Indonesien-Information Nr. 3 1994 (Atomkraft)

 

 

Indonesiens Atompolitik ohne Rechtsgrundlage

Störfall wird vertuscht


BATAN, die indonesische Atomenergiebehörde drückt auf's Tempo. Entgegen bisheriger Planungen soll nun schon 1996 mit dem Bau des ersten Atommeilers auf der Halbinsel Muria, Mittel-Java, begonnen werden. Angesichts der zunehmenden Kritik am Atomprogramm, das den Bau von insgesamt 12 Kernkraftwerken auf der dicht bevölkerten und von Erdbeben geschüttelten Insel Java vorsieht, tritt BATAN damit die Flucht nach vorne an. Zu den Gegnern der Atomenergie zählen nicht nur Umweltverbände und Nichtregierungsorganisationen. Auch aus den Reihen der Regierung melden sich Gegner zu Wort. Sarwono Kusumaatmadja, der farblose Umweltminister, der damit zu kämpfen hat, die Nachfolge des charismatischen und umweltengagierten ehemaligen Ministers Emil Salim zu verwalten, äußerte im Februar während einer Konferenz in Australien: „Seien Sie sich sicher, wir werden nicht in die Atomenergie einsteigen, zumindest nicht solange ich lebe, hoffe ich.“ /Green Left, 23.8.94/

Marcus Wauran, Vorsitzender der Kommission X des indonesischen Parlaments, bemängelt, daß Indonesien bislang nicht über ein Atomgesetz verfüge. Seiner Ansicht nach müsse schnellstmöglich eine Rechtsgrundlage geschaffen werden /Antara, 4.8.94/. Muhammad Anung, Experte für Atomenergie der Umweltorganisation WALHI, bekräftigte im Gespräch mit Watch Indonesia!, daß die bereits weit fortgeschrittenen Pläne zum Bau eines Reaktors in Muria quasi im rechtsfreien Raum schweben. „Es genügt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (AMDAL), wie sie für jeden Industriebetrieb vorgeschrieben ist, ...Grenzwerte für Radioaktivität existieren nicht, alles was es an Vorschriften gibt, sind die von der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) vorgegebenen Richtwerte,“ erklärte Anung. Selbst wenn Indonesien demnächst ein Atomgesetz verabschieden sollte, steht zu befürchten, daß das Gesetz dem derzeitigen Planungsstand angepaßt wird, anstatt - wie es eigentlich sein sollte - erst die Grundlage für eine solche Planung zu schaffen.

Derzeit experimentieren Kerntechniker an Versuchsreaktoren in drei Atomforschungszentren in Bandung, Yogyakarta und Serpong. Die Zahl anderer Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser, Industriebetriebe und Militäreinrichtungen, an denen mit radioaktivem Material hantiert wird, ist nicht bekannt. Nach Ansicht von Alief Meliana, Vertreter der Parlamentskommission X, unterliegen diese Aktivitäten der Forschung und sind als solche gesetzlich geregelt /Antara, 4.8.94/. Was Alief Meliana als „gesetzliche Regelung“ verkauft, ist allerdings, bedingt durch das Fehlen einschlägiger Vorschriften zum Umgang mit strahlendem Material, zu Grenzwerten, zur Überwachung von Strahlendosen, zur Entsorgung radioaktiver Abfälle und dergleichen mehr, in Wirklichkeit nur eine gesetzliche „Genehmigung“, also ein Freibrief, im Namen der Wissenschaft weitgehend unbeschränkt mit radioaktiven Stoffen arbeiten zu dürfen.

Indonesien gibt sich Mühe, im internationalen Rahmen Vertrauen zu schaffen. Keinesfalls möchte Indonesien als „bad boy“ angesehen werden, wie etwa Nordkorea oder Pakistan, deren zivile Atomprogramme eng verknüpft sind mit militärischen Interessen, nämlich dem Bau eigener Atomwaffen. Der Vorschlag an die Mitgliedsstaaten des Atomwaffensperrvertrages, den Indonesien kürzlich zusammen mit einigen anderen Staaten unterbreitete, unterstreicht dieses Anliegen. Darin wird unter anderem ein umfassendes Verbot von Atomwaffentests und ein Produktionsstopp für kernwaffenfähiges Material sowie der Abbau bereits vorhandener Mengen gefordert /Vorbereitungskommitee waffensperrvertrag 1995, 9.9.94/.
 

