Indonesien-Information - September 1992 (Kultur)

BKA - Die Reise nach Beirut

ein politischer Tatsachenroman

von Dieter Schenk

erschienen bei Rowohlt, 1990


Michael Gehrich, der Held dieses Romans, ist Kommissar beim Bundeskriminalamt (BKA), zuständig für Rauschgiftbekämpfung. Seiner profunden Auslandserfahrung wegen muß er den Abteilungsleiter TE (Terrorismus) auf eine Reise nach Beirut begleiten. Sie werden von der Hisbollah entfuhrt und verbringen neun Monate In wechselnden Gefängnissen als Geiseln

Diese fiktive Geschichte einer Entführung ist der minutiös recherchierte Rahmen eines Berichts, der sieh kritisch mit dem Bundeskriminalamt beschäftigt. Dieter Schenk Ist Kriminaldirektor beim BKA und die Auseinandersetzung seines Romanhelden mit dieser Institution ist seine eigene. Ein Fachmann schreibt hier über die nationalen und internationalen Aktivitäten und Verflechtungen des BKA über dessen innere Strukturen und eine Vergangenheit, die vom Nationalsozialismus überschattet ist.

Romanheld Gehrich stößt auf seinen Reisen In die lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Staaten immer wieder auf eine Wirklichkeit mit der er sich nicht länger arrangieren kann. Mit zahlreichen Diktaturen arbeitet das BKA weltweit zusammen, Millionen werden In den Aufbau von Polizeiapparaten investiert, mit der Begründung. einen Demokratisierungsprozeß günstig zu beeinflussen. Tatsächlich wird der Repressionsapparat gestärkt, Folterregime werden intelligenter gemacht, Todesschwadronen auf diese Weise indirekt unterstützt. So geschehen z.B. in Indonesien, Guatemala, Somalia.
 

Leseprobe (S. 82fff):

Eingesperrt und ausgeliefert fühlte ich mich allerdings auch im BKA. Ich ließ mich korrumpieren durch die Chance, in alle Kontinente reisen zu können. Der Preis, die Welt kennenzulernen, war hoch und mußte mit Anpassung bezahlt werden. Ich hatte ihre Regeln zu spielen und so lange ich diese nicht verletzte, so glaubte ich jedenfalls, konnte ich wenigstens meine Reiselust befriedigen. Das wiederum ging aber nicht ohne Skrupel ab, weder in den fernen Ländern noch zu Hause. Je mehr man mich im BKA dafür beneidete, einen so «tollen Job» zu haben, um so mehr fühlte ich mich isoliert. Andrea verspottete mich als Jetsetter, war eifersüchtig auf die Reisen und auf exotische Schönheiten, die mir in ihrer Phantasie zuhauf ins Hotelbett hüpften. Ich wiederum fürchtete, daß sie ihre angedrohte Rache wahrmachen werde, nämlich «gleichzuziehen». In meiner Einbildung zog es sie mit unwiderstehlichen Kräften in das Bett des verdammten Griechen Jorgos.

Meine erste BKA-Reise führte mich nach Indonesien. Zwischen Abschiedsschmerz und Reiselust hin- und hergerissen, wurden mir so deutlich wie nie zuvor die wunderlichen psychosomatischen Fallstricke vor Augen geführt: Einige Tage vor der Abreise konnte ich nicht mehr mit dem rechten Fuß auftreten. Der Arzt diagnostizierte einen Fersendorn und kurierte das Übel rechtzeitig.

Die Bundesrepublik beabsichtigte, einige Millionen Mark als polizeiliche Entwicklungshilfe für Indonesien auszugeben. Der Deal war von dem indonesischen Botschafter in Bonn eingefädelt worden, kurz bevor er nach Jakarta zurückkehrte, um Polizeiminister zu werden. Ich sollte herausfinden, wie dieses Geld sinnvoll angelegt werden könnte, denn der Schwerpunkt mußte auf Rauschgiftbekämpfung liegen, weil man es anders «politisch nicht hatte verkaufen können», so wurde ich instruiert.

Bereits bei den Reisevorbereitungen stellte ich fest, was sich auch im Lande selbst bestätigte: Es gab in Indonesien überhaupt kein Rauschgiftproblem. Einer Bevölkerung von 147 Millionen standen 491 Rauschgiftfälle gegenüber. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik gab es damals 62395 Fälle bei 61 Millionen Einwohnern. Und als im Folgejahr die Rauschgiftkriminalität in Indonesien auf ganze 901 Fälle kletterte, konnte man, ohne zu lügen, von einer Steigerung um fast 100 Prozent sprechen. Statistisch gewaltig, aber in absoluten Zahlen ein Witz.

Mit meiner Hilfe wurden also die Millionen im Staate der Todesschwadronen investiert; der Polizeiminister sagte schmunzelnd, daß die Begründung den «Umbrella» Rauschgift haben müsse. Wie von mir erwartet, schrieb ich also den Umbrella-Bericht. Er basierte auf einer Lüge, denn er enthielt den gewünschten politischen «Schirm», was dem indonesischen Sicherheitsapparat nur recht sein konnte; denn was man von unserer Polizei lernen konnte und welche Technik nach Indonesien geliefert wurde, war und ist ganz bestimmt nicht nur in der Rauschgiftbekämpfung nützlich. Zwar habe ich die lächerlichen Zahlen nicht unterschlagen, aber es verstieß gegen mein Gewissen, darauf ein voluminöses fachliches Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm aufzupfropfen. Zufrieden haben BMI- und BMZ-Chefs den Bericht zur Kenntnis genommen. Wie erwartet hatte das BKA die politischen Vorgaben erfüllt und der BKA-Präsident inzwischen den zweiten indonesischen Orden empfangen. Rauschgift ist in Indonesien noch immer kein ernstes Problem — wohl aber die Todesschwadronen.

Der erste Orden heißt «Bhayangkara Pratama Medal» und wurde dem BKA-Präsidenten von der indonesischen National-Polizei am Rande der Interpol-Generalversammlung in Bangkok verliehen.

Staatspräsident Suharto soll laut seiner nicht veröffentlichten Autobiographie die aus Eliteeinheiten der Sicherheitskräfte bestehenden Todesschwadronen persönlich legitimiert haben.

Bei dem zweiten Orden, den die Regierung stiftete und den indonesische Botschaftsangehörige ins BKA brachten, stand der BKA-Präsident wegen einer Grippe bei der Empfangs-Zeremonie unter Fieber.

«Wir wurden von bösen Menschen bedroht, von Mördern», soll Suharto geschrieben haben. «Diese Menschen hatten die Grenzen der Menschlichkeit überschritten, wer gegen uns war, mußte erschossen werden, überall lagen Leichen herum, sozusagen als Schocktherapie.»
Zwischenlandung in Bombay, Ortszeit 6.00 Uhr. Außentemperatur 26 Grad, an der Gangway Luft geschnappt, eine undefinierbare Mischung aus Mief und Kerosin. In der Dämmerung waren am Rande des Rollfeldes die armseligen Hütten eines Slumgebietes zu sehen, wie grau-schmutzige Pappschachteln aneinandergeklebt: Dies war meine erste Begegnung mit dem Elend der Dritten Welt.

Bittere Armut hat überall auf der Welt einen ähnlichen Geruch. Ich hatte ihn eineinhalb Tage später erneut in der Nase, in Glodock, einem Elendsviertel von Jakarta. Man kann ihn am besten als Mischung zwischen dem Gestank einer schwelenden Müllkippe und Verwesungsgeruch beschreiben, er ist auch in Afrika anzutreffen ebenso wie in Südamerika.

Glodock - auf der einen Seite eines kloakenhaften Baches verrichtete ein Mann seine Notdurft, gegenüber spülte eine Frau in demselben Wasser eine Kaffeekanne, und etwas oberhalb von ihr wusch eine andere Frau ihre Füße und Beine, die von tiefen Entzündungen übersät waren.

Mehrere Männer klopften vor ihrer Hütte gebrauchte Nägel zurecht, eine Frau saß vor einem mit Zigarettenkippen gefüllten Zentnersack und stellte aus den Tabakresten neue Zigaretten her. Halbwüchsige suchten mit papierkauenden Ziegen um die Wette auf Abfallhalden nach etwas Eßbarem. In Jakarta vegetieren fünfhunderttausend Menschen nur vom Müll dahin.

«City of beautiful happenings» verhieß der offizielle Jakarta-Führer. Vor meinem klimatisierten Hotel «Indonesian Sheraton» lag schlafend ein Bettler auf dem Gehweg. Wie stumpf, gleichgültig, sorgenvoll, verzweifelt war er wohl? «How are you tonight, darling?» flüsterte eine Prostituierte auf der Suche nach Freiern. Die Nacht war warm und schwül, es gewitterte. Ich duschte mir den Gestank von der Haut, trank im «Nirwana Supper Club» des Hotels ein Bier. Als es später regnete, hatte ich den Bettler vergessen. Die angebliche «Miss Jakarta Photogenic» hauchte mit rauchiger Kehle eine Schnulze ins Mikrophon: «I am a woman in love.»

Auf Kurzwelle die «Deutsche Welle» geortet - Nachrichten - das Wetter - Lotto-Zahlen. Es war alles so weit weg.
Die Fahrt zum Polizeihauptquartier am nächsten Morgen führte vorbei an den Denkmälern, die Sukarno für den «neuen indonesischen Menschen» errichten ließ: revolutionärer Realismus, kitschig, protzig. Flammen lodern gen Himmel, Muskelmenschen greifen nach der Freiheit, aber sie greifen ins Leere.

Zwanzig ölgötzenhafte, goldbehelmte Wachsoldaten, aufgereiht wie Holzkegel, wurden durch einen lauten Kommandoton aus ihrer sitzenden Starrheit geweckt, sprangen auf und salutierten. Beim erstenmal am Kasernentor war ich erschrocken, beim zweitenmal am Gebäudeeingang peinlich berührt, beim drittenmal vor dem Ministerbüro konnte ich kaum das Lachen unterdrücken.

Der Minister, ein Patriarch, umgeben von vier Generälen und zwei Obristen, sprach mit diplomatisch geschulter Verbindlichkeit von Mißständen bei der Polizei hinsichtlich Niveau, Ausbildung und Ausrüstung und daß sich in Indonesien Atomzeitalter und Steinzeit begegnen. Er parlierte lange, die Generäle hingen an seinen Lippen, bereit, jede gottvaterähnliche Anweisung sofort in die Tat umzusetzen. Wenn nicht das Katzbuckeln gewesen wäre, hatte ich den Ex-Botschafter vielleicht sympathisch finden können, wäre bereit gewesen, ihm zu unterstellen, daß er über Todesschwadronen in seinen Reihen auch nicht begeistert war.

«Liebste Andrea,
es ist schon spät in der Nacht, aber ich muß mir meinen Frust von der Seele schreiben. Komme direkt aus dem «Hilton», der Rotwein war wohl temperiert, der Big General hatte zum Empfang geladen, und alle kamen. Da bin ich also gestern in dem Elendsviertel herumgelaufen und habe heute mit den Generälen gespeist. Immerhin, es waren fünf an der Zahl, das Sirloin-Steak well done und der deutsche Botschafter auch dabei. Ich habe gestern einem Mann ein 100 Rupiah-Stiick. das sind 30 Pfennig, geschenkt, er hat sich voller Demut vor mir verneigt und das Geldstück geküßt. Heule hatte jeder Bissen dieser Mahlzeit einen Wert von vielleicht 1000 Rupiah. Ich komme mir so beschissen vor, weil ich heute abend ein freundliches Gesicht gemacht habe, von Amts wegen sozusagen. Ich saß da, hörte mir ihre selbstgefällige Zufriedenheit an und wann sie wieder die Deutsche Klinik für Diagnostik in Wiesbaden aufsuchen werden.

Korruption muß angeblich sein in diesem Land. Wie sonst soll man sich und die vielen Münder, es hängt die ganze Sippe an dem Hauptverdiener, satt kriegen. Aber mit dem Gegenwert einer Hammond-Orgel, Geschenk einer namhaften deutschen Firma an den General, könnte man den Hunger eines ganzen Stadtviertels in Jakarta vorübergehend stillen.

Solltest Du jemanden kennen, der hier wegen Rauschgifthandels festgenommen wurde (falls es das Delikt überhaupt gibt), dann überweise bitte ein paar tausend Dollar, er geht in Erwartung der Transaktion ohnehin schon mit seinem Wärter in der Stadt spazieren.

Willst Du aber ein handfestes Urteil erreichen, dann mußt Du mit dem richtigen Politiker reden, er wird den Richter entsprechend anweisen.

Aber ich kenne ja die Verhältnisse in diesem Lande nicht, und Gewaltenteilung, Rechtsstaat, gibt es das bei uns zu Hause?
.
Generäle haben in der BRD auf der Skala des Sozialprestiges einen hohen Stellenwert. Was Deutschland recht ist...
Gute Nacht, mein Liebling!»

Mit dem Georg-Kreisler-Lied «Der Junge ist ein General...» im Ohr, hatte ich in den nächsten Tagen das Problem, mit Generälen umzugehen, auf meine Art gelöst: Ich behandelte sie ihrem Niveau gemäß wie eitle Oberkellner, provozierte mit «Hallo», anstatt zu sagen «Good morning, General», oder bat einen Wachsoldaten, der vor mir aufsprang, doch bitte Platz zu behalten, begrüßte den Fahrer, diesen «Untermenschen», mit Handschlag, ließ einem «simplen» Sergeant den Vortritt, weil er älter war. Ich registrierte, daß höhere Offiziere ihre Dienstgradembleme auch an der zivilen Kleidung anbrachten und jeder Polizist unterhalb des Leutnantranges offiziell als Subordinierter bezeichnet wurde. Die ständige Katzbuckelei hatte bei mir die psychische Auswirkung, daß ich unbewußt wie mit einem Besenstiel im Kreuz herumlief.

Als Gunung, einer der Obristen, das für sie typische hauptfeldwebelhafte Gehabe zeigend, mit den Namen Rommel, Guderian und einiger Nazi-Größen prahlte, ließ ich ihn mit der Frage auflaufen, warum in der im Hotel zu kaufenden jüngsten Ausgabe des «Spiegcl» das Titelbild geschwärzt und zwei Seiten entfernt worden seien.

Nein, ich wollte nicht weiterhin ein von Amts wegen freundliches Gesicht machen. Mir war natürlich klar, warum ich in ihren Kriminal-Labors verstaubtes Gerät antraf und höchstens ein Glas mit Goldfischen, denen man auf Gift zu untersuchende verdächtige Substanzen zu fressen gab, um im Falle des tragischen Ablebens der Tiere einen gerichtsverwertbaren Beweis erhoben zu haben: Man wendet hier andere Methoden an. Sie pfeifen auf den Sachbeweis, ihre Indizien finden sie durch Schlage und Folter, oder sie schaffen die Angelegenheit durch geeignete Zuwendungen aus der Welt. Dies war und ist die Krux unserer polizeilichen Entwicklungshilfe in Indonesien und vergleichbaren Ländern: Anstatt die Garantie für Menschenrechte zur Voraussetzung zu machen, liefern wir Know-how und Technik und helfen, die Menschenrechte auf noch subtilere Art zu verletzen. Wichtigste Bedingung ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, dem westlichen Lager anzugehören.
 
 

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