Indonesien-Information Nr. 3 1994 (nicht nur Frauen)

 

 

Indonesiens Familienplanung - kein Vorbild für andere


Die Nachricht, Präsident Suharto solle auf der UN-Bevölkerungskonferenz vergangenen September zum zweiten Male ein Preis für den Erfolg des indonesischen Familienplanungsprogrammes (keluarga berencana, KB) verliehen werden, erwies sich als Ente. Zahlreiche Gruppen aus aller Welt waren dem Gerücht aufgesessen und schrieben Protestbriefe an UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Tatsächlich ging der Preis an Ägyptens Präsident und Gastgeber der Konferenz, Husni Mubarak, und das türkische Familienplanungsministerium.

Dennoch nimmt Watch Indonesia! die Konferenz in Kairo zum Anlaß, in diesem Artikel Indonesiens Familienplanung kritisch zu hinterfragen und möglicherweise zur weiteren Diskussion anzuregen. Angesichts der vom Vatikan und einigen islamischen Hardliner-Staaten auf die Abtreibungsfrage zugespitzten Polemik, geriet die Diskussion um das eigentliche Thema der Konferenz in den Medien zu kurz.

Wesentlich bedeutsamer als die Sorgen des Vatikans mit seiner landesspezifisch bedingt sehr untypischen Geburtenstatistik ist die Auseinandersetzung um die Ziele, Inhalte und Methoden der Bevölkerungspolitik. In den westlichen Industrieländern gehören Begriffe wie 'Überbevölkerung' und 'Bevölkerungsexplosion' längst zum allgemeinen Sprachgebrauch. Statistiken zeigen die immensen Wachstumsraten der Weltbevölkerung, die zu fast 100 % von den Ländern des Südens verursacht werden. Klar, die Schwarzen dürfen nicht immer weiter soviele Kinder bekommen, zumal sie sie ja nicht ernähren können. Das Problem ist nur, daß aufgrund mangelnder Bildung und verschiedener anderer Ursachen, die Schwarzen nicht schnell genug kapieren, daß es so nicht weitergehen kann. So oder so ähnlich denken wohl viele in der westlichen Welt.

Keine Frage, eine größere Bevölkerung bedeutet mehr Ressourcenverbrauch - mehr Ressourcenverbrauch - mehr Energie, mehr Nahrungsmittel, mehr Rohstoffe, mehr Häuser, mehr Autos, mehr Straßen, mehr Müll usw. Die Kapazitäten sind begrenzt. Doch sind es wirklich die Länder des Südens, die dafür verantwortlich gemacht werden müssen?

Wendet man den Blick einmal von der Wachstumskurve ab und hin auf eine Karte, die uns die Bevölkerungsdichte pro Fläche zeigt, so stellt man sehr schnell fest, daß 'Überbevölkerung' in erster Linie ein Problem Europas ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, leben nirgendwo auf der Welt soviele Menschen auf so engem Raum wie in Mitteleuropa. Die Bevölkerungen Chinas oder Indonesiens beispielsweise könnten auf mehr als das Doppelte anwachsen, bevor dieselbe Bevölkerungsdichte wie in Deutschland erreicht würde, läßt man unbesiedelbare Gebiete wie Wüsten und Hochgebirgsregionen einmal unberücksichtigt.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man den Ressourcenverbrauch pro Kopf betrachtet. Indien, China oder Nigeria belasten die Umwelt in weit geringerem Maße als die USA oder Mitteleuropa. Ein Kind in Deutschland verbraucht sieben- bis zehnmal soviel Energie und Rohstoffe wie ein Kind der sogenannten Dritten Welt. Alleine im Bundesland Nordrhein-Westfalen fahren mehr Autos als in ganz Afrika. Die wirtschaftliche Überlegenheit macht's möglich - solange es gelingt, die Länder des Südens in Armut zu halten und bedingungslos ihre Rohstoffe für unsere westliche Konsumwelt auszubeuten.

Ist Familienplanung in Entwicklungsländern also als Diktat des reichen Westens zu verstehen? Wohl kaum. Gerade Länder wie China oder Indonesien, die - bei allen Unterschiedlichkeiten im Detail - für eine ebenso „erfolgreiche“ wie rigide Geburtenkontrolle bekannt sind, lassen sich ungerne von anderen in ihre Angelegenheiten reinreden. Es wäre falsch, anzunehmen, daß für Familienplanung andere Regeln gelten als für Umweltschutz oder Menschenrechtsfragen.

Betrachten wir den Fall Indonesien. Ohne die bereits genannten globalen Aspekte der Bevölkerungspolitik zu vergessen, muß festgestellt werden, daß das Bevölkerungswachstum in Indonesien tatsächlich ein Problem darstellt, in erster Linie für das Land selbst. Bei einer Bevölkerung von ca. 190 mio Menschen bedeutet eine Geburtenrate von derzeit 1,7 % einen Zuwachs von jährlich 3 mio. Das heißt jährlich 3 mio mehr Menschen, die essen wollen, die wohnen wollen. Jedes Jahr muß Indonesien 3 mio mehr Kindern, die Möglichkeit geben können, zur Schule zu gehen, jedes Jahr suchen 3 mio mehr Menschen einen Arbeitsplatz. Die Schwierigkeit, diese Menschenmassen zu versorgen, ist nicht von der Hand zu weisen, insbesondere dann nicht, wenn man sich die schwierige Ausgangslage des Landes vor Augen führt.

Indonesiens Wirtschaft boomt. Obwohl im südostasiatischen Raum auf einem der hinteren Plätze, erreicht das Wirtschaftswachstum in Indonesien jährliche Zuwachsraten, von denen die Industrieländer heute nur noch träumen können. Doch das Bevölkerungswachstum frißt einen nicht geringen Teil des Wirtschaftswachstums gleich wieder auf, den Rest frißt die Elite des Landes. Für die Masse des Volkes bleibt der Lebensstandard gering, das reale Pro-Kopf-Einkommen sinkt sogar in einigen Bereichen. Die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft werden zunehmend größer - und explosiver.

Eine Eigenheit Indonesiens ist die Ungleichverteilung der Bevölkerung. 100 mio Menschen, also mehr als die Hälfte, leben auf der relativ kleinen Insel Java, einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Demgegenüber sind riesige Gebiete auf den Außeninseln nahezu menschenleer. Gleichzeitig versteht sich Java als kulturelles, wirtschaftliches und politisches Zentrum Indonesiens, die „Peripherie“ hat sich Java unterzuordnen.

Die Regierung ist sich der Probleme bewußt. Seit langem wird eine aktive Bevölkerungspolitik betrieben, deren zwei Grundpfeiler das Familienplanungsprogramm KB und das Transmigrasi-Programm darstellen. Doch mit beiden Programmen werden noch ganz andere Ziele als die reine Begrenzung des Bevölkerungswachstums verfolgt.

Am deutlichsten sind diese anderen Interessen wohl am Beispiel des Transmigrasi-Programmes zu sehen. Ausgehend von der Übervölkerung der Inseln Java, Madura und Bali sowie der relativen Leere auf den Außeninseln, wurden zehntausende von Bauernfamilien nach Sumatra, Kalimantan und andere Inseln umgesiedelt. Lange Zeit von der Weltbank unterstützt, sorgte das Transmigrasi-Programm bald für negative Schlagzeilen. Immense Kosten, Regenwaldzerstörung und Landkonflikte kennzeichneten das Programm, dessen positive Auswirkungen auf die Besiedlungsdichte Javas und Balis nicht zu erkennen sind. Viele Transmigranten sahen sich in ihrer neuen Heimat von den Behörden betrogen, die angeblich bezugsfertigen Häuser glichen oft Bauruinen in Einfachstbauweise, die aus Java vertrauten Anbautechniken waren auf den gerodeten Urwaldflächen unbrauchbar. Inzwischen wurde das Programm modifiziert, die meisten Transmigrantendörfer entstehen jetzt in Holzeinschlagsgebieten, die Umsiedler arbeiten nun als billige Hilfskräfte für die Holzkonzerne.