Gutachten der Atomexperten bleibt geheim

Im Gegensatz dazu gibt sich Indonesien keinerlei Mühe, das Vertrauen der BürgerInnen im eigenen Land zu gewinnen. Die Diskussion um das Pro und Kontra der Atomenergie ist gezeichnet von Geheimniskrämerei seitens der Regierung und staatlich verordneter einseitiger Informationspolitik. WALHI-Experte Anung fordert bislang vergeblich die Offenlegung der Machbarkeitsstudie, die von der japanischen Gutachterfirma NewJec vorgelegt wurde. Die Atomenergiebehörde BATAN verkündet, der Studie zufolge sei Muria als Standort für den Bau eines Atomkraftwerkes geeignet. Auch wirtschaftlich sei das AKW tragbar.

Solange der Öffentlichkeit die Einsicht in die Studie verweigert wird, bestehen allerdings erhebliche Zweifel daran, ob diese Ergebnisse dem Gutachten tatsächlich so zu entnehmen sind. Feststeht zumindest, daß es sich bei der Studie nur um ein erstes Teilgutachten handelt, das eine Standortbeurteilung sowie Kostenbetrachtungen umfaßt. Sicherheitsaspekte, Betrieb und Entsorgung werden erst in späteren Studien behandelt werden.

Als Standort wurden 3 Lokalitäten auf der Halbinsel Muria für mehr oder weniger geeignet beurteilt. Das heißt noch nicht viel, denn die Aufgabenstellung hieß: Untersuchung möglicher Standorte auf der Halbinsel Muria. Solange der Inhalt des Berichts nicht bekannt ist, sollte man nicht einmal der atomfreundlichen NewJec unterstellen, daß sie die Standorte im Erdbebengebiet für gut geeignet hält. Die vorgeschlagenen Standorte sind möglicherweise nur die besten unter vielen schlechten. Unter Blinden ist bekanntlich der Einäugige König.

Von der Kostenseite her gesehen wird das Projekt als durchführbar und konkurrenzfähig betrachtet, wie Djalil Ahimsa von BATAN verkündete. Welche Annahmen dieser Berechnung zugrundeliegen ist allerdings noch unbekannt.

Man weiß, daß einfache Variablen wie Zinssätze und prognostizierte Rohstoffpreise solche Berechnungen stark verzerren können. Man kann also durch geeignete Annahmen fast jedes gewünschte Ergebnis herbeirechnen. Andererseits ist es tatsächlich extrem schwierig, realistische Annahmen zu treffen, sodaß man Gutachter nicht allein deswegen vorschnell verurteilen sollte. Kritisiert werden kann an der Kostenbetrachtung allerdings, daß sie offenbar so wichtige Posten wie Sicherheitsaspekte und Entsorgung noch nicht miteinschließt, da die dafür zunächst benötigten technischen Studien noch ausstehen.

Die Finanzierung ist aber auch ohnedies ein vieldiskutierter Kritikpunkt. Woher soll Indonesien die immensen Anfangsinvestitionen zum Bau eines AKW nehmen? Derzeit favorisierte Idee ist das sogenannte BOT-Modell (build, operate and transfer), d.h. ein Investor baut das AKW und betreibt es selbst eine vereinbarte Zeit lang, z.B. über 15 Jahre. Der Erlös aus dem Stromverkauf in diesen 15 Jahren gehört dem Investor. Danach erst geht das AKW in indonesischen Besitz über. Durch die neue Regierungsverordnung PP 20 vom Juni dieses Jahres werden ausländische Investitionen im Atomenergiebereich deutlich erleichtert.

Ob die scheinbar billige BOT-Lösung wirklich so billig ist, darf bezweifelt werden. Nach 15 Jahren beginnen nämlich Wartung und Reparaturen häufiger und umfangreicher, d.h. vor allem teurer, zu werden. Irgendwann nach 30-40 Jahren muß der Reaktor aus Altersgründen dichtgemacht und sämtliche verstrahlten Bauteile (Reaktorgehäuse, Kühlkreisläufe, Brennelementelager etc.) „entsorgt“ bzw. hermetisch abgeschlossen werden. Erfahrung mit dem Abbruch oder der Einmottung von AKWs hat bislang niemand auf der Welt, eines steht allerdings schon fest: Wenn es einigermaßen verantwortlich gemacht wird, wird es teuer. Die Abbruchkosten sowie die Reparaturkosten in der zweiten Lebensphase des AKW's blieben also an Indonesien hängen, während der Erlös aus dem Stromverkauf in derselben Zeit wegen häufigeren Stillstands der Anlage sehr wahrscheinlich zurückgeht. Der Investor dagegen hat „nur“ die - immerhin besser kalkulierbaren - Baukosten zu tragen und kann in den gewinnbringenden Anfangsjahren absahnen.
 

