstrationszug sich noch windet. Auch die nächsten drei Stadtteile, die zwischen Lichtenhagen und der Rostocker Innenstadt liegen, sehen gleich aus. Wie kann es sein, daß sich die Menschen in diesen Hunderten von gleichen Aufgängen daran stören, wenn zwei oder drei dieser Aufgänge ganz am Rande der Siedlung von Ausländern bewohnt werden? Die Ausländer, die hier lebten machten zahlenmäßig einen völlig unbedeutenden Bruchteil der Gesamteinwohner aus. Die aufgetürmten Müllberge vor einigen „deutschen“ Aufgängen diskreditieren weitere Scheinargumente, die die klatschenden Bürger gegen die Flüchtlinge verlauten ließen. Wer hier lebt, hat die Monotonie des Plattenbaus so verinnerlicht, daß jede Abweichung davon als Störung empfunden werden muß. Die hier Lebenden würden dieselben einfallslosen Plattenbauten wieder genauso bauen.

Nur wenige Anwohner winken der Demo zu. Es sind vorwiegend ältere Leute, die den realexistierenden Nationalsozialismus noch miterlebt haben. Einige wenige dagegen versuchen zu provozieren. Hier ein Hitlergruß aus sicherer Höhe über der Menge, dort zwei vom Baugerüst auf die Demo geworfene Bierflaschen. Schlimmer ist der Psychoterror durch die Polizei, die inzwischen Hubschrauber- Formationen im Tiefflug über die Demo hinwegfegen läßt. Einige fühlen sich an Bilder aus „Apocalypse Now“ erinnert. Aber niemand suchte am Samstag die gewaltsame Auseinandersetzung. Die Demo-Leitung reagierte energisch auf Provokationen und hatte gleichzeitig die Menge im Griff. Es gelang ihr immer wieder, vorpreschende Polizei zum Rückzug zu bewegen. Die Demo verlief friedlich bis zum Schluß, von kleineren Rempeleien am Rande abgesehen. Auch die Nazi- und Skin-Szene suchte ihr Abenteuer am Samstag nicht in der Auseinandersetzung mit Autonomen. Sie verlegte sich auf andere Orte Ostdeutschlands und beging in der folgenden Nacht 15 Anschläge auf Ausländer(-heime).
 
 

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