Dünnbesiedelt heißt nicht menschenleer. Die Transmigration findet in Gebieten statt, die auch vorher schon bewohnt bzw. genutzt wurden. Die lokale Bevölkerung auf Sumatra sieht sich ihrer Landrechte beraubt, indigenen Völkern auf Kalimantan und in Irian Jaya droht das Aussterben. Ihre Lebensgrundlage, die Jagd und die Ernte von Waldfrüchten, wird durch die Transmigration ebenso zerstört wie ihre Kultur. Ebenfalls in Irian Jaya sowie im besetzten Ost-Timor drohen die Einheimischen zur Minderheit im eigenen Land zu werden. Es könnte bald die Zeit kommen, in der Indonesien einem Referendum über die Zukunft Ost-Timors zustimmt - die Transmigranten werden für den Anschluß an Indonesien stimmen.

Das „bevölkerungspolitische“ Instrument Transmigration dient also der Indonesianisierung indigener Völker und sichert die Vorherrschaft Javas auf dem gesamten Archipel. Ähnliche Züge hat auch das Familienplanungsprogramm. Aus Ost-Timor wird berichtet, ganze Schulklassen würden abkommandiert, um ohne jegliche Erklärung eine Spritze verpaßt zu bekommen. Dabei handelt es sich um DepoProvera, ein Kontrazeptiv auf Hormonbasis, das insbesondere bei Jugendlichen nicht angewendet werden sollte. Offizielle Statistiken zeigen, daß DepoProvera in Ost-Timor die gängigste Verhütungsmethode ist. Der Anteil der Frauen, denen DepoProvera injiziert wird, liegt weit über dem Durchschnitt in Indonesien. Der Grund: DepoProvera wird von den Behörden als sicherer angesehen, will heißen, die Entscheidung für oder gegen Verhütung ist der Frau bzw. der Familie genommen. Noch schlimmer sind Berichte, nach denen ost-timoresische Frauen zur Abtreibung oder Sterilisation gezwungen werden und Neugeborene sogar im Krankenhaus umgebracht werden.

Doch auch in Indonesien selbst wird starker Druck auf Frauen und ihre Familien ausgeübt, um sie zur Familienplanung zu zwingen. Impfungen und Kredite werden abhängig gemacht von der Teilnahme am Familienplanungsprogramm. Das Saatgut, das Bauern von der Regierung kaufen müssen, ist teurer für diejenigen, die nicht verhüten. Aufklärung, Information und medizinische Versorgung sind dagegen schlecht. Frauen werden nicht oder unzureichend auf die Risiken und Nebenwirkungen der Packungsbeilage hingewiesen. Oft werden beispielsweise Implantate (Norplant) verwendet, die nach Ablauf ihrer Wirkung wieder entfernt werden müssen. Falls dies nicht geschieht, drohen Komplikationen wie Eileiterschwangerschaft, die in weiten Teilen Indonesiens kaum angemessen behandelt werden können. Die meisten Frauen kennen dieses Risiko nicht, nur bei wenigen werden die Implantate wieder entfernt. In Indonesien kommen 2/3 der weltweit produzierten Implantate zur Anwendung.

Zwei Frauenforscherinnen, Adrina Taslim und Katherine Kennedy berichteten, auch in indonesischen Dörfern sei die zwangsweise Injektion von DepoProvera üblich, vor allem in Gebieten, die von ethnischen Minderheiten bewohnt werden. DepoProvera sei in den meisten westlichen Ländern wegen der starken Nebenwirkungen verboten.

„ ... es ist das grundlegende Recht aller Paare und Individuen, frei und verantwortlich über die Zahl und den Altersabstand ihrer Kinder zu entscheiden sowie die nötigen Informationen und Mittel dafür zur Verfügung zu haben...,“ sagte der Vertreter Indonesiens, Dr. Haryono Suyono, in seiner Rede auf der Konferenz in Kairo. Recht hat der Mann. <>
 
 
 

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