Störfall beschädigt Vertrauen in die Sicherheit

Das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der indonesischen Kerntechnik wurde massiv erschüttert, als sich am 31. August im Atomforschungszentrum Serpong ein Störfall ereignete. Durch eine Explosion stürzte die Decke in einem der Wirtschaftsgebäude ein. Ein Mitarbeiter wurde getötet, ein anderer schwer verletzt.

Die Behörden verkündeten umgehend, die Explosion habe sich ca. 200 m außerhalb des Reaktorbereiches ereignet, es handle sich daher um einen „normalen Betriebsunfall“, der in keinerlei Zusammenhang mit der Reaktortechnik stehe. Radioaktivität sei durch den Unfall nicht freigesetzt worden. /Suara Pembaruan, 4.9.94/

Diese - aus technischer Sicht nicht falsche - Erklärung gibt bei genauerem Hinsehen durchaus Grund zur Sorge. So spricht es weder für den angeblich hohen Ausbildungsgrad noch für das Verantwortungsbewußtsein der Bediensteten, daß diese nach dem Unfall eiligst Reisaus nahmen. Sie vermuteten nicht nur die Freisetzung von Radioaktivität, einige glaubten sogar, Radioaktivität zu riechen /Suara Pembaruan, 4.9.94/. Daß man Radioaktivität nicht riechen, noch anders sinnlich wahrnehmen kann, sollte sich allerdings in einem Atomforschungszentrum herumgesprochen haben. Das Fluchtverhalten der Angestellten ist menschlich verständlich, unter Sicherheitserwägungen aber nicht hinnehmbar. Eine Vorschrift, die Betriebsangehörige dazu verpflichtet, am Unfallort zu bleiben, um zu versuchen, eine mögliche Gefährdung der Allgemeinheit abzuwenden, sollte in einer gesetzlichen Regelung zum Umgang mit spaltbarem Material zu finden sein. Eben diese gesetzliche Regelung existiert bislang aber nicht.

Die Informationspolitik der Behörden gibt ebenfalls zu denken. So hieß es nach dem Störfall zunächst, eine Klimaanlage sei explodiert. Den beißenden Geruch nach Chemikalien am Unfallort führte ein Untersuchungsteam auf das Kältemittel Freon zurück /Suara Pembaruan, 4.9.94/. Später sind die Experten möglicherweise in ihren Schulbüchern darauf gestoßen, daß Freon nicht nur geruchlos, sondern auch unentzündlich und unbrennbar ist, und daher wohl kaum die Explosion verursacht haben konnte. Zwei Wochen nach dem Unfall wurde eine neue Version bekannt. Danach wurde die Explosion durch die weggeworfene Zigarettenkippe (!) eines Arbeiters verursacht, durch die sich die „hochexplosive“ Chemikalie Ethyl-Methyl-Keton-Peroxid entzündet haben soll. Der Stoff befand sich in einem Container, der „schon lange“ (!) herumstand und vom vielen Hin- und Herbewegen, da er überall störte, undicht geworden war. /Suara Merdeka, 14.9.94/. Auch diese Erklärung läßt zu wünschen übrig. Die einschlägige Fachliteratur bezeichnet nämlich Ethyl-Methyl-Keton-Peroxid nur in ganz bestimmten Zubereitungen als explosiv, in Reinform gilt die Substanz gar als schwerentzündlich. Interessant zu wissen wäre daher, in welcher Form der Stoff vorlag und welcher Verwendung er dienen sollte.

Mangelnde Fachkenntnisse, unsachgemäße Lagerung von Gefahrstoffen, überlagerte Chemikalien, Rauchen in Chemikalienlagern, ... - der laxe Umgang mit Gefahrstoffen und die Mißachtung der grundlegendsten Regeln zum Arbeitsschutz sind leider durchaus typisch für viele indonesische Betriebe. Nur ist ein Atomforschungszentrum eben nicht irgendein Betrieb. <>
 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage